„Wer Goa kennt, braucht Lissabon nicht zu sehen.“ 

Sprichwort

Uns laust der Affe. Betrunkene Horden junger Männer werfen sich grölend in die Wellen. Am Saum des kilometerlangen Strandes ist kaum ein Plätzchen mehr frei, eine Frau können wir weit und breit nicht ausmachen. Überall am verdreckten Beach liegen leere Bierflaschen.

Auch landeinwärts wird das Bild nicht freundlicher: Vor schäbigen Herbergen stehen Grüppchen pichelnd beisammen, praktischerweise direkt neben den überquellenden Mülleimern, um die Flaschen schnell entsorgen zu können.

Das verlotterte Calangute ist so etwas wie das Tüpfelchen auf dem i der Enttäuschungen, die wir an den Stränden Goas erleben. Wer in Calangute seinen Urlaub gebucht hat, den laust nicht nur der Affe, den beißt er auch. Und zwar richtig. Im liberalen, vornehmlich christlichen Goa, dem kleinsten indischen Bundesstaat, ist Alkohol an allen Ecken und Enden und vor allem deutlich günstiger als im Rest des Landes zu bekommen. Dies bringt einen Sauftourismus aus den Nachbarstaaten mit sich, der seinesgleichen sucht. Ballermann auf Indisch. So sieht das dann aus:

 

Strand von Calangute in Goa

 

 

Wie wir uns Goa vorstellten

Welche Goa-Bilder hatten wir uns vor unserer Indienreise nicht im Kopfkino zusammengemalt? Von im Wind wiegenden Palmen und darunter wir in der Hängematte. Von klampfenden Hippies und kreisenden Joints an gelb leuchtenden, einsamen Strandschönheiten. Von Trancepartys in Vollmondnächten. Und von Fischern, die im rosa Morgengrauen ihre fette Beute an Land ziehen.

Wer solche Szenerien erleben will, setzt sich am besten in eine Zeitmaschine und reist in eine vergangene Epoche. Das Goa von heute ist zur Massenbadewanne verkommen, in der der indische Mittelstand neben russischen Pauschalurlaubern und israelischen Backpackern plantscht.

Ein paar faltige Hippies soll es auch noch geben, oben in Arambol. Aber da waren wir nicht. Wir waren an vielen Orten der rund 100 Kilometer langen Goa-Küste nicht. Wir waren aber immerhin an den Stränden, die unser Reiseführer als noch halbwegs ruhig und nett beschrieb. Nett ist bekanntlich die kleine Schwester von Scheiße.

 

Palolem: Mondsichelbucht mit viel Leben

Palolem ganz im Süden von Goa ist so einer. „Romantischer als an diesem idyllischen, von Palmen gesäumten Strand können tropische Sonnenuntergänge kaum sein“, lesen wir. Wir selbst können Palolem allerdings nur mit sehr viel Wohlwollen als idyllisch bezeichnen.

Der Strand riecht nach Sonnenmilch, kein Fleckchen Sand, das noch nicht mit Touristenhaut in Berührung gekommen ist. Vor allem am Wochenende ist hier die Hölle los, wenn indische Familien zum Kurzurlaub anreisen. Dann wird viel Corona getrunken (wer etwas auf sich hält, trinkt überteuerte Mexiko-Plörre statt indisches Kingfisher), und dann werden Bikinischönheiten beäugt, während die Wasserwacht stolz mit einem erdbeerroten Jeep über den Strand jagt.

Versteht uns aber nicht falsch: Palolem ist tatsächlich ganz nett. Eine nahezu perfekte Sandsichel, die von massiven Felsblöcken umrahmt wird. Kein Beton, stattdessen Holzhütten unter Kokospalmen, eine nach der anderen, dazwischen unzählige Restaurants mit oft nahezu identischen Speisekarten – auf einer finden wir sage und schreibe 367 Gerichte.

 

Strand von Palolem in Goa
Palolem

Michael Bussmann und Gabriele Tröger in Goa

 

Einen Tick weniger überrannt als Palolem ist Patnem eine Bucht weiter. Mit Backpackerparadiesen haben beide Strände allerdings nur noch wenig gemein. Die Übernachtungspreise sind wie überall in Goa für indische Verhältnisse hoch. Für einen einfachen Bungalow ohne Frühstück sollte man mit rund 40 Euro rechnen.

