„Less is more.“
(Mies van der Rohe)
Von wegen Second City! B-Seite! Die mährische Metropole Brno (Brünn) mit ihren 380.000 Einwohnern ist alles andere als zweitklassig. Brünn ist lässiger als die große Schwester Prag, authentischer sowieso, und dazu an vielen Ecken mindestens so charmant wie das nur 150 Kilometer entfernte Wien. Was Brünn aber vor allem auch ist: eine Schatzkammer für Fans funktionalistischer Architektur.
Brünns Architekturbüfett ist prall gefüllt. Gotik, Barock, Renaissance, Jugendstil, sozialistischer Realismus – alles da und nicht zu knapp. Hinzu kommt eine geballte Ladung an vom Bauhaus beeinflusster Architektur aus den 1920er- und 1930er-Jahren. Eine Stadt ähnlicher Größe, die auf engem Raum eine solche Fülle an funktionalistischen Bauten besitzt wie Brünn, muss man erst einmal finden.
Auf also zum fröhlichen Häusergucken! Zweckbauten sind hier genauso aufgelistet wie Kirchen und Luxusvillen. Doch Achtung: Viele der damals revolutionären Bauten wirken für den Laien heute gar nicht mehr so spektakulär. Das Auge hat sich daran gewöhnt.
Inhaltsverzeichnis
FUNKTIONALISMUS IN BRÜNN: HINTERGRÜNDE UND PROTAGONISTEN
VILLA TUGENDHAT: EIN HAUS WIE EIN EINZIGES FENSTER
WEITERE FUNKTIONALISTISCHE BAUTEN NÖRDLICH DES ZENTRUMS
FUNKTIONALISTISCHE BAUTEN IM ZENTRUM
Hotel Avion: Schmal wie ein Handtuch
Komerční banka: Die Bank am Freiheitsplatz
Kaufhaus Zentrum: Vom Schuhhaus zum Alleshaus
Zemanova kavárna: Kopie im Park
Palác Jalta: Grauer Palast im Zentrum
Bahnhofspostamt: Tristesse pur
Agudas Achim: Die funktionalistische Synagoge
WEITERE FUNKTIONALISTISCHE GEBÄUDE WESTLICH DES ZENTRUMS
Kolonie Nový dům: Die Weißenhofsiedlung Brünns
Villa Stiassni: Bauhaus meets Bourgeoisie
Augustinerkirche: Das Gotteshaus im Villenviertel
FUNKTIONALISMUS IN BRÜNN: HINTERGRÜNDE UND PROTAGONISTEN
Zwischen den Weltkriegen galt das vornehmlich von Deutschen besiedelte „Klein-Wien“ als eine der progressivsten Städte Europas, als eine Trendstadt mit Visionen. Es herrschten Zuzug, wirtschaftlicher Aufschwung und Aufbruchsstimmung. Mut fürs Neue und ein Händchen fürs Coole besaßen auch viele Lokalpolitiker. Sie genehmigten Bauvorhaben, die anderswo noch harsch abgelehnt wurden. Man wollte sich damit vom traditionalistischen Prag abgrenzen.
Innerhalb eines Jahrzehnts avancierte Brünn zu einem Zentrum avantgardistischer Architektur. Bis heute gilt die Stadt als Aushängeschild in Sachen Funktionalismus. Für dieses Architekturwunder zeichneten unter anderem folgende Baumeister verantwortlich:
- Bohuslav Fuchs (1895–1972): Bohuslav Fuchs studierte an der Akademie der Bildenden Künste in Prag (1916–1919). Ab 1923 arbeitete er am Stadtbauamt Brünn, 1925 übernahm er dessen Leitung. Fuchs baute und plante im Akkord. Nach dem Zweiten Weltkrieg und bis zu seiner Pensionierung war er Professor an der Technischen Universität Brünn.
- Ernst Wiesner (1890–1971): Wiesner studierte in Wien und arbeitete ab 1919 als Architekt in Brünn. 1939 emigrierte er nach England, wo er sich dem antifaschistischen Widerstand anschloss. Wiesner war nach dem Krieg Dozent an mehreren englischen Universitäten, er starb in Liverpool.
