Über 400 Kirchen gibt es in Berlin, die meisten stammen aus dem 20. Jahrhundert. Revolutionär waren die Kirchenbauten der Weimarer Republik und damit aus einer Zeit, die geprägt war von avantgardistischen Architekturströmungen, vom Backsteinexpressionismus und von der Neuen Sachlichkeit.
Ende des Zweiten Weltkriegs lag Berlin in Trümmern. Überall in der Stadt mussten Kirchen wiederauf- oder in Gänze neu gebaut werden. Die Architekten strebten eine klare Abgrenzung zum Neoklassizismus des Dritten Reichs an. Viele orientierten sich nun wieder an der Formensprache der Bauhaus-Generation. Zudem war nach dem Krieg Sparsamkeit das Gebot der Stunde. Beton war günstig und der Brutalismus ohnehin in Mode – sehr praktisch für die Kirchenbauer der Nachkriegszeit. Für sie sollten Kirchen keine Prestigebauten mehr sein, sondern nüchterne Orte für die stille Einkehr.
Die meisten modernen Berliner Kirchen sind im Westteil der Stadt zu finden. Die kirchenablehnende Politik des atheistischen Arbeiter- und Bauernstaats machte Kirchenneubauten und -restaurierungen in der DDR schwierig. Staatliche Zuschüsse zum Erhalt von sakralen Denkmälern waren verschwindend gering.
Viele der hier vorgestellten Kirchen haben wir an den Tagen des offenen Denkmals besucht. Diese stehen stets Mitte September an. Dann kann man Kirchen, die sonst nur zu Gottesdiensten ihre Pforten öffnen, in aller Ruhe besichtigen.
Selbstverständlich gibt es in Berlin noch mehr spannende Kirchen der Moderne. Die eine oder andere wird bestimmt noch ihren Weg hierher finden.
Moderne Kirchen in Berlin: Inhaltsverzeichnis
TEMPELHOF UND MARIENDORF
Martin-Luther-Gedächtniskirche
CHARLOTTENBURG
Neubau der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche
Gedenkkirche Maria Regina Martyrum
WILMERSDORF
Erste Kirche Christi, Wissenschafter
SPANDAU
MITTE
Kaiser-Friedrich-Gedächtniskirche
PRENZLAUER BERG
REINICKENDORF
TEMPELHOF UND MARIENDORF
St.-Judas-Thaddäus-Kirche: Das Raumschiff
Was für ein Gebäude! Einem gestrandeten UFO gleich steht der parabelförmige Sakralbau mit seinem über 40 Meter hohen, dreieckigen Kirchturm in einem ruhigen Tempelhofer Wohnviertel. Eine begehbare Skulptur aus Beton und Glas.
Die 1959 geweihte Kirche geht auf den Architekten Reinhard Hofbauer (1907–1976) zurück, der sich in der Nachkriegszeit einen Namen mit Sakralbauten fernab klassischer Vorstellungen machte. Hofbauer arbeitete auch als Maler.
Das Kirchenschiff, in dem übrigens schon Mutter Theresa predigte, könnte glatt als Weltallkirche für Captain Kirk & Co durchgehen. Es besitzt einen birnenförmigen Grundriss. Licht fällt indirekt durch viele kleine, farbige Lochfenster ein. Nicht nur der Altarbereich, sondern auch die originelle Orgelempore sind echte Eyecatcher. Ein Kirchenspektakel!