Wir mieten uns in den karibikbunten Hüttchen der → Cuba Beach Huts etwas zurückversetzt vom Strand ein. Unsere Nachbarn? Links ein russisches Pärchen, das – es gibt Klischees, die sind nicht totzukriegen – jeden Abend eine Literflasche Gin hebt. Rechts eine schwarzgebrannte Endsechzigerin aus England, die schon seit 25 Jahren zur Yogapraxis nach Palolem kommt.

Und etwas zurückversetzt von uns lebt ein alter Mann in einer einfachen Hütte. Jeden Tag überrascht er uns lächelnd mit Blümchen und Bonbons. Spielt er nicht Weihnachtsmann, so angelt er die leer getrunkenen Wasserflaschen aus den Müllkörben der Bungalowterrassen, um sie mit billigem Kanisterwasser aufzufüllen und vorne am Strand wieder zu verkaufen.

 

Cuba Huts in Palolem (Goa)
Der Urlaub ist eine Hängematte in den Cuba Beach Huts

 

Souvenirkitsch in Anjuna

Andere Strände schauen wir uns später in Tagesausflügen an: Besagtes Calangute. Baga oder Anjuna noch etwas weiter nördlich, wo jeden Mittwoch ein bunter Markt abgehalten wird. „Der ideale Ort, um auf Souvenirjagd zu gehen“, steht im Reiseführer.

Wir treffen in dem mehr als angeschrabbelten Ort mit seinem schmalen Strand auf viele Freaks und viele Stände, die kaum etwas anderes verkaufen als in den Souvenirläden überall in Indien: Plastikkitsch aus China, Batiksarongs, angebliche Silberwaren, Che-Guevara-Shirts, Tee und Gewürze. Die paar wenigen Gringos, die originelle Kleidung ihrer eigenen Labels und niveauvolles Kunsthandwerk anbieten, gehen unter.

 

Markt in Anjuna in Goa
Markt in Anjuna

 

Panjim: Portugal in Indien

Aber Goa kann auch schön sein. Wunderschön sogar. Lest also weiter! Strandmüde und etwas schmallippig nach ein paar eher enttäuschenden Tagen ziehen wir nach Panjim. Die Hauptstadt der ehemaligen portugiesischen Kolonie liegt an der Mündung des Flusses Mandavi.

Die allerbeste Entscheidung. Wer dieser Stadt nicht mindestens zwei, drei Tage widmet, ist selber schuld. Das rund 40.000 Einwohner zählende Panjim ist ein Schmuckstück und einer von jenen Orten, der seine Besucher sofort und ohne Umschweife umarmt. „Wo ist Indien?“, möchte man fragen. „Hier ist doch Portugal!“

 

Gasse in Fontinhas in Panjim in Indien
Straßenzug im Viertel Fontainhas

 

In den schmalen Gassen des alten Viertels Fontainhas, die hier „Ruas“ heißen, reihen sich kunterbunte, niedrige Häuser aneinander, die sich „Casa“ oder „Vivenda“ nennen – die einen frisch restauriert, die anderen charismatisch am Verfallen. Bezaubernde Details an jeder Ecke: Marias hinter Glas, hübsche Azulejos. Mittendrin erhebt sich die weißgetünchte, abends wunderschön illuminierte Kirche unserer Lieben Frau der Unbefleckten Empfängnis:

 

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Ausstellung im Secretariat von Panjim in Goa
Panjim: Kunst und Kirchen

 

Nicht nur in der Architektur, auch in den Menschen selbst spiegelt sich das koloniale Erbe wider. Viele Bewohner Panjims wirken ausnehmend unindisch. Wenig Saris und Cholis. Stattdessen sehen wir Miniröcke, schwarz gekleidete, kurzhaarige Witwen von eher knolliger Statur, Männer mit Anzug und Hütchen.

Und in den Supermärkten stapeln sich Olivengläser, Thunfisch- und Sardinendosen statt Linsen und Currypasten. Die bekommt man in der sauberen Markthalle im Westen des Städtchens. In Flechtkörben liegen Tomaten, weiße Auberginen, Koriander, Kartoffeln und Ananas. Liebevoll drapierte Kunstwerke, auf denen die Händlerinnen in der Mittagshitze nicht selten ein Schläfchen halten. Der zünftige Geruch des Fischmarkts ums Eck lässt dagegen die Nase kräuseln: Muscheln jeglicher Couleur gibt es dort, Großfische, Kalamare.

