„Der Reisende stellt fest, dass auf den Straßen des Algarve alle es eilig haben. Die Autos rasen wie ein Wirbelsturm, die Insassen lassen sich mitreißen.“
Genau das, was der Literaturnobelpreisträger José Saramago in seiner wunderbaren „Portugiesischen Reise“ (1981) beschreibt, wollten wir nicht: Hektik. Statt die Küste mit dem Mietwagen auf die Schnelle abzugrasen, entschieden wir uns für die ruhige Reisevariante: Wir erkundeten die Algarve mit dem Zug.
Linha do Algarve nennt sich die Bahnstrecke zwischen Lagos im Westen und Vila Real Santo António im Osten an der Grenze zu Spanien. Gehalten wird an den klangvollsten Namen der Algarve genauso wie an der buchstäblichen Milchkanne – und zwar an fast jeder.
Wer die Algarve mit der Bahn erkunden will, sollte also Muße, Geduld und gute Literatur mitbringen, vor allem wenn gestreikt wird. Als wir im Februar/März 2023 da waren, streikte die Bahn öfter als dass sie fuhr. Von unseren 16 Algarve-Tagen gab es exakt fünf Tage ohne Streik, immerhin mit Notfahrplan. Soll heißen: Wir kamen schon immer da hin, wo wir hinwollten – nur eben oft Stunden später.
Aber das machte nichts. Wir waren ohne Vorsätze und Abhak-Listen unterwegs. Unseren Flug hatten wir spontan gebucht, nur die erste Unterkunft vorab reserviert. Danach ließen wir uns treiben. Wir blieben, wo es uns gefiel. Und wir zogen weiter, wenn wir Lust auf Neues hatten. Auf dieser Art und Weise unterwegs zu sein, ist im südportugiesischen Spätwinter bzw. Frühfrühling kein Problem.
Inhaltsverzeichnis
Linha do Algarve – praktische Infos
Tavira: Algarve-Perlchen am Rio Gilhão
Ausflug: Mit dem Boot von Tavira zur Ilha de Tavira
Schockverliebt: Ausflug nach Santa Luzia
Fuseta: Das Dorf in den Salzfeldern
Ausflug: Mit dem Boot von Olhão zur Ilha da Culatra
Ferragudo: Touristennest mit Charme
Linha do Algarve – praktische Infos
- Strecke: Die Linha do Algarve verbindet den Osten der Algarve mit dem Westen der Algarve, fährt aber nur bis Lagos und nicht bis Sagres am Südwestzipfel Portugals (dorthin Busverbindung ab Lagos). Die Strecke von Vila Real Santo António bis Lagos ist 140 Kilometer lang. Faro liegt etwa in der Mitte. Wer die ganze Strecke von Ost nach West abfahren möchte, muss in Faro den Zug wechseln. Faro ist also nicht nur ein bedeutender Ferienflughafen, sondern auch Umsteigebahnhof. Vom Flughafen besteht eine Busverbindung zum Busbahnhof von Faro, der 200 Meter vom Zugbahnhof entfernt liegt.
- Taktung/Fahrplan der Linha do Algarve: Die kleinen Züge (zwei bis drei Waggons) fahren tagsüber in streikfreien Zeiten etwa alle ein bis zwei Stunden, zwischen Vila Real Santo António und Faro bis zu 12-mal täglich, von Faro nach Lagos nur 9-mal täglich. Die exakten Abfahrtszeiten erfahrt Ihr auf Comboios de Portugal.
- Preise: Zugfahren ist in Portugal extrem billig, billiger als der Bus. Preisbeispiel Stand 2023: Während ein Busticket für die Strecke Faro – Olhão 3,75 € kostet, zahlt man für die gleiche Strecke mit dem Zug (der auch noch viel schneller ist!) 1,45 €! Von Faro nach Lagos ist man mit der Bahn etwa 2 Std. unterwegs, Kostenpunkt für das Zugticket 7,50 €.
- Tickets: An kleineren Bahnhöfen gibt es keinen Ticketschalter. Tickets können auch im Zug bei den Schaffnern gelöst werden.
- Unsere Route: Wir hatten Mut zur Lücke, starteten in Faro, stiegen im Osten in Tavira, Fuseta und Olhão aus dem Zug und stoppten gen Westen in Silves, Ferragudo und Lagos.
Tavira: Algarve-Perlchen am Rio Gilhão
Algarve, Ende Februar. Das Licht ist ein anderes. Es ist so hell, dass wir nach den Sonnenbrillenetuis in unseren Taschen wühlen. Aus dem wintergrauen Berlin kommend, ist es Freude pur, vom portugiesischen Frühling empfangen zu werden.
