Könnt Ihr Euch noch an Räuber Hotzenplotz erinnern, an das Kleine Gespenst und die Kleine Hexe? Kasperle sitzt am Teich, köpft eine Flasche Wein und verschlingt eine ganze Stange Salami dazu. Das Kleine Gespenst will endlich einmal Tageslicht sehen. Und die Kleine Hexe mit den großen Hexen Drecksauparty am Blocksberg machen.
Könnt Ihr Euch noch an die Landschaften erinnern, die Ihr Euch im Kopf dazugebastelt habt? Genau so sieht Böhmen aus: wellige bis bergige Mittelgebirgsszenerien, Dörfer mit Weiher und Anger samt barocken Gehöften drum herum, eiserne Wegkreuze und Bildstöcke. Holprige Alleensträßlein, von denen einem die Kirschen direkt in den Mund fallen. Und dort, wo keine Burgen sind: Schlösser, Schlösser, Schlösser!
Kein Wunder: Märchenonkel Otfried Preußler (1923–2013) war Deutschböhme. Ein Sudetendeutscher, der nach der Entlassung aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft im oberbayerischen Raum eine neue Heimat fand und nicht mehr nach Böhmen zurückkehrte. In seinen Romanen aber ließ er das Böhmen seiner Kindheit Revue passieren – und zwar mit den Augen eines Kindes.
Etwa 2000 Burgen und Schlösser gibt es in ganz Tschechien – zu viele für einen Blogbeitrag. Hier möchten wir Euch zumindest ein paar der schönsten Schlösser und Burgen Südböhmens vorstellen. Jener Region also, die sich ganz grob südlich von Prag bis zu den Grenzen Bayerns und Österreichs zieht.
Als hippes Ziel ist dieses Eck nicht bekannt. Eher denkt man an Dauerwelle in Rieker-Schuhen, an Toupet mit Janker, an Krautgeruch und Bierhumpen. Die Region birgt etwas Altmodisch-Provinzielles. Doch das macht nichts! Wer auf Mittelaltergaukeleien steht, auf Burgfräuleinambiente und Kostümfilme, kann sich hier lustvoll ein paar Tage oder selbst Wochen treiben lassen – vor allem im Sommer, wenn allerorts Burgfeste steigen. Zwei Wörtern werdet Ihr dann immer wieder begegnen: „Zámek“ (sprich ‚Saameck’) heißt Schloss, „Hrad“ (sprich ‚Hradd’) ist die Burg.
Südböhmens schönste Schlösser: Inhaltsverzeichnis
Überlaufene Perle: Český Krumlov
Telč: UNESCO-Welterbe zwischen Klatschmohnfeldern
Třeboň und Bechyně: Miniaturstädtchen mit prächtigen Schlössern
Rot wie ein Alaskalachs: Schloss Červená Lhota
Dornröschenschloss: Zámek Hluboká nad Vltavou
Orlík und Zvíkov: Schloss und Burg am See
Düsteres Mittelalter: Burg Rabí
Burg Kašperk und Kašperské Hory: Burgruine und Südböhmen für Hipster
Überlaufene Perle: Český Krumlov
Stadt schön, Schloss schön – hier bekommt Ihr das Komplettpaket. Český Krumlov, das bis zur Vertreibung seiner deutschsprachigen Bevölkerung Böhmisch Krumau hieß, ist so etwas wie San Gimignano auf Tschechisch: UNESCO-Welterlebe, fast zu perfekt, um wahr zu sein und im Sommer gnadenlos überlaufen.
13.000 Menschen wohnen in dem Freilichtmuseum aus Laubengängen, Sgraffiti, übersanierten Gassen, schrägen Treppen, Balustraden und einem die Silhouette der Stadt prägenden Schloss. Jahrhunderte lang wurde an Letzterem herumgefeilt, vorrangig durch die Rosenberger, die Eggenberger (nach dem Adelsgeschlecht wurde die örtliche Brauerei benannt) und die Schwarzenberger.
Ein Riesending wurde daraus: fünf Schlosshöfe und mehr Zimmer als das Jahr Tage hat. Mit einem runden Schlossturm für den Über-Blick, einem zehn Hektar großer Garten, einem Barocktheater, opulent ausgeschmückten Sälen und und und… Wer alles sehen will, braucht mindestens einen Tag und hat danach einen ordentlichen Schlosskater. Es gibt aber auch kürzere Führungen.