Adresse und Öffnungszeiten: Bäumerplan 1–7, U6 Paradestraße. Die Kirche steht unter der Verwaltung der katholischen Kirchengemeinde Pfarrei Heiliger Johannes XXIII, die Öffnungszeiten können hier eingesehen werden. Ein Erlebnis, so sagte man uns, sei die Messe der Ghana-Gemeinschaft stets sonntags um 13 Uhr!
Martin-Luther-Gedächtniskirche: Erbe und Mahnmal gegen den Faschismus
Von der geschwungenen Mid-Century-Architektur der St.-Judas-Thaddäus-Kirche geht es direkt in die düsteren 1930er-Jahre. Der Architekt Curt Steinberg (1880–1960, ab 1933 NSDAP-Parteibuch) entwarf die Kirche bereits 1929. Gebaut werden konnte sie jedoch erst zwischen 1933 und 1935.
Ihr Äußeres ziert eine Fassade aus Terrakottafliesen, in ihrem Innern steckt noch NS-Symbolik. Die Evangelische Kirchengemeinde Berlin-Mariendorf entschloss sich bewusst dazu, die Symbole nicht zu entfernen, sondern die Kirche samt Nazi-Dekor als Gedenkort und Mahnmal zu erhalten.
„Ein feste Burg ist unser Gott, ein gute Wehr und Waffen“ ist in Frakturschrift in der Vorhalle zu lesen. An der Decke ein Leuchter in Form eines Eisernen Kreuzes. Darüber hingen während des Zweiten Weltkriegs Zettel mit den Namen der Gefallenen der Gemeinde. Wo heute die Büste von Martin Luther zu sehen ist, blickte man früher auf Hitlers Konterfei.
Weiter geht es ins Kirchenschiff, in einen Raum mit Tonnengewölbe und halbrunder Apsis. Kirchenschiff und Altarraum trennt ein Triumphbogen, der mit 800 Keramikkacheln versehen ist. Neben christlichen Symbolen finden sich auch hier Nazi-Motive: Reliefköpfe eines SA-Manns und eines Frontsoldaten, eine Faust mit Hammer. Vormals gab es hier auch Hakenkreuze, die selbstverständlich entfernt wurden. Die Verbindung christlicher und nationalsozialistischer Motive entsprach der Ideologie des „Deutschen Christen“, einer Synthese von Christentum und Nationalsozialismus.
Im Nazi-Zeitgeist sind auch Kanzel (mit Soldat, SA-Mann und Hitlerjunge) sowie der Taufstein (mit einem SA-Mann, der Hitler ähnelt) gehalten. Die Orgel wurde übrigens 1935 auf dem Reichsparteitag in Nürnberg zum ersten Mal bespielt.
Adresse/Öffnungszeiten: Rathausstr. 28/29, U6 Alt-Mariendorf. Über die Öffnungszeiten, Gottesdienste und andere Veranstaltungen (allesamt unregelmäßig) informiert die → Evangelische Kirchengemeinde Berlin-Mariendorf.
Kirche Maria Frieden: Otto Dix in der Kapelle
Die brutalistische katholische Wallfahrtskirche Maria Frieden wurde vom Architekten Günter Maiwald (1919–1996) projektiert und 1969 geweiht. Uns gefallen hier der Altar aus griechischem Marmor, die hübsche Wendeltreppe und die schönen Buntglasfenster des Berliner Künstlers Paul Ohnsorge.

Ein besonderes Schmankerl für Kunstfans befindet sich zudem in der Marienkapelle: das dreiteilige Bild „Madonna vor Stacheldraht und Trümmern mit Paulus und Petrus“, das der Künstler Otto Dix 1945 in französischer Gefangenschaft gemalt hatte. Die Gemeinde erhielt es im Jahr 1988.
Adresse/Öffnungszeiten: Kaiserstr. 28, U6 Westphalweg. Über Öffnungszeiten und Gottesdienste informiert man sich am besten hier.
CHARLOTTENBURG
Gustav-Adolf-Kirche: Bartning zum Ersten
Die Gustav-Adolf-Kirche nahe dem Schloss Charlottenburg ist ein Werk von Otto Bartning (1883–1958), der wichtigste Architekt evangelischer Kirchen in der Weimarer Republik.
Bartning war ein Kosmopolit, der bereits in jungen Jahren auf Weltreise gegangen war, mit Walter Gropius die Bauhaus-Idee begründete und von 1926 bis 1930 eine Professor an der Bauhochschule von Weimar inne hatte.

Die Entwürfe für die Kirche stammen aus den 1920er-Jahren und entstanden damit in der Hochphase der Neuen Sachlichkeit – eines minimalistischen, schnörkellosen Architekturstils, der sich in klarer Abgrenzung zum Expressionismus und zum verspielten Jugendstil sah. Dass dieser Purismus dem gläubigen Protestanten Bartning entgegen kam, ist nicht abwegig.

