2572 Kilometer auf Gleisen. Zehn Tage unterwegs. Knapp 45 Stunden davon im Zug. Vier Zwischenstopps eingelegt. Und nix bereut. Schon unzählige Male waren wir am Bosporus, und immer sah die Rückreise gleich aus: in Istanbul rein in den Flieger, in Berlin raus aus dem Flieger. Dieses Mal probierten wir den Landweg. Im November 2022, nach einer Recherche am Bosporus, fuhren wir mit dem Zug von Istanbul nach Berlin. Auf Gleisen, auf denen mal der legendäre Orient Express unterwegs war.

Nachhaltiges Reisen, ökologischer Fußabdruck, Flugscham – alles Gründe, die für den Zug und gegen den Flieger sprechen. Neugierde und Lust auf ein wenig Abenteuer kamen bei uns noch hinzu. Wir wollten ausprobieren, ob sich eine derart ausgedehnte Zugreise auch spontan und mit vergleichsweise geringem Budget wuppen lässt.

Lässt sich, das schon mal vorab. Nur ein wenig Zeit und Muße sollte man mitbringen. Mit dem Zug von İstanbul nach Berlin, das ist Slow Travel in seiner Reinform. In vielen Abschnitten zumindest.

 

Frau mit Handy im Zug, dahinter platte Landschaft
Langsam unterwegs: Mit dem Zug von Istanbul nach Berlin

 

Mit dem Zug von Istanbul nach Berlin: Allgemeine Infos

Routen

  • Unsere Route und unsere Zwischenstopps: Istanbul – Sofia (BG) – Craiova (RO) – Timişoara (RO) – Budapest (HU) – Berlin.
  • Manchmal geht’s auch anders: Je nach Sommer- oder Winterfahrplan muss man auf der Strecke von Istanbul nach Berlin zwei bis drei Mal umsteigen. Im Winter muss man in Sofia, Craiova und Budapest den Zug wechseln. Wenn es einen Kurswagen von Istanbul nach Bukarest (= Bosfor Ekspresi) gibt, gelangt man von Istanbul nach Bukarest in 20 Stunden und von Bukarest direkt nach Budapest in 17 Stunden. Im November 2022 gab es keinen Bosfor Ekspresi, aber vielleicht taucht er im Sommerfahrplan 2023 schon wieder auf.
  • Fazit: Dreimaliges Umsteigen ist die Regel, zweimaliges manchmal möglich. Mehrere Stopps unterwegs wie in unserem Fall machen die Zugreise spannender.
  • Alternativen in der Zukunft: Wenn es mal wieder einen Zug von Sofia nach Belgrad gibt (zuletzt ausgesetzt), bieten sich weitere Routen über den Balkan an.

 

Gleise führen durch grüne hügelige Landschaft an der rumänisch-serbischen Grenze
Trans Europa Express: Hügelige Landschaften wie hier an der rumänisch-serbischen Grenze sind eher selten, es überwiegen monotone Szenerien

 

Dauer

Wer sich unterwegs nichts ansehen will, sondern so schnell wie möglich von einem Zug in den anderen wechseln will, braucht für die Strecke zwei bis drei Tage. Wir haben uns, wie bereits gesagt, zehn Tage Zeit genommen und in Sofia, Craiova, Timişoara und Budapest Zwischenstopps eingelegt.

Kosten

Alle Zugtickets zusammenaddiert, haben wir für die gesamte Strecke von Istanbul bis Berlin pro Person ca. 140 Euro bezahlt. Bei den einzelnen Etappen dröseln wir Euch die Preise nochmals detailliert auf.

 

Blick bei schlechtem Wetter aus dem Zugfenster
Wintertime Sadness

 

So günstig fährt man allerdings nur, wenn man beim Kauf der Tickets die Angebote der Bahngesellschaften etwas vergleicht. Ein Beispiel: Unser Ticket von Budapest nach Berlin buchten wir wenige Tage vorher online über die ungarische Bahngesellschaft MÁV. Für ein Erste-Klasse-Ticket zahlten wir pro Person 46 Euro! Bei Buchung über die DB hätte uns das gleiche Ticket ein Mehrfaches gekostet.

Achtung beim Ticketkauf: Nicht immer sind Onlinebuchungen möglich. Tickets für internationale Züge sind in Bulgarien beispielsweise nur am Schalter und NUR am Tag der Zugfahrt zu erstehen.

