Rein ins Taxi, raus aus dem Taxi und vorbei an der Security durchs gesicherte Tor. Wer schon in Johannesburg war, kennt das. In vielen Ecken der Stadt spaziert man nicht einfach so auf der Straße herum. Johannesburg, die größte Stadt Südafrikas, ist trotz einiger Good News in den letzten Jahren vielerorts noch immer eine Herausforderung in Sachen Sicherheit.
Der Stadtteil Hillbrow macht da keine Ausnahme. Ganz im Gegenteil. Die Kriminalitätsrate ist hoch, die Armut erschreckend. Hillbrow gilt als No-Go-Area. Mit einer Ausnahme: Ponte City. Das Hochhaus war lange Zeit der höchste Wohnturm Südafrikas. 54 Etagen auf 173 Metern. Ponte City gilt heute als sicher.
Das aber war nicht immer so: Noch bis in die Nullerjahre war der brutalistische Zylinder ein Superlativ der gruseligsten Art. Als „größter vertikaler Slum der Welt“ wurde der turmförmige Bau verspottet. 10.000 Menschen hausten darin. Dabei war Ponte City ursprünglich als Luxusobjekt errichtet worden.
Gesäubert und saniert, lebt hier heute die Mittelschicht. Zaungäste sind erlaubt. Die Kinderhilfsorganisation → Dlala Nje, die ebenfalls im Gebäude residiert, bietet Touren durch die Ponte City an. Diese müssen über die Webseite vorab gebucht werden und kosten rund 20 Euro. Was man bei so einer Tour erlebt und erzählt bekommt, erfahrt Ihr in diesem Beitrag.
Inhaltsverzeichnis
Ponte City früher und heute
Ponte City könnt Ihr Euch vorstellen wie eine aufrecht stehende, leere Küchenpapierrolle – nur aus Beton und nicht auf dem Küchentisch, sondern auf kargem Fels. Der innen hohle Zylinder ist oben offen und lässt Sonnenlicht herein. So konnten die zum Innenradius gelegenen Küchen und Badezimmer mit Fenstern versehen werden, wie es das südafrikanische Baurecht im Jahr 1975 vorschrieb.
Der extravagante Skyscraper geht auf die Architekten Manfred Hermer, Mannie Feldman und Rodney Grosskopff zurück. Fast 500 Luxusapartments für eine selbstverständlich weiße Klientel brachten sie darin unter, dazu 600 Parkplätze. Ausgelegt war Ponte City für maximal 3000 Menschen. Es gab Pools, schicke Boutiquen, eine Bowlinghalle und diversen anderen Schnickschnack, den eine noble Stadt in der Stadt so haben sollte. Selbst eine Skipiste auf dem ansteigenden Fels im Inneren der „Küchenrolle“ war angedacht, wurde aber nie realisiert.
Zu Apartheidzeiten war Hillbrow ein angesagtes Viertel. Hier eröffnete die erste Gay Bar des Landes, hierher zog es die Kreativen und später auch Menschen anderer Hautfarben. In Hillbrow entwickelte sich mitten im rigiden Apartheidsystem eine Multikulti-Gesellschaft. Hillbrow war eine so genannte Grey Area, eine Grauzone, nicht legal, aber geduldet und später sogar legalisiert.
Nach dem Ende der Apartheid in den frühen 1990er-Jahren veränderte sich die DNA von Hillbrow. Die Weißen zogen weg, verließen die zentralen Stadtteile. Zugleich herrschte ein enormer Zuzug aus den Townships in die Johannesburger Innenstadt. Hillbrow verslumte, und Ponte City – verlassen von seinen einstigen Bewohnern – wurde von Banden „gehijacked“. Aus dem noblen Wohnturm wurde ein Slumturm. Rund 10.000 Menschen hausten darin. Über diesen Turm des Grauens herrschten so genannte Slumlords. Sie sorgten für Drogen, käuflichen Sex und Waffen. Gewalt war an der Tagesordnung.
Im Vorfeld der Fußball-WM 2010 begann man mit „Säuberungen“. Die Räumung ging schnell, die Aufräumarbeiten dauerten Jahre, mehr dazu später.
Im Foyer
Ein Sicherheitsmann bringt uns vom Gate ins Foyer. Dort treffen wir Zodwa, eine junge Frau mit langen Rastazöpfchen. Sie wird uns durchs Gebäude führen. Kurz nach uns kommen die anderen Teilnehmer der Tour: vier gut gekleidete Johannesburger:innen indischer Abstammung. Eine Clique.
Im Foyer der Ponte City ist viel los. Es herrscht ein Kommen und Gehen. Irgendjemand muss immer irgendwo hin, schließlich leben wieder rund 3000 Menschen in dem Gebäude, darunter viele Einwanderer aus anderen afrikanischen Staaten. Es gibt einen Supermarkt, einen Waschsalon, einen Friseur, ein Nagelstudio, eine Snackbar, einen Kindergarten und einen Rooftop Garden, wo gegärtnert wird.
Zodwa leitet uns durch die Zugangsschleusen. Die Kontrollen sind streng, in die Ponte City kommt man nur mit einem Scan des eigenen Fingerabdrucks. Die Hausregeln sind nicht ohne, haben Schülerwohnheimscharakter: Alkoholverbot an den meisten Orten, Besuche nur gegen Abgabe des Passes, Übernachtungen von Fremden nur mit Vorabgenehmigungen, keine Wäsche vor die Fenster. Ein starres Regelwerk zum Schutz aller, Verstöße werden streng geahndet.
„Ponte City ist heute zu 100 Prozent sicher“,
sagt Zodwa, die selbst in der Ponte City lebt. Die Warmmiete für eine Zweizimmerwohnung beträgt monatlich rund 220 Euro.
In den 51. Stock
Der Aufzug bringt uns schnell in den 51. Stock. Unterwegs halten wir nicht. Es gibt zig verschiedene Lifte. Diese steuern nicht alle Etagen an. Wer vom vierzigsten in den zehnten Stock will, muss im Erdgeschoss umsteigen – ohne dieses System wäre man viel zu lange unterwegs in diesem irren Turm.
Als der Turm in der Hand der Slumlords war, ging es durch das Treppenhaus nach oben. Den Aufzug hatte man als Altmetall zu Geld gemacht. 900 Stufen sind es von ganz unten nach ganz oben. Heute sind die Stufen der Ponte City Austragungsort des 54 Floors Stair Run. Bisherige Rekordzeit: 5 Minuten 18 Sekunden! Das Treppenrennen ist nicht das einzige sportliche Event, für das der Tower herhält. Das Dach ist als Startpunkt von Basejumpern und Gleitschirmfliegern beliebt.
Panorama der anderen Art
Mit einer Cola in der Hand sitzen wir in der einfachen Bar der Initiative Dlala Nje. Sie ist nicht öffentlich zugänglich, mehr ein Treff mit Jugendzentrumsflair. Hier, auf etwa 150 Metern über dem Grund, liegt uns Johannesburg zu Füßen. Wäre Johannesburg Kapstadt, könnte man die 270-Grad-Aussicht wahrscheinlich als „atemberaubend“ bezeichnen. Wir sind aber nicht in Capetown, sondern in Jozi und blicken auf ein Meer von Hochhäusern aus Backstein und auf brutalistische Bürotürme.
Dazwischen tun sich völlig vermüllte Grundstücke mit Häusern ohne Dach auf, die Fassaden eingestürzt. Diese Gebäude sind noch immer „gehijacked“, erzählt uns Zodwa. Die Squatters (illegale Hausbesetzer) zapfen Strom von Straßenlaternen oder Ampeln ab. Ihre gefährlichen Kabelkonstruktionen gehen nicht selten in Flammen auf. Wir hören und staunen.
„Sowas gibt es bei Euch in Berlin nicht, oder?“,
fragt einer aus der Gruppe und grinst. Nein, gibt es bei uns nicht. Gegenüber Johannesburg fühlt sich Berlin wie eine Insel der Seligen an.
Die Polizei geht in der Regel nicht gegen die Hausbesetzer vor. Die Gewaltbereitschaft der Squatters ist zu hoch. Sie wird durch Drogen befeuert, Johannesburg hat ein riesiges Problem damit. Das Teufelszeug schlechthin heißt Whoonga, eine wilde Mischung aus Heroin, Crystal Meth, Rattengift, Ephedrin und was man sonst noch so bei Überfällen auf Apotheken und Patienten erbeutet. Whoonga macht sehr schnell sehr abhängig.
