Johannesburg ist die südafrikanische Streetart-Metropole schlechthin. Eine Street-Art-Tour durch Johannesburg wollten wir uns nicht entgehen lassen. Anders als bei früheren Touren wie in → Istanbul, → Berlin oder → Ragusa waren wir in Johannesburg jedoch mit einem Guide unterwegs. Nicht ohne Grund.
Denn Jozi oder Jo’burg, wie Johannesburg von seinen etwa 5,6 Millionen Einwohnern genannt wird, hat es in sich, auch wenn sich der südafrikanische Moloch in den vergangenen Jahren zum Besseren gewandelt hat. Laut dem regelmäßig aktualisierten Crime-Index der Datenbank Numbeo gilt Johannesburg als viertgefährlichste Stadt der Welt (hinter Caracas, Pretoria und Durban, Stand 2024). Weite Teile Jo’burgs sind auch tagsüber No-go-Areas, zumindest für weiße Touristen. Darin unterscheidet sich Jozi von Kapstadt, aus dessen aufgeputztem Zentrum Street Art und Graffiti in großen Teilen verbannt wurde.
Wir ließen uns die Street Art von Johannesburg deswegen von jemandem zeigen, der sich auskennt: von Ayanda. Ayanda ist nicht nur Skater und Stadtführer, sondern gleichzeitig Kopf und Gründer der Agentur → City Skate Tours, die auch andere spannende Führungen anbietet.
Ayanda ist eloquent und in südafrikanischer Subkultur derart bewandert, dass auf unserer Tour keine Frage offen blieb. Er zeigte uns nicht nur die schönsten Murals, sondern brachte uns seine so verstörende wie quicklebendige und von ihm heißgeliebte Stadt auf eine sehr berührende Weise näher.
Ganz nebenbei: Unsere Tour fand an einem grauen, regnerischen Tag statt. Das sieht man leider auch unseren Fotos an. Und noch was: Street Art ist vergänglich! Bei Eurer Tour durch Johannesburg werdet Ihr eventuell ganz andere Pieces sehen als wir bei unserer!
Inhaltsverzeichnis
Tour-Infos
- Länge und Route: Die hier nur grob beschriebene Tour mit Ayanda dauert 3,5 bis 4 Stunden und wird in kleinen Gruppen durchgeführt. Angesteuert werden die Stadtteile Braamfontain, Newtown und Maboneng. Größere Entfernungen werden mit Uber-Fahrzeugen zurückgelegt.
- Preis: Street-Art-Touren kosten 30 Euro pro Person.
- Buchung: Auf → City Skate Tours findet Ihr alle Infos. Dort könnt Ihr auch andere Touren buchen, zum Beispiel eine Tour nach Soweto oder eine auf dem Skateboard durch Johannesburg.
Start der Street-Art-Tour: Braamfontain
Auf den Wandel im Stadtteil Braamfontain ist man stolz in Johannesburg, er gilt als Triumph in Sachen urbaner Erneuerung. Braamfontain, bis in die 1980er-Jahre ein lebendiges Geschäftszentrum, verkam nach dem Ende der Apartheid. Heute kann man hier tagsüber wieder sorglos umherspazieren, in hippen Cafés chillen und – Street Art gucken.
Wir treffen Ayanda vor einem schicken Lokal, machen uns bekannt und stiefeln los. Gleich ums Eck stoßen wir auf einen Künstler, der uns bereits in Berlin auf unserer → Street-Art-Tour durch Berlin-Schöneberg auffiel: → Shepard Fairey. In Johannesburg hat der US-amerikanische Street-Art-Hero Nelson Mandela verewigt.
Der Schriftzug „THE PURPLE SHALL GOVERN“ auf dem Mural bezieht sich auf eine Anti-Apartheid-Demonstration aus dem Jahr 1989 in Kapstadt. Dort setzte die Polizei einen Wasserwerfer gegen die Demonstranten ein, der mit violettem Farbstoff versetzt war. Als Purple Rain March ging die Demo in die Geschichte ein, noch mehr Details wird Euch Ayanda selbst erzählen.
Shephard Faireys Mural wurde der von der französischen Cognac-Marke Hennessy finanziert. Seit den Zehnerjahren engagiert sich Hennessy für urbane Kunst, lässt Künstler Flaschen gestalten und in diversen Städten Wände bemalen oder besprühen. Hennessy sponsert auch das größte Hip-Hop-Festival des Landes.
