„Prag lässt nicht los. Dieses Mütterchen hat Krallen.“
Das Zitat aus einem Brief Kafkas an seinen Freund Oskar Pollak bringt es auf den Punkt: Franz Kafka liebte Prag und hasste Prag. Er hatte ein ambivalentes Verhältnis zu seiner Heimatstadt. Kafka empfand Prag stets als beengend, ja gar beklemmend, ganz anders als Berlin, wo er freier atmen konnte als in der biederen Moldaumetropole. In Prag war er ein Suchender, der seinen Platz nicht fand. Insgesamt 14-mal soll Kafka in Prag umgezogen sein (in Berlin nur zweimal). Oft verbrachte er nur wenige Monate in einer Wohnung.
In diesem Beitrag widmen wir uns den wichtigsten Prager Stationen im Leben Franz Kafkas – aber keine Angst, Erbsen zählen wir nicht, nicht jede Wohnung findet Erwähnung ;-)). Wir folgen den Spuren Franz Kafkas durch Prag dabei halbwegs chronologisch, von seinem Geburtshaus in der Altstadt über seine Schule, seine Arbeitsstätten und Kaffeehäuser bis zu seinem Grab auf dem Neuen jüdischen Friedhof im Stadtteil Žižkov. Am Ende zeigen wir euch noch ein paar andere spannende Orte, die Kafka-Fans in Prag auf keinen Fall verpassen sollten.
Infos zur Tour: Unsere Kafka-Tour durch Prag ist mit entsprechender Fitness an einem Tag zu schaffen. Einige Strecken werden mit Tram oder Metro zurückgelegt. Den Altstädter Ring passieren wir, da wir chronologisch vorgehen, gezwungenermaßen mehrmals.
Kafkas Prag: Inhaltsverzeichnis
1883: Kafkas Geburtshaus am Náměstí Franze Kafky
Ab 1889: Kafkas Grundschuljahre rund um den Altstädter Ring
Ab 1893: Wechsel aufs Gymnasium und Umzug in die Zeltnergasse
1901 bis 1906: Studium und erste Begegnung mit Max Brod
Unterwegs in den Prager Kaffeehäusern
Ab 1911: Kafkas Stationen in Josefov
1916 bis 1917: Kafka auf der Prager Burg
August 1917: Kafka hustet Blut
1919 bis 1924: Kafkas letzte Jahre
Franz Kafkas Grab auf dem Neuen Jüdischen Friedhof in Žižkov
1883: Kafkas Geburtshaus am Náměstí Franze Kafky
Franz Kafka wurde am 3. Juli 1883 in der Altstadt Prags geboren, wo er die meiste Zeit seines Lebens verbringen sollte. Das Haus stand an der Ecke Platnergasse / Maiselgasse, der kleine Platz davor ist heute nach Franz Kafka benannt. Das Barockgebäude seiner Geburtsstätte brannte 1897 fast vollständig nieder, nur das Portal ist im Original erhalten. Noch in Kafkas Geburtsjahr wird die Familie zwei Mal umziehen.

Franz Kafka entstammte einer wohlhabenden jüdischen Kaufmannsfamilie und wurde somit in eine Minderheit hineingeboren: Zu jener Zeit hatte Prag zwischen 170.000 und 210.000 Einwohner, die Quellen schwanken extrem. Je nach Quelle war ein Drittel bis ein Fünftel der Einwohner davon deutschsprachig. Und unter den Deutschsprachigen waren wiederum 15.000 bis 23.000 jüdischen Glaubens.
Bloß nicht: Definitiv keinen Besuch wert ist unserer Meinung nach die dem Kafka-Geburtshaus gegenüber gelegene Ausstellung World of Kafka.
Ab 1889: Kafkas Grundschuljahre rund um den Altstädter Ring
Von 1889 bis 1896 wohnte die Familie Kafka Luftlinie nur 150 Meter südlich von Franzens Geburtshaus im Haus Zur Minute (Dům U Minuty) direkt am Altstädter Ring (Staroměstské nám. 2). Das schöne Renaissancegebäude mit seinen figürlichen Sgraffiti ist eine Augenweide.