Am Bahnhof von Faro reihen wir uns ein in die Schlange vorm Ticketschalter. Diese Schlange ist bunt, spricht neben Portugiesisch auch Französisch, Deutsch und Englisch. Backpacker stehen an, Wanderer mit Tagesrucksäcken, eine knollige portugiesische Oma mit Hackeporsche. Die Algarve-Bahn wird von Touristen genauso genutzt wie von Locals.
„Dois bilhetes para Tavira, por favor!“
Tavira, was bist du fotogen! Das 27.000-Einwohner-Städtchen liegt zurückversetzt vom Meer am Flusslauf des Gilhão, den eine siebenbogige Brücke aus dem 17. Jahrhundert überspannt.
Der Fluss teilt die fesche Stadt in zwei Hälften. Rechts und links des Flusslaufs nichts Hässliches weit und breit. Die Gassen teils so eng, dass Autos ihre Ohren anlegen müssen. Die alte Bausubstanz mischen Gebäude im Stil des Art-déco und der portugiesischen Moderne auf.
Die Stadthäuser stecken voller liebenswerter Details, dort ein hübscher gusseiserner Balkon, da ein Türklopfer aus Messing in Form eines Delphins. Manche Fassaden sind bunt verkachelt, die meisten aber strahlen weiß wie frisch gebleachte Zähne. Tavira erinnert uns an die zauberhaften → weißen Dörfer des Alentejo, gewürzt mit einer Messerspitze Algarve-Trubel. Tavira ist aber zum Glück kein reiner Touristenort, sondern gleichzeitig eine geschäftige Kleinstadt.
Wir passieren Kirchen zwischen Barock und Renaissance, 20 soll es in Tavira geben. Wir besichtigen die Igreja de Misericórdia, die mit blauen Azulejos üppigst ausgeschmückt ist. Wir besteigen den auffälligen Uhrturm der Igreja de Santa Maria und sehen von dort aufs Städtchen. Nur einen Steinwurf südlich von uns befindet sich die Igreja de Santiago, die wie die Marienkirche einst Moschee war.
Einen schönen Blick über die Stadt und die vorgelagerte Lagunenlandschaft hat man auch von der Burg, die die Araber erbauten.
Ausflug: Mit dem Boot von Tavira zur Ilha de Tavira
Die Sonne strahlt, die Luft flimmert in einem Licht, das wir gar nicht mehr gewohnt sind. Das Thermometer zeigt 21 Grad an. Beachtime! Um zum Ortsstrand von Tavira auf einer vorgelagerten Sandbank zu gelangen, besteigen wir ein Boot und schippern hinüber. Einer von uns zerzaust der Wind die Haare, der andere setzt sich einen Bucket Hat auf die blasse Platte.
Wir spazieren los und finden eine noch unbenutzte Strandhütte, auf deren verwaister Terrasse wir uns niederlassen. Der ideale Ort, den Sonnenstrahlen entgegen zu grinsen und in der „Portugiesischen Reise“ Weisheiten zu löffeln:
„Es gibt in Portugal wunderschöne Dinge zu sehen.“
José Saramago
Schockverliebtheit: Ausflug nach Santa Luzia
Am nächsten Tag durchstreifen wir einen Ort, der, doch das wissen wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht, zu einem unserer Algarve-Highlights wird: das Fischerdorf Santa Luzia.
Santa Luzia ist mangels Bahnhof nicht mit der Bahn zu erreichen. Uns bringt ein Taxi hin. Auch ist das Dorf das perfekte Ziel einer kleinen Radtour.
Santa Luzia, drei Kilometer westlich von Tavira, liegt an einer algarvetypischen Ria, einem mit Meerwasser gefüllten Lagunensystem, welches das Festland von der vorgelagerten Sandbank trennt.
Opis grüßen vom Fensterbrett. Boote spiegeln sich im Wasser. Und die Oktopusfischer sitzen mit Bierfläschchen vor ihren Holzhütten neben den aufgetürmten Krügen und Reusen, die für den Krakenfang benötigt werden. Das charmante Santa Luzia ist die Oktopushochburg der Algarve.
Wir spazieren durch Pflastergassen vorbei an Azulejos in allen möglichen Farben und Mustern. Als es Abend wird, setzen wir uns in ein kleines Lokal in den hinteren Reihen und lassen uns das auftischen, was man hier am besten kann: Oktopus. Wir essen einen Salat aus Oktopuseiern und danach Oktopus aus dem Ofen:
Es gibt sie noch, die wirklich glücklichen Momente im Leben. Wir kommen wieder, Santa Luzia. Das nächste Mal länger.
