„Vorbei geht es an trostlosen Saure-Gurken-Auslagen, an Bekleidungsgeschäften mit der Mode längst vergilbter Burda-Hefte und an immer vollen Herna Bars, in denen Arbeiter vor der Frühschicht ihr erstes Bier trinken.“

So beschrieben wir Holešovice in der Erstauflage unseres Prag-Reiseführers im Jahr 2001. Der Stadtteil hatte damals selbst beim schönsten Licht nicht viel Farbe, und der braune Ruß auf den Häusern gab der Szenerie einen Sepiatouch. 20 Jahre später, in der elften Auflage des Reiseführers, ist Folgendes zu lesen:

„Holešovice ist ein Stadtteil im Wandel, gar einer der dynamischsten Prags und bei Hipstern schwer angesagt. Stetig eröffnen neue Galerien, Bistros und innovative Läden. Gefeiert wird in den coolen Ruinenbars aufgegebener Gewerbebetriebe.“

Was für eine Entwicklung! Doch wie lange hat es gedauert, bis aus dem düsteren Arbeiterviertel ein Stadtteil wurde, in dem sich endlich was tut. Trotz des unübersehbaren Makeovers hat das Szeneviertel Holešovice aber seinen Anti-Glamour-Charme bewahren können. Ist immer noch ein Kiez mit Ecken und Kanten. Einer, der mit der barocken Puppenstube des touristischen Zentrums herzlich wenig zu tun.

 

Frau läuft im Gegenlicht über Straße mit historischen Häusern
Hipsterviertel Holešovice: Stadtteil mit Ecken und Kanten

 

Holešovice ist nicht wirklich „spazierlich“ wie andere Viertel der Goldenen Stadt. Holešovice ist dafür zu zerrissen. Neben schönen Straßenzügen mit Bauten aus der Gründerzeit erstrecken sich aufgegebene Industrieareale, Brachen und Plattenbauten.

Gefällig ist Holešovice damit nicht wirklich. Aber genau deswegen gefällt uns der Stadtteil. Auf dieser Karte seht Ihr, wo er zu finden ist:

 

 

Inhaltsverzeichnis

 

Geilster Ausblick: Letná-Höhe

Die Anhöhe Letná ist einer von so einigen Prager Aussichtsbalkons. Es lohnt sich, den Hintern hinauf zu bewegen. Hoch über der Moldau gelegen, bietet der Park Wahnsinnsblicke auf die Stadt. Dieses Brückenpanorama ist doch nicht zu verachten, oder?

 

Blick auf Brücken einer schönen Stadt
Prager Brückenpanorama von der Letná-Höhe

 

Auf der Letná stand einst das größte Stalinmonument der Welt. Dort, wo der Diktator auf Prag blickte, erinnert heute ein 25 Meter hohes, weithin sichtbares Metronom an die wechselvolle Geschichte des Landes. Das feuerwehrautorote Teil bewegt sich im Adagio und ist ein Werk des 2014 verstorbenen Künstlers Vratislav Karel Novák.

 

Junge Leute sitzen bei einem Metronom und blicken über die Stadt
Beliebter Treff: das Metronom auf der Letná. Eine Etage tiefer die Sommerbar Stalin samt Grusel-Dixies

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„Stalin“ ist auch der Name der → Hipster-Sommerbar im Unterbau des Metronoms bzw. im Sockel des einstigen Stalin-Monuments. Bis heute verabredet man sich „Am Stalin“, wenn man das Metronom meint. Hier gibt’s lässige Musik vom DJ-Pult, feinstes Craft-Beer und übelste (Dixie-)Klos.

Die weniger coolen Säue trinken ihr Bier im nahegelegenen Biergarten vor dem → Letenský zámeček, einem Beinaheschlösschen etwas weiter östlich.

 

Leerer Biergarten über einer Stadt
Ruhe vor dem Sturm: Biergarten auf der Letná

 

Von Kunst bis Technik: Die Museen und Galerien Holešovices

In Sachen Museen und Galerien bietet Holešovice ganz großes Kino. Hier unsere Tipps:

Veletržní palác

Hinter dem Namen verbirgt sich das Museum moderner und zeitgenössischer Kunst im ehemaligen Messepalast, dem Veletržní palác. Das Museum begeistert in zweierlei Hinsicht, aufgrund seiner Architektur und aufgrund seiner Exponate.