Wenige Minuten später stehen wir vor einem schmalen, orangefarbenen Frauenporträt. Das Mural aus dem Jahr 2021 stammt von → Faith 47, einer südafrikanischen Künstlerin. Das Mural ist gemalt, nicht gesprüht.
Street Art ist in Südafrika wie auch anderswo in der Welt eine von Männern beherrschte Domäne. „Doch in gefährlichen Städten wie Johannesburg ist es für Frauen nochmals schwerer, auf der Straße zu arbeiten“ sagt Ayanda. Er bezeichnet das Mural als eine Hommage an die starken Frauen Südafrikas. Die Künstlerin nannte es „Gold Dust“ in Erinnerung an Jo’burgs Titel als „Stadt des Goldes“. Denn es war das Gold, das die Menschen Ende des 19. Jahrhunderts zu Tausenden ins menschenleere Hochland lockte und eine Stadt entstehen ließ, die sonst nie entstanden wäre. Noch immer gehören die Goldvorkommen vor der Haustür zu den reichsten der Erde – unvorstellbar angesichts der teils bitteren Armut in Johannesburg.
Nur wenige Meter weiter befindet sich die Nelson Mandela Bridge, die die Stadtteile Braamfontain und Newtown miteinander verbindet. An der Zufahrt zur Brücke hat sich die australische Künstlerin, Typographin und Kalligraphin → Alice Edy ausgetobt. Wenn man genau hinschaut, entdeckt man, dass in diese Arbeit die meistgenutzten Passwörter der Welt eingebaut sind.
Nächster Eyecatcher: eine Elefantenmama mit ihrem Kind an einem schwarzen Gebäude. Den bunten Elefanten des Künstlers → Falko One begegnet man nicht nur in Johannesburg, sondern im ganzen Land. Oft versteckt Falko One auch noch ein Herzchen in seinen liebenswerten Murals – schaut Euch mal den Schwanz des Elefantenkinds an!
Rund um den Grayscale Store
Der Grayscale Store, ein Sprayer-Laden mit Galerie an der De Korte Street, den Ayanda uns zeigen will, hat gerade leider zu. Egal: In seiner Umgebung gibt es soviel Street Art zu entdecken, dass wir das verschmerzen können.
Gleich in der Nachbarschaft reißt eine bunte Hyäne an der Hauswand eines Tattoo-Shops ihr Maul weit auf. Ihr Erschaffer: der Schweizer → Malik. Ayanda erklärt, warum sich der Künstler für genau dieses Tier entschieden hat:
’Ich muss überleben’ ist das Motto der Hyäne. Das gilt auch für Johannesburg. Die Stadt hat den Charakter einer Hyäne.
Die De Korte Street und ein Teil ihrer Nebenstraßen stehen im Mittelpunkt der Streetart-Festivalreihe City of Gold. Zu den Festivals werden lokale und internationale Künstler:innen geladen, die die hiesigen Wände immer wieder neu bespielen. Die Anwohner können den Künstlern bei der Arbeit zusehen und mit ihnen sprechen.
So verstehen die Leute, dass Street Art nicht nur kriminelles Zeugs ist. Die Festivals zeigen die Menschen hinter der Graffiti-Kunst.
Schräg gegenüber der Hyäne sehen wir eine kunterbunte Arbeit im Stil der Pop-Art. Sie stammt von dem Amerikaner → Pose, der seine künstlerische Richtung als „Modern Pop“ bezeichnet.
In der Umgebung dieses Werks fallen uns nette Details auf wie eine Nudelbox des Graffiti-Künstlers → Chowmein. Die Nudelboxen sind kleine Ikonen und überall in Johannesburg zu entdecken. Sie sind Chowmeins Signatur, so etwas wie sein Logo.
Auch Falko One hat an der Kreuzung ein paar Elefanten hinterlassen. Schaut mal den ganz rechts an: Ein Rüssel wie ein Auspuffrohr!
Etwas weiter hält eine Frau eine Kuh im Arm, in der Hand ein Herz, aus dem Zweige wachsen. Hinter dem gesprühten Mural von 2018 steckt der Spanier → Malakkai, der heute in Kopenhagen lebt. Auf den meisten seiner Murals sind traurige, leblose Frauen mit Wallehaar zu sehen.
An der Juta Street, einer Parallelstraße zur de Korte Street, zeigt uns Ayanda eine Gemeinschaftsarbeit von mehreren südafrikanischen Streetart-Koryphäen. Rechts außen war → Tyler B. Murphy zugange, ein Künstler aus Kapstadt. Sein roter bzw. schwarz-weißer Faden ist die Königsprotee, Südafrikas Nationalblume. Links davon sehen wir unterschiedliche Frauenporträts in unterschiedlichen Farben. „Das sind Masterpieces“, sagt Ayanda.