Tipp: Wo einst der junge Franz aufwuchs, befindet sich heute das vom tschechischen Pfadfinderinstitut betriebene Café Skautský institut na Staromáku (Eingang ums Eck in Hausnummer 4, dann hoch in den ersten Stock). Das Café ist eine locker-lässige und zugleich preiswerte Oase in der Altstadt. Sehr junges Publikum!
Vom Haus U Minuty brach der kleine Franz ab 1889 zur deutschen Knabengrundschule am nahen Fleischmarkt (heute Masná 16) auf. Er hasste die Schule und unternahm alles, um dort nicht hinzumüssen. Für eine Strecke, die man in fünf Minuten schaffen kann, brauchte der kleine Quengler bis zu 30 Minuten – unter Aufsicht der Köchin der Familie, die mitgehen musste, damit Franz unterwegs nicht abhaute. In der Masná befinden sich noch heute mehrere Schulen. In Franz Kafkas einstiger Grundschule ist nun eine Mensa untergebracht.
Ab 1893: Wechsel aufs Gymnasium und Umzug in die Zeltnergasse
1893 wechselte der junge Franz auf das k.k. Altstädter Gymnasium, das im prächtigen Kinský-Palast direkt am Altstädter Ring untergebracht war (Staroměstské nám. 12). Im gleichen Palast befand sich zeitweise auch die elterliche Wohnung und zusätzlich noch die väterliche Firma: Hermann Kafka, Galanteriewaren en gros, Sachverständiger des k. k. Landes- und Strafgerichts. Franz Kafka hatte zeit seines Lebens ein schwieriges Verhältnis zum Vater, einem despotischen Mannsbild.
1896 stand ein erneuter Wohnungswechsel an, die Kafkas zogen in die Zeltnergasse 3 (Celetná 602/3). Die Celetná ist heute eine der größten Touristenmeilen der Stadt. Die Familie wohnte bis 1907 im so genannten Haus zu den drei Königen. Franz bekam dort erstmals ein eigenes Zimmer. Er hatte drei Schwestern, die beiden Brüder waren bereits im Kindesalter verstorben. Das Haus zu den drei Königen sieht heute so aus:

1901 bis 1906: Studium und erstmalige Begegnung mit Max Brod
Wenn Ihr wissen wollt, wie lange Franz Kafka von der Haustür bis zum Hörsaal brauchte, dann spaziert einfach direkt weiter zum Karolinum (Ovocný trh 3). Die heutige Karlsuniversität war damals die deutsche Karl-Ferdinands-Universität. Kafka begann ein Chemiestudium, wechselte aber schnell zur Rechtswissenschaft. Auch ein Semester Germanistik und Kunstgeschichte folgten. Als promovierter Jurist verließ er die Universität im Jahr 1906.

Während des Studiums lernte Franz Kafka Max Brod (1884–1968) kennen. Lebenslang sollten Kafka und Brod enge Freunde bleiben. Brod, selbst Jurist, Buchautor und Feuilletonist, war einer der größten Bewunderer Franz Kafkas. Stets drängte er den an seiner Begabung zweifelnden Freund zur Veröffentlichung seiner Texte. Erfolglos. Als Nachlassverwalter setzte er sich schlussendlich nach dem Tod seines Freundes über dessen letzten Willen („Alles vernichten“) hinweg und veröffentlichte dessen Schriften.
Gegenüber der Uni steht ein klassizistischer Theaterbau, das Ständetheater (Stavovské divadlo), das der junge Kafka als Königlich Deutsches Landestheater kennenlernte. Und ebenfalls am Obstmarkt (Ovocný trh 14) befindet sich ein noch heute aktives Gerichtsgebäude. Dahin sollte Kafka in seiner Funktion als Versicherungsjurist später immer wieder zurückkehren. In diesem Gebäude fand er vermutlich den Stoff, aus dem später „Der Prozess“ gewoben wurde:
„Die schier endlosen Gänge dieses Labyrinthes aus Gerichtsstuben, Büros und Wartezimmern haben ihren Teil zur Topographie in Franz Kafkas Roman ‚Der Prozeß’ beigetragen.“
Hugo Rokyta

