Krumbach ist ein Dorf wie viele im Bregenzerwald. Eine Kirche mit rotem Zwiebelturm. Ein paar Gasthäuser. Eine Käserei, ein Holzschuhmacher. Höfe verstreuen sich auf den sanft gewellten Hügeln drum herum. Aus der Ferne grüßen blaugrau die Alpenberge. Ein Idyll.

Etwas aber unterscheidet das Dorf mit seinen 1000 Einwohnern und fast ebenso vielen Rindsviechern von anderen seiner Art: sieben extravagante Bushaltestellen, für die sieben renommierte Architekturbüros aus aller Welt verantwortlich zeichneten. Bus:Stop nannte sich das ambitionierte Projekt, das Krumbach 2013/2014 auf einen Schlag bekannt machte. Die Bushäuschen oder „Wartehüsle“, wie die Haltestellen hier genannt werden, locken seitdem Architekturbegeisterte von weit her ins Dorf. Auch uns zog es hin.

 

Voralpenlandschaft
Ein Idyll: Krumbach im Bregenzerwald

 

 

Projekt Bus:Stop in Krumbach – die Hintergründe

Warten auf’n Bus – mal anders. Das ist dem Verein „Kultur Krumbach“ zu verdanken. Für seine coole „Bus:Stop“-Idee gewann der örtliche Verein nicht nur viele Sponsoren, sondern auch Dietmar Steiner als Kurator. Steiner (gest. 2020) war von 1993–2016 Direktor des Architekturzentrums Wien.

Steiner lud sieben international renommierte Architekturbüros mit skulpturalem Interesse nach Krumbach ein. Dort sollten sich die Architekten aus aller Welt ein Bild von der Landschaft, den Menschen und der Kultur machen. Kein Büro sagte ab, obwohl es kein Honorar gab – außer einem kostenlosen Arbeitsurlaub im Bregenzerwald. Workation sozusagen.

Die Entwürfe der von Steiner ausgewählten Architekten wurden vor Ort von regionalen Architekturbüros und Handwerksbetrieben umgesetzt. 2014 hatte jedes Buswartehäusle sein Richtfest hinter sich.

Das Ergebnis des spannenden Projekts: eine einzigartige Verbindung aus Architektur, Kunst und Handwerkskunst in der wunderschönen Landschaft des Bregenzerwaldes. Keines der Häuschen wirkt in der bäuerlichen Gegend fehl am Platze. Alles harmoniert. Dies hat auch mit dem grundsätzlichen Faible der Region für schlicht-moderne Architektur zu tun. Der Bregenzerwald ist bekannt für seine innovativen Baukünstler, die bereits seit den 1960er-Jahren mutige Wege gehen – ohne Traditionen zu vergessen.

 

Smiljan Radić (Chile): Zwing

Gläserne Bushaltestelle mit drei Bauernstühlen drin
Bushaltestelle als Glaskasten: Smiljan Radić

Einmal pro Stunde fährt ein Bus von Krumbach nach Bregenz. Der erste gegen 7 Uhr, der letzte gegen 22.30 Uhr. Zu den Busabfahrtszeiten kann es etwas voller werden an den Wartehüsle. Die meiste Zeit aber hat man die kleinen Kunstwerke ganz für sich alleine.

Der Glaspavillon des 1965 in Santiago de Chile geborenen Architekten → Smiljan Radić ist der erste, den wir an diesem schwülheißen Augusttag bestaunen. Radić, der kroatischer Abstammung ist, war von der Bregenzerwälder Bauernstube begeistert und verpflanzte diese kurzerhand nach draußen an die Straße.

Im Inneren des Glaskastens ist es an diesem Sommertag gefühlt 68 Grad warm. Aber wie oft herrschen hier auf über 600 Metern Höhe über 30°C? Wir setzen uns auf zwei der drei Bauernstühle und blicken nach oben zur Kassettendecke aus Beton. Außen ein stilisiertes Vogelhäuschen. Nebenan bimmeln Kühe.

 

 

 

Tipp: Man kann die Bushaltestellen mit Auto oder Rad der Reihe nach abfahren oder im Rahmen eines gemütlichen Dorfspaziergangs ablaufen. So bekommt man auch ein wenig Gefühl für den Ort.

 

Amateur Architecture Studio (China): Glatzegg

Camera Obscura: Amateur Architecture Studio

Hinter dem → Amateur Architecture Studio stecken Wang Shu und Lu Wenyu aus Hangzhou. Wang Shu erhielt als erster Chinese den renommierten Pritzker-Architekturpreis. Das Buswartehäuschen der Chinesen im Ortsteil Glatzegg gehört zu unseren persönlichen Highlights.

Das Wartehüsle erinnert an eine Camera Obscura. Der Raum ist konisch, weitet sich nach vorne, verjüngt sich nach hinten. Das Häuschen liegt traumhaft, beim Warten auf den Bus wird man mit Panoramablicken satt beschenkt. Das Fenster nach hinten verleiht der Szenerie gar einen Rahmen. Ein Gebäude wie dieses ist für das Architekturbüro typisch: Die Wahrnehmung von Landschaft spielt bei Wang Shu und Lu Wenyu stets eine große Rolle.