Das funktionalistische Messegebäude aus dem Jahr 1928 scheint vor lauter Leichtigkeit fast davonzufliegen – zumindest, wenn man es von innen betrachtet. Die Halle mit verglastem Dach ist von den offenen Galerien der sechs Stockwerke umgeben. Beim Anblick des Gebäudes der Architekten Oldřich Tyl und Josef Fuchs soll sich Le Corbusier wie ein Dilettant vorgekommen sein, heißt es.

Herr im Haus ist heute die Nationalgalerie, die hier eine gewaltige Sammlung präsentiert. Man trifft auf viele große Namen: Gustav Klimt, Egon Schiele, Picasso, Vincent van Gogh und so weiter und so fort. Aber auch auf Kunst, wie sie so nur in Tschechien zu finden ist. Spannend sind die Werke aus der Zeit der Ersten Republik (1918–1938) und die zeitgenössischen Arbeiten hiesiger Künstler. Bringt viel Zeit mit!

 

Frau und Mann vor Metalltür mit eingestanztem Gesicht
Vor dem Messepalast…

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Nationales Technikmuseum

Das Národní technické muzeum besitzt einen Fundus von 58.000 Exponaten und eignet sich ebenfalls bestens, einen nassen Tag an der Moldau zu überbrücken. Highlight ist die Verkehrshalle, wo man alles Mögliche entdecken kann, was irgendwann in der Luft, auf dem Wasser oder auf den Straßen unterwegs war. Darunter sind auch ein paar scharfe Bugattis.

Weitere Themen: Fotografie, Astronomie, Architektur und Design. Im Keller wurde zudem eine Kohlengrube nachgebaut, die per Führung zu besichtigen ist.

 

Historische Fahrzeuge in einem Museum
Im Nationalen Technikmuseum

 

Dox Galerie

Die Dox Galerie, eine weitere erstklassige Anlaufstelle in Sachen zeitgenössischer Kunst, ist untergebracht in einer ehemals Metall verarbeitenden Fabrik. Mit sechs Hallen ist sie die größte Kunstgalerie des Landes. Die Ausstellungen wechseln regelmäßig, vertreten ist die Kunstszene aus der ganzen Welt. Schaut → hier, was gerade zu sehen ist. Falsch machen kann man eigentlich selten etwas.

Auf dem Dach thront der Zeppelin Gulliver des preisgekrönten Architekten Martin Rajniš. Die 42 Meter lange Holz-Stahl-Konstruktion, halb Veranstaltungsraum, halb begehbare Skulptur, scheint wie zufällig auf dem Dox-Dach gestrandet zu sein:

 

Chemistry Gallery Praha

Die kleine, aber sehr coole Galerie hat spannende junge Kunst aus Tschechien im Programm. Schaut → hier, was es zu sehen gibt.

 

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Tichý Ocean Museum

Das Museum soll noch 2021 eröffnen, auf http://tichyocean.com erfahrt ihr, ob sich der Weg dahin schon lohnt. Das Tichý Ocean Museum wird Fotografien von Miroslav Tichý (1926–2011) zeigen. Tichý war Student an der Akademie der schönen Künste in Prag und ein versoffener Erotomane, der voyeuristische Schnapp­schüsse von halbnackten, oft ba­denden Frauen machte – foto­gra­fiert mit teils selbst ge­bas­telten Kameras. Neben Tichýs verwaschen-unper­fek­ten Fotografien werden auch Bilder aus der Sammlung „Artists for Tichý“ präsentiert, die gegen Fotografien Tichýs eingetauscht wurden (darunter Arbeiten von Neo Rauch und Daniel Richter).

 

Der schönste Park ganz Prags: Stromovka

Der Stromovka-Park ist nicht nur die schönste, sondern auch die größte Grünfläche Prags. Extreme Chillaxing ist hier angesagt. Familien fläzen auf den Wiesen rund um die Teiche. Andere picheln am Kiosk neben dem frühbarocken Sommerpalast Šlechtovka, der bis zu Eurem Besuch ein Restaurant beherbergen wird. Lasst hören, ob’s geschmeckt hat.