Unterwegs in den Prager Kaffeehäusern
Mit Max Brod traf sich Franz Kafka regelmäßig in den Kaffeehäusern, die damals en vogue waren. Dazu gehörte das Café Corso, das nur einen Steinwurf von der Uni entfernt lag. Adresse: Am Graben 31 (heute Na příkopě 31).
„Mein lieber Max – mach mir die Freude und komme morgen Samstag ins „Corso“, ich bin von 8 Uhr dort.“
Kartenbrief Kafkas an Max Brod
Die deutschsprachige Tageszeitung „Prager Tagblatt“, für die Max Brod zeitweise als Redakteur arbeitete, beschrieb das Café Corso folgendermaßen:
„Treffpunkt der Schönheiten von Ballett, Varieté Chantant und des Prager Großkapitals , das hier nach Geschäftsschluß bilanzierte.“
Das prächtige Jugendstilgebäude, in dem sich das Corso einst befand, ist leider nicht mehr existent, ein Foto fehlt daher.
Nicht mehr existent ist auch das Café Arco etwas weiter an der einstigen Hibernergasse (Hybernská 16). Im Arco traf sich die deutsch-jüdische Intelligenz. Kafka, Brod, Kisch, Werfel, Kraus – alle pilgerten sie ins Arco. Die Entwürfe für das Gebäude lieferte übrigens Jan Kotěra, seinerzeit einer der bedeutendsten tschechischen Architekten. Heute ist in den Räumlichkeiten des einstigen Kaffeehauses eine Kantine untergebracht. Was für ein Abstieg!
Andere Kaffeehäuser, in denen Franz Kafka verkehrte, haben die Zeiten hingegen überdauert. Wir werden noch darauf zurückkommen.
Übrigens kann man sich Franz Kafka keinesfalls als trinkfesten wilden Bohemien vorstellen. Ganz im Gegenteil: Der dünne Mann rauchte nicht, trank weder Alkohol noch Kaffee und aß kein Fleisch.
Ab 1907: Kafkas Büroleben
Nur 350 Meter vom Café Arco entfernt, fand Franz Kafka am 30. Juli 1908 bei der Arbeiter-Unfall-Versicherungs-Anstalt (Am Poritsch 7, heute Na poříčí 7) eine Anstellung. 14 Jahre später, am 1. April 1922, verließ er die Versicherungsanstalt auf eigenen Wunsch. Der Grund: sein Lungenleiden. Kafka wurde als Obersekretär in den Ruhestand versetzt.

Für Kafka war sein Arbeitsplatz ein „dunkles Bürokratennest“. Oder anders ausgedrückt:
„Dort im Büro ist die wahre Hölle, eine andere fürchte ich nicht mehr.“
Als Jurist hatte er die neu gewonnen Rechte der Arbeiter in puncto Unfallschutz zu vertreten. Auch Fabrikbesuche gehörten zu seinem Tätigkeitsfeld. Kafka arbeitete nur von 8 bis 14 Uhr, schlief am Nachmittag und schrieb in der Nacht. Obwohl als hervorragender Versicherungsjurist geltend, ließ ihn die Diskrepanz zwischen Beruf und Berufung verzweifeln. Dies bezeugen Briefe an seine spätere Verlobte Felice Bauer:
„Das Bureau? Daß ich es einmal aufgeben kann, ist überhaupt ausgeschlossen. Ob ich es aber nicht einmal aufgeben muß, weil ich nicht mehr weiterkann, das ist durchaus nicht so ausgeschlossen. (…) Schreiben und Bureau schließen einander aus, denn Schreiben hat das Schwergewicht in der Tiefe, während das Bureau oben im Leben ist. So geht es auf und ab und man muß davon zerrissen werden.“
Weiterfahrt: Am Náměstí Republiky (in Spuckweite zu Kafkas ehemaliger Versicherungs-Anstalt) steigen wir in Tram Nr. 6 und 5 Min. später an der Haltestelle Václavské náměstí wieder aus. Dort brauchen wir uns nur umzudrehen und den Wenzelsplatz zu überqueren, um vor unserem nächsten Ziel zu stehen.
Die Arbeiter-Unfall-Versicherungs-Anstalt war nicht die erste Arbeitsstelle Franz Kafkas. Von Oktober 1907 bis Juli 1908 war er bei der italienischen Versicherungsgesellschaft Assicurazioni Generali angestellt, die in einem pompösen Neobarockbau am Wenzelsplatz 19 residierte. Noch heute macht der apricotfarbene Palast mit Säulen und Dachvasen an der Ecke zur Jindřišská ordentlich was her:

Kein Jahr hielt es Kafka bei der Assicurazioni Generali aus. Den Traum, einmal im Hauptsitz in Triest arbeiten zu können (er lernte deswegen sogar Italienisch), hatte er schon bald verworfen. Das Gehalt war mickrig, die Arbeitsbedingungen waren schlecht.
Wo wir gerade schon am Wenzelsplatz sind, möchten wir ein wenig vorausgreifen und kurz die einzige öffentliche Lesung Franz Kafkas ansprechen. Die fand am 4. Dezember 1912 im Grand Hotel Erzherzog Stephan (das spätere Grand Hotel Evropa, Václavské nám. 25) statt. Kafka las damals aus der Novelle „Das Urteil“, die in einer einzigen Nacht entstanden war. Das Grand Hotel heißt seit seiner letzten Generalsanierung W Prague und ist als Edelherberge der Marriott-Kette zugehörig.
Ab 1910: Kafka im Salon Fanta
Wir spazieren den Wenzelsplatz hinab und dann wieder hinein in die Altstadt, den Dreh- und Angelpunkt in Kafkas Leben. Dabei schauen wir kurz in der Skořepka vorbei, die zu Kafkas Zeiten noch den Zweitnamen Schalengasse trug. In Hausnummer 1 lebte die Familie Brod. Kafka war dort oft zu Gast.
Zurück auf dem Altstädter Ring halten wir nach dem Gebäude mit dem Einhorn-Hauszeichen Ausschau (Staroměstské nám. 17). Über der ehemaligen Einhornapotheke traf sich ab 1907 ein illustrer Kreis im Salon der Intellektuellen Berta Fanta (= Fantakreis). Ab etwa 1910 war auch Franz Kafka dabei. Die großen Themen der Zeit wurden bei Berta Fanta besprochen. Man diskutierte über die Psychoanalyse, über Fichte, Kant und Hegel. Rudolf Steiner war da, auch Albert Einstein, der an der Karlsuniversität theoretische Physik lehrte.
„Im Kreis und im gastlichen Haus von Berta Fanta (…) stand Kafka in hohem Ansehen – einfach durch sein Wesen, seine gelegentlichen Bemerkungen, sein Gespräch –, denn seine literarischen Werke kannte damals niemand außer mir.“
Max Brod

Ab 1911: Kafkas Stationen in Josefov
Ein von Kafka gern besuchtes Kaffeehaus in Josefov war das Café Savoy am damaligen Ziegenplatz, das keinesfalls mit dem Café gleichen Namens auf der Kleinseite zu verwechseln ist. In „Kafkas Savoy“ in Josefov ist heute das Restaurant Katr untergebracht, wo man Fleisch auf dem Tisch selbst grillen kann. Adresse: Vězeňská 9.

1911/1912 trat hier immer wieder eine jiddische Theatergruppe aus Lemberg auf. Kafka ging gerne hin und freundete sich mit Jizchak Löw, einem der Schauspieler an. Ihm gefielen die chassidischen Stücke, für ihn Teil der rauen Kultur des osteuropäischen Judentums. Dieses empfand er als eine natürlichere Art des Judentums im Gegensatz zur europäisierten Welt der Westjuden.
In Kafkas Literatur spielten Juden keine Rolle. Gleichwohl fühlte er sich der Religion immer verbunden. Gegen Ende seines Lebens begann er Hebräisch zu lernen, träumte wie viele überzeugte Zionisten von einer Reise nach Palästina.
Im beginnenden Ersten Weltkrieg 1914 – Kafkas Arbeit in der Versicherung galt als kriegswichtig, daher wurde er nicht einberufen – zog Franz Kafka ums Eck in die Bilekgasse 10 (heute Bílkova 10). Diese Wohnung sollte Kafkas erste eigene Bleibe werden – mit 31 Jahren!

