22. September 2023

Michael Müller (geb. 1953) gründete 1979 einen Verlag für Individualreiseführer, der seinen Namen trägt und laut ChatGPT als „angesehener und hoch geschätzter Verlag“ bekannt ist. Der Verleger und Autor diverser Reiseführer-Klassiker wie „Portugal“ oder „Toskana“ pendelt heute als digitaler Nomade zwischen Erlangen und Porto. Michael Müller steht digitalen Entwicklungen offen gegenüber, die Reise-Apps des Verlags sind führend. Nun interessierte uns, was er von Künstlicher Intelligenz (KI) hält. Und was Chatbots wie ChatGPT für die Reiseführerbranche bedeuten bzw. vielleicht einmal bedeuten könnten.

 

HIER DA DORT: Da du die Hafenstadt Porto ja kennst wie deine Westentasche, haben wir ChatGPT mal nach einem „guten einfachen Fischlokal in Porto“ gefragt. Das kam heraus:

„Hier ist eine Empfehlung für ein einfaches Fischlokal, das bei Einheimischen und Besuchern gleichermaßen beliebt ist. Cervejaria Brasão. Das Cervejaria Brasão ist ein gemütliches und ungezwungenes Restaurant im Herzen von Porto. Hier kannst du frische Meeresfrüchte und Fischspezialitäten in entspannter Atmosphäre genießen. (…) Die Preise sind in der Regel vernünftig.“

Was hältst du als Porto-Insider von diesem Tipp?

MICHAEL MÜLLER: Ich möchte hier ungern als Lästermaul auftreten, aber ich sag einfach meine Meinung: Ich habe in dem Lokal schon zu Mittag gegessen. Es ist ein gutbürgerliches Restaurant mit einer traditionellen Einrichtung, wie es in Porto nur noch wenige gibt. Preislich und qualitativ ohne Tadel. Das Restaurant liegt ums Eck von der Avenida dos Aliados, also am Nabel von Porto neben dem Rathaus. Es geht dort immer recht betriebsam und laut zu. Ein einfaches Fischlokal ist es aber sicherlich nicht, es gibt ganze zwei Fischgerichte auf der Karte und die basieren nicht auf Frischfisch, sondern auf Stockfisch (Bacalhau). Zur Ehrenrettung muss man sagen, dass Fisch im Zentrum Portos nicht angesagt ist, dazu fährt man am besten mit der Metro die fünf Kilometer bis zum Fischerhafen in Matosinhos.

 

Selfie vorm Azulejo: Spontanes Treffen in Porto, der zweiten Heimat des Verlegers

 

HIER DA DORT: Das heißt, KI kann man zum derzeitigen Zeitpunkt bei der Reiseplanung noch nicht sinnvoll nutzen. Oder?

MICHAEL MÜLLER: Nein, das geht nicht. An solch einer Lösung bin ich schon seit drei Jahren dran und suche intensiv nach einem Partner, der das nötige Hintergrundwissen hat und so etwas auf Basis unserer verifizierten Reiseführerinhalte umsetzt. Ich habe über das EU-Portal „Enterprise Europe Network“ mein Gesuch öffentlich gemacht. Aber es war leider bis jetzt kein Volltreffer dabei.

HIER DA DORT: Was könnte in deinen Augen die Gastronomie, die Hotellerie, die gesamte Tourismusbranche unternehmen, um auf die KI Einfluss zu nehmen? Schließlich geht es um viel Geld, wenn die KI ein Hotel besser als das andere, eine Region spannender als die andere beschreibt.

MICHAEL MÜLLER: Dazu müsste KI erst einmal vertrauenserweckender werden. Am obigen Beispiel eines einfachen Fischlokals ist das Ergebnis kontraproduktiv. Erste Voraussetzungen wären also zutreffende Beschreibungen. Die zweite Vorgabe wäre „kein Marketingsprech“. Es fällt einer beauftragten Werbeagentur oder auch dem Betreiber eines Hotels ungemein schwer, eine differenzierte Betrachtung zu liefern.

HIER DA DORT: Auf welches Wissen greift die KI zurück? Kann es sein, dass ganze Reiseführerreihen ins System eingespeist und dann bei Bedarf wieder ausgespuckt werden?

MICHAEL MÜLLER: Alle öffentlich zugänglichen Stellen werden gescannt, zuallererst Wikipedia. Reiseführerinhalte zu scannen, zum Beispiel E-Books, wäre illegal, aber aus manchen Milieus tönt gerne „illegal, scheißegal“. Ich würde mir wünschen, dass dies bei den KI-Firmen nicht der Fall ist. Streitereien zwischen der New York Times und Chat-GPT wurden gerade öffentlich, und die Zeitung änderte deshalb ihre Nutzungsbestimmungen. Nun heißt es, dass „die Entwicklung von Softwareprogrammen, etwa das Training eines Systems für maschinelles Lernen oder künstliche Intelligenz (KI)” von der „nicht-kommerziellen Nutzung der Inhalte“ ausgeschlossen ist.