Besonders gut gefällt uns die lilafarbene Dame mit den beiden Marionetten in der Hand. Sie wurde von → Mr Eksê geschaffen, dem wir in Newtown gleich noch einmal begegnen werden. Der Künstler ist bereits seit zwei Jahrzehnten auf den Straßen von Jo’burg unterwegs.
Über die Nelson-Mandela-Brücke nach Newtown
Per Uber fahren wir über die Nelson-Mandela-Brücke hinüber nach Newtown. Auch dieser zentrale Stadtteil wurde in den vergangenen Jahren revitalisiert und dadurch auch sicherer. Trotz dieser positiven Entwicklung sind wir froh, die Gegend mit Ayanda erkunden zu können.
Ayanda führt uns zunächst zu einem älteren, aber beeindruckenden Mural, das ebenfalls von Mr Eksê stammt. Eine junge Frau, traditionell gekleidet, trägt Johannesburg in einer Schüssel auf dem Kopf.
Dann drehen wir uns um und staunen das umwerfende Porträt von Miriam Makeba (1932–2008) an einer unverputzten Ziegelsteinmauer an. Miriam Makeba ist die wohl berühmteste südafrikanische Sängerin. Ihr kennt sie nicht? Doch, doch, tut Ihr. Makebas Song „Pata Pata“ von 1967 war ein Welterfolg.
Hoo, every Friday and Saturday night… it’s Pata Pata time. The dance keeps going all night long… Till the morning sun begins to shine – hey!
Miriam Makeba lebte ab 1960 im Exil (vornehmlich in den USA) und kämpfte von dort gegen die Apartheid. „Sie benutzte Musik als Mittel zur Kritik“, erzählt Ayanda. Als sie 1963 zum Boykott des Apartheid-Systems in ihrer Heimat aufrief, wurde ihr die Staatsangehörigkeit aberkannt. Ihre Platten wurden verboten. Erst 1990 kehrte Miriam Makeba auf Bitten von Nelson Mandela nach Südafrika zurück.
Das Meisterwerk an der Ziegelsteinmauer stammt von → Dbongz, dem wohl sichtbarsten südafrikanischen Streetart-Künstler, aufgewachsen in einem Township westlich von Johannesburg. Wir werden ihm noch öfters begegnen.
Mary Fitzgerald Square
Wir spazieren zum Mary Fitzgerald Square, der nach der ersten südafrikanischen Gewerkschaftlerin (1883–1960) benannt wurde. Die in Irland geborene Fitzgerald engagierte sich für die Minenarbeiter Johannesburgs.
Am Platz befinden sich das Museum Africa mit Exponaten vom ganzen Kontinent und das Market Theatre, das – man kann sich’s denken – in einer ehemaligen Markthalle untergebracht ist. Was man sich nicht denken kann: Das 1976 eröffnete Theater war das erste im Land, das sich dem Antirassismus verschrieben hatte. Es war einer der wenigen Orte jener Zeit, wo sich Schwarz und Weiß treffen konnten.
Hübsche Hingucker auf dem leider ziemlich leblosen Platz sind zahlreiche Holztorsi, die verschiedene Künstler aus ausgedienten Eisenbahnschwellen schufen. In den Gesichtern der Menschen erkennt man die afrikanische Diversität mit all ihren verschiedenen Völkern und Stämmen. Die Skulpturen sind diebstahlsicher mit den Betonstelen darunter verbunden – wichtig in einer Stadt, in der sich viele kein Brennholz leisten können.
Dann stehen wir unter den mächtigen Betonpfeilern der Stadtautobahn. Diese werden ebenfalls regelmäßig von Streetart-Künstler:innen bespielt. Zuletzt mit Musikern.
Für die oberen Porträts der rechten Reihe zeichnete Dbongz verantwortlich, den wir bereits kennen gelernt haben. In dieser „Wall of Icons“ hat der Dbongz einige der wichtigsten Jazz-Musiker:innen des Landes porträtiert. Zu sehen sind von vorne nach hinten der Posaunist Jonas Gwanga, die Sängerin und Songwriterin Busi Mhlongo, der Saxophonist Kippie Moeketsi und die Jazzsängerin Sibongile Khumalo, die ursprünglich als Mezzosopranistin ausgebildet worden war. „Eine starke Stimme, die auch international gefeiert wurde“, erzählt uns Ayanda. Die Portraits sind detailliert ausgearbeitet und unglaublich faszinierend.
Die Gesichter unter den Jazz-Stars wiederum sind in der südafrikanischen Hip-Hop-Szene zu Hause. Sie gehen auf den Künstler → Black Mabutho zurück. „Black Mabutho und Dbongz arbeiten gerne zusammen“, so Ayanda.
Street Art im Hipsterviertel Maboneng
Mit Uber geht es weiter ins Hipsterviertel Maboneng und damit zur letzten Station unserer Street-Art-Tour durch Johannesburg. Auch Maboneng hatte vormals nicht den besten Ruf, war mehr berüchtigt als berühmt. Heute ist das bunte Viertel ein Place to be, mit durchdesignten Loftwohnungen in alten Gewerbehöfen und Lagern, mit historischer Bausubstanz, mit Kunstgalerien und Feierlocations für alle Geschmäcker.
Es ist später Samstagnachmittag und damit bereits Partytime – die Leute sind gut drauf, Musik von allen Seiten. Wer genug Geld hat, sitzt in einer der schicken Bars beim Cocktail. Andere cornern mit großen Bierflaschen in der Hand, tanzen auf der Straße. Maboneng ist ein cooles Viertel voller Lebensfreude – und die quirligen Barstraßen sind angeblich auch nach Einbruch der Dunkelheit sicher.
Unser Bier muss warten. Ayanda will uns noch mehr Street Art zeigen. Maboneng ist nicht nur Ausgehviertel, sondern auch ein großes Freilichtmuseum. Wir heben die Köpfe und sehen ein häuserwandhohes Mural in den Farben Rosa, Weiß und Schwarz. „Hier vermengen sich die Rassen“, sagt Ayanda. Hinter dem Mural steckt der heute in Nantes lebende Iraner → Kazy Usclef.
Das „Schnauzbart-Mural“ ums Eck stammt von einem Künstler, der uns in Johannesburg schon mehrmals über den Weg gelaufen ist: Falko One. Entdeckt Ihr das Elefantenmotiv und das versteckt angebrachte Herzchen?
In Maboneng stoßen wir auch auf einen Streetart-Künstler, der uns schon seit Jahren sehr beeindruckt: → Vhils aus Portugal. Vhils nutzt für seine großflächigen Pieces Hammer und Meißel, manchmal sogar Sprengstoff. Er zerstört Altes, um Neues zu schaffen. Wo sind wir ihm nicht schon begegnet? Natürlich in → Berlin, aber auch auf der Azoreninsel → São Miguel und in → Porto. In Maboneng hat der Künstler Yvonne Chaka Chaka in die Wand gehauen. Die „Princess of Africa“ gehört zu den populärsten Stimmen des Landes.
Ganz großes Streetart-Kino entdecken wir zudem ein paar Schritte weiter: Auch dieses Mega-Mural stammt vom südafrikanischen Streetart-Hero Dbongz. Die Frau als Mutter und Kämpferin. Müllsammler laufen achtlos am Mural vorbei, während wir uns die Augen ausstaunen.
Eine schwarze Wand mit vielen Kindern. Die einen schauen augenlos in ihre Handys, andere wirken traurig, misstrauisch oder einfach hilflos. Die mehrteilige und mehrere hundert Meter lange Arbeit geht zurück auf → Nelson Makamo, einem Künstler, der weniger auf der Straße, sondern mehr im Atelier tätig ist. Sein Herzensthema ist das afrikanische, nicht selten in Armut lebende Kind.
Als wir unter der Stadtautobahn hindurch zurück ins Partyzentrum von Maboneng spazieren, sehen wir rechts an einem Betonpfeiler nochmals ein Kind. Es trägt Latzhose, hat die Augen verbunden und hält einen Topf mit einer Sonnenblume in der Hand. Was genau es damit auf sich hat, wissen wir nicht. Den Künstler aber können wir anhand der charakteristischen Krönchen-Signatur an der linken Seitentasche der Hose erkennen: Es ist wieder einmal Dbongz.
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freue mich von euch mehr zu lesen
Liebe Verena, danke fürs Interesse! Die Mailadresse hättest du eigentlich unten in dem türkisen Band eintragen sollen und nicht hier im Kommentar, aber egal. Konnten Dir auch so einen Link zum Bestätigen schicken. Herzliche Grüße nach Mordogan von Gabi und Michael