- Mies van der Rohe (1886–1969): Auch wenn Mies van der Rohe oft in einem Atemzug mit Brünn genannt wird, so verwirklichte er in Mähren doch nur ein einziges Projekt: die Villa Tugendhat, die sich heute auf der UNESCO-Welterbeliste befindet. Sie ist das funktionalistische Aushängeschild der Stadt.
VILLA TUGENDHAT: EIN HAUS WIE EIN EINZIGES FENSTER
Adresse: Černopolní 45 Architekt: Mies van der Rohe Errichtet: 1928–1930
Ein architektonisches Ausrufezeichen! Die von Mies van der Rohe entworfene Villa steht im Vorort Černá Pole, ehemals Schwarzfeld. Auftraggeber war das jüdische Unternehmer-Ehepaar Fritz und Greta Tugendhat. Kosten spielten bei dem Bau keine Rolle. Das Haus galt damals als eine der weltweit teuersten und aufwendigsten Privatresidenzen.
Von außen auf den ersten Blick eher Typ Schuhkarton, entpuppt sich das Gebäude im Inneren als zeitlos-moderne Traumvilla. Licht, Luft und Sonne durchdringen es. Räume gehen fließend ineinander über.
Unsere Kreuzberger Altbauwohnung mit ihren 125 Quadratmetern – unser Mietvertrag stammt noch aus einer Zeit, als man in Berlin bei Wohnungsbesichtigungen auch mal alleine war… – würde zwei Mal in das Tugendhat-Wohnzimmer passen. Die Glasfront des Raumes ließ sich im Boden versenken. Im Sommer hatte man das Gefühl, mitten im Garten zu sitzen.
„Vom ersten Moment an haben wir das Haus geliebt.“
(Greta Tugendhat, in einem Interview 1969)
Nachvollziehbar. Leider konnten die Tugendhats ihre Luxusherberge nur acht Jahre genießen. Dann mussten sie vor den Nazis nach Südamerika flüchten. Die Kommunisten nutzten die Villa für exklusive gesellschaftliche Anlässe. Heute ist die Villa UNESCO-Welterbe und als Museum zugänglich.
Achtung: Es gibt nur wenige fremdsprachige Führungen (Deutsch oder Englisch). Kümmert Euch mindestens zwei Monate vor Eurem Brünn-Besuch um Tickets! Alles Weitere steht steht auf der → Webseite der Villa.
WEITERE FUNKTIONALISTISCHE BAUTEN NÖRDLICH DES ZENTRUMS
Kavárna Era: Ein Café in Bunt
Adresse: Zemědelská 30 Architekt: Josef Kranz (arbeitete von 1928–29 im Architekturbüro von Bohuslav Fuchs) Errichtet: 1927
Roter Boden, weiße und blaue Wände. Funktionalismus kennt auch Farben. Dass das ziemlich grandios aussehen kann, beweist das Interieur des → Cafés Era. Hier empfehlen wir Euch ein Mittagessen, denn mal ganz abgesehen von der Architektur isst man hier auch sehr gut.
Das Gebäude war als Café und Wohnhaus in einem geplant. Außen fallen die ganz unterschiedlichen Fenster auf, darunter auch schießschartenartige, horizontale, die bei den Bauhaus-Architekten sehr beliebt waren.
Das Café nimmt die ersten beiden Etagen ein, die eine wunderschöne Wendeltreppe verbindet – als einziges Schmuckelement sozusagen. Darüber wohnte der Bauherr.
Husův sbor: Die Huskirche
Adresse: Botanická Architekt: Jan Višek Errichtet: 1926–1928
Nur ausgesprochenen Funktionalismus-Freaks sei der Weg in dieses ruhige Eck Brünns empfohlen. Das so genannte Hus-Kollegium der Tschechoslowakischen Hussitischen Kirche ist nämlich meist verschlossen, von den Gottesdiensten einmal abgesehen.
Die Hintergrundgeschichte zum Bau der Kirche möchten wir Euch aber nicht vorenthalten: In der Ersten Republik (1918–1938) gab es Bestrebungen, sich religiös vom Katholizismus der Habsburger abgrenzen. So wurde 1920 die Tschechoslowakische Kirche gegründet. Und die brauchte natürlich auch ein Gotteshaus. Schnörkellos und puristisch, so wie es dem Brünner Zeitgeist entsprach.