 

Blick aus einem Fenster in grüne Landschaft

 

Ensamble Studio (Spanien): Unterkrumbach (Nordseite)

Das Wartehäuschen des spanischen Teams → Ensamble Studio, an dem der Bus 820 nach Bregenz hält, hat einen Nachteil: seine Lage an einer Straße mit eher uninspirierenden Gebäuden in der Nachbarschaft.

Das Häuschen besteht aus geschichteten, unbehandelten Eichenbrettern, wie sie die Architekten auch in den Holz-Trockenlagern der Region gesehen hatten. Zum Bushäuschen zusammengesetzt, sollen die Bretter bewusst dem Alterungsprozess ausgesetzt werden. Das ähnelt den von der Sonne ausgebleichten, gräulichen Holzschindelfassaden, die typisch für die Region sind.

 

Diese Diashow benötigt JavaScript.

 

De Vylder Vinck Taillieu (Belgien): Unterkrumbach (Südseite)

Wer mit dem Bus 820 in die andere Richtung fahren will, wartet gegenüber dem Bretterverschlag von Ensamble Studio in einem etwas seltsamen Dreiecksgebilde: ein bisschen stilisierter Berg, ein bisschen Origami. Im Inneren eine Klingel (?).

Auf der Infotafel neben der Bushaltestelle liest man Text-Pathos wie „geometrische Abstraktion einer triangulären Form“ und „poetischer Akt der Faltung“. Uns holt das Ganze nicht wirklich ab. Sind wir Banausen?

 

Diese Diashow benötigt JavaScript.

 

Verantwortlich: das flämische Büro → Architecten Vinck Taillieu aus Gent. Deutlich spannender als das Dreieck in Krumbach finden wir den Psychatriebau in Melle bei Gent, den die gleichen Architekten revitalisierten, → hier könnt Ihr Euch ein Bild davon machen.

 

Rintala Eggertsson Architects (Norwegen): Kressbad

Neben dem Tennisplatz von Krumbach verschmelzen Funktionalität, Design und Kunst in ganz besonderem Maße. Das mit den typischen Schindeln verkleidete Buswartehäuschen besitzt zwei Stockwerke. Im unteren Bereich wartet man auf den Bus.

 

Mit Schindeln verkleidete Bushaltestelle
Auf den Bus warten und beim Tennis zugucken: Rintala Eggertsson Architects

 

Eine Treppe führt in den oberen Bereich. Dort landet man auf einer kleinen, straßenabgewandten Tribüne, die den Tennisplatz logenartig überblickt. Genial, finden wir.

 

Das junge Architektenteam besteht aus einem isländischen Part (Dagur Eggertsson) und einem norwegischen (Sami Rintala). Die beiden arbeiten von Oslo aus. Mehr über das Büro → hier.

 

Sou Fujimoto (Japan): Bränden

Frau auf freischwebender Treppe
Ein Wald aus Metallstangen: Sou Fujimoto

Das Highlighthighlight unserer kleinen Haltestellentour steht im Ortsteil Bränden. Vor der Garage der älteren Dame, die neben der Haltestelle wohnt, parken regelmäßig Architekturfans. Das scheint sie nicht zu stören. „Lassen Sie sich ruhig Zeit!“, sagt sie in ihrem weichen alemannischen Dialekt.

Die begehbare Skulptur des Japaners → Sou Fujimoto ist spektakulär. In einem Wäldchen aus weißen Metallstelen schwingt sich eine Treppe empor. Ein Raumgerüst. Schutz vor Wind und Regen findet man hier zwar nicht. Dafür ist man beim Warten auf dem Bus dem Himmel ganz nah und genießt einen Wahnsinnsausblick.

 

 

Alexander Brodsky (Russland): Oberkrumbach

Der 1955 in Moskau geborene Alexander Brodsky ist einer der bekanntesten Vertreter der sowjetischen Papierarchitektur – ein Begriff, auf den wir zugegebenermaßen erst bei der Recherche für diesen Artikel gestoßen sind. Unter Papierarchitektur versteht man Architektur der späten Sowjetzeit, die es nie über den Entwurf auf Papier hinaus schaffte. Zu teuer, zu unkonventionell und vor allem: nicht ins System passend.

Papierarchitekten wurden in der Regel als Gegner des Regimes angesehen. Heute ist Brodsky kein Papierarchitekt mehr. Er gehört zu den Big Names der russischen Architekturszene.

Dem Promi unter den Wartehüsle-Architekten hat man in Krumbach, so scheint es zumindest, allerdings nicht viel Platz gegeben. Daher baute er in die Höhe. Sein Holztürmchen sieht aus wie ein römischer Wachturm aus der Antike. Oder besser gesagt: Wie man sich einen römischen Wachturm aus der Antike so vorstellen könnte. Das Erdgeschoss ist teilverglast. Darin ein Tisch und eine Bank – Jause nicht vergessen!

 

Diese Diashow benötigt JavaScript.

 

Gegenüber sieht man übrigens auch noch einen Haltestellen-Klassiker in der Landschaft stehen. Vor dem Bus:Stop-Projekt sahen viele Bushaltestellen in Krumbach so aus:

 

Bushaltestelle im Grünen
Ein Klassiker

2 Kommentare

    • Danke für dein Feedback, Christian. Wir wussten bis dato gar nicht, dass die Region so spannende Ziele für Architekturfans birgt. Waren bestimmt nicht zum letzten Mal da. Viele Grüße zurück!

Gib süßen oder scharfen Senf dazu (E-Mail-Adresse wird nicht angezeigt)

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein