Dass so viele Perlen der Breslauer Moderne die Zeiten überdauert haben, grenzt an ein Wunder. Breslau, vor dem Zweiten Weltkrieg fünftgrößte Stadt Deutschlands, gehörte zu den am schwersten zerstörten Städten Europas. Angeblich waren rund 70 Prozent aller Breslauer Gebäude dahin.
Wie Phönix aus der Asche erhob sich die Stadt nach dem Krieg aus den Ruinen – dann aber nicht mehr als Breslau. Aus Breslau wurde Wrocław, aus einer deutschen Stadt eine polnische. Die Polen versuchten zu retten, was noch zu retten war. Heute ist Wrocław eine prächtige, lebendige Stadt, die sich ihrer Vergangenheit durchaus stellt.
Unsere Tour auf den Spuren der Breslauer Moderne führt zu den architektonisch spannendsten Bauten der 1920er- und 1930er-Jahre. In eine Zeit also, in der man in Breslau Maßstäbe fürs Neue Bauen setzte. Einige der bedeutendsten Protagonisten dieser Architekturrevolution wirkten damals in Breslau: Erich Mendelsohn, Hans Poelzig, Hans Scharoun und andere mehr.

Aushängeschild dieser Zeit und seit 2006 auf der UNESCO-Welterbeliste ist die spektakuläre Jahrhunderthalle. Doch für Fans moderner Architektur gibt es in Breslau noch mehr zu entdecken, allen voran ein paar spannende Kaufhäuser.
Hinweis: Der Schwerpunkt dieser Tour auf den Spuren der Breslauer Moderne liegt auf der Architektur der 1920er- und 1930er-Jahre. Dazu gönnen wir uns ein paar Ausreißer in andere Jahrzehnte, ins frühe 20. Jahrhundert oder in die 1970er-Jahre. Verzeiht uns das eine oder andere düstere Bild – wir waren im Winter in Breslau.
Breslauer Moderne: Inhaltsverzeichnis
Moderne Architektur auf dem Rynek
Selfiestangen duellieren, Kameras klicken, Touristengruppen marschieren bunten Fähnchen hinterher. Auf den Rynek, den Großen Ring, wie er früher hieß, will jeder. Der alte Marktplatz ist der touristische Hotspot der Stadt, eine vermeintliche Märchenkulisse von anno dazumal, aber eben nicht von anno dazumal.
Warum wir genau hier mit unserer Tour auf den Spuren der Breslauer Moderne beginnen? Weil am Rynek zwei interessante modernistische Gebäude stehen. Diese sind um einiges älter als so mancher Bau mit historisch anmutender Fassade in der Nachbarschaft. Während der Schlacht um Breslau im Zweiten Weltkrieg wurde der Ring nämlich schwer mitgenommen. 24 Häuser mussten danach rekonstruiert werden – was erstaunlich gut gelang.
Die Städtische Sparkasse
Das Eckhaus der Santander-Bank am Rynek 9/11 fällt deutlich aus der Reihe. Für den Bau der damaligen Städtischen Sparkasse im Jahr 1930 mussten drei geschichtsträchtige Häuser weichen. Die Entwürfe lieferte Heinrich Rump (1879–1952) – seine Begeisterung für die Urbanarchitektur New Yorks ist dem Bau deutlich anzumerken. Dank seiner robusten Bauweise und der Muschelkalksteinfassade überlebte das Gebäude den Zweiten Weltkrieg ohne größere Schäden.

Die Mohrenapotheke
Adresse : Solny-Platz 2/3
Direkt nebenan steht ein siebenstöckiges funktionalistisches Bürogebäude mit Flachdach, in dem heute unter anderem die Anzeigenabteilung der Tageszeitung Gazeta Wyborcza untergebracht ist. Zuvor stand hier ein Bau aus dem 19. Jh., die Mohrenapotheke. Das historische Gebäude ließ die architektonisch kühn denkende Apothekerfamilie zusammen mit einem angrenzenden schmalen Nachbargebäude in den 1920er-Jahren im Stil der Neuen Sachlichkeit umbauen. Engagiert wurde dafür der Berliner Architekt Adolf Rading (1888–1957), der sein Handwerkszeug unter anderem bei Peter Behrens gelernt hatte. Rading wirkte später am Aufbau Haifas mit.
Nach dem Krieg fehlten die Glasplatten an der Fassade. Erst eine Renovierung zur Jahrtausendwende brachte Radings Fassade wieder zurück. Seit dem gibt es auch wieder eine Figur eines Afrikaners in Stammestracht, die aber nicht dem Original gleicht.
Das Warenhaus Gebrüder Barasch
Vielleicht hatte jemand von Euch auch eine Großtante, eine Oma oder Uroma, die Breslau noch in der Vorkriegszeit erlebt und Euch davon erzählt hat. Gabi hatte so eine Großtante. Und die hörte gar nicht auf damit, von den mondänen Kaufhäusern ihrer alten Heimat zu schwärmen. Das alte deutsche Breslau war eine Stadt der schillernden Konsumpaläste. Einer dieser Paläste war das Warenhaus der jüdischen Brüder Georg und Artur Barasch am Ring 31/32.

Errichtet wurde das Kaufhaus zwischen 1902 und 1904 im Jugendstil. Als Architekt wird Georg Schneider genannt, ein Mann, den selbst Wikipedia nicht kennt – wer mehr über ihn weiß, kann uns gerne schreiben. Auf historischen Fotos des Warenhauses Barasch sieht man einen Prachtbau mit gläserner Weltkugel auf dem Dach, mit fulminanten Treppen, die auf Galerien führen.

Der Glasglobus machte es nicht lange, er wurde nach einem Blitzeinschlag bereits 1929 entfernt. Vier Jahre später kamen die Nazis an die Macht. 1936 mussten die jüdischen Eigentümer ihr Kaufhaus im Zuge der Arisierung für einen Bruchteil des Schätzwerts veräußern. Georg Barasch konnte noch auswandern, Artur Barasch wurde in Auschwitz ermordet.
Im Krieg wurde das Kaufhaus stark beschädigt. Seit den 1960er-Jahren nennt es sich Dom Handlowy Feniks. Im Inneren befinden sich Billigläden, ein Burger King und ein Supermarkt. Vom einstigen Interieur ist nichts mehr erhalten.
Die Kaufhäuser an der Oławska
Adresse : Ulica Szewska 6/7
INms Eck liegt eine Perle der Breslauer Moderne: das ehemalige Kaufhaus Rudolf Petersdorff, das 1928 eröffnet wurde. Sein Erschaffer ist kein Geringerer als Erich Mendelsohn (1887–1953), der große Pionier der Stromlinien-Moderne. Zu Mendelsohns bekanntesten Entwürfen gehören der Einsteinturm in Potsdam (1922) und das Mosse-Haus in Berlin (1923).

Das Äußere des tollen Kaufhausgebäudes mit dem runden Erkerturm, das heute den Namen Kameleon trägt, ist seit seiner Errichtung nahezu unverändert erhalten. Innen aber ist es wie die meisten Bauten der Breslauer Moderne verschandelt. Decken wurden da eingezogen, wo früher ein Atrium war, von dem man mehrere Etagen überblicken konnte. So schade.
Adresse: Oławaska 11
Nur wenige Schritte weiter steht man vor dem nächsten spannenden Kaufhausbau, dem ehemaligen C & A. Errichtet wurde das Gebäude mit den horizontalen Fensterbändern und klammerartigen Seitenabschlüssen an der Fassade zwischen 1930 und 1931. Der Entwurf stammt vom Schweizer Architekten Sepp Kaiser (1872–1936). Kaiser war der Haus- und Hofarchitekt der niederländischen Familie Brenninkmeijer, die immer noch hinter C & A steckt. Die holländische Familie mit deutschen Wurzeln ist seit 1860 im Bekleidungsgeschäft tätig. Heute residiert im Haus unter anderem der Drogeriemarkt Rossmann.

Das Warenhaus Wertheim (heute Renoma)
Ein weiterer große Eyecatcher unter den Breslauer Kaufhäusern der Moderne befindet sich am südlichen Rand der Innenstadt (Świdnicka 40): das heutige Renoma und damalige Kaufhaus Wertheim.