Im angebauten Würfel linker Hand ist übrigens eine Bierstube untergebracht…
FUNKTIONALISTISCHE BAUTEN IM ZENTRUM
Hotel Avion: Schmal wie ein Handtuch
Adresse: Česká 150 Architekten: Bohuslav Fuchs und Josef Kranz Errichtet: 1926–1927
Das nur acht Meter breite Hotel gehört zu den schmalsten Herbergen Europas und dazu zu den funktionalistischen Ikonen der Stadt. Unglaublich, dass in diesem Gebäude fast 40 Hotelzimmer Platz haben – ursprünglich waren es gar 50.
Das Avion diente auch in sozialistischer Zeit als Hotel, verkam jedoch mehr und mehr. Nach jahrelanger Restaurierung wurde es im Frühjahr 2022 wieder eröffnet – kurz nach unserem Besuch. Nächstes Mal schauen wir rein.
Heute gibt es im Gebäude neben den Hotelzimmern ein Restaurant mit schicken Thonet-Freischwingern, eine Aussichtsterrasse im obersten Stock und ein Museum. Zudem können Führungen gebucht werden. Alle Infos über das Haus gibt es → hier.
Komerční banka: Die Bank am Freiheitsplatz
Adresse: Náměstí svobody 92 Architekten: Bohuslav Fuchs und Ernst Wiesner Errichtet: 1928-1930
Das extrem luftig daherkommende Bankgebäude wirkt fast wie ein Fremdkörper am tropfenförmigen Platz der Freiheit, den eine frühbarocke Pestsäule schmückt. Es wurde ursprünglich für die Mährische Bank erbaut, heute sitzt darin die Kommerzbank. Highlight ist die tageslichthelle Schalterhalle, die sich über zwei Stockwerke erstreckt. Zu den verbauten Materialien gehörten Glasbausteine, Chrom und Carrara-Marmor. Während der Banköffnungszeiten könnt Ihr die Halle besichtigen. Fotografieren ist leider nicht drin.
Kaufhaus Centrum: Vom Schuhhaus zum Alleshaus
Adresse: Kobližná 53/24 Architekt: Vladimír Karfík Errichtet: 1930–31
Sagen Euch Baťa-Schuhe etwas? Die Treter, die in der nichttschechischen und nichtslowakischen Welt „Bata“ geschrieben werden? In über 70 Ländern werden sie verkauft. Der Konzernsitz befindet sich heute in der Schweiz. Gegründet aber wurde das Unternehmen um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert von Tomáš Baťa im mährischen Zlín.
Tomáš Baťa war nicht nur ein erfolgreicher Unternehmer, sondern auch ein Architektur-Aficionado. Er schenkte der Stadt Zlín in den 1920er-Jahren Werksgebäude und Arbeitersiedlungen im funktionalistischen Stil (mehr dazu könnt Ihr hier bei uns nachlesen). Dazu ließ er sich von Vladimír Karfík auch eine Verwaltungszentrale bauen, in welcher das Chefbüro in einem Aufzug saß, um zwischen Einkauf und Vertrieb, Personalabteilung und Produktentwicklung einfach nur die Etage wechseln zu müssen. Auch alle Baťa-Schuhkaufhäuser in der Ersten Republik wurden im Stil der Neuen Sachlichkeit errichtet.
Für Brünn hatte Tomáš Baťa ehrgeizige Pläne: Das dortige Schuhkaufhaus sollte mit 23 Stockwerken das höchste Gebäude Europas werden. Leider aber konnte das Projekt wegen Sicherheitsmängeln und Problemen mit dem Grundwasser nicht abgeschlossen werden. Nach acht Stockwerken war sozusagen Schicht im Schacht.
In sozialistischer Zeit wurde aus dem Baťa-Gebäude das Kaufhaus Centrum, das es bis heute ist. Der nun verspiegelte Bau sieht völlig anders aus als in den frühen Jahren seiner Existenz, was einer Renovierung der Fassade in den 1960er-Jahren geschuldet ist.