Die Schönheit des 18 Meter hohen Kirchenschiffs rührt insbesondere von seinen in warmen Farbtönen gehaltenen Fenstern. Je nachdem, wie man auf die Fenster blickt, wirken sie fast so, als würden sich riesige Buchregale hinter den Kirchenbänken auftürmen:

Die Kirche konnte wegen Bauverzögerungen erst 1934 eingeweiht werden – bei der Weihe saßen schon NS-Funktionäre im Publikum. 1943 wurde die Kirche teilzerstört und in den 1950er-Jahren restauriert. Seitdem sind die Kirchenfenster deutlich bunter. Die Vorgänger-Fenster waren schlichter und transparenter, sodass man vom Kirchenschiff den 47 Meter hohen Turm erblicken konnte.
Adresse/Öffnungszeiten: Herschelstr. 14, U7 Jungfernheide. Die Kirche gehört zur → Gustav-Adolf-Gemeinde und ist nur zu Gottesdiensten geöffnet (So um 11 Uhr). Tipp: Kommt zur Ostermesse am Ostersonntag um 5.30 Uhr! Die ganze Kirche ist dann in Kerzenlicht gehüllt, und peu à peu fällt immer mehr Licht in den Raum.
Sühne-Christi-Kirche: Das Hexagon
Das Gotteshaus mit frei stehendem Glockenturm entstand zwischen 1962 und 1964 nach Plänen des Berliner Architekten Hansrudolf Plarre (1922–2008), der auch am neuen Hansaviertel (siehe unten) mitgewirkt hatte.
Die Kirche hat einen sechseckigen Grundriss. Ihre Wände bestehen im Innern aus roten Ziegeln, außen ist die Kirche weiß geschlämmt. Das lichtdurchflutete Zeltdach verleiht dem Interieur etwas Atriumhaftes.
Adresse/Öffnungszeiten: Toeplerstr. 1, U7 Halemweg. Diese Kirche gehört zur → evangelischen Kirchengemeinde Charlottenburg Nord und ist in der Regel nach den Gottesdiensten (So um 11 Uhr) für die Besichtigung geöffnet.
Neubau der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche: Der Promi
Von der alten neoromanischen Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche aus dem späten 19. Jahrhundert blieb nach 1945 nur die Eingangshalle übrig. Die Kriegsruine, die im Volksmund auch als „hohler Zahn“ bezeichnet wird, kann besichtigt werden.
Rechts und links der Turmruine stehen die Neue Kirche, der Neue Turm und die Neue Gemeindekapelle. Entworfen hat die umstrittenen Baukörper der Architekt Egon Eiermann (1904–1970) in den 1960er-Jahren. Ursprünglich sah Eiermanns Projekt den Abriss der Ruine vor, was jedoch für vehemente Proteste unter den Berlinern sorgte.

Das Innere der Neuen Kirche in Form eines Oktogons tauchen über 22.000 kleine blaue Glasfenster in ein eigentümliches Licht. Über dem Altar thront eine aus Tombak getriebene mächtige Christusfigur. An sich ein tolles Fotomotiv, das wir Euch hier allerdings nicht zeigen dürfen. Eine Genehmigung zur Veröffentlichung wurde uns nicht erteilt.
Adresse/Öffnungszeiten: Breitscheidplatz, U1 und U9 Kurfürstendamm. Täglich 10 bis 18 Uhr geöffnet, gedaechtniskirche-berlin.de.
Epiphanien-Kirche: Die Backsteinburg
Die evangelische Epiphanien-Kirche besticht durch ihre Diskrepanz zwischen Äußerem und Innerem. Von außen wirkt das Gotteshaus aus dem frühen 20. Jahrhundert zunächst fast wie eine klassische Kirche im märkischen Backsteinstil. Das völlig konträre Innere rührt von einem Umbau in den späten 1950er-Jahren her, nachdem die Kirche im Zweiten Weltkrieg ausgebrannt war.