Unter Regie des Architekten Hermann Dernburg (1868–1935), der sich mit dem nicht mehr existenten Berliner Sportpalast einen Namen gemacht hatte, wurde es zwischen 1928 und 1929 errichtet. Mitten in der Wirtschaftskrise also. Und doch schien Geld keine Rolle zu spielen. Das damals größte Stahlskelettgebäude Europas war mit glasierten Ziegeln ummantelt. Die Keramikköpfchen an der Fassade waren mit Gold verkleidet. Drinnen beförderte die erste Rolltreppe Schlesiens Einkaufslustige durch die Etagen.
Das Innere brannte im Krieg aus, eine Tour hindurch ist deswegen wenig spannend. In kommunistischer Zeit wurde das Kaufhaus in Renoma („Renomee!“) umbenannt. 2009 kam ein neuzeitlicher Anbau hinzu. Aus dem Kaufhaus wurde eine Mall mit rund 120 Geschäften, Restaurants und einem Supermarkt.
Das Kaufhaus Martin Schneider
Adresse: Podwale 37/38
Doch von Kaufhäusern nicht genug. Deutlich älter als das Renoma ist das zwischen 1906 und 1908 im Jugendstil errichtete Kaufhaus Martin Schneider, das heute den Namen Dom Handlowy Podwale trägt. Verantwortlich zeichnete das Berliner Architekturbüro Hoeniger & Sedelmeier. Mit seinen Sandsteinpilastern und dem imposanten Portal macht es bis heute noch ordentlich was her – von außen zumindest.

Das Provinzpolizeipräsidium
Was für ein Gebäude! Der so düstere wie spannende Monumentalbau im Stil des Backsteinexpressionismus steht nur ein paar Schritte weiter an der gleichen Straße. Er entstand zwischen 1927 und 1929 nach Entwürfen des Breslauer Architekten Rudolf Fernholz (1888–?). Eine Million Ziegelsteine wurden für den Bau angeblich verarbeitet.
Den monumentalen Portikus schmücken vier gigantische, durchaus einschüchternde Figuren römischer Krieger. Sie stammen vom Berliner Bildhauer Felix Kupsch, der auch für die Skulpturen am Postamt (siehe unten) verantwortlich zeichnete.

Details? Wir müssen passen – in unmittelbarer Nähe zum Gebäude darf nicht fotografiert werden, und die Strafen bei Zuwiderhandlung sind seit der Einführung des neuen Fotoverbots 2025 hoch. Unser Neid gilt den Fotografen des polnischen Lifestyleblogs WhiteMAD, die das fantastische Interieur fotografieren durften: hellgrüne Kacheln, kristalline Formen, Säulen und spektakuläre Treppenlösungen. Hier seht Ihr, was wir verpasst haben bzw. Euch nicht liefern können.
Die Markthalle
Die Markthalle ganz im Norden der Innenstadt nahe der Oder ist innen hui, außen so lala. Ihr neogotisches, historisierendes Backsteinmäntelchen lässt zunächst kaum vermuten, welch schöner Raum sich dahinter verbirgt:

Adresse: Piaskowa 17
Gebaut wurde die Hala Targowa (polnisch für Markthalle) zwischen 1906 und 1908. Die Fassade stammt vom Stadtbaurat Richard Plüddemann (1846–1910). Der Architekt Heinrich Küster (1870–1956) zeichnete für die Stahlbetonkonstruktion in ihrem Inneren verantwortlich.
In der Markthalle geht es lebendig und authentisch zu. Hier gibt es nicht nur Souvenirgedöns, sondern auch alles Mögliche, was die Breslauer:innen in ihren Küchen so verwursteln und klein schnippeln. Für ein einfaches, leckeres Mittagessen bieten sich die beiden Schnelllokale in der Markthalle an.
Das Postscheckamt
Adresse: Z. Krasińskiego 1
Die nächste backsteinexpressionistische Granate auf unserem Architekturstreifzug durch Breslau ist das heutige Postamt bzw. frühere Postscheckamt am östlichen Rand des Zentrums. Es entstand im gleichen Zeitraum wie das Polizeipräsidium, nämlich zwischen 1927 und 1929. Aufgrund seines elfgeschossigen, turmartigen Ecktrakts wurde es lange Zeit als zweithöchstes Hochhaus östlich von Berlin gehandelt. Der schlesische Architekt Lothar Neumann (1891–1963) schuf mit dem Postscheckamt das Bauwerk seines Lebens.