Essen- und Unterkunftspreise: Die müsst Ihr natürlich noch drauf rechnen. Wir haben für unsere Unterkünfte in Sofia, Craiova, Timişoara und Budapest im November (einer der preiswertesten Reisemonate) zwischen 28 und 45 Euro pro Nacht bezahlt. Entweder waren es zentral gelegene Doppelzimmer mit Bad oder kleine Apartments, allesamt okay. Die Ausgaben in den Restaurants und Bars fielen nicht groß ins Gewicht.

 

Zugfenster mit schlechtem Wetter dahinter

 

Sicherheit

Wir haben uns während der gesamten Zugreise von Istanbul nach Berlin absolut sicher gefühlt. Unser privates Schlafabteil im Zug von Istanbul nach Sofia war ohnehin abschließbar. Wer dem Frieden nicht traut, kann sein Gepäck mit Vorhänge- und/oder Fahrradschloss zusätzlich sichern.

Weitere Infos

 

Kleiner Exkurs: Mythos Orient-Express

Luxus pur. Agatha Christie und Hercule Poirot. Morde und Affären. Der „Orient-Express“ war legendär. Ein Eisenbahn-Märchen. Doch was steckte tatsächlich dahinter?

Der Orient-Express nahm seinen Dienst von Paris in Richtung Konstantinopel im Jahr 1883 auf. Anfangs verlief die Route über Budapest nach Varna am Schwarzen Meer, von wo es per Schiff an den Bosporus ging. 1889 rollte der Zug erstmals im İstanbuler Bahnhof Sirkeci ein.

„Ich liebe seinen Rhythmus, Allegro con fuoco zu Anfang, das Schütteln und Rattern in der wilden Hast.“

(Agatha Christie über den Orient-Express)

Die Fahrt durch die verschiedenen Königreiche auf dem Balkan war nicht ungefährlich. Passagiere wurden angehalten, ihre Pistolen mitzunehmen. Mehrmals kam es zu Überfällen, denn der Luxuszug beförderte neben betuchten Passagieren auch wertvolle Waren: auf der Hinfahrt Schuhe, Parfüm, Wein und Stoffe, auf der Rückfahrt Leder, Gewürze und Baumwolle.

Mitte des 20. Jahrhunderts war es mit dem Glanz und der Gloria des Zuges vorbei. 1977 setzte er sich zum letzten Mal in Bewegung. Nun soll der Originalzug glanzrestauriert und als Edelexpress wieder Fahrt aufnehmen. Bereits 2024 soll er Luxustouristen von Paris nach Istanbul befördern.

 

Ticket Sofya Ekspresi von istanbul nach Sofia
Damals Orient-Express, heute Sofya Ekspresi: Ticketkauf im Bahnhof Sirkeci

 

Istanbuls historischer Bahnhof Sirkeci dient heute allein dem Lokalverkehr. Schon seit Jahren fahren die Züge nach Europa vom trostlosen Vorort Halkalı ab. Tickets aber könnt Ihr in Sirkeci noch immer kaufen. Und wer weiß: Vielleicht starten die Züge nach Sofia auch irgendwann wieder von hier, es gibt Gerüchte.

Nach dem Ticketkauf könnt Ihr Euch noch ein bisschen auf dem Bahnhof Sirkeci umschauen. Manches dort hat sich seit Orient-Express-Zeiten kaum mehr verändert. Der schöne Wartesaal zum Beispiel, oder das schwer nostalgische Bahnhofsrestaurant. Zudem wurde ein kleines kostenloses Museum eingerichtet, das an die alten Tage erinnert.

 

Historischer Wartesaal im Bahnhof Sirkeci Istanbul
Aus der Zeit gefallen: Wartesaal im Istanbuler Bahnhof Sirkeci

 

Etappe 1: Mit dem Sofya Ekspresi von Istanbul nach Sofia

Der Sofya Ekspresi fährt täglich vom İstanbuler Vorortbahnhof Halkalı nach Sofia. Abfahrt im November 2022 um 20:45 Uhr. Dauer: mindestens 13,5 Std. (für 571 Kilometer!). Preis: ca. 37 Euro pro Person im privaten Schlafwagenabteil für 2 Personen. Das Ticket kann in der Türkei bis zu 60 Tage vorher am Schalter gekauft werden. Es gibt eigentlich immer Plätze, auch kurzfristig, selbst noch am gleichen Tag (sagte man uns zumindest). In die andere Richtung, also von Sofia nach Istanbul, fährt der Zug um 18.40 ab, Ankunft laut Fahrplan 5:34 Uhr.

 

Bahnhof Halkalı. Bonsoir Tristesse! Halkalı, die Endstation der Metrolinie Marmaray, ist ein steriler und menschenleerer Vorortbahnhof ohne jegliche Einrichtungen für Reisende. Von einem kleinen Wartesaal und einem Klo einmal abgesehen.

Absolut wichtig: Denkt nicht, dass Ihr hier irgendetwas kaufen könnt! Halkalı ist der wohl einzige Ort der Megaycity, an dem es nichts zu kaufen gibt. Nicht einmal an einen Automaten. Der nächste Kiosk: weiß der Henker wo. Das nächste Lokal: Nach Auskunft des Putzmanns am Bahnhof 15 Fußminuten entfernt. Wenn Ihr dorthin wollt, müsst Ihr Euer gesamtes Gepäck mitnehmen, denn eine Gepäckaufbewahrung oder Schließfächer sind ebenfalls nicht vorhanden!

 

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In Halkalı gibt es auch keine Wechselstube! Tauscht Eure letzten Liras also schon vor dem Weg zum Bahnhof um. Ein bisschen Kleingeld aber könnt Ihr für den nächsten Morgen aufheben, denn dann spaziert der Kaffeemann durch den Zug. Der spricht Türkisch und nimmt Lira.

 

Der Zug

Über unseren Private Sleeper (yataklı) im Schlafwagen können wir nicht meckern. Zwei Klappbetten, saubere Bettwäsche, ein Waschbecken mit Handtüchern und Seife. Im Kühlschrank kostenlose Snacks: Kirschsaft, Wasser, Salzstangen.

 

Bezug des Schlafwagenabteils Sofya Ekspresi
Private Sleeper im Sofya Ekspresi

 

Weniger komfortabel, dafür auch günstiger, sind die Tickets für den Liegewagen (kuşetli). Da werdet Ihr jedoch in Vierer- oder Sechserabteils untergebracht, ohne Waschbecken und Kühlschrank, dafür mit fremden Menschen.

Die Toiletten sind nicht sonderlich fancy, aber erträglich und besser in Schuss als so mancher Zugabort in deutschen Regionalzügen.

Achtung, es gibt keinen Speisewagen! Nehmt also alles mit, was Ihr für die Nacht braucht. Eine Flasche Wein ist keine schlechte Idee. Am Morgen wird, wie gesagt, Nescafé verkauft.

 

Zugfahrt und Grenzübertritt nach Bulgarien

Wir verlassen İstanbul in der Dunkelheit. Unser Zug holpert an monotonen Trabantenstädten vorbei, die nie aufzuhören scheinen und es doch irgendwann tun.

 

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Achtung: Zeitverschiebung im Winter! Sprich: 15 Uhr Istanbul im Winter = 14 Uhr Sofia im Winter. Da die Türkei die Umstellung auf Winterzeit abgeschafft hat, kommt es im Sommer zu keiner Zeitverschiebung.

 

Gegen 2.30 Uhr ist’s erstmal vorbei mit süßen Zugträumen. Am Grenzübergang Kapıkule weckt uns der Schaffner. Alle müssen raus aus dem Zug und rein ins Gebäude der türkischen Grenzpolizei. Dort heißt es Schlange stehen: Passkontrolle. Ist man in entgegengesetzter Richtung unterwegs, muss man sein Gepäck dem türkischen Zoll präsentieren. Bei der Ausreise zum Glück nicht.

 

Grenzübergang Kapikule bei Nacht
Grenzübergang Kapıkule

 

Etwas später kommt die bulgarische Grenzpolizei für einen ersten Check. Der zweite Check erfolgt wenige Kilometer hinter der Grenze am Bahnhof Svilengrad. Grenzpolizisten, charmant wie der Eiserne Vorhang, nehmen uns die Pässe ab. Eine Stunde später bekommen wir sie wieder. Das gesamte Grenzprozedere zieht sich über zwei Stunden hin. Erst gegen 4.45 Uhr schlafen wir wieder ein.

Die Neugierde lässt uns dennoch bei den ersten Sonnenstrahlen aufwachen. Auf einem alten Schienenstrang holpern wir vorbei an Herbstwald und Karstbergen. Später geht es durch ein Tal parallel zu einem rauschenden Bach. Frühnebel wabert über abgeerntete Felder. Schrottautos vor Schrottgebäuden. Bulgarien wirkt in Teilen wie ein riesiger Lost Place.

 

Einsames Häuschen auf Bahnstrecke durch Bulgarien
Ein Morgen in Bulgarien: Hügel, Täler…

 

Zwischenstopp 1: Sofia

In Sofia bleiben wir zwei Nächte. Wir werden nicht wirklich warm mit der bulgarischen Hauptstadt (1,3 Mio. Einwohner), trotz prächtiger Boulevards und glanzvoller Kirchen. Vor allem die Gastro- und Barszene haut uns so ganz und gar nicht um. Doch das sind persönliche Eindrücke einer wirklichen kurzen Visite.

Ein paar Tipps fürs Sightseeing in Sofia

  • Alexander-Newski-Kathedrale: Eine riesige Kathedrale aus dem frühen 20. Jahrhundert. Ihr Inneres im neobyzantinischen Stil wird nur von wenigen Lichtquellen aufgehellt. Die fünf Kirchenschiffe und Kuppeln sind über und über mit Fresken und Mosaiken geschmückt. Architekt übrigens: der Russe Alexander Pomeranzew, der auch für das Warenhaus GUM in Moskau verantwortlich zeichnete.
  • Ulitsa Tsar Ivan Shishman: Die Straße und ihre Seitengassen gelten als das In-Viertel Sofias. Es gibt Streetart, ein paar nette Läden und hipstereske Cafés, Restaurants und Bars. Aber bloß nicht zuviel erwarten!
  • Kirche von Bojana: Die mittelalterliche bulgarisch-orthodoxe Kirche liegt im äußersten Süden Sofias zu Füßen des hier imposant aufragenden Vitosha-Gebirges, das Höhen von über 2000 Metern aufweist. Dank ihrer wunderschönen Fresken aus dem 13. Jahrhundert steht sie auf der UNESCO-Welterbeliste. Lohnt sich! Fotografieren dürft Ihr aber nur von außen.
  • Sophienkirche: Diese steinalte Kirche, nach der die Stadt benannt ist, stammt aus dem 4. Jahrhundert. Nicht nur das Kirchenschiff selbst ist einen Besuch wert, sondern auch das Museum unter der Kirche. Dort sieht man archäologische Überreste der altrömischen Stadt Serdica, Sofias Vorgängerstadt. Auch Mosaike wurden wieder freigelegt.

    Sofia zum Weiterlesen: Einen ausführlichen Beitrag über die Sehenswürdigkeiten von Sofia gibt es bei Gina und Marcus vom Blog 2onthe go: Sofia Sehenswürdigkeiten: Unsere Tipps für 2 Tage

 

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Etappe 2: Von Sofia nach Craiova (RO)

Der direkteste Weg von Sofia Richtung Heimat würde über Niş und Belgrad nach Budapest führen. Da aber auf dieser Route bis auf Weiteres keine Züge verkehren, nehmen wir einen Zug nach Craiova. Acht Stunden soll die Fahrt dauern (für 379 Kilometer!).

Tickets: Das Zugticket von Sofia nach Craiova kostete 19 Euro pro Person in der 2. Klasse (eine 1. Klasse gibt es nicht). Das Ticket wird am Hauptbahnhof von Sofia am Schalter für die internationalen Verbindungen verkauft, aber nur am Tag der Abfahrt. Ein Fahrkartenkauf ein Tag vor der Abreise ist nicht möglich! Der „Osten“ lebt mancherorts noch, auch 30 Jahre nach dem Zusammenbruch!

 

Schmutzige Scheiben und graubraune Städtchen

Für uns Fans der sozialistischen Moderne ist der Sofioter Bahnhof aus den frühen 1970er-Jahren innen wie außen ein ziemlich cooles Ding. Draußen überblickt eine Mutter mit Kind, eine Art sozialistische Madonna, von einer Stele das Treiben. Drinnen überraschen Mosaike. Die Anzeigetafeln kennen nur die kyrillische Schrift. Google muss helfen, unseren Endbahnhof ins Kyrillische zu übersetzen, damit wir überhaupt wissen, an welches Gleis wir müssen.

 

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Um 7.40 Uhr setzt sich unser Zug in Bewegung. Der Morgen ist in metallisch-kaltes Licht getaucht. Innen aber eine Temperatur wie im Tropenhaus, nicht regulierbar. Wir sitzen zu sechst im Sechserabteil. Geredet wird wenig, gelacht auch nicht. Alle außer uns mit Stöpseln im Ohr und Handy in der Hand.

 

Gang des Zugs von Sofia nach Craiova
Sieht leer aus, war aber bestens belegt: Zug von Sofia nach Craiova

 

Während unsere Mitreisenden in ihre Smartphones starren, blicken wir durch die schmutzigsten Zugfenster ever ever. Wir sehen grau-braune Städtchen mit bejahrten Wohnblöcken. Wir sehen Wälder, die auf Indian Summer machen. Dazwischen schäumende Bäche und Flüsschen. Wolken zerfetzen an Bergen.

 

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Gehalten wird an jeder Milchkanne. Stationsvorsteher stehen da, mit der Kelle in der Hand.

 

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Im Donau-Grenzstädtchen Vidin im äußersten Nordwesten Bulgariens müssen wir kurz den Zug wechseln. Ein Polizist sammelt unsere Pässe ein, bringt sie irgendwann zurück. Auch wenn Bulgarien und Rumänien in der EU sind: Schengen greift hier nicht.

 

Selfie beim Zugwechsel in Vidin

 

Über die Donaubrücke hinein nach Rumänien

In einem ausrangierten Nahverkehrszug aus Deutschland geht’s weiter nach Rumänien. Wir fahren über den mächtigen Grenzfluss mit einer im Dunst badenden Insel. Ja, die Donau ist hier eine andere als in Bayern. Ist in die Breite gegangen wie ein Schnitzel nach dem Klopfen.

 

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Auf der Brücke hat der Zug ordentlich Speed. Brücke und Gleise sind neu, keine Kurve. Danach wird unser Zug so lahmarschig, dass Radfahrer in seinem Schatten fahren können.

 

Radfahrer neben dem Zug in Rumänien

 

Teils ist uns, als ginge es durch Felder ohne Anfang und Ende. Selten größere gesehen.

 

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Die Landschaft ein einziges großes Nixda. Eine Haltestelle im Nichts, manchmal mit Wartenden, manchmal ohne.

 

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Wir passieren zerfallende Bahnhofsgebäude mit separat stehendem Toilettenhäuschen. Dystopische Szenerien tun sich auf. Dann kommen wir in Craiova an.

 

Zug an einsamem Bahnhof in Rumänien

 

Zwischenstopp 2: Craiova

300.000 Einwohner zählt Craiova. Craiova ist keine Schönheit, bietet aber doch einige spannende repräsentative Bauwerke vom Ende des 19. und Beginn des 20. Jahrhunderts. Auch Fans der sozialistischen Moderne kommen auf ihre Kosten. Von dem einen oder anderen Wohnpalast sind wir richtig fasziniert.

 

Sozialistischer Wohnpalast in Craiova
Wohnpalast aus sozialistischer Zeit in Craiova

 

Vom Bahnhof ins Zentrum Craiovas: Das Zentrum ist rund 2 km vom Bahnhof entfernt. Wer nicht laufen will, nimmt Bus 25.

Sehenswert ist das → Kunstmuseum in einem neobarocken Palais. Es zeigt Arbeiten des Bildhauers Constantin Brâncuşi (1876–1957), der ab 1904 in Paris lebte und im Dunstkreis von Henri Matisse und Auguste Rodin wirkte.

 

Kunstmuseum von Craiova in einem prächtigen neobarocken Palais
Kunstmuseum in Craiova

 

Die Universitätsstadt ist lebendig und durch und durch authentisch. Es gibt eine ganze Reihe netter Pubs, darunter das Curtea Berarilor Craiova, eine megapopuläre Bierschwemme an der Strada Traian Demetrescu 12. Das Ungefilterte ist ein Traum! Es kommt direkt aus dem Tank. Das Essen, das dazu serviert wird, ist deftig und gut.

Unser Besuch fällt mit der Eröffnung des Weihnachtsmarktes zusammen, einem der größten des Landes. Die ganze Stadt ist hibbelig. Craiova leuchtet, glitzert, strahlt. Weihnachtsmänner und mollige Pinguine stehen an der Eislaufbahn Spalier. Karussells drehen sich. Eine riesige Bühne, auf der „Voice of Romania“ oder etwas Ähnliches angesagt ist, lockt die Massen an.

Wir holen uns eine Portion gegrillte Mici, wie die Balkan-Köfte in Rumänien genannt werden. Auf einmal fällt der Strom aus. Das Bling-Bling ist zuviel fürs hiesige Netz.

 

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Etappe 3: Von Craiova nach Timişoara

Von Craiova nach Budapest. Das hatten wir ursprünglich vor. Doch zwölf Stunden im Zug erscheinen uns zu lang. Planänderung. In Timişoara, auf etwa der Hälfte der Strecke steigen wir aus. Das solltet Ihr auch tun, sonst verpasst Ihr nämlich etwas! Timişoara, die Europäische Kulturhauptstadt 2023, ist ein weiteres Highlight auf unserer Zugreise von İstanbul nach Berlin.

Tickets: Die Zugfahrt von Craiova nach Timişoara dauert im Interregio etwas über 6 Stunden (für 324 Kilometer), das Ticket kostet 18 Euro pro Person. Interregios sind reservierungspflichtig. Auf dem Ticket sind Eure Sitzplätze vermerkt, also nicht einfach irgendwo hinsetzen!

Samstagmorgen. Im Bahnhof von Craiova warten wir auf unseren Zug. Er soll um 9.25 Uhr aus Bukarest eintreffen und wird der erste sein, der an diesem Tag den Bahnhof von Craiova verlässt. Außer uns ist kaum ein Mensch da. Wir blicken auf die Anzeigetafel und stellen fest, dass bis zum späten Nachmittag genau zehn Züge abfahren werden.

Viel Bewegung scheint nicht zu sein in diesem Land, zumindest nicht mit der Bahn. In einer ähnlich großen Stadt in Deutschland, sagen wir mal Karlsruhe, fahren zehn Züge in 20 Minuten ab. Dafür punktet Rumänien beim Service: Wir zählen mehr Schalterbeamt*innen als Reisende. Zumindest an diesem Morgen.

 

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Es geht los. Die Landschaft meistens flach und weit. Mal wieder. Pferde, Kühe, Erdölförderpumpen. Schäfer mit ihren Herden ziehen am Fenster vorbei. Hin und wieder ein Bahnhof. Der Vorsteher umringt von streunenden Hunden, die Aussteigende schwanzwedelnd begrüßen.

Für landschaftliche Reize auf dieser Strecke sorgt wieder einmal die Donau. Wir tuckern direkt am Wasser entlang und genießen die Szenerie. Am anderen Ufer der Donau liegt Serbien. Wir schauen und transpirieren dabei fröhlich vor uns hin: Der Zug ist so aufgeheizt, dass Schweißtropfen auf unserer Stirn perlen.

 

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Zwischenstopp 3: Timişoara

Zwei Tage lassen wir uns durch die hübsche 319.000-Einwohner-Stadt spülen, bestaunen Plätze und Jugendstilfassaden, essen uns durch die rumänischen Speisekarten (Polenta, Polenta!) und trinken Bier aus großen Humpen. Was für ein toller Zwischenstopp!

Der Europäischen Kulturhauptstadt 2023 haben wir einen → eigenen Beitrag gewidmet, in dem Ihr alles en détail nachlesen könnt. Was Ihr nicht verpassen solltet, hier kurz zusammengefasst:

  • Catedrala Ortodoxă: Eine Kathedrale wie eine Burg. Ihr düsterer, goldglänzender Innenraum ist einen Besuch wert.
  • Siegesplatz: Über den länglichen Platz mit einer Oper aus dem Hause Fellner & Hellmer flattern die Taubenschwärme.
  • Freiheitsplatz: Open-Air-Kunst, Altes Rathaus und viel Atmosphäre.
  • Platz der Vereinigung: Der schönste der allesamt schönen zentralen Plätze, die zudem noch autofrei sind. Am Abend besonders stimmungsvoll. Hier stehen unter anderem die katholische Kathedrale und das Kunstmuseum.
  • Fabrikviertel: Der Name ist etwas irreführend. Das Viertel punktet mit hinreißenden Jugendstilbauten, allesamt mehr oder weniger zerfleddert.

 

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Etappe 4: Von Timişoara nach Budapest

Tickets: Die Zugfahrt von Timişoara nach Budapest dauert 6 Stunden (für 310 Kilometer), das Ticket kostete uns 20 Euro pro Person. Mit dem Kauf der Fahrkarte erhält man auch hier eine Sitzplatzreservierung. Achtung Zeitverschiebung! Rumänien = OEZ, Ungarn = MEZ! Sprich 15 Uhr Bukarest = 14 Uhr Budapest.

So schön Timişoara auch ist, so scheiße ist der Bahnhof der Stadt. Von außen kommt der Bau der sozialistischen Moderne ziemlich spacig daher. Innen aber entpuppt er sich als zugige Halle ohne jegliche Sitzmöglichkeit. Wer warten muss, begibt sich in den kleinen Warteraum, der über das Gleis zugänglich ist. Dort überwacht ein Security-Mann, dass hier nur reinkommt, wer ein Zugticket hat.

 

Bahnhof Timisoara im Stil der sozialistischen Moderne
Bahnhof Timişoara: von außen cool, von innen kacke

 

Mit 30 Minuten Verspätung fährt unser Zug los. Wir sitzen in einem gemütlichen, mal wieder leeren Großraumwagen. An der Grenze ein längerer Stopp. Unsere Pässe werden kontrolliert. Beamte halten Spiegel unter die Waggons. Herr Orbán legt Wert darauf, dass niemand allzu Fremdes die Festung Ungarn erreicht.