Übrigens gibt es im Brünner Zentrum, genauer an der Česká 160/4, auch wieder ein Baťa-Schuhkaufhaus. Dieses ist ebenfalls in einem funktionalistischen Gebäude untergebracht. Architekt des 1934 errichteten Geschäftshauses war Miloslav Kopřiva. So sieht das Ganze aus:
Zemanova kavárna: Kopie im Park
Adresse: Jezuitská 687 Architekt: Bohuslav Fuchs Errichtet: 1925–1926
Das erste konsequent funktionalistische Gebäude Brünns wurde 1926 in einem zentralen Park eröffnet. Auftraggeber war der Kaffeehausbesitzer Josef Zeman. Das Ergebnis: ein auf einfache kubische Formen reduzierter Pavillon mit luxuriösen Extras. So konnten die Fenster auch hier wie in der Villa Tugendhat abgesenkt werden. Das Café öffnete sich somit im Sommer zum Park hin.
In sozialistischer Zeit war Schluss mit Kaffeetrinken. Das Gebäude diente zunächst als Kindergarten und wurde schließlich in den 1960er-Jahren abgerissen. Das, was man heute sieht, ist eine Rekonstruktion, erbaut 1996. Heute gibt’s hier auch wieder Kaffee und außerdem dicke Steaks.
In der Nachbarschaft des Pavillons steht das innen wie außen sehenswerte → Haus der Kunst (Dům Umění). Auch hier hatte Bohuslav Fuchs seine begnadeten Hände mit ihm Spiel. Allerdings nicht als Architekt, sondern als Restaurator. Das Gebäude entstand bereits 1911 und war ursprünglich mit historisierendem Schmuckwerk versehen. Im Zweiten Weltkrieg wurde das Haus der Kunst stark beschädigt. Beim Wiederaufbau ließ Fuchs das Gebäude von allem Überflüssigen befreien und passte es der funktionalistischen Formensprache an.
Palác Jalta: Grauer Palast im Zentrum
Adresse: Dominikánské náměstí 2 Architekt: Jaroslav Polívka Errichtet: 1929
Eines der eher unspektakulären funktionalistischen Gebäude im Brünner Zentrum. Aber von jemandem erbaut, der noch ganz groß rauskommen sollte. Zehn Jahre nach der Fertigstellung des Palác Jalta wanderte Jaroslav Polívka in die USA aus. Dort arbeitete er ab 1946 an zig Projekten mit Frank Lloyd Wright zusammen, unter anderem am Guggenheim Museum in New York.
Der Palác Jalta wurde es als Wohnhaus, Geschäftshaus und Kino errichtet. Heute könnt Ihr hier ein gepflegtes Bier trinken und dann weiterspazieren.
Bahnhofspostamt: Tristesse pur
Adresse: Nádražní 7 Architekt: Bohuslav Fuchs Errichtet: 1938
Ganz ehrlich: Die heute irgendwie ziemlich trist daher kommende Post neben dem pompösen Hauptbahnhof von Brno könnte man auch in sozialistischer Zeit verorten. Ist aber falsch. Tatsächlich handelt es sich bei diesem Riegel um ein Werk von Bohuslav Fuchs.
Agudas Achim: Die funktionalistische Synagoge
Adresse: Skořepka 13 Architekt: Otto Eisler Errichtet: 1934–36
Eine Synagoge im Bauhaus-Stil, das ist schon etwas ganz besonderes. Der Brünner Tempel in Bahnhofsnähe entstand seinerzeit für die orthodoxe Vereinigung Agudas Achim. Heute steht die einzige noch aktive Synagoge Mährens Juden aller Glaubensrichtungen offen.
Blickfang ist das große quadratische Rasterfenster, das vermutlich für großartige Lichtverhältnisse im Inneren sorgt. „Vermutlich“ deshalb, weil es für Nichtjuden leider kaum möglich ist, den Sakralbau einmal von innen zu betrachten. Architekt Otto Eisler, der normalerweise Wohnhäuser plante, verbrachte seine Lehrjahre übrigens unter anderem bei Bauhaus-Gründer Walter Gropius in Weimar.