Für die Wiederherstellung des Kircheninterieurs zeichnete der Architekt Konrad Sage (1911–1989) verantwortlich. Der Halbjude Sage hatte es während des Dritten Reichs alles andere als einfach. 1944 erhielt er Berufsverbot. Als politisch unbelasteter Architekt stieg er nach dem Krieg allerdings schnell auf und wurde 1945 Professor an der Hochschule für Bildende Künste in Berlin.
Konrad Sage drehte die Gebäudeachse um 90 Grad, sodass der Altar nun auf der Nordseite liegt. Das neue Dach besitzt ein skulptural wirkendes Aluminiumtragwerk, auf das von innen freie Sicht besteht. Bemerkenswert ist auch die Orgelgalerie.

Adresse/Öffnungszeiten: Knobelsdorffstr. 72/74, U2 Kaiserdamm. Nur für Gottesdienste (So um 10 Uhr) der → evangelischen Kirchengemeinde Epiphanien geöffnet.
Maria Regina Martyrum: Gedenkkirche für die Märtyrer des Dritten Reichs
Die katholische Kirche Maria Regina Martyrum wurde zwischen 1960 und 1963 als „Gedächtniskirche der deutschen Katholiken zu Ehren der Blutzeugen für Glaubens- und Gewissensfreiheit in den Jahren 1933–1945“ erbaut. Der Ort so nahe an der Gedenkstätte Plötzensee, eine Hinrichtungsstätte unter den Nazis, war bewusst gewählt.
Federführender Architekt war der Würzburger Hans Schädel (1910–1996), eine der prägenden Persönlichkeiten des katholischen Kirchenbaus der Nachkriegszeit. Die Aufhebung der Trennung von sakraler und profaner Architektur war ihm wichtig.
Die Kirche steht in einem von Betonmauern eingefassten Hof, der an einen Appellhof erinnert. Nebenan der 25 Meter hohe Glockenturm. Der bronzene Kreuzweg mit 15 Stationen stammt vom Künstler Otto Herbert Hajek. An der Fassade prangt die Skulptur „Apokalyptische Frau“ von Fritz Koenig.

Das Kircheninnere unterteilt sich in eine Ober- und eine Unterkirche. Die Oberkirche mit dem eigentlichen Kirchenraum erreicht man über eine Treppe. Der Raum mit seinen fensterlosen Sichtbetonwänden ist zur Gedenkstätte Plötzensee hin ausgerichtet.

Zu den vielen katholischen Christen, die im Dritten Reich aus Glaubensgründen umkamen, gehörten der regimekritische Katholik Erich Klausener (1934 erschossen) und der Berliner Dompropst Bernhard Lichtenberg (1943 auf dem Weg ins KZ Dachau verstorben). Ihre sterblichen Überreste befinden sich heute in der Gedenkkirche.
Adresse/Öffnungszeiten: Heckerdamm 230/232, U7 Jakob-Kaiser-Platz. Tägl. 8–18 Uhr geöffnet, gedenkkirche-berlin.de.
Gemeindezentrum Plötzensee: Die Gedenkkirche der Protestanten
Das Gemeindezentrum nur ein paar Schritte weiter an der gleichen Straße ist das evangelische Pendant zur Gedenkkirche Maria Regina Martyrum. Es wurde 1970 eingeweiht, mehrere Architekten waren im Spiel. Hier gedenkt man der evangelischen Opfer des Nationalsozialismus. Und auch hier hat ein bedeutender Künstler einen Beitrag geleistet: Der „Plötzenseer Totentanz“ im Inneren der Kirche, ein aus 16 Tafeln bestehendes Kunstwerk, stammt vom Wiener Künstler Alfred Hrdlicka. Verweisen sollen die Tafeln auf die Bedrohung der Menschen durch Gewalt, Willkür und Macht.

Die Kirche wurde in einen Wohnkomplex integriert, ist sozusagen ein Haus im Haus. Der Altar steht mitten im Raum, drum herum Bänke im Quadrat. Auch die Anordnung der Lichtkugeln darüber finden wir sehr spannend:

Adresse/Öffnungszeiten: Heckerdamm 226, U7 Jakob-Kaiser-Platz. Die Kirche kann Mo–Fr von 10 bis 12 und Do von 16 bis 18 Uhr besichtigt werden. Weitere Infos auf charlottenburger-norden-evangelisch.de.
WILMERSDORF
Kirche am Hohenzollernplatz: Ein Kraftwerk Gottes
Ein Hingucker, innen wie außen. Auf die Frage nach der extravagantesten Kirche Berlins würden wir direkt auf sie verweisen. Dazu noch gibt es über diesen Sakralbau viel Spannendes zu erzählen.
Die Entwürfe für die mächtige evangelische Backstein-Trutzburg gehen auf den jüdischen, aus Warschau stammenden Architekten Ossip Klarwein (1893–1970) zurück. Von 1926 an arbeitete er als Chefarchitekt unter Fritz Höger, dem damals weltweit als „Klinkerfürst“ bekannten Backsteinexpressionisten. Viele der markanten Monumentalbauten aus dem Höger-Architekturbüro entstammen den genialen Ideen Klarweins.
Der mächtige Sakralbau samt 66 Meter hohem Turm hat Anklänge an die Industrie- und Kraftwerksarchitektur der damaligen Zeit. Die Vorhalle ist mit glänzenden Mosaiken geschmückt und besitzt fast orientalischen Charakter.
1933 wurde die Kirche eingeweiht. Göring war bei der Eröffnung zugegen, Klarwein durfte nicht teilnehmen. Wenig später emigrierte Klarwein nach Palästina. Sein Chef Fritz Höger (NSDAP-Mitglied seit 1932) hatte ihm zu einem Ausreisevisum verholfen. Während Höger nach dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr an seine früheren Erfolge anknüpfen konnte (er verstarb 1949), wurde aus Klarwein ein gefragter Architekt in Israel. Zahlreiche Großprojekte gehen auf ihn zurück, unter anderem der Hauptbahnhof von Tel Aviv und die 1966 eröffnete Knesset. In Israel musste sich der zweifach vertriebene Jude Klarwein immer wieder vorwerfen lassen, eine faschistische Formensprache zu verwenden. Sein Leben taugt für eine spannende Verfilmung.
Die Kirche am Hohenzollernplatz brannte 1943 aus. 1961 war sie wieder instandgesetzt, in den frühen 1990er-Jahren wurde sie nochmals saniert. Beide Restaurierungen führten zu dem heute sehr eigenwilligen Farb- und Lichtkonzept im Inneren. Der Kirchenraum wirkt fast wie ein umgedrehter Schiffsrumpf – ein Raumwunder. Heute hält darin unter anderem die chinesische christliche Gemeinde ihre Gottesdienste ab.

Adresse/Öffnungszeiten: Nassauische Str. 66–67, U2 und U3 Hohenzollernplatz. Wer die Kirche besichtigen will, schaut am besten kurz vor oder nach den Gottesdiensten vorbei. Die Zeiten findet Ihr hier.
Erste Kirche Christi, Wissenschafter: Bartning zum Zweiten
Ihr könnt ruhig zwei Mal lesen, der Name der Kirche ist sperrig. Die „Erste Kirche Christi, Wissenschafter“ ist das Zentrum der Gemeinde der so genannten „Christlichen Wissenschaft“ (Christian Science), einer im 19. Jahrhundert in Boston entstandenen religiösen Bewegung. Diese orientiert sich am Calvinismus und Puritanismus. Die Dreieinigkeit wird abgelehnt, Taufe und Abendmahl gibt es nicht.
Christian Science fasste an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert auch in Berlin Fuß. 1937 erhielt die Gemeinde ein Kirchengebäude in Wilmersdorf. Die Entwürfe stammten von keinem Geringeren als Otto Bartning (siehe Gustav-Adolf-Kirche in Charlottenburg). Die Kirche sollte seine einzige nicht-protestantische werden.
Die Zeit des Nationalsozialismus war auch für die Christlichen Wissenschafter keine einfache: 1941 wurden sie verboten, 1943 wurde ihr Haus zerbombt. In den 1950er-Jahren baute Otto Bartning die Kirche wieder auf bzw. um – quasi als Fortsetzung der Idee der Neuen Sachlichkeit in einer anderen Zeit.
Wie auch andere Kirchen der Gemeinde wirkt die Berliner Kirche eher wie ein Konferenzsaal denn ein sakraler Ort. Es gibt kein Kreuz über dem Altar und keine Kerzen. 800 Gemeindemitglieder haben in dem schönen lichten Saal mit dem grünen Teppichboden Platz.
Adresse/Öffnungszeiten: Wilhelmsaue 112, U7 Blissestraße. Die Kirche kann vor oder nach den Gottesdiensten (So um 10 Uhr) besichtigt werden. Weitere Infos auf christlichewissenschaft.org.
SPANDAU
Christopheruskirche: Rotunde mit viel Holz
In einem Wohnviertel der Siemensstadt stößt man auf die evangelische Christopheruskirche, die erst seit 1991 so heißt – vorher nannte man sie schlicht „Evangelische Kirche Siemensstadt“.
Die 1931 geweihte Backsteinkirche besitzt einen ziemlich klotzigen, rechteckigen Turm. Ihren Charme entfaltet sie im Inneren: Der außergewöhnliche Altarraum ist in einer zehn Meter hohen Rotunde mit Kegeldach untergebracht. Viel Holz wurde darin verarbeitet, beachtenswert ist insbesondere die tolle Holzdecke mit dem Auge Gottes im Strahlenkranz.


Architekt der Kirche war Hans Hertlein (1881–1963), der damalige Leiter des Bauwesens im Siemens-Konzern. Er zeichnete auch für einige markante Industriegebäude in der Siemensstadt verantwortlich.
Adresse/Öffnungszeiten: Schuckertdamm 336–340, U7 Siemensdamm. Die Kirche kann von Mai bis Mitte September jeden Do von 16 bis 18 Uhr besichtigt werden, von Mai bis Juli zudem jeden ersten So von 16 bis 18 Uhr. Die Zeiten können auf evangelische-siemensstadt.de gegengecheckt werden.
St.-Wilhelm-Kirche: Der Glaskubus
Die katholische St.-Wilhelm-Kirche, ein Kubus aus Glas und Stahlbeton, befindet sich in der gemütlichen Wilhelmstadt. 1965 wurde sie eingeweiht. Von außen könnte man den Sakralbau glatt mit einer Industriehalle verwechseln, wäre da nicht der Campanile nebenan. In den Innenraum fällt abgeschattetes Licht durch die lamellenartigen Fensterschlitze. Das Flachdach darüber besitzt ein offenes Tragwerk aus Okatplatten.


Die Kirche verfügt über ein Untergeschoss, in dem sich die Gemeinderäume befinden. Verantwortlicher Architekt: Ulrich Craemer (1919–2009), der vornehmlich in Trier wirkte.
Adresse/Öffnungszeiten: Weißenburger Str. 9–11, von S+U Rathaus Spandau mit Bus M 36 zu erreichen, Haltestelle Weißenburger Straße. Die Kirche kann nur vor oder nach den Gottesdiensten besichtigt werden (So um 9.30 Uhr), weitere Infos auf sankt-wilhelm.de.
MODERNE KIRCHEN IN MITTE
St.-Adalbert-Kirche: Clemens Holzmeisters zweitnördlichster Sakralbau
Eine ganz besondere kleine Kirche findet man in einem Hinterhof zwischen Linienstraße und Torstraße. Als Kirche gibt sie sich nur von der Linienstraße zu erkennen, einen Glockenturm sucht man vergebens. Die Kirche wurde 1934 geweiht. Damals war das heute so versnobte Eck ein Arme-Leute-Viertel.
Architekt des von außen backsteinexpressionistisch geprägten, von innen schlicht-schönen Kirchenbaus war der Tiroler Clemens Holzmeister, einer der international bekanntesten österreichischen Kirchenbaumeister der Moderne. Holzmeister war zwischen 1928 und 1933 Professor an der Kunstakademie Düsseldorf. 1938 emigrierte er in die Türkei und war dort am architektonischen Aufbau der kemalistischen Republik beteiligt.

Die spannenden Lichtverhältnisse im Inneren der St.-Adalbert-Kirche rühren von den drei Fenstern in der Altarapsis, die sich in fünf Metern Höhe befinden. Mit dem Gesicht zum Altar erblickt man auf der linken Wand das so genannte „Trenker-Kreuz“. Das Geschenk des Schauspielers Luis Trenker an seinen Freund Clemens Holzmeister ist ein Requisit aus dem Trenker-Film „Der Rebell“ (von dem Hitler übrigens ganz begeistert war).

