Lissabon und Street Art, das ist wie Prag und Kafka, wie München und Hofbräuhaus. Hunderte von bunten Murals schmücken die Stadt am Tejo. Ein paar der renommiertesten Streetart-Künstler der Welt sind Kinder Lissabons, man denke nur an Vhils oder Bordalo II.
Doch wo anfangen und wo aufhören bei der Suche nach guter Street Art in Lissabon? Es gibt so viele interessante Viertel. Wir wollten bei unserem letzten Besuch mal raus aus dem touristischen Zentrum und Murals in Gegenden suchen, die man so nicht sofort auf dem Schirm hat.
Geplant war zunächst eine Street-Art-Tour durch Sacavém, eine Vorstadt ganz im Norden von Lissabon, bekannt für über 100 Murals. Sie sollten dazu beitragen, aus einem sozialen Brennpunkt mit hoher Kriminalitätsrate eine besuchenswerte Gegend zu machen. Doch enttäuschender konnte unsere Fahrt dorthin nicht enden. Kurz vor unserem Besuch waren in Sacavém Malerbrigaden unterwegs gewesen. Als wir ankamen, blickten wir auf frisch gestrichene Wände, kein einziges Mural hatten sie verschont. Ob sich hier künftig wieder Streetart-Künstler austoben (dürfen), wissen wir nicht. Derzeit auf jeden Fall lohnt sich eine Fahrt nach Sacavém überhaupt nicht!

So entschieden wir uns für eine Street-Art-Tour durchs Bairro Padre Cruz. Alle hier vorgestellten Murals stammen aus den Jahren 2016 und 2017. Wir zeigen Euch die unserer Meinung nach schönsten.
Tour-Info: Ausgangspunkt unserer Street-Art-Tour durchs Bairro Padre Cruz ist die Metrostation Pontinha – easy vom Stadtzentrum Lissabons zu erreichen. Unsere Tour ist ca. 3,5 Kilometer lang, zwei bis drei Stunden solltet Ihr einplanen.
Street-Art-Tour Bairro Padre Cruz: Inhaltsverzeichnis
Kurzvorstellung Bairro Padre Cruz
Das insgesamt wenig aufregende Bairro Padre Cruz im Norden von Lissabon ist ein Viertel im Umbruch. Bislang dominiert sozialer Wohnungsbau. Die meisten Menschen leben in langweiligen Wohnklötzen in den Farben Gelb, Orange und Beige. Aus vielen offenen Fenstern hört man afrikanische Musik – das Bairro Padre Cruz ist migrantisch geprägt.
Doch auch lichte Neubauten sind im Entstehen – das sorgt für viele Baustellen. Dazwischen Grünflächen, an sich gepflegt, aber voller ausgetrockneter Tretminen.
Im östlichen Bereich grenzen niedrige, laubenartige Steinhäuser mit Gärten das Bairro Padre Cruz ab. Dahinter Felder, die in naher oder ferner Zukunft zu Bauland werden. Im Bairro Padre Cruz tut sich viel, was auch hier zum Verschwinden diverser Murals führen kann. Wer die von uns beschriebenen Pieces sehen will, sollte also nicht allzu lange warten.
Von der Metrostation Portinho ins Bairro
Smile: Untitled

Adresse: Rua Regimento de Engenharia Um
Das erste Mural unserer kleinen Street-Art-Tour durchs Bairro Santo Cruz seht Ihr schon wenige Minuten nach Verlassen der Metrostation Portinha. Ein fotorealistisch dargestellter, haariger Männerarm greift sich einen Soldaten wie eine Mensch-ärgere-dich-nicht-Figur, um ihn vom einen Ort an einen anderen zu versetzen. Das Militär – ein Spielball in der Hand der Politik? Was genau uns der Lissaboner Streetart-Künstler → Smile mit dem Mural sagen will, wissen wir nicht. Die militärkritische Intention ist dem Mural jedoch kaum abzusprechen, zumal es an einer Straße zu sehen ist, die dem Pionierregiment Nr. 1 der portugiesischen Armee gewidmet ist.
Smile aka Ivo Santos ist ein Lokalmatador, der nahebei wohnt und 1985 in Lissabon geboren wurde. Er ist in der Hiphop-Kultur verwurzelt und seit Anfang der Nullerjahre auf den Straßen Lissabons unterwegs. Er scheut auch vor kommerziellen Aufträgen nicht zurück, arbeitete schon für Nissan oder McDonald’s.
Murals im Süden des Bairro Padre Cruz
Borondo: Rivers Chapter