HIER DA DORT: Wir haben uns neulich selbst mal bei ChatGPT eingegeben. Die Schlagworte „Michael Bussmann Autor“ brachten folgendes Ergebnis:

„Michael Bussmann ist ein Autor, der für seine Reiseführer und Bücher über verschiedene Reiseziele bekannt ist. Einige seiner bekanntesten Werke sind: ‚Lonely Planet Reiseführer Kuba’ (gemeinsam mit Miriam Bussmann)…“

Du weißt, dass Michael noch nie einen Reiseführer über Kuba geschrieben hat, und schon gar nicht mit Miriam Bussmann. Was sagt das über Glaubwürdigkeit von KI aus? Muss man nicht alles noch einmal nachprüfen, was man da vorgesetzt bekommt?

MICHAEL MÜLLER: KI-Systeme halluzinieren, heißt es. Eine schöne Umschreibung. Die KI wurde also unter den Einfluss von LSD gesetzt und kann lügen wie gedruckt. Für touristische Belange ist KI aktuell mehr etwas für Experten wie mich, der zum Beispiel bei Fragen zu Portugal ganz gut die Plausibilität einer Antwort einschätzen kann. Aber in jedem Fall ist es ein gutes Werkzeug, um Quellen zu finden – wie beispielsweise die passende Webseite für ein Thema.

HIER DA DORT: Das heißt, du nutzt KI für die Überarbeitung deiner Bücher?

MICHAEL MÜLLER: Ich verwende inzwischen regelmäßig Chat-GPT bei der Überarbeitung einer Neuauflage, zum Beispiel wenn ich eine auf einer Webseite „versteckte“ Mailadresse suche oder eine Busgesellschaft brauche, die einen bestimmten Ort anfährt.

HIER DA DORT: „Schreibt Chat GPT künftig die Reiseführer selber?“, fragte das Prag-Portal Prag to go im Juni 2023. Deine Meinung?

MICHAEL MÜLLER: Zuallererst müssen die Fakten korrekt dargestellt werden, das geht noch am einfachsten bei Preisen, Öffnungszeiten, Telefonnummern etc. Die persönlichen Beurteilungen eines Autors, die vom Leser nach einer Weile sehr gut einzuordnen sind, müsste eine digitale Persönlichkeit liefern, die es über die nächsten Jahrzehnte wohl nicht geben wird. Auch die sprachlichen Feinheiten eines jeden Autors, welche einen Text interessant lesen lassen, kann heute noch kein System nachbilden.

HIER DA DORT: Was muss ein Reiseführerverlag tun, um im Wettbewerb mit ChatGPT & Co bestehen zu können? Wo liegen die Stärken eines guten Reiseführers, wo die Schwächen der KI? Was liefern gute Reisehandbücher, was ChatGPT nicht liefern kann?

MICHAEL MÜLLER: Für mich ist die Schwäche eines Reiseführers die dazu benötigte Vielarmigkeit. Man müsste sich eigentlich in einen Oktopus verwandeln, um die gedruckten Nachschlagewerke optimal zu nutzen: zwei Hände, um den Stadtplan zu studieren, zwei weitere Hände, um im Reiseführer zu blättern und noch eine weitere Hand, um auf dem Smartphone die aktuellen Öffnungszeiten zu erfahren. Die Stärke der KI würde ich gerne dazu verwenden, die Inhalte unserer Reiseführer situationsbedingt auszuschöpfen, zum Beispiel zum intuitiven Erstellen eines Stadtrundgangs nach meinen Vorlieben oder einer Tour durch eine ganze Region.

HIER DA DORT: Glaubst Du, dass KI irgendwann auch einmal unsere persönlichen Empfehlungen und Tipps ersetzen kann? Dann würden wir als Reisebuchautoren alt aussehen, oder?

MICHAEL MÜLLER: Wir sind seit einigen Jahren dabei, unsere Reiseführer semantisch aufzubereiten. Das bedeutet, dass jedes Hotel, Restaurant, jede Sehenswürdigkeit und sonstige Attraktion von unseren Autoren/Redakteuren mit zutreffenden Schlagworten im Hintergrund in Verbindung gebracht werden. Dies soll unserer zukünftigen KI-Anwendung zuliefern. Aber auch diese Lösung fußt auf dem Wissen des Autors, er kennt die Örtlichkeiten, die Stimmung um diese. Google & Co werden bestimmt schon daran arbeiten, aus den Millionen Nutzerkommentaren die treffenden Kategorisierungen herauszufiltern, um das Pferd von der anderen Seite aufzuzäumen. Man darf gespannt sein.

HIER DA DORT: Herzlichen Dank für das Interview.

