Ferropolis – Stadt aus Eisen“. Wie oft schon fuhren wir auf der A9 an der braunen Infotafel bei Dessau vorbei und fragten uns, was sich dahinter wohl verbergen könnte. Irgendwann sind wir dann abgebogen. Und haben es nicht bereut. Ferropolis, ein riesiges Areal auf einer Halbinsel im Gremminer See, ist Freilichtmuseum, Industriedenkmal, Veranstaltungsort und manchmal sogar Campingspot.
Wo sich einst ein geschundenes Braunkohlerevier erstreckte, kann man heute riesige Bagger bestaunen, am Sandstrand liegen, baden oder Festivals besuchen. Statt alte Spuren zu verwischen, wurde mit Ferropolis ein faszinierender Ort der Erinnerung geschaffen, den man einmal in Ruhe besichtigen sollte. Wir zeigen Euch, was es zu sehen gibt.
Inhaltsverzeichnis
Wie aus Golpa-Nord Ferropolis wurde
Ferropolis nennt sich heute das, was vom Tagebau Golpa-Nord übrig blieb: fünf kolossale Bagger und Absetzer, ein paar Hallen und die einstige Umspannstation. Das Ganze befindet sich auf einer schmalen Halbinsel im Gremminer See.
Golpa-Nord war einer von insgesamt 20 Tagebauen in der Region. 1958 wurde Golpa-Nord aufgeschlossen, wie man das im Fachjargon nennt. Ab 1964 wurde Braunkohle gefördert. In Spitzenzeiten arbeiteten im ganzen Revier 60.000 Bergleute. Der jährliche Braunkohleauswurf lag bei 100 Millionen Tonnen.
Das Braunkohlerevier schuf Arbeitsplätze, gleichzeitig aber auch eine Mondlandschaft von erschreckendem Ausmaß. Als wäre die Erde ihres Kleids beraubt worden. Ganze Siedlungen mussten weichen, wie das Dorf Gremmin, das dem See seinen Namen gab. 1982 verschwand es.
1991 war Golpa-Nord ausgekohlt. Der Tagebau wurde stillgelegt. Mit dessen Ende stellte sich die Frage nach der Zukunft des Areals. Die „Ferropolis-Idee“ kam von jungen Landschaftsplanern der Stiftung Bauhaus Dessau. Eine Eventlocation und ein Industriepark, eine Attraktion der Region, sollte die „Stadt aus Eisen“ werden.
Was manch Besserwisser als „aberwitzig“ bezeichnete, wurde mit der Gründung von Ferropolis 1995 in die Realität umgesetzt. 2000 wurde der Ort für den Publikumsverkehr freigegeben. Das Eröffnungskonzert vor bizarrer Bagger-Kulisse dirigierte Mikis Theodorakis – für die, die dabei waren, Kategorie „unvergesslich“. Im gleichen Jahr begann man mit der Flutung des Gremminer Sees. Die Flutung ist noch nicht ganz abgeschlossen.
Die Baggergiganten
Das Ferropolis-Gelände macht in Teilen einen fast dystopischen Eindruck. Fünf riesige Maschinen, Bagger und Absetzer, Relikte der DDR-Industriezeit, rosten dort vor sich hin. Sie wirken wie Monsterinsekten aus einem Horrorfilm.
Die jüngste Maschine, ein Schaufelradbagger aus dem Jahr 1984, trägt heute den Spitznamen Big Wheel. Offizieller Name: SRS TAKRAF 1521. Über 1700 Tonnen ist das Teil schwer. Sein über acht Meter hohes Förderrad ist ein beliebtes Fotomotiv.
Der Absetzer Medusa hingegen ist eine vergleichsweise alte Dame (Baujahr 1959). Sie besitzt einen um 360 Grad schwenkbaren Reparaturkran und einen langen Ausleger. Angeblich ist Medusa mit einem Fahrstuhl befahrbar, was zumindest bei unserem Besuch nicht möglich war. Offizielle Bezeichnung: 1025 As 1120.
Der Eimerkettenschwenkbagger Mad Max (651 ES 1120) kam 1962 zum Einsatz. Mit seinen 40 riesigen Eimern wurden früher 1920 Kubikmeter Erde pro Stunde abgebaggert.
Mad Max steht nahe am Wasser. Bei Festivals wird vor ihm die Bühne aufgebaut. Eine spektakuläre Kulisse! 25.000 Menschen können in der so genannten Arena zusammenkommen. Leider waren wir noch nie bei einem Festival. Dabei stehen mehrere im Jahr an: Melt Festival, Full Force Festival, Splash Festival, Hive Festival und – das hört sich am spannendsten an – Whole Festival.
Der Raupensäulerschwenkbagger (was für ein Name!) Mosquito ist der älteste Bagger in der Runde. Er stammt aus dem Jahr 1941. Taufname: 197 ERs 400.