Adresse: Rua Professora Maria Leonor Buescu 123a
Wir nehmen uns zunächst den Süden des Bairro Padre Cruz vor und finden dort an einer Häuserwand über der Pastelaria Lias ein Mural, das uns außerordentlich gut gefällt. Das sich im Wasser spiegelnde Paar, dessen Umrisse schemenhaft zerfließen, stammt vom Spanier Borondo bzw. → Gonzalo Borondo.
Gonzalo Borondo, der vornehmlich in Italien und Spanien arbeitet, ist heute auch multimedial und in der Glaskunst unterwegs. Seine großen Themen: der Mensch und die Natur. Seine künstlerische Karriere begann er als Muralist.
SKRAN: Untitled

Adresse: Rua Professora Maria Leonor Buescu 117
Überaus beeindruckend ist auch das nächste Mural nur wenige Meter weiter an der gleichen Straße. Das Problem nur bei unserem Besuch: Ein Gerüst versperrt die wunderbare Arbeit von → SKRAN, die so nicht richtig wahrzunehmen ist.
Wir hoffen, Ihr habt bei Eurer Tour durchs Bairro Padre Cruz mehr Glück. Toll, wie dem älteren Mann mit Brille andere Persönlichkeiten förmlich aus dem Kopf zu wachsen scheinen.
SKRAN vermischt gerne Stile, liebt auch Geometrisches. Er lebt in Alamada, einer Stadt, die nur durch den Tejo von Lissabon getrennt ist.
André Nada: Untitled

Adresse: Rua Professor Francisco Pereira de Moura
Über der Farmácia Padre Cruz fällt uns ein schwarz-weißes Mural auf, das eine liegende Figur zeigt, die mit einem Fernrohr (?) in die Weite schaut. Die Arbeit stammt vom portugiesischen Künstler André Nada, dem wir bereits auf unserer → Street-Art-Tour durch Lagos begegnet sind.
André Nadas Figuren sind stets monochrom und besitzen keine Gesichter. Mehr über den Künstler konnten wir bislang leider nicht herausbekommen. Er scheint keine Webseite zu haben und ist auch auf den sozialen Medien nicht aktiv.
Weiter Richtung Bibliothek
Slap SKTR: Untitled

Adresse: Rua Prof. Almeida Lima 52
Man muss sich nur einmal um die eigene Achse drehen, um der nächsten Arbeit gegenüber zu stehen. Auf der verkachelten Rückwand eines langweiligen Wohnblocks sehen wir ein blau-weißes Mural, das sich auf den ersten Blick einer altbekannten Szene aus dem Neuen Testament widmet: Jesus wird von römischen Soldaten zur Kreuzigung gebracht.
Auf den zweiten Blick wird klar, dass die vermeintlichen Soldaten jedoch keine Lanzen, sondern Malerrollen in den Händen halten. Und Jesus trägt kein Kreuz, sondern eine Art Staffelei.
Was das Ganze zu bedeuten hat? Das weiß vermutlich nur der portugiesische Streetart-Künstler Slap und seine Crew SKTR. Die Crew hat sich eigentlich mehr dem traditionellen Graffiti-Writing verschrieben, kreiert aber durchaus auch größere Murals, die oft in Blautönen gehalten sind.
Bigod: Untitled

Adresse: Ecke Rua Prof. Almeida Lima/Rua Prof. Sedas Nunes
Gleich gegenüber steht der Mercado Temporário, ein provisorischer Markt. Dahinter versteckt sich eines unserer Lieblingsmurals im Bairro Padre Cruz: ein Stencil von → Bigod. Es ist zwar flächenmäßig nicht das größte, dafür eines der künstlerisch wertvollsten. Eine Oma in Filzpantoffeln liest aufmerksam in einem Buch, was der Enkel (?) in Hoodie und Sneakers irgendwie nicht so recht zu verstehen scheint.
Bigod heißt im echten Leben João Domingos, er stammt aus Santarém. Oft verbindet er in seinen Stencils Geometrisches mit Organischem. Wir sind ihm bereits auf unserer → Street-Art-Tour durch Lagos begegnet.
Diogo Camilo: Natália Correia

Adresse: Rua Rio Cávado
Keine 100 Meter weiter nördlich an der gleichen Straße wird auch gelesen, und zwar in der Biblioteca des Viertels, die nach der Schriftstellerin Nátalia Correia (1923–1993) benannt wurde. Nátalia Correia wurde auf São Miguel (Azoren) geboren und zog später zum Studium nach Lissabon. Unter Salazar überwacht und zensiert, wurde Nátalia Correia nach der Nelkenrevolution Abgeordnete der Sozialdemokratischen Partei. Von ihr stammt der Text der Hymne der Autonomen Region der Azoren.
Nátalia Correia ist auch auf dem Mural des Künstlers Diogo Camilo zu sehen, der sie in einem Buch lesend zeigt.
Murals im Osten des Bairro Padre Cruz
Im Osten präsentiert sich das Bairro fast ländlich. Niedrige einfache Einfamilienhäuser oder schlichte Häuschen mit kleinen Gärten bestimmen das Bild. In den Gärten Zitronenbäume und Kampfhunde. Die meisten der schmalen Straßen wurden nach portugiesischen Flüssen benannt. An ihnen verstecken sich einige kleinere Streetart-Perlen.
Tamara Alves: Fire Walk with Me