Zuvor hatte er noch bei seinen Eltern im Oppelthaus an der Nikolausstraße, der heutigen Pařížská 2, gelebt. Die dortige Sechszimmerwohnung im dritten Stock blickte direkt auf den Altstädter Ring. Heute gehört eine Wohnung in dieser Bestlage zur Kategorie „unbezahlbar“. Alles andere als billig ist auch der Glitzerkram, der im Erdgeschoss des Stadtpalasts verkauft wird: Dort sitzt Cartier.

Doch zurück zur Bilkova 10. In der Bilkova 10 entstand „Der Prozess“. Fertig wurde der Roman nie.
„Ich kann nicht mehr weiterschreiben. Ich bin an einer endgültigen Grenze, vor der ich vielleicht wieder jahrelang sitzen soll, um dann vielleicht wieder eine neue, wieder unfertig bleibende Geschichte anzufangen.“

Die Stimmung des Literaten war zu jener Zeit vermutlich ohnehin nicht die beste. Gerade war seine Verlobung mit der Deutschen Felice Bauer in die Brüche gegangen. Sie hatte nur sechs Wochen gehalten, vorausgegangen waren über 300 (!) Briefe und gerade einmal sechs (!) Begegnungen. Kennen gelernt hatten sich Felice und Franz 1912 in Max Brods Wohnung. 1916 folgte ein zweites Eheversprechen, das 1917 wieder gelöst wurde. Kafka und die Frauen – ein Kapitel für sich, etliche Bücher wurden darüber geschrieben. Kafka war zeit seines kurzen Lebens zwischen Beziehungsangst und -sehnsucht hin- und hergerissen.
1915 verließ Kafka die Wohnung in der Bilkova 10 schon wieder. Dem empfindlichen Menschen war sie zu laut: „Die Wohnung verdirbt alles.“ Sein neues Zuhause sollte die Lange Gasse 18 (Dlouhá třída 18) werden.
Weiterfahrt: Um von Josefov die nächste Station dieser Franz-Kafka-Tour zu erreichen, nehmt Ihr von der Tramhaltestelle Pravnická fakulta Tram Nr. 17, fahrt bis zur Station Národní divadlo und wechselt dort auf Tram Nr. 22, die Euch in 15 Minuten bis zur Haltestelle Pražský hrad und damit zur Prager Burg bringt. Von dort sind es keine zehn Fußminuten bis ins Goldene Gässchen. Achtung: Das Goldene Gässchen kostet tagsüber Eintritt (im Winter bis 16 Uhr, im Sommer bis 17 Uhr). Danach kann man kostenlos hindurchspazieren.
1916 bis 1917: Kafka auf der Prager Burg
Das Goldene Gässchen auf der Prager Burg ist eine putzige Ansammlung niedriger bunter Häuschen, in denen einst Goldschmiede lebten. Hier, in Hausnummer 22, schrieb Franz Kafka unter anderem die Erzählung „Ein Landarzt“. Das Häuschen war ursprünglich von Kafkas Schwester Ottla angemietet worden. Die aber überließ es alsbald ihrem Bruder, der mit seiner damaligen Wohnung in der Langen Gasse lärmbedingt wieder einmal kreuzunglücklich war. Kafka nutzte die winzige Wohnung fürs nächtliche Schreiben, wohnte hier aber nie fest.
„(…) der schöne Weg hinauf, die Stille dort.“
Heute beherbergt das Häuschen die Buchhandlung des deutschsprachigen Prager Verlags Vitalis. Ihr könnt Euch in Ruhe umschauen, schmökern und Euch natürlich auch mit dem einen oder anderen Kafka-Buch eindecken.

