„Neapel hat Capri und Ischia; Konstantinopel hat die Prinzeninseln.“
Gustave Schlumberger
Auf der Fähre zu den Prinzeninseln wird Istanbul plötzlich ganz kleinlaut. Der Sound der Stadt verebbt. Stattdessen hören wir das monotone Brummen der Schiffsmaschine. Wortfetzen anderer Passagiere. Und das höhnisch-irre Lachen der Möwen, die uns durch das Marmarameer begleiten. Wir schlürfen unseren Çay auf Deck, während die nicht enden wollende Skyline der Megacity an uns vorüberzieht. Voraus recken schon die ersten Inseln ihre grünen Köpfe aus dem Meer.
Wir sind unterwegs nach Büyükada, der größten der insgesamt neun so genannten Prinzeninseln im Marmarameer. Wir waren schon oft da. Dieses Mal allerdings wollen wir auf Büyükada übernachten. Der Insel mehr Zeit gönnen und die Stunden vor Ort erleben, die den Armadas von Tagesausflüglern versagt bleiben.
Hinkommen? Unterkommen? Tipps und praktische Infos zur Büyükada gibt es am Ende des Artikels.
Die autofreie Insel ist ein schmuckes Ding, dem die Bude eingerannt wird. Kein Geheimtipp also. Vor allem Touristen aus dem Nahen Osten und dem arabischen Raum kommen gerne. Hier nämlich finden sie die Schauplätze ihrer heißgeliebten türkischen Soaps. Der in den Serien dargestellte „moderne Islam“ mit selbstbewussten Frauen und Liebesdramen kommt dort gut an.
Inhaltsverzeichnis
Büyükada und die Prinzeninseln
Der Name „Prinzeninseln“ für den kleinen Archipel wird ausschließlich von Ausländern gebraucht. Die Bezeichnung stammt aus byzantinischer Zeit, als die abgeschiedenen Inseln im Marmarameer als Verbannungsorte für missliebige Prinzen und Prinzessinnen dienten. Die Istanbuler nennen sie schlicht „Adalar“, „Inseln“.
„Adalar“ ist der Plural von „Ada“. „Büyük“ heißt übersetzt „groß“ – „Büyükada“ ist somit die „Große Insel“. Ihr alter griechischer Name lautete Prinkipo. Während des Osmanischen Reichs lebten auf der Insel vor allem Juden, Armenier und Griechen. Ihre Kirchen, Klöster und Synagogen werden teils noch heute genutzt.
Auf Büyükada gibt es nur ein Städtchen. Der Rest der aus zwei Höhenrücken bestehenden Insel mit einem breiten Tal dazwischen ist von Kiefern und Pinien überzogen. Büyükada hat offiziell 7300 Einwohner, im Sommer dürften es aber deutlich mehr sein. Dann nämlich wird die Insel zur Sommerfrische der alten Istanbuler Oberschicht. Sie unterhält dort wunderschöne hölzerne Villen mit prächtigen Gärten, die teils Chalets im Schweizer Stil ähneln. Auch der Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk verbringt seine Sommer auf Büyükada.
Transport auf Büyükada
Über konventionelle Fahrzeuge verfügen auf Büyükada nur die Polizei, die Feuerwehr, der Notarzt und die Müllabfuhr. Alle anderen sind zu Fuß, mit dem Rad, mit Golf-Carts und E-Minibussen unterwegs.
Bis 2020 erledigten auf Büyükada noch Pferdekutschen den Transport, mehr als 1500 Pferde waren dafür im Einsatz. Die Kehrseite der Droschkenromantik: kranke, geschundene, von ihren Kutschern gehetzte Tiere. Jede Saison starben Hunderte von ihnen an Erschöpfung und Infektionskrankheiten aufgrund miserabler Haltungsbedingungen. Es grassierte gar der Rotz, eine Pferdeseuche, die es anderswo in Europa schon lange nicht mehr gibt.
Tierschutzverbände schlugen über Jahrzehnte Alarm. Die Abschaffung der Pferdedroschken ist dem Istanbuler Bürgermeister Ekrem İmamoğlu zu verdanken – er löste damit ein Wahlversprechen ein.
Gehupe, Stau, Abgase und Verkehrslärm – alles, was man gemeinhin mit Istanbul verbindet, ist auf Büyükada nicht vorhanden. Auf den Straßen Büyükadas herrscht dennoch kein Frieden auf Erden. Ihr müsst schon aufpassen, um nicht von einem Radfahrer, einem E-Rollerfahrer, einer E-Rikscha oder einem E-Minibüs über den Haufen gefahren zu werden.
Erste Spazierrunde durchs Zentrum
Auch wenn die dezibelstarke Welt Istanbuls auf Büyükada Lichtjahre entfernt scheint: Einsam ist man nur gemeinsam in den Gassen um den Fähranleger. Zumindest ab elf Uhr morgens, wenn eine Fähre nach der anderen einläuft.
Bevor Ihr den Fähranleger verlasst und losspaziert, solltet Ihr Euch die schöne überkuppelte Fährstation mal genauer anschauen. Das Gebäude im Stil des osmanischen Neoklassizismus entstand im Jahr 1914. Das Innere ist mit kunstvollen Fayencen ausgeschmückt.
Nahe dem Fähranleger blickt das Splendid Palas Oteli ehrwürdig auf das Treiben am Hafen. Es ist das erste Haus am Platze, ein strahlendweißer Holzpalast mit roten Fensterläden und Balkönchen für Prinzen und Prinzessinnen. 1908 wurde die Zuckertorte eröffnet. Seitdem ist sie in der Hand der gleichen Betreiberfamilie, mittlerweile in der sechsten Generation. Das unglaublich charmante, sackteuere Haus ist oft ausgebucht – hier bekommt Ihr alle Infos.
In den von Platanen beschatteten Gassen hinter dem Fähranleger wuselt und wimmelt es. Dönerstände, Souvenirhändler, Dönerstände, Souvenirhändler. Dazwischen werden Hubkarren voller Waren übers Pflaster geschoben.
An der Uferpromenade stehen Speisekartenwedler vor den Restaurants. In den ruhigeren Ecken sieht man Männer vor Kaffeehäusern Okey spielen, sieht man Instamädchen, wie sie sich aufwändig aufs Shooting vorbereiten. Anderen genügt ein Selfie mit einem bunten Eis. Dazwischen und überall: Katzen, alle fünf bis zehn Meter mindestens eine.
Zu Trotzkis Haus und anderen Villen
Zeit, sich die Villengegenden in den Hügeln oberhalb des Zentrums vorzunehmen. Konaks bzw. Konaklar nennt man diese prächtigen weißen Holzpalästchen mit ihren Schnitzveranden und gepflegten Gärten, die teils aussehen wie botanische Parks im Miniaturformat.
Für manche dieser extravaganten Bauwerke zeichneten osmanische Stararchitekten verantwortlich. Die so genannte Mizzi-Villa beispielsweise geht auf den italienischen Jugendstilarchitekten Raimondo d’Aronco zurück, der Haus- und Hofarchitekt Abdülhamit II. Gebaut wurde sie für Luigi Mizzi, einen maltesischen Juristen und Rechtsbeistand des Sultans. Mizzi war ein fanatischer Astronomiefan – seine außergewöhnliche Villa präsentiert sich daher als eine Mischung aus Wohnstätte und privatem Observatorium.
Nahe der Mizzi-Villa führt ein steiles Sträßchen hinauf zur Taş Mektep. Die stattliche Backsteinvilla wurde in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als Sommerresidenz des griechisch-orthodoxen Patriarchen Sophronios IV. errichtet. 1922, nachdem neue Zeiten im türkischen Nationalstaat angebrochen waren, wurde aus der feudalen Villa eine Schule. Als solches diente das Gebäude noch bis in die späten 1970er-Jahre.
Jüngst wurde die Taş Mektep restauriert und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Nun kann man hier in einer schönen kleinen Bibliothek schmökern und sich Ausstellungen anschauen. Oder man genießt einfach den Blick von der Terrasse.
Während wir die steilen Gassen Büyükadas durchwandern, blitzen hin und wieder in der Ferne, auf der anderen Seite des Marmarameers, die gläsernen Fassaden der Hochhäuser Istanbuls auf. Wir kommen am Trotzki-Haus (Trocki Evi) vorbei bzw. an dem, was davon übrig blieb. In dem einst pompösen Gebäude lebte der russische Revolutionär zwischen 1929 und 1933. Heute blickt man hier auf eine Ruine, zu deren Füßen Hühner im Dickicht gackern.
Das Trotzki-Haus ist nicht die einzige Ruine auf der Insel, es gibt sie gehäuft, auch in Bestlagen. Viele Häuser sind zu verkaufen. Eine Meerblickvilla ist ab 1,5 Millionen Euro zu haben.