 

 

Ein Hotel zum Verlieben und ein Karneval zum Staunen

Wir mieten uns in der → Hospedaria Abrigo de Botelho ein, ein leuchtend blauer Kolonialbau mit nur acht traumschönen Zimmern. Knarzende Holzstufen führen zu unserem: Bodenfliesen mit hellblauen Sternen, Art-déco-Lampen, das Waschbecken steht auf einem antiken Tischchen mit Löwenfüßen. Zwei Flügeltüren führen zur umlaufenden Veranda mit einem altersschwachen Schaukelstuhl. Geht’s schöner? Hier schlafen wir wie die Bären im Winterschlaf. Zum Frühstück bekommen wir scharfes Bohnencurry, Banana Buns und knusprige Sauerteigbrötchen.

 

Hospedaria Abrigo de Botelho in Panjim
Betreiber Roy vor seiner Hospedaria Abrigo de Botelho

 

Hausherr Roy erklärt uns, was wir nicht verpassen dürfen. Karneval in Panjim! Das viertägige Spektakel mit Umzügen und Livebands steht jeden Tag unter einem anderen Motto. Wir feiern bei der Black-&-Red-Party mit – eines der eindrücklichsten Erlebnisse unserer Indienreise. Als wir mit rotem Shirt und schwarzer Hose – der Dresscode der Party – zur großen Sause im Stadtgarten einlaufen, sind die Goaner schon voll in Fahrt.

Spätestens jetzt wird klar, was die Hippies hier so klasse fanden – den liberalen, feierfreudigen Goanern konnte man als kiffender Zausel so schnell keinen Kulturschock verpassen. Aufgestylte Bräute in High Heels stöckeln an uns vorüber, Transen mit roten Wuschelperücken auch. Gesoffen wird auf Teufel komm raus, Schnapsflaschen kreisen, man tanzt zu den Coversongs der Combo auf der Bühne:

„Life is life!“

Ein Bierchen folgt aufs andere. Dazu Streetfood vom Feinsten: Schweinefleisch-Vindaloo, Prawns-Balcão, Rinderzungencurry, Chouriço-Brötchen. Was für ein Fest!

 

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Wo Goa seinen Anfang nahm: Goa Velha

Mit leichtem Brummschädel nehmen wir uns am nächsten Tag „Old Goa“ („Goa Velha“) vor, die zehn Kilometer bzw. 25 Busminuten weiter landeinwärts gelegenen Überbleibsel der ersten Hauptstadt Goas.

Was für eine Pracht muss sich hier dem Besucher des 16. und 17. Jahrhunderts aufgetan haben. Rund 200.000 Menschen lebten zu jener Zeit hier, spazierten durch verschlungene Gässchen und über elegante Praças. Alles vorbei. Zahlreiche Epidemien von Pest bis Cholera waren ausschlaggebend dafür, dass Goa Velha nach und nach aufgegeben wurde und die meisten Profanbauten verfielen.

Die Zeiten überdauert haben aber glanzvolle Kirchen und Kapellen, die als Solitäre in der durch und durch tropischen Landschaft stehen wie bestellt und nicht abgeholt. Nicht ohne Grund ist das gesamte Areal heute auf der UNESCO-Welterbeliste verzeichnet. Für die beeindruckende Szenerie sollte man sich einen Tag Zeit nehmen.

 

Kuppel einer Kirche in Goa Velha
Kuppel der Kirche St. Cajetan

 

Manche der Kirchen wie die Basilika Bom Jesus und die Sé Cathedral werden noch heute aktiv genutzt, die Kleidervorschriften sollten eingehalten werden: keine Spaghetti-Tops, keine Shorts. In der hoch verehrten Basilika Bom Jesus liegt der Heilige Franz Xaver in einem prächtigen Mausoleum begraben, einer der bedeutendsten Missionare des 16. Jahrhunderts. Die riesige, 1640 eingeweihte Sé Catedral wiederum prunkt mit einem Goldstück von Altar. Sie ist angeblich größer als jede Kirche Portugals!

 

 

Schwer angetan sind wir auch von der Kirche des Hl. Franz von Assisi (1521), die heute zwar leer geräumt als Museum dient, aber dadurch nichts an Würde verloren hat. Ein ockerfarben-rosa-hellbrauner Altar, Kassettendecken – was für eine Eleganz.