Mehr Infos zum Schloss Český Krumlov gibt es hier.
Telč: UNESCO-Welterbe zwischen Klatschmohnfeldern
Ähnlich zauberhaft, nur deutlich weniger frequentiert, präsentiert sich das rund 110 Kilometer weiter östlich gelegene, von Klatschmohnfeldern umgebene Telč (Teltsch), das ebenfalls auf der UNESCO-Welterbeliste zu finden ist.
Das Städtchen nahe der österreichischen Grenze erlebte seine Blüte im 16. Jahrhundert. Damals wurde es noch Teltsch geschrieben. In den folgenden Jahrhunderten fehlte – heute kann man sagen: zum Glück – das Geld für Neu- und Umbauten. So konnte das elegante Renaissancestadtbild in seiner Reinform die Zeiten überdauern. Kein Häusergiebel am keilförmigen Marktplatz gleicht dem anderen, in den Laubengängen der pastellfarben gestrichenen Bürgerhäuser verstecken sich kleine Galerien. Und erst das Schloss! Anschauen – die Schlossbibliothek mit rund 8000 Wälzern ist genial.
Mehr Infos zum Schloss von Telč gibt es hier.
Třeboň und Bechyně: Miniaturstädtchen mit prächtigen Schlössern
Noch etwas putziger wird’s im von Teichen umarmten Bilderbuchstädtchen Třeboň oder in Bechyně. Das mit Renaissancesgraffiti verzierte Schloss von Třeboň ist eindeutig zu groß geraten, alleine der Schlosspark besitzt den Umfang der gesamten Altstadt!
Auf Schloss Wittingau, wie man es früher nannte, starb Burggraf Wilhelm von Rosenberg (1535–1592). Viermal war er verheiratet, doch mit Nachwuchs wollte es nichts werden. Da konnten auch die herbeigeholten Alchemisten nicht helfen, die einen Zaubertrunk nach dem anderen brauten. Zu den Kuriositäten des Schlosses gehört die Hundeküche in der Wohnung des ehemaligen „Hundeleiters“, die Ihr bei Besichtigungstrasse C sehen könnt.
Mehr Infos zum Schloss Třeboň gibt es hier.
Bechyně (Bechin) ist ein pittoreskes 5200-Einwohner-Nest, das in die Kategorie „Am Arsch der Welt“ fällt. Ein baumbestandener Marktplatz mit blassrosafarbener Zwiebelturmkirche und niedrigen Bürgerhäusern, schläfrig und verträumt. Ums Eck ein wimpellastiges Wandermuseum (!) in der einstigen Synagoge von 1827.
Und nochmal etwas weiter das prächtige Schloss, das Peter Wok von Rosenberg, der Bruder des oben erwähnten Wilhelms, im späten 16. Jahrhundert in Auftrag gegeben hatte. In dem heute nach ihm benannten Prunksaal heiratete er im Alter von 40 Jahren die 14-jährige Katharina von Ludanitz.
Mehr Infos zum Schloss Bechyně gibt es hier.
Rot wie ein Alaskalachs: Schloss Červená Lhota
Das Schloss Červená Lhota (Rotlotha) ganz im Südosten Südböhmens trägt richtig dick auf. Ein alaskalachsroter Eyecatcher, denn man gerne auch auf dem Titel eines Reiseführers sieht.
Der arg strapazierte Begriff „malerisch“ muss einfach herhalten, wenn man das Schlösschen mit dem deutschen Namen „Rotlhota“ beschreiben will. Die Fassade spiegelt sich im Wassergraben, in dem Verliebte im Ruderboot umherpaddeln – was für ein schöner Ort für einen Heiratsantrag! Wie praktisch, dass das Schloss auch gleich für Traumhochzeiten gebucht werden kann.
Das hübsche rote Make-up trägt es übrigens schon seit dem 17. Jahrhundert. Und wenn Ihr schon mal da seid, solltet Ihr auch reingehen. Verschiedene Touren werden angeboten, Ihr werdet feinen Renaissance- und Rokoko-Nippes zu sehen bekommen.