Mit dem Rad zum alten griechischen Waisenhaus
Am besten erkundet Ihr die weiter abseits gelegenen Ecken der Insel mit dem Fahrrad. Radverleiher findet Ihr auf Büyükada an jeder zweiten Ecke. Sie haben alle die gleiche Art von Rädern: instagramige Teile mit bunten Körbchen samt Plastikblumenschmuck.
Wir radeln los, immer stadtauswärts, vorbei an der schicken neuen Nizam-Moschee aus dem Jahr 2023:
Unser nächstes Ziel: die riesige Ruine des ehemaligen griechischen Waisenhauses (Yetimhane). Das einst größte Holzgebäude der Welt ist heute zugleich einer der spektakulärsten Lost Places des Landes. Stumm bezeugt der gewaltige Bau zugleich die Größe und den Niedergang der griechischen Gemeinde Istanbuls. Das Areal, auf dem Schafe grasen, ist weiträumig abgesperrt, man kann aber durch den Zaun lugen.
Ein französischer Investor ließ den Holzpalast als Luxushotel erbauen. Doch im Prinkipo Palas wurde nie ein Gästezimmer vermietet. Schon ab 1903 diente das Gebäude als Waisenhaus, in Betrieb war es bis 1964. Bis zu 1000 Kinder lebten hier gleichzeitig. Heute gehört das supermorbide Gebäude dem Ökumenischen Patriarchat von Istanbul. Zukunft: ungewiss.
Die Küste des Inselsüdens
Wir steigen wieder auf unsere Flower-Power-Räder und radeln hinab zur Küste. Der herrliche Maitag lässt die Insel im besten Licht erscheinen. In der Luft hängt der würzige Duft der Pinien, ein sanfter Frühlingswind weht uns vom Meer ins Gesicht. Life is beautiful.
Und auf einmal haben wir die Insel für uns alleine. Der grüne, unschuldige Inselsüden scheint für die meisten Tagestouristen derart belanglos zu sein, dass man ihn schlicht ausspart. Unser Glück.
Wir radeln hoch über der Küste auf schmalen Sträßchen, wie wir sie eher von der türkischen Ägäis kennen. Zum Meer hin fallen die Klippen steil ab. An Panoramen fehlt es dieser Insel nicht. Blau blau blau blüht der Ozean.
Einen kleinen Stopp legen wir im Dilburnu Tabiat Parkı ein. Für ein kleines Eintrittsgeld gibt es dort Megaausblicke, ein paar kitschige Fotoecken für die, die gerne posen und posten, Picknickplätze und ein Restaurant.
Nebenan liegt der Yörükali-Strand, einer der wenigen Sandstrände auf Büyükada. Doch ehrlich: Wer einfach nur baden möchte, wird von Büyükada enttäuscht sein. Wer rund um Istanbul ins Wasser springen möchte, fährt besser nach Şile am Schwarzen Meer. Dort hat es schönere Strände, zudem mit einem sauberen Meer davor. Büyükada hat andere Qualitäten.
Im Südosten der Insel sehen wir Hallen mit grünen Dächern unterhalb der Küstenstraße. In ihnen vegetieren die noch auf der Insel verbliebenen ehemaligen Kutschpferde. Hin und wieder hört man ein Wiehern. Nebenan stapeln sich die alten Droschken.
Kurz vor unserer Rückkehr nach Büyükada-Stadt halten wir noch an zwei benachbarten christlichen Friedhöfen. Der ziemlich verwilderte katholische Friedhof kann dienstags nach Voranmeldung (Tel. 0216-2440243) besucht werden. Nebenan erstreckt sich der griechisch-orthodoxe Friedhof.
Am Abend auf dem Yücetepe
Zur Blauen Stunde wollen wir an einem ganz besonderen Ort sein: auf dem 202 Meter hohen Yücetepe, auf dem sich ein kleines Kloster befindet. Wir geben unsere Räder ab und fahren mit dem Minibus bis zur Station Lunapark.
Von dort führt ein steiler Treppenweg hinauf zum Georgskloster (Ayayorgi Manastırı) mit einem Kirchlein voller Ikonen.
Daneben ein simples Caférestaurant mit mehreren Terrassen und herrlichsten Ausblicken. Tagsüber ist der Hügel ein Touristen-Hotspot. Jetzt am Abend wird er zum Happy Place, zumindest für uns. Hier kann man genüsslich vorglühen, während die Gedanken weit fliegen.