 

Leerer Großraumwagen auf der Fahrt von Timisoara nach Budapest
Im leeren Zug von Timişoara nach Budapest

 

Es geht weiter gen Budapest. Blick aus dem Fenster. Riesige Felder, platt und weit. Verstecken spielen ist hier unmöglich. Hier sieht der Bauer morgens schon, wer mittags zu Besuch kommt. Die Puszta ist einschläfernd, lässt das Kinn auf die Brust fallen und den Mund aufschnappen. Wenn schon pizzaflache Landschaften, dann bitte mit Wäldern und Seen, wie in Brandenburg oder Meck-Pomm.

 

Platte Puszta-Landschaft zwischen Timisoara und Budapest
Mit müden Augen durch die Puszta

 

Ankunft in Budapest-Keleti. Die k.u.k.-Zeit lässt grüßen. Der im späten 19. Jahrhundert im Neorenaissancestil errichtete Ostbahnhof ist überaus imposant. Wir schnappen unsere Taschen und rollen gemütlich unserer Unterkunft im VII. Bezirk entgegen. Ein letztes kleines Stadtabenteuer wartet auf uns.

 

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Zwischenstopp 4: Budapest

In Budapest mummeln wir uns ein: Winterjacken, Wollmützen, lange Unterhosen. In unserem kleinen Apartment läuft der Heizlüfter. Die Zugfahrt von İstanbul nach Budapest ist auch eine Fahrt vom Spätsommer in den Winter. Es ist November. Am Bosporus liefen wir tagsüber noch im T-Shirt herum, in Rumänien im Herbst-Outfit.

In Budapest war Gabi noch nie und Michael bevor der Sozialismus in Rente ging. Jetzt da zu sein, ist also für uns beide so etwas wie Neuland.

Vieles gefällt uns in Budapest. Die seltsame Sprache. Das durch und durch Großstädtische. Die Häuser hoch und pompös, die Boulevards breit und stattlich. 1,7-Millionen Einwohner zählt die Stadt.

 

Die elegante Freiheitsbrücke in Budapest mit gelber Straßenbahn
Ziemlich elegant: Budapest, hier die Freiheitsbrücke

 

Uns fasziniert das jüdische Leben mit den vielen Synagogen und koscheren Lokalen. Im → Gettó Gulyas, einem stilsicheren Lokal im jüdischen Viertel, essen wir Wels-Paprikasch und Jewish Eggs, ein askenasischer Appetizer aus Eiern, Gänseschmalz, Zwiebeln und Senf. Ein Esserlebnis, das wir in Gedanken mit nach Hause nehmen.

 

 

Wir schnuppern dahin und dorthin und stellen aber auch fest, dass so manches, auf das wir uns gefreut haben, enttäuscht. Die an sich wunderschöne Markthalle zum Beispiel: ohne natürliches Leben, viel zu touristisch. Die so gehypten Ruinenbars: fürchterlich und voller Reisegrüppchen, die Selfies machen und dann schnell wieder weiterziehen.

 

Etappe 5: Von Budapest nach Berlin

Tickets: Das Ticket von Budapest nach Berlin war das einzige Ticket, das wir nicht direkt am Schalter gekauft haben, sondern wenige Tage vor unserer Fahrt über die Webseite der ungarischen Bahn MAV. Lohnt sich! So zahlten wir für die rund 11-stündige Fahrt (988 km) in der Ersten Klasse (!) von Budapest nach Berlin pro Person 46 Euro. Das Zweite-Klasse-Ticket lag bei 37 Euro. Hätten wir über die Deutsche Bahn gebucht, wären wir ein Mehrfaches losgeworden.

 

Fahrt nicht vom falschen Bahnhof los! Zumindest unser EC von Budapest nach Berlin startet am Nyugati-Bahnhof (Westbahnhof), dem zweitgrößten Fernbahnhof der ungarischen Metropole (mit dem Keleti-Bahnhof durch Straßenbahnen verbunden). Auch dieser Bahnhof präsentiert sich überaus ansehnlich, ein Glas-und-Stahl-Raumwunder, licht und filigran. Sein Erbauer ist kein Unbekannter: Gustave Eiffel konnte nicht nur Türme und Fahrstühle.

 

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Die Lust am Zugfahren schwindet, was wohl am Wetter liegt. Wir durchfahren feucht-dunklen Novemberwinter. Die Welt ist in traurige Farben gehüllt.