„Der Bau von St. Adalbert bleibt eine der schönsten Erinnerungen meines Lebens.“
Clemens Holzmeister
Mehr noch als das Kirchenschiff fasziniert uns der formvollendete Seiteneingang von der Linienstraße her. Seht selbst:

Den Krieg überlebte die Kirche relativ unbeschädigt, da sie zu unscheinbar war, um als kriegswichtiges Ziel zu dienen. Nach 1945 wurde sie von der Roten Armee als Pferdestall benutzt. Heute gehört sie zum Erzbistum Berlin.
Adresse/Öffnungszeiten: Torstr. 168, U8 Rosenthaler Platz. Di 18–18.30 Uhr, Do 7–8 Uhr, So 15–17 Uhr geöffnet. Weitere Infos auf erzbistumberlin.de.
St.-Ansgar-Kirche: Mid-Century-Moderne im Hansaviertel
Das historische Hansaviertel, ein Wohngebiet zwischen Spree und Großem Tiergarten, ging bei den Luftangriffen im Zweiten Weltkrieg zu 90 Prozent flöten. Das neue Hansaviertel entstand im Rahmen der Internationalen Bauausstellung Interbau im Jahr 1957. Die Bauausstellung war ein Paradebeispiel in Sachen Stadtplanung der Nachkriegsmoderne, mehr als 55 Architekten aus aller Welt lud man dazu nach West-Berlin. Das Hansaviertel ist ein Must-see für alle Mid-Century-Fans. Wir werden noch in einem separaten Artikel davon berichten.

In diesem Artikel beschränken wir uns auf die beiden Sakralbauten des neuen Hansaviertels. Da wäre zunächst die 1957 geweihte, katholische St.-Ansgar-Kirche zu nennen, der Nachfolgebau des im Bombenhagel 1943 zerstörten Vorgängers. Architekt Willy Kreuer (1910–1984) schuf einen transparenten Stahlbetonskelettbau, der im Inneren so luftig wirkt wie ein Spitzendeckchen. Nebenan steht ein filigraner Campanile.
Adresse/Öffnungszeiten: Klopstockstr. 31, U9 Hansaplatz. Zugänglich nur zu, vor oder nach Gottesdiensten, Termine hier.
Kaiser-Friedrich-Gedächtniskirche: Außen trutzig, innen bunt
Wo heute die Kirche des Architekten Ludwig Lemmer (1891–1983) aus dem Jahr 1957 steht, befand sich bis zum Zweiten Weltkrieg ein neugotisches Gotteshaus. Dieses brannte im Zweiten Weltkrieg aus, die Reste des zerstörten Baus wurden 1954 gesprengt.
Der Nachfolger der alten Kirche wurde das bedeutendste Werk des Remscheider Architekten Lemmer. Von außen wirkt das Gotteshaus aus Beton mit dem auskragenden Dach bunkerartig, ja abweisend. Für den 68 Meter hohen Turm mit auffälliger Wendeltreppe fand die kreative Berliner Schnauze schnell einen Spitznamen: „Seelenbohrer“.

Innen ist das Gebäude künstlerisch reich ausgeschmückt. Die monumentale Mosaikwand hinter dem Altar ist dabei genauso catchy wie die schönen Glasornamentfenster, durch die reichlich Licht einfällt.
Adresse/Öffnungszeiten: Händelallee 20, U9 Hansaplatz. Sa 13–16 Uhr geöffnet, ev-gemeinde-tiergarten.de.
PRENZLAUER BERG
St.-Augustinus-Kirche: Kirchenraum in Bonbonfarben
Von außen wirkt die zwischen Wohnhäusern eingebettete, spätexpressionistische Backsteinkirche düster. Hat man jedoch einmal eines der beiden Spitzbogenportale durchschritten, ist der Eindruck gleich ein anderer. Im Inneren nämlich erwartet den Besucher ein bezaubernder Saal im pastellfarbenen Kleid. Der Kirchenraum besitzt ein Kuppelgewölbe mit zentralem Oberlicht und diverse Nischen. Das Altarbild ist ein Goldgrundmosaik.