Die Sonne verabschiedet sich gerade in den Feierabend, als wir wieder unten im Städtchen sind. Am Platz vor dem Fähranleger werden die Lichter angeknipst.
Wir drehen eine kleine Runde durch die nun leeren Straßen. Lassen uns in einem Lokal Meze auffahren. Dann verziehen wir uns in unser schönes Zimmer. Dort öffnen wir noch eine Flasche Wein und beobachten, wie das Lichtermeer Istanbuls aufdimmt. Wir sehen die Stadt, hören aber nur Stille – unterbrochen vom letzten Geschrei der Möwen.
Büyükada: Tipps und praktische Infos
Hinkommen
Von sieben Uhr morgens bis kurz vor Mitternacht fahren etwa stündlich Fähren von Istanbul-Kabataş. Die Fährfahrt dauert, je nachdem, welche Inseln unterwegs noch angesteuert werden, ein bis zwei Stunden.
Rumkommen
Wer nicht laufen oder Rad fahren will, ist auf die Minibusse angewiesen. Diese fahren bis 20.30 Uhr. Danach gibt es E-Taxis.
Unterkommen
- Günstige Unterkünfte gibt es wenig, an Wochenenden wird außerdem noch ordentlich draufgeschlagen. Vom → Splendid Hotel haben wir Euch oben schon erzählt – erste Sahne.
- Wir selbst haben zentral im → Hotel Mavi Palas übernachtet und uns sehr über das Upgrade (Zimmer mit Aussicht) und das super Frühstück gefreut.
- Das luxuriöse → Anka Ayanikola Hotel hat einen Strand dabei.
- Ein schönes kleines Villenhotel schließlich ist das → Triada Hotel.
Essen
- Ein Traditionslokal mit guten Meze, nostalgischem Speisesaal und Meeresblickterrasse ist das → Milano nahe dem Fähranleger.
- Ca. 10 Min. vom Fähranleger entfernt befindet sich das rustikal-urige → Prinkipo Fıstık Ahmet Restaurant mit leckerer Fischküche.
- Eine einfache alkoholfreie Lokanta mit großer Auswahl und ebenfalls netter Terrasse ist das zentral gelegene → Konak Restaurant.
Museum
Noch mehr über die Insel erfährt man im → Adalar Müzesi, das jedoch etwas unschön in einem kleinen Industriegebiet liegt.
Lesestoff
- Joachim Sartorius: Die Prinzeninseln. Mare Verlag: Hamburg 2009. Eine Liebeserklärung.
- Den besten → Reiseführer über Istanbul haben natürlich wir selbst geschrieben;-). Erschienen ist er im Michael Müller Verlag.
Mehr Istanbul hier auf dem Blog
- Kunstspotting in Istanbul: 26 coole Kunstorte am Bosporus
- Istanbul für Fortgeschrittene: Besondere Orte abseits der Touristenpfade
- Alter Charme und neue Vibes: Die Istanbuler Viertel Balat und Fener
- Herr der Kuppeln: Baumeister Sinans Erbe am Bosporus
- Street Art in Istanbul: Tour durch Kadıköy auf der asiatischen Seite
- Vom Bosporus an die Spree: Mit dem Zug von Istanbul nach Berlin
Wundervolle Eindrücke! Ich habe Istanbul in diesem Jahr zum ersten Mal besucht und war wirklich begeistert. Fürs nächste Mal werde ich mir Büyükada mit auf den Zettel schreiben 🙂 Liebe Grüße Karo
Danke Karo!
Liebe Gabi,
lieber Michael,
auf Büyükada war ich tatsächlich auch schon mehrere Male, aber eben auch immer nur als Tagestourist und zu sehen, was diese hübsche Insel noch zu bieten hat, war für mich sehr inspirierend, sowohl für eine weitere Reise, als auch für diese schönen 20 Minuten, die ich gerade mit Euch dort war. Meine Aufenthalte auf Büyükada liegen schon länger zurück, daher freue ich mich auch besonders darüber, dass die Pferdekutschen endlich ausrangiert wurden und es keine Pferdequälerei mehr gibt. Ein toller Artikel mit ausgesprochenem Fernwehfaktor!
Jens
Lieber Jens, was für ein nettes Feedback, bei dem man merkt, dass du den Artikel auch wirklich gelesen hast ;-). Herzliche Grüße an dich und deine schöne Wahlheimat, Gabi und Michael