Mehr Infos zum Schloss Červená Lhota gibt es hier.
Dornröschenschloss: Zámek Hluboká nad Vltavou
Wir fahren etwa 50 Kilometer weiter Richtung Südwesten. Ein englisch anmutendes Dornröschenschloss par excellence ist das Zámek Hluboká nad Vltavou (Schloss Frauenberg) nahe der Bierstadt Budweis (České Budějovice).
Ein Traum in Weiß: tudorgotische Türme und Türmchen, Zinnen auf Kragsteinen, Basteien. Die Bewohner des gleichnamigen Städtchens darunter müssen erfahrene Komparsen sein – so oft, wie das Schloss schon große Auftritte vor der Kamera hatte.
So grazil von außen, so rustikal von innen: Trophäen, schwere Kassettentäfelungen, Waffen, Hell-Dunkel-Ölschinken, Gobelins. Egal bei welcher Tour: Um den Namen „Schwarzenberg“ kommt Ihr nicht herum. Das böhmische Adelsgeschlecht erwarb das Schloss im 17. Jahrhundert, mit Ausnahme der sozialistischen Epoche ist es bis heute in deren Händen.
Mehr Infos zum Schloss Hluboká nad Vltavou gibt es hier.
Orlík und Zvíkov: Schloss und Burg am See
Zum Familienbesitz der Schwarzenberg gehört auch das etwas schlichtere Schloss Orlík nad Vltavou (Worlik) rund 150 Kilometer weiter nördlich an dem sich ewig windenden Orlík-Stausee. Bei einer Schlosstour kann man sich die aristokratische Dekadenz des 19. Jahrhunderts verinnerlichen.
Mehr Infos zum Schloss Orlík gibt es hier.
Ein weiteres Erbe der Schwarzenberg steht etwas weiter südlich, ebenfalls am Orlík-Stausee. Burg Zvíkov (Klingenberg), heute auf drei Seiten von Wasser umgeben. Vor der Flutung des Stausees in den 1960ern thronte die Bilderbuchburg mit massivem Wohnturm auf einem Felsen über der Moldau.
Der Innenhof lädt zum Picknick ein. Wer den Korb vergessen hat, geht in den → Pivovarský dvur, den „Brauereihof“ auf dem Weg zur Burg. Zum überaus süffigen Hausgebrauten isst man Platten mit Hausgeräuchertem oder Wildschweinschnitzel. Aber Achtung: In Tschechien glaubt man nicht an kleine Portionen! Für danach gibt es gemütliche Zimmer mit weichen Betten zum Reinfallen, mit dem Kopf (oder Bauch?) zuerst.
Mehr Infos zur Burg Zvíkov gibt es hier.
Düsteres Mittelalter: Burg Rabí
Die im 14. Jahrhundert errichtete → Hrad Rabí gilt als größte Burgruine Böhmens – ein Mussziel, wenn man auf so etwas abfährt. Eine Burg, wie sie Kinder malen, von einem Hügel die in Seelenruhe badende Landschaft überblickend.
Ihre gewaltigen grauen Mauern mit einer Gesamtlänge von neun (!) Kilometern lassen an eine normannische Festung denken. Tragische Randnotiz der Geschichte: Bei der Belagerung der Burg im Jahr 1421 verlor der ohnehin schon einäugige Hussitenführer Jan Žižka sein zweites Auge. Wie, ist nicht überliefert. But shit happens.
Mehr Infos über die Burg Rabí gibt es hier.
Burg Kašperk und Kašperské Hory: Burgruine und Südböhmen für Hipster
Auch die Burg Kašperk (Karlsberg), die sich schon an die Ausläufer des Böhmerwaldes schmiegt, repräsentiert das düstere, dunkle Mittelalter, nicht das von den Romantikern verklärte. Die zweitürmige Ruine erhebt sich über einer Wald-Wiesen-Hügel-Acker-Landschaft, Staubwolken aufwirbelnde Trekker inklusive. Herrliche Wanderwege mäandern dort herum.
Mehr Infos zur Burg Kašperk gibt es hier.