MESSEGELÄNDE VÝSTAVIŠTĚ
Adresse: Výstaviště 1 Architekten: Emil Králik, Josef Kalous und noch ein paar andere Errichtet: Die ersten Gebäude entstanden 1927–1928.
Das Brünner Messegelände westlich des Zentrums wurde für die „Ausstellung zeitgenössischer Kultur“ im Jahr 1928 geschaffen. Hier wollte der noch junge Staat seinen kulturellen und technischen Aufschwung präsentieren. Und hier wollte er zeigen, was er architektonisch so drauf hat. Den Menschen gefiel’s: Die Ausstellung wurde ein voller Erfolg. Über zwei Millionen Zuschauer kamen, sahen, staunten.
Am spannendsten finden wir den so genannten Pavillon A mit seinen parabolischen Bögen. Er ist hoch wie eine Kathedrale, futuristisch wie ein Raumschiff und filigran wie ein geklöppelter Kragen. Ist es nicht unglaublich, wie zeitgemäß dieses fast 100 Jahre alte Gebäude wirkt? Erbaut Jahrzehnte vor dem Wirken Calatravas.
Auch der kreisrunde Pavillon Z ist ein verdammt cooles Teil. Doch Achtung: Er ist deutlich jünger und wurde erst 1959 fertig gestellt.
Besichtigung: Das Gelände ist mal zugänglich, mal nur für Messebesucher offen. Eine Garantie, dass Ihr reinkommt, gibt es nicht. Viel Glück!
WEITERE FUNKTIONALISTISCHE GEBÄUDE WESTLICH DES ZENTRUMS
Kolonie Nový dům: Die Weißenhofsiedlung Brünns
Adresse: Die Häuser befinden sich in den Straßen Petřvaldská, Drnovická und Šmejkalova. Tram 1 fährt hin. Architekten: Bohuslav Fuchs und andere Errichtet: 1928
Die Kolonie „Neues Haus“ entstand ebenfalls im Rahmen der „Ausstellung zeitgenössischer Kultur“. Vorbild war die Weißenhofsiedlung, die im Zuge der von Mies van der Rohe initiierten Ausstellung „Die Wohnung“ ein Jahr zuvor errichtet worden war. Anders als in Stuttgart schrieb die Brünner Siedlung aber nie Architekturgeschichte. Die 16 eher kleineren Einfamilienhäuser wurden von den Einwohnern nicht wirklich angenommen und in sozialistischer Zeit enorm verfremdet. Wer sich also in die Ecke aufmacht, sollte schon ein echter Architektur-Nerd sein. Hier zwei Beispiele:
Villa Stiassni: Bauhaus meets Bourgeoisie
Adresse: Hroznová 14 Architekt: Ernst Wiesner Errichtet: 1927–1929
Auch das Textilunternehmer-Ehepaar Hermine und Alfred Stiassni wünschten sich in den späten 1920er-Jahren eine neue Residenz von einem der angesagten Architekten. Und so baute ihnen Ernst Wiesner eine stattliche Villa an den Hang, mit Tennisplatz und Pool im Garten.
Wie die Tugendhats konnten auch die Stiassnis ihre Villa nicht lange genießen. 1938 flüchteten sie vor den Nazis zunächst nach London, dann in die USA. In sozialistischer Zeit diente die Villa als Gästehaus für hochrangige Funktionäre.
Alle Infos zu Führungen und Besichtigungszeiten der Villa Stiassni gibt es hier.
Heute ist die Villa Stiassni wie die Villa Tugendhat im Rahmen von Führungen zugänglich. Was man drinnen sieht, ist für den Fan moderner Architektur allerdings ziemlich ernüchternd. Die Dame des Hauses, die in einem Schloss groß geworden war, wollte nämlich auch in ihrer neuen Villa aristokratische Räumlichkeiten. Und so wandelt man hier durch schwerfällige holzvertäfelte Säle, läuft über rote Teppiche und unter protzigen Lüstern hindurch.
Lediglich im Bedienstetentrakt konnte der Architekt seine puristische Formensprache durchsetzen. Dieser Trakt ist der einzige, dem wir etwas abgewinnen konnten. Schade.