Die Fassaden schmücken Medaillons mit Köpfen von Postkutschenfahrern (Postillons) aus verschiedenen Jahrhunderten:
Im Gebäude ist ein Post- und Telekommunikationsmuseum untergebracht, das bei unserem Besuch leider geschlossen war. Seit 2017 klammert sich ein gewagter Hotelneubau an das Backsteingebäude, eine Mischung aus gestrandetem UFO und Kreuzfahrtschiff. Darin sitzt das DoubleTree by Hilton – falls Ihr also zufällig nach einem stylishen Hotel der gehobenen Mittelklasse in Breslau sucht…

Plac Grunwaldzki oder die polnische Nachkriegsmoderne
Was ist das denn? Wir staunen im wahrsten Sinne des Wortes Bauklötze, als wir auf dem Weg zur Jahrhunderthalle auf ein ziemlich eigenwilliges Ensemble an brutalistischen Wohnhochhäusern aus den 1970er-Jahren treffen. Abgerundete Betonmodule sind am Plac Grunwaldzki quasi über Balkone und Loggien gestülpt.
Die Hochhäuser des damals „Manhattan“ genannten Viertels sind heute Teil eines Wissenschaftsquartiers mit mehreren Universitäten und Studentenwohnheimen. Früher waren die Gebäude dunkelgrau. Weißer Beton, den sich die Architektin Jadwiga Grabowska-Hawrylak (1920–2018) gewünscht hatte, war im sozialistischen Polen nicht aufzutreiben. Erst seit wenigen Jahren erstrahlen die Hochhäuser in hellen Farben.

Jadwiga Grabowska-Hawrylak schuf Aussichtsterrassen auf Flachdächern, eine Flaniermeile und Spielräume mit Rundfenstern in den oberen Geschossen – eine weltgewandte Architektur, die damals auch international auf Beachtung stieß.
Essenstipp: In unmittelbarer Nähe zum Grunwaldzki-Platz serviert der kleine Hipsterladen → Pierogi WRO die wohl besten Piroggen der Stadt. Nicht verpassen!
Die Jahrhunderthalle
Und dann stehen wir vor der Diva der Breslauer Moderne, die seit 2006 ihren gebührenden Platz auf der UNESCO-Welterbe-Liste hat: der Jahrhunderthalle. Das Wahrzeichen der Stadt ist ein Muss in Eurem Architektur-Sightseeingprogramm!
Adresse/Infos: Wysrawowa 1. Vom Zentrum bringen Euch die Straßenbahnen 2, 4 und 10 dahin. Alle Infos zur Besichtigung auf halastulecia.pl.

Errichtet wurde die Jahrhunderthalle zwischen 1911 und 1913 als Zentrum eines Ausstellungsgeländes, das für die Jahrhundertfeier geschaffen wurde. Ein Jahrhundert vorher nämlich, am 17. März 1813, hatte sich der preußische König Friedrich Wilhelm III. in Breslau persönlich an die Menschen gewandt und zur Unterstützung im Kampf gegen Napoleon aufgerufen. Der Aufruf „An mein Volk“ ging in die Geschichte ein. Am selben Tag erfolgte die Kriegserklärung Preußens an Frankreich.

Die Entwürfe für die Jahrhunderthalle, das Meisterwerk der Breslauer Moderne, lieferte Stadtbaurat Max Berg (1870–1947). 13.600 Kubikmeter Beton wurden vergossen. 1,9 Millionen Mark kostete das Ganze.
Von außen ähnelt das monumentale Gebäude einer Moschee ohne Minarette. Mancher erkennt in der Jahrhunderthalle tatsächlich Ähnlichkeiten zu den → Sultansmoscheen des großen osmanischen Baumeisters Sinan. Die Stahlbetonkuppel hat eine Spannweite von 64 Metern und ist von 32 Bogenbindern gestützt. Durch 600 Fenster fällt Licht ein.