Das Beste an der Burg ist jedoch das darunter liegende Ministädtchen Kašperské Hory (ehemals Bergreichenstein), ein perfekter Standort. Am asymmetrischen Katzenkopfpflasterplatz steht eine zartrosafarbene Kirche, daneben ein Heimatmuseum, das viele Dinge zeigt, dass die Vertriebenen zurück lassen mussten, unter anderem auch so genannte Totenbretter. Auf diesen lagen einst die im Winter Verstorbenen bis zu ihrer Beerdigung im Frühjahr, wenn der gefrorene Boden aufgetaut war.
Rund um den Marktplatz von Kašperské Hory gibt es ein paar Unterkünfte, die das Prädikat – man mag es in dieser Ecke Tschechiens gar nicht vermuten – „Boutiquehotel“ verdienen. Glaubt uns, hier ist Südböhmen sogar ein bisschen hip: In der Kašperskohorský pivovar wird Craft Beer ausgeschenkt, im poshen → Hotel Kašperk kann man Enten-Confit mit hausgemachten Gnocchi speisen. Dobrou chut’, Wohl bekomm’s!
KURZINFOS SÜDBÖHMEN
Hin- und Rumkommen
Wer nicht mit dem Auto unterwegs ist, fliegt nach Prag und fährt von dort weiter. Das Bus- und Zugnetz Tschechiens ist prima organisiert. Eigentlich wird jedes auch noch so kleine Kaff mehrmals am Tag angesteuert, was das Reisen unkompliziert macht.
Öffnungszeiten
Denkt dran, dass die meisten Schlösser Südböhmens von November bis April Winterschlaf halten. Es gibt allerdings immer wieder Ausnahmen wie bei den publikumsträchtigen Schlössern von Český Krumlov und Hluboká nad Vltavou. Montags haben die meisten Schlösser grundsätzlich geschlossen.
Wohnen im Schloss – die schönsten Schlosshotels Südböhmens
Eines vorab: In Tschechien bekommt Ihr ein klasse Preis-Leistungs-Verhältnis. In Deutschland würde man bei gleicher Qualität nicht selten das Doppelte bezahlen.
→ Hotel Štekl, Viersterner in einem Nebengebäude des Schlosses Hluboká nad Vltavou. Tudorgotik satt! Allerdings ist das Haus mit den gewissen Shining-Qualitäten auch krass altbacken.
→ Schlosshotel Zdíkov, im gleichnamigen Dorf. Ebenfalls vier Sterne, sehr charmant und nur ein Katzensprung von den rauschenden Wäldern des Böhmerwaldes entfernt. Der Herrensitz bietet 30 Zimmer im nostalgischen Stilkarneval und eine hübsche Innenhofterrasse.
→ Zámek Hrádek, beim Städtchen Sušice, an den Ausläufern des Böhmerwaldes, liegt dieses empfehlenswerte Schlosshotel. Kronleuchter, glänzende Parkettböden, Putten, Stuck und ein Schlosspark zum Lustwandeln – die ganze Klischeesuppe ist hier angerichtet.
Hexen, Gaukler, Feuerspucker – die besten Mittelalterpartys
→ Prázdniny v Telčí, zweiwöchiges Folklorefestival im UNESCO-Welterbe-Städtchen. August.
→ Táborská setkáni, die Stadt Tábor hat zwar kein Schloss, aber eine Altstadt zum Anbeißen. Dort finden Mitte September die „Táborer Begegnungen“ statt, drei Tage im Zeichen des Mittelalters.
Rumpálování, die Stadt Strakonice ist in Teilen so trostlos wie eine Kuchenvitrine mit nur Krümeln drin. Ende Juli, Anfang August ist hier allerdings die Hölle los – dann findet ein historisches Fest mit viel Tanz und Musik (aus Dudelsäcken!) auf dem hiesigen Burgareal statt.
→ Fest der fünfblättrigen Rose, das Mordsspektakel mit jeder Menge Burgfräuleins, Ritterturnieren und Gauklern findet im Juni in Český Krumlov statt.
Literaturtipp
Die besten Brauereien und Campingplätze, die schönsten Ausflugsziele, alles Wissenswerte zur Geschichte, tolle Unterkünfte, urige Restaurants, noch mehr Burgen und Schlösser, Tipps zum Radfahren – eine geballte Ladung an Infos zu Südböhmen findet Ihr in unserem → Südböhmenreiseführer aus dem Michael Müller Verlag.
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