Augustinuskirche: Das Gotteshaus im Villenviertel
Adresse: Náměstí Míru 7 Architekt: Vladimír Fischer Errichtet: 1930–1935
Die späteren Architekten des Brünner Funktionalismus kehrten ein wenig vom Hardcore-Purismus ihrer Vorgänger ab und ließen auch wieder historisch-traditionelle Architekturelemente zu. Dies sieht man beispielsweise an der katholischen Augustinerkirche, die ab 1930 im so genannten Masaryk-Viertel entstand. So erinnert die Säulenfront ihrer Fassade ein wenig an klassizistische Kirchen.
Die Kassettendecke im Inneren hingegen soll Bezüge zu Basiliken der italienischen Renaissance herstellen:
Am Hang zwischen Kirche und Villa Stiassni lassen sich zudem noch viele Villen aus den 1920er- und 1930er-Jahren entdecken, darunter zig Entwürfe von Bohuslav Fuchs, aber auch Bauten von Zikmund Kerekes oder Jaroslav Grunt.
Tipp: Spannende Infos zu Bauten des Masaryk-Viertels und des angrenzenden Stadtteils Pisárky, aber auch viele weitere Details zur Brünner Architektur liefert die Seite bam.brno.cz.
St.-Wenzels-Kirche: Die Goldkuppel auf dem Kubus
Adresse: Gorazdova 52/8 Architekt: Petr Levický Errichtet: 1930–1931
Auch diese Kirche zu Füßen der Burg Špilberk mischt den puristischen Stil der Neuen Sachlichkeit mit historischen Elementen, in diesem Fall mit Elementen klassischer orthodoxer Kirchen. Man beachte die Kuppel! Ihre goldene Haut erhielt sie übrigens erst im Jahr 2003. Leider könnt Ihr diese Kirche in der Regel nur von außen besichtigen.
FUNKTIONALISTISCHE GEBÄUDE AUF DEM ZENTRALFRIEDHOF
Adresse: Videňská Architekt: Ernst Wiesner und Bohuslav Fuchs Errichtet: 1924–1930
Zentralfriedhof“ (Ústřední hřbitov) ist ein schon fast irreführender Name für dieses riesige Gräberfeld ganz im Süden der Stadt. Mit 56 Hektar ist der Friedhof die größte Begräbnisstätte Tschechiens.
Auch auf diesem Friedhof gibt es funktionalistische Bauten. Am augenfälligsten ist das Krematorium von Ernst Wiesner mit monumentaler Treppe und Dachkrone aus spitzigen Pfeilern. Ein symbolisierter Stairway to Heaven.
Zugänglich ist das Krematorium leider genauso wenig wie die Zeremonienhalle am Haupteingang des Friedhofs, die von Bohuslav Fuchs stammt:
Fuchs ist auf dem Friedhof auch begraben. Sein minimalistisches Grab wurde von seinem Sohn Kamil Fuchs geschaffen.
Mehr über Brünn könnt Ihr übrigens auch in unserem Tschechien-Reiseführer lesen:
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Wow, gerade wird mir klar, dass ich in Brünn das Wichtigste verpasst habe. Tolle Tipps, danke!
Hi Christian, du fährst in deinem Leben bestimmt noch mal nach Brünn;-). Nächstes Mal kannst du dir dann die funktionalistischen Gebäude vornehmen. Da sind wirklich ein paar ganz tolle dabei. Herzliche Grüße!
Wooow, sind da tolle Gebäude dabei!
Ich liebe diese Bauweise der 1920er und 1930er Jahre absolut, auch wenn sich andere oft wundern, wenn ich mit offenem Mund vor so einem Wohnhaus stehe.
In Peru hatte ich mal das Glück, ein paar Monate in so einem dunkelblau getünchten, aber schon verblichenen Bauhaus-Verschnitt mit abgerundeten Ecken zu wohnen.
Hi Andreas, das mit dem Haus in Peru klingt ja spannend. Ja, Brünn hat diesbezüglich einiges zu bieten. Toll ist übrigens auch die mährische Stadt Zlín, wo die halbe Stadt aus funktionalistischen Bauten besteht. Viele Grüße!