Wer sich ein wenig bewegen will, kann durch den Park in den Stadtteil Troja spazieren. Dort steht ein schönes Schloss. Und dort kann, wer mag, gefangene Tiere im Zoo stalken.

 

Der Unort: Ausstellungsgelände Výstaviště

Das ehemalige Ausstellungsgelände ist ein recht trostloses Areal. Schon seit 20 Jahren versucht man das weitläufige Gelände aufzuhübschen – mit anzuzweifelndem Erfolg. Einen Hingucker aber gibt es: den 1891 eröffneten Industriepalast im Jugendstil. Finden keine Messen statt, ist das riesige Gebäude leider dicht. Und finden Messen statt, sind diese meist so langweilig, dass es sich nicht lohnt, hineinzugehen.

Wer auf barocke Skulpturen steht, kann im Lapidárium vorbeischauen. In diesem kleinen Museum werden die Originalstatuen der Karlsbrücke ausgestellt, die vor Ort aus witterungstechnischen Gründen durch Kopien ersetzt wurden.

 

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Verrostete Kunst vor trostlosem Areal
Reichlich ostig und ziemlich trostlos: Ehemaliges Ausstellungsgelände Vystaviště

 

Stará čistírna: Die alte Kläranlage

In dem an Holešovice angrenzenden Stadtteil Bubeneč befindet sich eine recht außergewöhnliche Sehenswürdigkeit für Fans von Industriedenkmälern: eine historische Kläranlage. Sie entstand zwischen 1901 und 1906 und wurde 1967 stillgelegt. Heute kann man sie im Rahmen von Führungen besichtigen. Falls nicht, finden Filmshootings statt. Die ehemalige Stinkebude ist selbst bei internationalen Produktionen angesagt. Unter anderem wurden schon Szenen für Mission Impossible darin gedreht.

Highlight der Führung ist die unterirdische Floßfahrt durch einen der 90 Meter langen Sedimentationstanks. Hier hat man das Gefühl, durch eine antike Zisterne zu fahren. Alle Infos zu den Führungen gibt es → hier.

 

Tunnel in einer Kläranlage
Mikroabenteuer: Besuch der historischen Kläranlage in Bubeneč

Schmackofatz: Die besten Restaurants in Holešovice

Glaubt ihr, in Prag geht nur heiß und fettig und Quatschbraten mit Soße? Denkste! Die Stadt hat mittlerweile auch richtige Genießer-Hubs im Programm. Und davon nicht zu knapp.

Wer auf Asia-Fusion-Küche steht, sollte unbedingt ins SaSaZu. Das extravagante Lokal ist schon seit Jahren schwer angesagt und wer einmal da war, weiß auch warum. Allein die Location ist etwas Besonderes: Untergebracht ist das SaSaZu in einer ehemaligen Viehhalle auf dem Gelände des Prager Markts. Der Prager Markt selbst ist ein seltsames Tohuwabohu aus asiatischen Ramschständen, kleinen Läden und Supermärkten.

Gegessen wird im SaSaZu nach dem Sharing-Prinzip: Kannst du mal rübergeben, darf ich dir auftun, davon musst du kosten! Was hier auf die kleinen Tellerchen daherkommt und Euch die Augen verdrehen lässt, würden Foodblogger vielleicht so beschreiben:

„Mindblowing!!!!!! Mouthblasting!!!!“

 

SaSaZu Buddhakopf
Geht ins Geld, ist aber dafür unvergesslich: ein Essen im SaSaZu

 

Deutlich rustikaler ist das Ambiente in der Pizzeria da Antonio (Milady Horákové 9, Tel. 797840081). Auf die blau-weiß karierten Tischdecken kommt allerbeste napolitanische Pizza mit weichem Teigrand.

Unsere letzte Neuentdeckung war das → Pipca, eine hipstereske Hähnchen- und Burger-Rotisserie. Saulecker! Doch Achtung: Man sitzt hier mitten in der Brutzelstube, was man den Klamotten danach auch olfaktorisch anmerkt.

Für Vegetarier gibt’s das → Vegtral, ein süßes, bunt-alternatives Lokal mit kleiner Karte und nettem Garten in einem tollen Wohnviertel.

 

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Káva oder Pivo? Café oder Kneipe?