 

Innenraum einer Kirche in Goa Velha
Kirche des Hl. Franz von Assisi

 

In der klebrigen Schwüle schleppen wir uns hoch zum Holy Hill, wo die Ruinen des Augustinerklosters als glorreicher Abschluss unseres Streifzugs durch die Historie Goas auf uns warten. Altarräume und Seitenkapellen des Gebäudes sind noch gut zu erkennen. Eine 46 Meter hohe Turmruine, die in den blaugrauen indischen Himmel ragt, deutet an, wie riesig dieser Bau einmal war. Die heiligen Hallen sind heute ein Abenteuerspielplatz für Erwachsene.

 

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Am Abend trinken wir ein Craft Beer vor der niedlichen Joseph Bar in Panjim. Ein Ort von für Indien seltener Gemütlichkeit und Entspanntheit. Dort treffen wir Leela, eine flotte Mittdreißigerin, die mit ihrem finnischen Mann und zwei Golden Retrievers beim Feierabendbier sitzt. „Gefällt es Euch in Panjim?“, ruft sie zu uns hinüber. „Klar doch!“, antworten wir. „Der einzige Ort Indiens, an dem man relaxt leben kann!“, sagt sie und prostet uns zu.

 

 

PRAKTISCHE INFOS

Hinkommen

Nach Goa (Dabolim Airport, 29 km südlich von Panjim) fliegen von Mumbai aus bis zu 17-mal täglich Maschinen. Die Nachtzüge zwischen Goa und Mumbai sollten am besten mehrere Wochen im Voraus gebucht werden. Wer Nerven sparen will, bucht über ein Reisebüro, es ist nicht einfach, sich auf der Seite der → Indian Railways zurechtzufinden… Nicht empfehlenswert ist die Fahrt mit dem Bus. Busse brauchen für die 580 km zwischen Goa und Mumbai bis zu 18 Stunden!

Rumkommen

Zwischen den Orten Goas gibt es gute Busverbindungen, alles ganz problemlos.

 

Unterwegs in einem indischen Bus
Kein indischer Knast, sondern im Bus in Goa

 

Mehr Indien bei uns auf dem Blog

Mehr zu unserer Indienreise und mehr praktische Infos erfahrt Ihr → hier, einen eigenen Beitrag haben wir zudem der Tempelruinenstadt  → Hampi gewidmet.

 

Wer war schon in Goa uns hat ganz andere Erfahrungen gemacht? Sind gespannt auf Eure Kommentare! Wenn Euch der Beitrag gefallen hat, so freuen wir uns wie immer über Eure Pins. 

 

2 Kommentare

  1. Wir waren schon 1999 einen Monat in Goa, 2000 3 Monate und 2006 6 Monate. Alles im Rahmen von bis zu einjährigen Asienreisen. Leider konnten wir so gut verfolgen, wie der unvermeidliche Touristenstrom immer mehr zunahm und Goa immer weniger lebenswert wurde. Was natürlich auch für alle anderen von uns bereisten Destinationen auf vielen Kontinenten gilt. Heute bin ich in Pension und könnte wenn ich wollte, meinen restlichen Lebensabend in Goa verbringen. Vielleicht mache ich es sogar irgendwann. Fakt ist: Jeder Geheimtipp auf dieser Erde wird irgendwann entdeckt, wirtschaftlich ausgeschlachtet und endet im Müllchaos. Es gibt einfach zu viele Menschen auf dieser Erde!

    • Hallo Wolfgang, wie sagte nicht schon Paul Cézanne: „Man muss sich beeilen, wenn man noch etwas sehen will. Alles verschwindet.“ Du hast natürlich völlig Recht: Es gibt keine Geheimtipps mehr, nicht nur wegen der deutlich mehr Touristen, sondern auch wegen des Internets, das uns alles schon zeigt, bevor wir überhaupt dort waren. Und alle an die Orte schickt, die vorher nur einem kleinen Kreis bekannt waren. Gleichzeitig ist man natürlich auch ein Teil dieser Entwicklung, die Touristen sind nun mal nicht immer nur die anderen. Wir beneiden dich dafür, dass du diese spannende Region Indiens kennen gelernt hast, bevor die Massen eintrudelten. Diese Zeit ist uns leider entgangen. Aber zum Glück gibt es immer noch schöne Orte auf dieser Erde, auch wenn es halt keine Geheimtipps mehr sind. Besten Dank fürs Feedback und viele Grüße von Gabi und Michael

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