Hinter der 1928 eingeweihten Kirche stecken die beiden wenig bekannten Architekten Josef Bachem (1881–1946) und Heinrich Horvatin (1890–1970). Das Innere des Sakralbaus ist, außergewöhnlich für zentral gelegene Kirchen der Vorkriegszeit, komplett erhalten. Selbst die ursprüngliche Farbgebung ist seit der letzten Sanierung wieder die gleiche.
Adresse/Öffnungszeiten: Dänenstr. 17/18, U2 und S Schönhauser Allee. Die Kirche ist Mo–Fr von 12–13 Uhr für Gebete und stille Besichtigungen geöffnet. Weitere Infos auf heiligefamilie-berlin.de.
REINICKENDORF
Apostel-Johannes-Kirche: Betonschick
Die 1971 eingeweihte, evangelische Apostel-Johannes-Kirche passt perfekt zu ihrem Standort: Sie liegt inmitten des Märkischen Viertels, einer Trabantenstadt im Bezirk Reinickendorf. „Quadratisch. Brutalistisch. Gut.“ So stellt die Gemeinde ihre Kirche auf der eigenen Webseite vor.
Die Architektengemeinschaft Neumann, Grötzebach & Plessow (NGP) schuf ein wuchtiges Gebäude aus Sichtbeton, in dem sich nicht nur der eigentliche Kirchenraum, sondern auch eine Bibliothek und andere öffentlich zugängliche Räume befinden.
Auch im kargen Kirchenraum sieht man vor allem eins: feinsten Beton. Selbst der Altar ist aus diesem Material. Heute wirkt der Raum, an dessen Wänden teilweise Blattsilber glitzert, wieder erstaunlich zeitgemäß, ja sogar herb-elegant:
Adresse/Öffnungszeiten: Dannenwalder Weg 167, von S oder U8 Wittenau mit Bus M21 weiter bis Wilhelmsruher Damm/Treuenbrietzener Straße. Die Kirche ist nur zu Gottesdiensten geöffnet, die Termine findet Ihr hier.
St.-Nikolaus-Kirche: Zickzackwände
Die katholische St.-Nikolaus-Kirche in Wittenau wurde 1961 eingeweiht. Die Entwürfe stammen von der Architektengemeinschaft Heinz Völker und Rolf Grosse, die auch für das wieder errichtete Schillertheater verantwortlich zeichnete.
Schon von außen wirkt der niedrige Kirchenbau mit dem neben stehenden Campanile verschachtelt und eigenwillig. Dieser Eindruck setzt sich im Inneren der polygonal geschnittenen Saalkirche fort. Seinen ganz besonderen Charakter gewinnt der Kirchenraum durch die zickzackförmigen Seitenwände mit den raumhohen, farbigen Sprossenfenstern. Besonders faszinierend wirken diese, wenn man sie mit dem Rücken zum Altar betrachtet.


Adresse/Öffnungszeiten: Techowpromenade 35–43, U8 Wittenau. Die Kirche ist nur zu Gottesdiensten geöffnet. Die Termine findet Ihr hier.
ZUSATZTIPP
Mehr zu den Kirchenbauten Berlins könnt Ihr auf dem Blog → Kirchenbauforschung nachlesen. Mit Blogger Konstantin Manthey kann man zudem jeden ersten Mittwoch im Monat eine Kirche entdecken. Termine auf https://www.katholische-akademie-berlin.de/veranstaltungen/veranstaltungsreihen/kirchenfuehrungen/.
MEHR ARCHITEKTURTHEMEN
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Hallo Michael
Da bin ich selber Berlin und habe Berlin so noch nicht gesehen. Danke für Deinen Beitrag.
Mike
Da siehste mal ;-)! Aber ganz im Ernst: Viele der Kirchen liegen ja auch sehr abseitig, und Berlin ist groß.
Faszinierend. Ich wusste gar nicht, dass es in Berlin so viele moderne Kirchen gibt. Bei uns in der Schweiz sind die extrem extrem selten. Aber ihr habt mich gerade dazu inspiriert, einmal einen analogen Beitrag mit den modernen Kirchen der Schweiz zu machen. Habe ja einige davon schon besucht.
Danke fürs Feedback, Oli. Und mach das mit dem Beitrag – da sind wir sehr gespannt!