 

Vom Schrauber zum Verleger: Michael Müller als 19jähriger (Foto: privat)

10 Kommentare

  1. Ich schreibe selber gerade einen Artikel zum Thema. Ich finde, dass sich her Müller hier sogar noch sehr zurückhaltend äussert. Für mein aktuelles Buch habe ich ChatGPT probeweise nach düsteren Sagen in den Schweizer Alpen gefragt. Das Resultat schier auf den ersten Blick super: Fünf Sagen, eine düsterer als die andere. Und das Beste: Keine davon kannte ich. Also bat ich die KI um Quellen, damit ich die Stories auch verifizieren konnte. Und auch hier wieder: Ich bekam super aussehende Links. Einen zur Schweizer Fernsehen, ein zur renommiertesten Schweizer Tageszeitung. Also Volltreffer? Nicht ganz: ChatGPT erfand nämlich nicht nur die Sagen vollkommen aus dem Nichts, sondern auch gleich noch die Quellen dazu. Kein einziger Link funktionierte und kein einziger gab es jemals im Internet.

    Ich denke, entscheidend ist, was man will. ChatGPT kann Sachen, die schon auf hundert Blogs stehen, tatsächlich relativ gut neuformulieren und auch inhaltlich korrekt zusammenfassen. Doch bei schon nur ein bisschen spezielleren Sehenswürdigkeiten oder Aktivitäten kommt nur Mist. Das bringt mich zu zwei Schlussfolgerungen: Erstens, dass ChatGPT vorallem Dinge schreiben kann, die die Welt nicht braucht, weil es sie schon hundert Mal gibt. Zweitens, dass Reiseführer-Autoren am wenigsten in Gefahr sind. Denn wer 20 Euro in einen Guide investiert, der will auch Informationen haben, die Hand und Fuss haben.

    • Hallo Oli, danke für deine interessante Einschätzung und dein wirklich sehr schön beschriebenes Beispiel von ChatGPT-Halluzinationen, die einen wirklich baff machen. Man darf gespannt sein, wie viele Leute künftig die Spreu vom Weizen trennen werden bzw. trennen werden können und diesen „Informationen“ hinterherrecherchieren. Und wie viele Leute auf der anderen Seite Müll wie den, den du da entdeckt hast, als bare Münze verstehen und nicht nur stillschweigend konsumieren, sondern auch in Texten weitergeben werden, egal ob in Reiseführern oder Blogs. Viele Grüße!

  2. Super spannendes Thema und Interview! Danke dafür! Ich habe (wie ihr wahrscheinlich auch schon) ChatGPT mal probehalber zur Tourenplanung eingesetzt. Heraus kam nur halluzinierter Mist – und es ging nicht um Kasachstan oder ein unbekanntes Ziel, sondern um Norditalien. Kurz: Meiner Meinung nach ist die sogenannte Künstliche Intelligenz noch ziemlich dumm und muss noch sehr viel lernen, um ihrem Namen gerecht zu werden.

    • Liebe Angela, hihi, wir haben natürlich auch schon ein wenig rumgespielt und heraus kam ein kompletter Quatsch. Haben mal nach dem Weg vom Wenzelsplatz zum Altstädter Ring gefragt – ein Katzensprung. Angeboten bekamen wir eine kilometerlange Wanderung mit mehrfacher Moldauquerung. 😀 Liebe Grüße, Gabi und Michael

  3. Spannendes Interview. Bestätigt meine Erfahrungen mit ChatGPT und Aria. Für inhaltliche Fragen ist mir das meistens noch zu unzuverlässig. Ich schätze aber schon die Hilfe bei sprachlichen Optimierungen und bei allem, was Coding und andere IT-Probleme angeht.
    Auch KI-basiertes Video-Schneiden finde ich für Social Media Posts ganz hilfreich – ist aber auch ein etwas anderes Thema.

    Liebe Grüße
    Dennis

    • Hi Dennis, danke fürs Feedback. Die Sache mit dem KI-basierten Schneiden von Videos finden wir jetzt sehr spannend, zumal du da ja echt nette Sachen auf Insta machst. Da machen wir uns mal schlau. Viele Grüße, Gabi und Michael

  4. Hallo Gabriele,
    halloMichael,

    sehr interessantes Interview zu einem wichtigen Thema. Als ich mal für einen neuen Beitrag im Netz recherchiert habe, habe ich gleichzeitig die KI gefragt. Ich hatte den Eindruck, dass sie ganze Sätze wortwörtlich aus verschiedenen Quellen kopiert hatte. Ein bisschen gruselig ist das schon.

    Herzliche Grüße
    Renate

    • Hallo Renate, das ist mehr als gruselig. Man muss wirklich gespannt sein, wie das in Bezug auf Urheberrechte künftig weitergehen wird. Herzliche Grüße zurück von Gabi und Michael

  5. …. Das erwähnte EEN ist mein Arbeitgeber 😊.
    Wir arbeiten ja auch mit Chat gpt und eins ist klar: man muss wirklich jede Zeile prüfen, sonst kommt tw. einfach nur Quatsch raus! Trotzdem erleichtert es uns auch einiges und auch SEO technisch gibt es da Möglichkeiten….

    • Hi Lotte, das ist ja ein Ding – dass EEN dein Auftraggeber ist, wussten wir nicht. Ganz klar kann ChatGPT ein Tool sein, das einem die Arbeit erleichtert und Texte positiv verändern kann – richtig genutzt natürlich. Liebe Grüße!

Gib süßen oder scharfen Senf dazu (E-Mail-Adresse wird nicht angezeigt)

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