Die Jahrhunderthalle überstand den Wahnsinn des Zweiten Weltkriegs nahezu unverwüstet. Angeblich wurde die Halle von den russischen Bombenwerfern als Orientierungshilfe gebraucht und überlebte deswegen.
1948 fand an Ort und Stelle die so genannte Ausstellung der wiedergewonnenen Gebiete statt, eine Propagandaschau, die den sozialistischen Wiederaufbau in den ehemaligen Ostgebieten des Deutschen Reichs feierte. Aus dieser Zeit stammt auch die 44 Tonnen schwere und fast 100 Meter hohe Stahlnadel Iglica vor der Halle – ein monumentales Denkzeichen für die Verwandlung einer deutschen in eine polnische Stadt. In sozialistischer Zeit hieß die Jahrhunderthalle Hala Ludova (Volkshalle).
Von den 1970er-Jahren bis in die 1990er-Jahre war in der Jahrhunderthalle ein Kino für bis zu 5000 (!) Zuschauer untergebracht. Der Veranstaltungsort von heute bietet Platz für 10.000 Personen.
Die Besichtigung der Jahrhunderthalle beginnt mit einem Rundgang durch eine zwar recht kleine, aber doch interessante Ausstellung über die Breslauer Moderne. Danach geht es in die Halle selbst – viel Freude beim Staunen über diesen umwerfenden Raum!

Der Vier-Kuppel-Pavillon
Zum Ausstellungskomplex der Jahrhunderthalle gehörte auch der Vier-Kuppel-Pavillon. Federführender Architekt war der spätere Vorsitzende des Deutschen Werkbunds Hans Poelzig (1869–1936) aus Berlin. An der Spree schuf er unter anderem das Gebäude des Kinos Babylon im Scheunenviertel. Poelzig mied architektonische Extreme, versuchte stattdessen, Moderne und Tradition zu verbinden, so auch bei diesem Pavillon, der antike Elemente wie ein Säulenportal aufweist.

Von den Nazis zunehmend drangsaliert, entschied sich Poelzig in den 1930er-Jahren, in die junge Türkei auszuwandern. Kurz vor seiner Emigration starb er an den Folgen eines Schlaganfalls.
Der Pavillon mit seinen herrlichen Kuppeln beherbergt heute die Sammlung polnischer Kunst des Nationalmuseums. Besuchenswert!
Alle Infos zum Vier-Kuppel-Pavillon gibt es hier.
Die Werkbundsiedlung Breslau
1929 fand in Breslau die Werkbundausstellung „Wohnung und Werkraum“ (WuWa 29) statt. Im Rahmen dieser Ausstellung entstand in der Nähe der Jahrhunderthalle innerhalb von drei Monaten eine Mustersiedlung mit 32 Gebäuden. Vorbild: die Weißenhofsiedlung in Stuttgart.
Im Gegensatz zu Stuttgart machten in Breslau ausschließlich ansässige Architekten mit. Sie entwarfen einfach zu bauende Häuser mit glatten Fassaden und flachen Dächern, verzichteten radikal auf jegliche Ausschmückung und legten gleichzeitig großen Wert auf Komfort.
Die Gebäude liegen im Grünen verstreut. Heute nimmt das Auge nicht mehr alle als etwas Besonderes war, ein paar aber schon. Ein paar Beispiele:
Das für uns spannendste Gebäude der WuWa 29 ist das ehemalige Ledigenheim und heutige Seminarhotel von Hans Scharoun (1893–1972). Scharoun hatte zu jener Zeit eine Professur an der Breslauer Akademie für Kunst und Kunstgewerbe inne. Das von ihm entworfene Wohnhaus mit 48 Doppelstockwohnungen war für ledige Frauen und kinderlose Ehepaare konzipiert, die sich in einem großen Gemeinschaftsraum samt Restaurant treffen konnten.