Vom Goldenen Gässchen ist es nicht weit zu Kafkas Lieblingspark, dem Chotek-Park. Immer wieder spazierte er durch die Grünanlage im Nacken des Lustschlosses Belvedér.
„In den Chotekanlagen gesessen. Schönster Ort in Prag. Vögel sangen, das Schloss mit der Galerie, die alten Bäume mit vorjährigem Laub behängt, das Halbdunkel.“

Zur nächsten Station: Von der Prager Burg könnt Ihr in ca. zehn Minuten ganz gemütlich hinab zum Palais Schönborn auf der Kleinseite spazieren. Alternativ steigt Ihr vor dem Lustschloss Belvedér an der Tramhaltestelle Královský letohrádek in die Tram Nr. 22 und fahrt bis zur Station Malostranské náměstí, von wo es nur ein Katzensprung bis zum Palais Schönberg ist.
August 1917: Kafka hustet Blut
Zwischen März und Dezember 1917 bewohnte Kafka, zeitweise zusammen mit Felice Bauer, eine ungemütliche Wohnung im prächtigen Palais Schönborn auf der Kleinseite. Hier erlitt Franz Mitte August einen nächtlichen Blutsturz. Diagnose: Lungentuberkulose.
Im Anschluss und in den Jahren danach folgten zahlreiche Sanatoriumsaufenthalte: in Österreich, am Gardasee, in der Schweiz, in der Slowakei und in Meran.
Im Palais Schönborn residiert heute die US-amerikanische Botschaft. Und die ist nicht erst seit Trumpschen Zeiten wenig erpicht darauf, frontal fotografiert zu werden. Unmittelbar vor der Botschaft herrscht Fotografierverbot. Hier zeigen wir Euch deswegen ein Foto aus der Distanz. Der Palais Schönborn ist das Gebäude mit der US-Flagge:

Vom Palais Schönborn zum Riegerpark in Vinohrady, unserem nächsten Ziel: Vom Palais Schönborn spaziert Ihr zur Tramhaltestelle Malostranské náměstí und nehmt dort irgendeine Straßenbahn, die zur Metrostation Malostranská führt (nur eine Station). Von dort bringt Euch die Metro (Linie A, grün) zur Metrostation Jiřího z Poděbrad, von wo Ihr zum Riegerpark spazieren könnt.
1919 bis 1924: Kafkas letzte Jahre
Bei einer seiner vielen Kuren lernte Franz Kafka 1919 die Prager Büroangestellte Julie Wohryzek kennen. Oft ging er mit ihr nach Arbeitsschluss im Riegerpark im Stadtteil Vinohrady spazieren. Die Aussicht von dort ist heute noch genauso herrlich wie damals:

Vinohrady war Julies Hood, ihr Vater war Vorsteher der hiesigen Synagoge. In einem Brief an seinen Freund Max Brod beschrieb Franz Julie folgendermaßen:
„Eine gewöhnliche und eine erstaunliche Erscheinung. Nicht Jüdin und nicht Nicht-Jüdin, nicht Deutsche und nicht Nicht-Deutsche, verliebt in das Kino, in Operetten und Lustspiele, in Puder und Schleier, Besitzerin einer unerschöpflichen und unaufhaltbaren Menge der frechsten Jargonausdrücke, im ganzen sehr unwissend, mehr lustig als traurig – so etwa ist sie.“
Die Geschichte fand kein glückliches Ende. 1920 entlobte sich Franz wieder. Die Eltern waren der Beziehung ablehnend gegenüber gestanden, außerdem hatte Kafka im Café Arco eine andere Frau kennen gelernt: Milena Jesenská. Tschechin, Christin, 14 Jahre jünger. Sie lebte in Wien. Angeblich gab es nur wenige Begegnungen, bevor sich Kafka im November 1920 auch von Milena trennte – aus „Angst vor nacktem Fleisch“, wie die Verlassene es Max Brod mitteilen sollte.
Milena Jesenská, die als Journalistin und Übersetzerin arbeitete, war die erste, die einige von Kafkas Prosatexten ins Tschechische übersetzte.