Der Absetzer Gemini (1022 A2S 2240), Baujahr 1958, ist der schwerste der fünf stählernen Giganten. Er ist für Besucher geöffnet. Solltet Ihr Euch unbedingt ansehen! Über steile Eisentreppen geht es hinauf. Von oben blickt man 30 Meter tief hinunter, schaut über den See und das gesamte Areal. Wow! Der verrostete Riese fasziniert auch jeden, der mit Technik sonst gar nichts am Hut hat.
Schalthaus: Ausstellung und Standesamt
Die ehemalige 30-kv-Umspannstation war das elektrische Herz des Tagesbaus Golpa-Nord. Von hier aus wurde die Stromversorgung geregelt. Heute kann man die Räumlichkeiten besichtigen und sich eine Ausstellung zur Geschichte der Region angucken.
Dabei sieht man unter anderem historische Fotos von Dörfern, die es heute nicht mehr gibt. Zudem wurde der Fundplatz des Skeletts eines Waldelefanten (!) nachgebaut, den man 1987 zufällig im Abraum des Tagebaus Gröbern entdeckte. Die Originalknochen, 120.000 Jahre alt, befinden sich allerdings im Museum für Vor- und Frühgeschichte in Halle.
Im Schalthaus kann man auch heiraten. Na wenn das keine extravagante Kulisse für das Ja-Wort ist:
Beaching am Gremminer See
Zwar ist der Gremminer See noch immer nicht vollständig geflutet, dennoch macht er durchaus schon etwas her. Zwischen Baggerbesteigung und Ausstellungsbesichtigung kann man an einem schönen Strand mit grobem Sand abhängen.
Auch in Strandnähe gibt es noch das eine oder andere Relikt aus ganz anderen Zeiten zu entdecken. Abenteuerspielplatz Ferropolis:
Campen in Ferropolis
2020, als Corona die Welt in Aufruhr versetzte und das Kulturleben zum Erliegen brachte, begann man in Ferropolis, das brachliegende Festival-Areal als Pop-up-Camp zu nutzen. Eine großartige Idee! Bis heute wird ein Teil des Geländes zur festivalfreien Zeit Campern zur Verfügung gestellt. Diese Zeiten können sich von Jahr zu Jahr ändern, 2023 konnte man beispielsweise nur im April und Mai in Ferropolis campen.
Den Thrill, einmal unterm Schaufelradbagger zu stehen, möchten zu Recht viele erleben. Bucht also zeitig im Voraus, um nicht enttäuscht wieder von dannen ziehen zu müssen! Das geht auch online über die → Webseite.
Es gibt drei verschiedene Campinggelände. Das teuerste befindet sich direkt neben dem Sandstrand, das zweitteuerste unter den Schaufelbaggern (da standen wir, sehr cool, aber man steht auch ein bisschen eng), das billigste abseits von Strand und Schaufelradbaggern auf einer eher trostlosen Wiese. Vorteile dort: Die Stellplätze liegen nahe den Sanitäranlagen und sind ruhiger.
Stichwort Sanitäranlagen: Die Sanitäranlagen haben kein Campingplatzniveau. Es gibt festivalbedingt viele Toiletten. Die Duschen befinden sich dagegen in Containern und sind recht unkomfortabel. Als wir da waren, gab es nur ein Spülbecken für alle.
Street Art in Ferropolis: Hendrik Beikirchs Porträts
Spuren“ nennt sich das eindrucksvolle Projekt des Koblenzer Streetart-Künstlers Hendrik Beikirch. Beikirch ist eine große Nummer in der Szene und kreiert weltweit riesige Porträts von meist alten Menschen.
Für Ferropolis fotografierte er sieben ehemalige Bergmänner und eine Baggerfahrerin des einstigen Tagebaus Golpa-Nord und sprühte sie dann als 14 Meter hohe Murals an ehemalige Lagerhallen. Jede Falte ist zu sehen, sehr beeindruckend. Allein für die Murals würde sich schon die Anfahrt nach Ferropolis lohnen.
Mehr Infos über Ferropolis
- In Ferropolis werden diverse Führungen und andere Aktivitäten angeboten. Aktuelle Infos, auch über Preise, Öffnungszeiten und Veranstaltungen, hält die offizielle Webseite bereit.
- Sandra vom Blog Tripp-Tipp war ebenfalls in Ferropolis. Über ihren Besuch dort schreibt sie sehr einfühlsam: Ferropolis – Stadt aus Eisen
Großartiger Artikel, ziemlich ungewöhnliches Thema! Ich liebe ja Industrieruinen, weil sie einfach wichtige Zeitzeugen der Geschichte sind. Und zu solchen Monster-Baggern kommt man im Normalfall ohnehin nicht nahe ran, also sicherlich für Kinder und Erwachsene gleichermaßen extrem spannend, mal davor zu stehen.
Viele Grüße
Christian
Danke dir, Christian. Man kann dort übrigens nicht nur davorstehen, sondern zwei der Riesenteile sogar besteigen. Ein irre Erlebnis für die ganze Familie.