Beim Ledigenheim an der Mikołaja Kopernika 9 ist Scharouns Vorliebe für nautische Elemente bereits deutlich zu erkennen: Hier und da wurden bullaugenartige Fenster in die Wände eingearbeitet. Das Haus wirkt organisch und besitzt in Teilen Rundungen wie ein Ozeandampfer.
Die Gustav-Adolf-Kirche in Sępolno
Die echten Architekturnerds unter Euch wird es vielleicht noch ins Viertel Sępolno ziehen. Früher hieß es Zimpel. 1927 wurde für die evangelische Kirche der gerade entstandenen Gartenstadt Zimpel, die von oben übrigens entfernt an einen Adler erinnert, ein Architekturwettbewerb ausgeschrieben. Auch Hans Scharoun beteiligte sich und reichte einen ziemlich radikalen Entwurf ein. Der gefiel aber scheinbar nicht – hier könnt Ihr sehen, wie die Scharoun-Kirche ausgesehen hätte.
Es gewann der Entwurf von Albert Kempter (1883–1941). 1933 wurde seine Gustav-Adolf-Kirche auf den Zimpeler Wiesen (heute: Skwer Powstańców Warszawskich) eingeweiht.
Von 1945 bis 1996 war ein Kino in dem Backsteinbau mit Turm untergebracht. Viele Fenster wurden zugemauert, dazu eine Aussichtsetage auf dem Turm angebracht. Erst seit 1996 wird die Kirche wieder für Gottesdienste genutzt, und zwar von der „Evangelisch-Augsburgischen Kirche in Polen“. Das Innere wurde in Ansätzen restauriert. Außen macht die Kirche bislang noch einen bedauernswerten Eindruck. Es bröckelt ordentlich, auch fehlt die Turmuhr.
Info: Wir konnten die Kirche leider nicht besichtigen. Vielleicht habt Ihr mehr Glück. Unter der Telefonnummer 508095416 kann man einen Besichtigungstermin ausmachen.
Auch anschauen: Architekturmuseum im Kloster und Zeitgenössisches Museum im Kriegsbunker
Das Breslauer → Museum für Architektur ist in den Räumlichkeiten eines Bernhardinerklosters aus dem 15. Jahrhundert untergebracht. Die feste Ausstellung hat mit unserem Thema hier zwar nichts zu tun. Hin und wieder zeigt man aber auch Wechselausstellungen, die die moderne und postmoderne Architektur zum Thema haben.
Und last but not least können wir Euch den ehemaligen Luftschutzbunker aus dem Zweiten Weltkrieg knapp zwei Kilometer westlich des Zentrums am Plac Strzegomski (ehemals Striegauer Platz) empfehlen. Dort ist seit 2011 das → Muzeum Wspołczesne untergebracht. Das Zeitgenössische Museum zählt zu den wichtigsten Orten für junge Kunst in Polen.

25 Meter ist der Betonklotz aus dem Jahr 1942 hoch. Während der Schlacht um Breslau wurde der ganze Platz drum herum zerstört, nur der Bunker blieb stehen. Er war so etwas wie die „letzte Bastion Breslaus“. Architekt: Richard Konwiarz (1883–1960). Konwiarz entwarf nach dem Krieg viele Sportstätten, unter anderem das Niedersachsenstadion in Hannover.
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Wie lustig, in meiner Erinnerung ist Breslau eine Stadt voller alter Kirchen und historischer Häuser – euer Beitrag ist ein Stups für mich, Wroclaw noch ein zweites Mal unter die Lupe zu nehmen. Der Begriff des Backstein-Expressionismus war mir total neu, ist der offiziell?
Danke fürs Feedback, Jenny.
Nee, nee, der Begriff „Backsteinexpressionismus“ stammt nicht von uns, sondern ist der gängige Begriff für einen Teil der Klinkerbauten aus den 1920er- und 1930er-Jahren, oft auch Sakralbauten. Hab eben mal geschaut, ob Ihr in Dresden auch backsteinexpressionistische Bauten habt und habe die Apostelkirche gefunden.
Viele Grüße
Gabi