Zu jenem Zeitpunkt hatte Kafkas Tuberkulose schon beide Lungenflügel infiltriert. Ab 1922 war auch der Kehlkopf betroffen, was zu einem zunehmenden Stimmverlust führte. 1923 folgte eine erneute Kur, dieses Mal in Graal-Müritz an der Ostsee. Dort lernte Kafka die abermals deutlich jüngere Polin Dora Dymant kennen, eine in Berlin lebende Kindergärtnerin und Betreuerin einer Ferienkolonie. Nach der Kur zog Franz Kafka zu Dora nach Berlin-Steglitz – endlich weg aus Prag und losgelöst von der Familie.
Doch sein Zustand verschlechterte sich derart, dass ein erneuter Kuraufenthalt nötig wurde, nun im niederösterreichischen Kierling. Im Sanatorium von Kierling verbrachte der vielleicht größte Prager Literat aller Zeiten seine letzten Wochen. Franz Kafka starb am 3. Juni 1924 mit knapp 43 Jahren.
Vom Riegerpark zu Kafkas Grab: Spaziert vom Riegerpark zurück zur Metrostation Jiřího z Poděbrad und fahrt dann einfach noch zwei Stationen weiter stadtauswärts bis zur Station Želivského. Der Neue jüdische Friedhof liegt direkt daneben. Kafkas Grab ist ausgeschildert.
Franz Kafkas Grab auf dem Neuen Jüdischen Friedhof in Žižkov
Der Neue jüdische Friedhof im Prager Stadtteil Žižkov ist ein bizarr-idyllischer Ort. Franz Kafka liegt zusammen mit seinen Eltern an der Südmauer in einem schlichten Grab mit kubistischer Stele bestattet. An seine drei Schwestern, die in den Vernichtungslagern der Nationalsozialisten umkamen, erinnert eine Inschrift auf einer steinernen Tafel. Blumen und selbst Briefe zeugen von der bis heute riesigen Fangemeinde Franz Kafkas.
Der deutschböhmische Schriftsteller Johannes Urzidil, der beim Begräbnis zugegen war, erinnert sich in seinem Buch „Da geht Kafka“ an das Begräbnis:
„Ich ging in dem Trauerzug, der Kafkas Sarg von der Zeremonienhalle zum offenen Grab geleitete; hinter der Familie und der bleichen Gefährtin, die von Max Brod gestützt wurde…“
Und Rudolf Fuchs, ein anderer deutschsprachiger Dichter jener Zeit, schrieb:
„Die stumme Verzweiflung seiner Gefährtin, die an seinem Grab wie tot hinfällt. (…) Weiß Gott, man konnte es nicht glauben, daß in der nackten Holztruhe Franz Kafka begraben wird, der Dichter, der gerade erst groß zu werden begann.“
Noch mehr Kafka-Orte in Prag
Franz Kafka Museum
Das Museum auf der Kleinseite können wir empfehlen. Kafkas Leben wird in wahrhaft kafkaesker Atmosphäre dokumentiert. Spannend sind die vielen Faksimiles: Bewerbungsschreiben, Briefe, die Todesanzeige. Auch erfährt man viel über die Frauen in Kafkas Leben und den deutschsprachigen Prager Literatenzirkel.
Cihelá 2b, Malá Strana, kafkamuseum.cz
Kafka-Denkmal
Vor der Spanischen Synagoge an der Dušní im Stadtteil Josefov sieht man eine kopflose Skulptur. Die Bronzeskulptur des Bildhauers Jaroslav Rónas aus dem Jahr 2003 zeigt eine Szene aus Kafkas Novelle „Beschreibung eines Kampfes“.

David Černý: Head of Franz Kafka
Der Prager Kunstpunk David Černý zeichnet für diese spektakuläre Skulptur verantwortlich, die man in der Prager Neustadt hinter dem Shoppingcenter Quadrio (Metrostation Národní třída) entdeckt. Sie ist elf Meter hoch und 39 Tonnen schwer. Der Kopf besteht aus 42 Scheiben rostfreien Stahls, die sich unabhängig voneinander bewegen. So zerfließt des Franzens Kopf alle paar Minuten und setzt sich dann wieder neu zusammen. Stark!