Fuseta: Das Dorf in den Salzfeldern
Zwischen Tavira und Olhão liegt das Städtchen Fuseta, umgeben von einer bezaubernden Szenerie. Unser Algarve-Bähnlein fährt durch Marschland. Zwischen Salzfeldern wachsen Heidekraut und gelber Sauerklee.
Die Gegend ist durchzogen von Rad- und Wanderwegen:
Fuseta selbst ist ein freundlicher, schachbrettförmig angelegter Ort, mit Santa Luzia jedoch kann er es nicht aufnehmen. Am winzigen landeinwärts gelegenen Dorfplatz gibt es ein paar Lokale. Auch am Hafen hat es welche, man kann sie kaum verfehlen – einfach dem Grillfischduft hinterher.
Zu den XXL-Stränden auf den vorgelagerten Sandbänken fahren Boote. Direkt vor Ort kann man ebenfalls baden. Der kleine Sandstrand von Fuseta ist gar nicht verkehrt und jetzt, mittlerweile Anfang März, schon von ein paar Hartgesottenen bevölkert:
Nächster Halt Olhão
Olhão – die Alltagsschönheit mit Herz hat es uns angetan. Hier verbringen wir ganze fünf Tage. Zentrum und Treffpunkt des 14.000-Einwohner-Städtchens ist das Eck rund um die beiden Markthallen an der Uferpromenade, eine für Obst und Gemüse, die andere für Fisch und Meeresfrüchte.
Letztere ist die eindeutig spannendere, wir können von ihr gar nicht genug bekommen. Glubschäugige Atlantikbewohner schauen uns aus ihren Eisbetten an, die kleinen Welse wirken wie Plüschtiere. Chocos (Sepien) liegen in ihrer eigenen Tinte, daneben broschengroße Baby-Oktopusse. Es gibt Muscheln und Garnelen, dazu Thunfisch, frischen genauso wie getrockneten in dunkelroten Rechtecken. Letzter wird Muxama oder Presunto do Mar genannt, „Schinken des Meeres“.
Hinter der Uferstraße verliert man sich schnell in einem Labyrinth aus schmalen Gassen. Die meisten Häuser sind schneeweiß getüncht, pastellfarbene setzen Akzente. Ein Hauch Nordafrika.
Wir beziehen ein Zimmer in einem typischen Altstadthaus – mehr Kämmerchen als Zimmer, um genau zu sein. Dafür mit hohem Charmefaktor. Die Stiegen hinauf sind steil und nur schulterbreit. Dafür haben wir eine herrliche Dachterrasse und diese meist ganz für uns alleine. Darauf ein maurisch anmutendes Rundtürmchen, einem Pavillon ähnlich. Frei fliegt der Blick von dort über Olhão. Eine Traumunterkunft für faires Geld. Hier könnt Ihr buchen.
Am Abend sitzen wir in rustikalen Fischtavernen wie dem → Horta an der Uferpromenade. Dort gibt es Wohlfühlküche in guter alter Speisegaststätten-Atmo. Wir essen Schweinefleisch mit Venusmuscheln, frittierte Kabeljaubällchen und den sagenhaft guten Meeresfrüchte-Eintopf Cataplana. Am Nebentisch schaut sich die Oma des Hauses eine Gesundheits-Talkshow an. Es geht um Nasenpolypen.
Ausflug: Mit dem Boot von Olhão zur Ilha da Culatra
Olhão ist die Ilha da Culatra vorgelagert, eine für die Algarve typische Sandbankinsel, sieben Kilometer lang und an der engsten Stellen gerade 150 m breit. Die halbstündige Bootstour zur Ilha führt durch eine amphibische Landschaft. Die Gezeiten sorgen dafür, wer die Oberhand behält: Meer oder Land.
Wir steigen an der Westspitze der Insel aus, in Farol, wie die Siedlung am namengebenden Leuchtturm heißt. Noch zwei weitere Siedlungen gibt es auf der Insel, allerdings nur wenige Restaurants und nochmals weniger Zimmer – auf Übernachtungsgäste ist man nicht wirklich eingestellt. Von Farol spazieren wir den unverbauten Sandstrand entlang gen Osten. Der Atlantik gibt sich friedlich, macht auf Mittelmeer. Schillert mal blau, mal eher türkis.
Faro: Spannende Architektur
Die Bahn bringt uns zurück nach Faro, wo unsere Zugreise entlang der Algarve vor mehr als einer Woche startete. Dieses Mal bleiben wir.