… Bratislava …

… Brünn …

… Prag …

 

 

Bahnhöfe ziehen an uns vorüber. Flüsse strömen gemächlich vorbei. Bei Prag ist es die Moldau. Dann die Elbe. Jetzt kennen wir die Strecke, schon unzählige Male sind wir sie gefahren.

 

Frau schaut aus dem Zug, Fluss mit Industrie
An der Elbe

 

… Dresden …

 

Anzeigentafel Dresden-Neustadt mit Passagier davor

 

Unser kuscheliges Erstes-Klasse-Abteil haben wir zum Glück fast für die ganze Fahrt für uns allein. Wir arbeiten ein wenig. Wir lesen. Und freuen uns so langsam aufs Ankommen.

 

Frau arbeitet mit Laptop am Zugfenster

 

Eine Stunde ist es noch bis Berlin. Während sich die Dunkelheit über Brandenburg legt, öffnen wir ein Fläschchen Kékfrankos.

Und stoßen an auf diese tiefenentspannte Zugreise, die nun ihr Ende findet.

 

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Noch mehr Orient-Express

Ellinor vom Blog Sirenen & Heuler ist die Strecke in die andere Richtung gefahren, genauer: von Bamberg nach İstanbul. Hier ihr launiger Erfahrungsbericht: Im Orientexpress nach Istanbul 

 

Mehr Zugabenteuer hier auf dem Blog

 

12 Kommentare

    • Liebe Tanja, dankeschön fürs nette Feedback. Ja, das war schon eine besondere Reise. Liebe Grüße zurück, Gabi und Michael

  1. Hammer, was für eine Strecke! Ich liebe es Nachtzug zu fahren, vielleicht ist es mal wieder an der Zeit 🙂 Unglaublich auch wie günstig Zug fahren sein kann. Der Trick ist vermutlich wirklich die Finger von der Deutschen Bahn zu lassen 😀 Die können sich noch eine Scheibe von ihren Nachbarn abschneiden. Toller Beitrag, weiter so 🙂

    • Hallo Patrick, dankeschön fürs Feedback und fürs Lob. Richtig: Bevor man solche Strecken bei der Deutschen Bahn bucht, sollte man tatsächlich erstmal bei den Bahngesellschaften der Länder schauen, die man passiert. Das lohnt sich fast immer. Beste Grüße aus Berlin!

  2. Eine coole Idee, von Istanbul nach Berlin mit dem Zug zu fahren. Allerdings wohl wirklich nur was für echte Slow-Traveller und Zugfans. Mitten in der Nacht aus dem Nachtzug geholt zu werden klingt nicht wirklich verlockend… trotzdem reizt mich der Gedanke, diese Strecke mal mit dem Zug zu fahren. Allerdings müssen wir erstmal von Schweden bis nach Berlin kommen. Das geht aber zum Glück inzwischen. auch mit dem Nachtzug – sogar nonstop!

    LG aus dem hohen Norden,
    Hartmut

    • Hallo Hartmut, von Schweden nach Berlin mit dem Zug klingt aber auch ziemlich gut;-) Klar, unser Zugtrip war Slow Travel at its Best. Der Weg war das Ziel. Muss man so sehen, sonst wird’s stressig. Lg aus Berlin in den hohen Norden, Gabi und Michael

  3. Hallo Ihr Lieben,
    gefällt mir sehr gut Euer Beitrag! Ein richtiges kleines Abenteuer. Wir standen damals in Istanbul als der unaussprechliche Vulkan auf Island ausgebrochen ist. Alle Flüge waren storniert und es war unklar, wann wir heimkommen. Nachdem auch alle Fernbusse komplett überfüllt waren, haben wir kurz überlegt, mit der Bahn zu fahren. Haben uns dann doch nicht getraut. Vielleicht ein Fehler.
    Liebe Grüße
    Renate

    • Liebe Renate, das war natürlich auch ein Abenteuer der anderen Art, das Ihr da erlebt habt 😉 Aber wie du siehst: Eine Zugreise von Istanbul nach Deutschland ist problemlos, sicher und sogar recht preisgünstig machbar. Nur in Zeitnot sollte man nicht sein. Dankschön fürs Feedback und ein frohes neues Jahr, Gabi und Michael

    • Liebe Karin, genau, aber du warst letztendlich die, die uns überhaupt auf diese Idee gebracht hat. Wir hoffen, wir sehen Euch auch noch auf dieser Strecke. Liebe Grüße nach Köln!

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