Adresse: Rua do Rio Coura 19
Diese Arbeit ist die einzige dieser Tour, die von einer Frau stammt. Traurig aber wahr: Immer noch ist die Streetart-Szene eine von Männern dominierte Domäne. Die Künstlerin → Tamara Alves lebt in Lissabon. Ihre immer wieder kehrenden Motive: Frauen (meist sie selbst), Flora und Fauna. Viele ihrer eindrucksvollen Murals sind deutlich größer, diese kleinere zarte Arbeit wirkt fast skizzenhaft.
Arbeiten von Tamara Alves haben wir bereits auf unseren Street-Art-Touren durch → Porto und → Lagos bewundert. Selbst auf den Kapverden sind wir neulich einem Mural von ihr begegnet.
Add Fuel: Comvida

Adresse: Rua Rio Mondego
Zwei Straßen weiter nördlich treffen wir auf die Arbeit eines Künstlers, den wir ebenfalls bereits in → Lagos kennen gelernt haben: → Add Fuel aka Diogo Machado. Blau, Blau, Blau sind alle seine Farben. Diogos Steckenpferd ist die traditionelle Azulejo-Thematik, was auch diesem Mural deutlich anzumerken ist. Add Fuel lebt und arbeitet in Cascais.
Frederico Draw und Contra: Tudo Isto é Fado

Adresse: Rua Rio Mondego
Nur ein paar Schritte weiter, steht man diesem leider schon etwas mitgenommenen Mural gegenüber. Es handelt sich um eine Gemeinschaftsarbeit der Künstler → Frederico Draw und → Contra, beide aus Porto. Sie machen öfters gemeinsame Sache.
Arbeiten von Frederico Draw kennen wir bereits aus → Porto und → Lagos, immer wieder porträtiert er alte und ältere Männer mit vielen Falten im Gesicht. Das ist auch hier der Fall. Wer der Mann hier allerdings ist, wissen wir nicht. Genauso wenig können wir mit dem Titel des Murals („Das ist alles Fado“) etwas anfangen.
The Empty Belly: Limits of Nowhere

Adresse: Rua Rio Guadiana
Noch eine Straße höher erwartet uns ganz großes Streetart-Kino – groß im Sinne von „großartig“, nicht von „riesig“. Das monochrome Mural dieses schlafenden Embryos ist überaus detailliert ausgearbeitet. Die Falten des Babyspecks, die Härchen – alles da.
Die gepunkteten Arbeiten von → The Empty Belly aka Tiago Francez sind Ultraschallbildern nachempfunden und haben einen hohen Wiedererkennungseffekt. Tiago Francez ist in den verschiedensten Disziplinen unterwegs und bildhauert auch. Farben mag er augenscheinlich nicht. Ein starkes Œuvre, von dem wir gerne mehr sehen würden.
Zurück ins Herz des Bairro Padre Cruz
Francisco Camilo: Untitled

Adresse: Rua Rio Guadiana 5
Ganz im Norden des Bairro Padre Cruz sehen wir an der Seitenwand eines Wohnhauses ein schönes Mural von einer Frau mit Lockenkopf und geschlossenen Augen. Verantwortlich dafür ist der Streetart-Künstler → Francisco Camilo aus Santarém. Er studierte Kunst an der Universidade de Lisboa und entdeckte während dieser Zeit seine Liebe zur Urban Art.
Wer von hier weiterspaziert in den zentralen Bereich des Bairro Padre Cruz, wird an fast jedem Gebäude ein Mural entdecken. Man wird schier überflutet von Wandgemälden. Das große ABER: Die meisten Murals mögen ihrer Größe wegen catchy sein, bieten in unseren Augen aber mehr Masse statt Klasse. Schaut Euch einfach um und urteilt selbst. Hier haben wir ein paar Beispiele zusammengesammelt:
Pariz One und Telmo Miel: Two of One Kind
Adresse: Rua Prof. Almeida Lima 23
Aber dann stehen wir doch noch vor einem Highlight. Dieses Piece hat das Zeug zur Ikone, es zählt zu den schönsten Murals Lissabons. Mit dem Doppelporträt eines ein bisschen traurig blickenden Mädchens haben sich gleich drei Großmeister der europäischen Streetart-Szene verewigt. → Pariz One ist ein 1984 geborener portugiesischer Sprayer, der an mittlerweile schon über 500 Wänden zugange war. Auf dem Mural ist seine Tochter Mia abgebildet.
Hinter → Telmo Miel wiederum steckt das niederländische Künstlerduo Telmo Pieper und Miel Krutzmann. Wir schätzen deren riesige Murals sehr, ein tolles gibt es auch auf unserer → Street-Art-Tour durch Ragusa zu entdecken.

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