Knihkupectví Franze Kafky
Die charmante Buchhandlung in Josefov hat viel Literatur von und über Franz Kafka.
Široka 65/14, franzkafkabookshop.com
Wo Kafka sonst noch Kaffee trank
Noch zwei weitere Kaffeehäuser, in denen Franz Kafka regelmäßig verkehrte, möchten wir Euch ans Herz legen. Da ist zum einen das → Café Louvre in der Neustadt zu nennen, mit altrosa gestrichenen Wänden und viel Stuck. Kafka und Brod waren oft da.
„Mit K. im Café Louvre, wir lesen Laforgue. Schöne, sanfte Stunden, in denen ich mich ganz gesichert fühle.“
Max Brod
Kafka und Brod, aber auch Meyrinck und Werfel, zog es zudem ins → Café Montmartre in der Altstadt – ein Kneipencafé, das bis auf die heutigen Tage ungemein charmant geblieben ist. Hingehen!
Der richtige Reiseführer
Den besten → Reiseführer für Euren Pragtrip haben natürlich wir selbst geschrieben ;-). Erschienen ist er im Michael Müller Verlag.

Mehr Prag hier auf dem Blog
- Prag mit Ecken und Kanten: Kubismus-Tour durch die Moldaustadt
- Pixelgesichter: Die Murals des Prager Streetart-Künstlers David Strauzz
- Ugly Beauties: Brutalistische Architektur in Prag
- Kunstrebell: Auf den Spuren David Černý durch Prag
- Praha-Holešovice: Prags Hipsterviertel im Moldaubogen
- Klingelring: Mit der Straßenbahn durch Prag
Wenn Euch der Artikel gefallen hat, dann nichts wie ab damit auf eines Eurer Pinterest-Boards:













Hallo,
sehr ausführlicher und informativer Beitrag über Franz Kafka. Die Kombination aus seinen Lebensabschnitten mit Gebäuden hat mich beeindruckt. Sollte ich nochmals Prag besuchen, werde ich mir sicher einiges davon ansehen.
Lg Thomas
Danke Thomas!
Seid ihr euch sicher, dass ihr nicht jede Wohnung aufgezählt habt? Da wir auch schon lange mit einer Reisenach Prag liebäugeln und das Thema Franz Kafka dort wirklich sehr präsent ist, habe ich dazu schon den ein oder anderen Artikel gelesen. Aber eurer ist mit Abstand der umfangreichste und am spannendsten aufbereitete!
Ich mag es, dass ihr chronologisch über die Orte berichtet und immer wieder Zitate von ihm einfließen lasst. Da bekommt man gleich ein Gefühl für sein Leben in Prag. Vielen Dank für diesen absolut lesenswerten Beitrag.
Liebe Grüße, Lisa
Liebe Lisa, herzlichen Dank für das nette Feedback. Nein, jede Wohnung haben wir nicht aufgezählt :-D, das wäre dann schon ein wenig langweilig geworden, außerdem gibt es manche Gebäude, in denen sich Kafka-Wohnungen befanden, gar nicht mehr. Viele Grüße zurück, Gabi und Michael
Ein ganz toller Beitrag – und der Reiseführer (Michael Müller Verlag) ist auch super!
Eine Frage:
„Die charmante Buchhandlung in Josefov hat viel Literatur von und über Franz Kafka“ – gibt es auch eine gute deutschsprachige Auswahl?
Herzlichen Gruß
Stephan Hadraschek
Danke für das nette Feedback, Stephan. Also bei der Buchhandlung in Josefov gibt es zwar deutschsprachige Bücher, aber in einer eher überschaubaren Auswahl. Du kannst dich aber auch direkt beim Vitalis Verlag im Goldenen Gässchen (Hausnummer 22, wo Franz Kafka wohnte) umsehen – dort gibt es viel!
Hallo ihr Zwei,
ich finde es immer wieder spannend, aus wie vielen Perspektiven man eine Stadt besichtigen kann. Und Kafka hat recht, wenn er schreibt, dass Prag einen nicht loslässt. Die Atmosphäre dieser Stadt an der Moldau ist einzigartig.
Liebe Grüsse
Susan
Danke fürs Feedback, Susan! Ja, Prag ist vielschichtig und zum Glück nicht nur ein völlig verkitscher Touristenmagnet.