Das Café Letka schreit ganz laut „Instagram!“. Bohemian Chic im wahrsten Sinne des Wortes. Große Spiegel unter hohen Decken und ein schöner Kachelboden. Hierher kommt man zum Frühstück, später auf ein Sandwich oder einen Cocktail.

Das Cobra war früher ein hässliches Automatencasino. Den Namen hat man behalten, der Rest flog raus. Das coole Kneipencafé unter Kappendecken serviert gesunde internationale Küche.

 

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Unbedingt vorbeischauen sollte man auch im Vnitroblock. Wo einst Rohre fabriziert wurden, befindet sich heute ein stilsicherer Treff für die coole Crowd. Im Mittelpunkt des einstiges Industrieareals gibt es eine Halle aus unverputztem Backstein und Beton. Dort befinden sich das schöne Signature Café und ein Laden für sündhaft teure Edelsneakers. Außerdem gibt’s Burger und Bier im Hof.

Shoppingtipp: In der Nachbarschaft des Vnitroblock (Komunardů 32) befindet sich der Lasvit Showroom. Hier gibt’s ausgefallene Lampen und Lüster, Spiegel und Gläser. Namhafte Designer und Architekten wie Libeskind und Hadid waren schon für die nordböhmische Glasmanufaktur tätig. Einziger Haken: Billig ist da nix!

 

Café und Shop in Fabrikhalle
Vnitroblock: Hipstertreff in aufgegebener Rohrfabrik

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Holešovice für Partypeople: Die originellsten Clubs

Zwei der innovativsten Prager Clubs befinden sich im Moldaubogen bzw. gar auf der Moldau. Geravt auf Teufel komm raus wird auf der Altenburg 1964, einem ehemaligen DDR-Binnenfrachtschiff. An Land davor eine provisorische Sommerbar mit schönem Blick auf die nachts spannend illuminierte Troja-Brücke, die erst 2014 eingeweiht wurde.

Ein Zentrum der Alternativkultur ist der Club Fuchs 2 auf der Moldauinsel Štvanice zwischen Holešovice und dem Stadtteil Karlín. Konzerte, Partys und Theater abseits des Mainstreams.

 

 

 Literaturtipps

Prag geballt gibt’s in unserem im Michael Müller Verlag erschienenen Reiseführer. Zudem hat unsere Kollegin Renate Zöller viele coole Dinge, die man in Prag unternehmen kann, in ihrem Buch → Prag Stadtabenteuer zusammengefasst.

 

Lust bekommen auf das etwas andere Prag? Dann merkt Euch Holešovice schon einmal vor und pinnt den Beitrag auf eines Eurer Boards.

 

Mehr Prag und Tschechien bei uns im Blog

 

Frau blickt über einen Fluss hinweg
Tschüß, Holešovice : Blick vom Stadtteil Karlín über die Moldau nach Holešovice

4 Kommentare

  1. Hallo ihr zwei!
    Euer Artikel erinnert mich mal wieder daran, dass ich endlich mal nach Prag muss…tolle Tipps! Merke ich mir direkt mal auf meinem Tschechien-Board auf Pinterest. Dankeschön!
    LG, Julia von MeinWeltbuch

    • Liebe Julia, ganz lieben Dank dir! Prag ist toll, wenn man weiß wohin. Das Zentrum ist zwar ein Traum, aber völlig übertouristisch. Da ist es gut, hin und wieder mal ins Prag der Prager ausweichen zu können. Viele Grüße!

  2. Hallo Ihr beiden,
    das riesige Metronom hat mich schon beim ersten Besuch in der goldenen Stadt begeistert. Dort oben am Fuße des Mega-Pendels zu sitzen und den geilen Ausblick auf Prag zu genießen – das war für mich ein Glücksmoment.
    Eigentlich wollten wir letztes Jahr wieder in die Stadt, wurde nix, holen wir auf jeden Fall nach. Beim nächsten Besuch lassen wir uns durch das angepriesene Szeneviertel treiben und schauen mal genauer hin.
    Vielen Dank für die coolen Tipps.
    Liebe Grüße
    Mandy

    • Nix zu danken. Jetzt bleibt zu hoffen, dass wir sobald wie möglich mal wieder nach Tschechien können. Derzeit sieht es leider noch nicht so aus. Liebe Grüße zurück!

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