Ganz unten
Ein Aufzugsfahrt und diverse Treppen bringen uns von der Bar wieder nach unten – so tief, bis es nicht mehr weiter geht. Dann stehen wir auf dem felsigen, unebenen Grund, auf dem die Ponte City erbaut wurde. Durch einen Schlund aus Etagen blicken wir nach oben – es ist ein Licht-am-Ende-des-Tunnels-Blick, wie ihn vielleicht Leute haben, die vom Sterben zurück ins Leben geholt werden.
Der very bottom der Ponte City ist der verstörendste Bereich des gesamten Gebäudes. Er wirkt apokalyptisch – kein Wunder, dass hier schon Endzeitfilme gedreht wurden. Das, was wir von Zodwa hören, ist jedoch kein Plot eines bösen Films, sondern war mal bittere Realität in der Ponte City zu Zeiten der Slumlords. Da es keine Müllabfuhr und keine Abwasserentsorgung gab, versenkten die Bewohner ihren Müll und ihre Extremente einfach in dem Schlund des Gebäudes. Fenster auf und raus damit.
„Auch Tote wurden so entsorgt. Immer wieder gab es Morde im Haus.“
Eine gruselige Urban Legend? Wir können kaum glauben, was wir hören. Der Müllberg im Inneren der Ponte City wuchs im Laufe der Jahre unaufhörlich an, 14 Stockwerke hoch.
Um 2007 kamen schließlich die Red Ants zum Einsatz, erzählt Zodwa. Die anderen aus der Gruppe nicken, wissen, um wen es sich handelt. Wir müssen nachfragen. Die „Roten Ameisen“ sind ein berüchtigter Sicherheits- und Entsorgungsdienst, den man in Johannesburg zur Räumung von illegal besetzten Häusern engagiert. Die Männer tragen rote Overalls und rote Schutzhelme, daher der Name. Bei diesen „Männern fürs Grobe“ handelt es sich selbst um arme Teufel, oft Immigranten, die froh über jeden Job sind. Sie schrecken nicht davor zurück zu töten. Sie werden aber auch oft selbst getötet.
Drei Jahre brauchten die Red Ants, um das Gebäude zu reinigen, um all den Siff, die Ratten, die Scheiße abzutransportieren. Und den Weg frei zu machen für eine neue Ponte City.
Wohnen und lesen – zwei Zusatztipps für die Ponte City
- Wohnen: Wer die Ponte City einmal ganz besonders intensiv erleben will, kann sich auch gleich einige Tage einmieten. Ferienwohnungen im Gebäude können über Airbnb gebucht werden.
- Lesen: Die Ponte City steht im Mittelpunkt des Romans Stadt des Goldes von Norman Ohler (Kiepenheuer & Witsch 2019).
Faszinierend. Allerdings bin ich grad ein bisschen ratlos, was man denn nun konkret bei so einer Tour sehen kann? Einfach den Fahrstuhl, die Aussicht und den Felsboden? Du erwähnst eine Bar auf dem Dach. Wie muss man sich die vorstellen? Einfach für die Anwohner, denn ohne Anmeldung kommt man ja nicht rein. Sieht die nach was aus? Und sieht man auf der Tour auch ein bisschen was von der Technik des Hauses? Kann man eine Wohnung sehen?
Hallo Oli, auf dieser Tour wird sehr darauf geachtet, dass die Privatsphäre der Menschen, die hier leben, respektiert wird. Deswegen darf auch nicht wild durch die Gegend fotografiert werden. Die Bar ist keine öffentliche Bar, sondern eine Art Treffpunkt der Initiative mit, sagen wir mal, Jugendzentrumsatmosphäre. Man sieht weder was von der Technik noch eine Wohnung, sonst hätten wir das beschrieben. Was man sieht, ist das Foyer, den Blick von der Bar, Aufzüge, Treppen und den Felsboden.
Viele Grüße, Gabi und Michael
das klingt wirklich dystopisch. kaum vorstellbar für unsereinen.
Ja, so ist es. Südafrikanische Realität ist heftig. Da kommt einem gleich Theodor Fontane in den Sinn: „Erst die Fremde lehrt uns, was wir an der Heimat besitzen.“