Wer sich Faro als trubeligen Badeort mit Plastikkrokodilkitsch vorstellt, denkt falsch. Wie Olhão liegt auch Faro zurückversetzt vom Atlantik an einer Salzwasser-Ria, die zum Parques Natural da Ria Formosa gehört. Zur Sandbank vor Faro sind es vom Zentrum Faros Luftlinie vier Kilometer. Diese Distanz sorgt dafür, dass die „Ich-will-nur-am-Strand-liegen-und-braun-werden“-Klientel im Zentrum Faros eher weniger vertreten ist. Das ist wohltuend.
Im Zentrum findet man nette Läden und Cafés, historisch bedeutsame Kirchen und einen Mercado Municipal. Wir streifen durch romantische Holpergassen und verschnaufen auf gemütlichen Plätzen.
Unser eigentliches Interesse gilt in Faro jedoch der modernen portugiesischen Architektur. Faro gehört zu den Städten mit der größten Dichte an Bauten der portugiesischen Moderne. 500 modernistische Gebäude gibt es in town, die grob zwischen 1920 und 1980 errichtet wurden. Wer sich dafür interessiert, sollte unseren Detailartikel über Faro lesen und am besten gleich damit losstiefeln: → Portugiesische Moderne an der Algarve: Architektur-Sightseeing in Faro
Silves: Abseits der Küste
Auch im Hinterland wollen wir einen Halt einlegen, im historischen Silves, das ebenfalls an der Linha do Algarve liegt. Anderthalb Stunden dauert die Zugfahrt von Faro nach Silves, fünf Euro kostet der Bahnspaß.
Durch die teils blinden Scheiben des Zugs leuchtet die Frühlingssonne. Die Küste ist zersiedelt. Orangenplantagen ziehen an uns vorüber, die Bäume hängen voller Früchte. In der Ferne erhebt sich die Serra de Monchique, ein Gebirgszug, der im Winter kalte Nordwinde von der Algarve fernhält. Wir stoppen an fotogenen Bahnhöfen. Dort steigen englische Touristen in Flipflops und Tops zu, die Locals in Steppjacken.
Ankunft in Silves. Der Bahnhof liegt 1,5 Kilometer vom Zentrum entfernt. Keine Taxi weit und breit. Wir spazieren ins Städtchen und beziehen ein Zimmer in einem herrlich altmodischen Hotel.
Vom Balkon blicken wir auf die Kathedrale und die mächtige Festung von Silves.
„Die Burg stammt von den Mauren. Sie ist eine Ruine, aber wunderschön. Und der rote Stein (…) vermittelt den Eindruck, als sei sie frisch erbaut…“
José Saramago
Der Himmel hängt voller Störche. In dem kleinen Tal zwischen unserem Hotel und der Altstadt gibt es auf fast jedem Baum zwei bis drei Storchennester, groß wie Traktorreifen. Teils teilen sich mehrere Storchenpaare einen Baum – Storchen-WGs dieser Art haben wir noch nie gesehen.
Den ganzen Tag wird geklappert und gevögelt. Die Tiere scheinen bestens gelaunt zu sein, gerade ist Brutzeit. Wie die sonnenhungrigen Europäer zieht es mittlerweile auch die Störche zum Überwintern nach Südportugal. Seit die Winter warm genug sind, erübrigt sich der weite Flug nach Afrika.
Stadtspaziergang. Das Gesamtbild der Kleinstadt ist stimmig: Pflastergassen. Eine gotische Kirche. Ein Archäologisches Museum. Und eine Burg, die aus der Ferne imposanter wirkt als vor Ort.
Das Café inmitten der Festungsmauern schenken wir uns. Stattdessen gabeln wir im Café da Rosa am Largo do Município kleine Käse-Orangen-Törtchen. Die Teilchen sind nicht nur irre gut. Nein. Sie werden auch noch in herrlich puppenstubigem Ambiente vor nostalgischen blau-weißen Azulejo-Wänden serviert.
Kurz vor der Dämmerung setzt die Sonne die Buckelgassen des Städtchens derart in Szene, dass aus Katzenkopfpflaster Katzengoldpflaster zu werden scheint. Es braucht wirklich nicht viel, um uns lichtentwöhnte Berliner in Begeisterung zu versetzen.
Zeit fürs Abendessen. Wir entscheiden uns für das urige Lokal O Pina in der Rua Latino Coelho 11. Verkachelte Wände, blau-weiße Tischdecken. Es gibt nur zwei Gerichte: Stöcker (Carapau) mit Pommes und Reis, dazu Schweinefleisch mit Kichererbsen. So gut schmeckt der Eintopf, dass wir uns von der gastfreundlichen Dame des Hauses später das Rezept verraten lassen. In Deutsch. Sie hat eine Zeit lang in Münster gelebt, selbst das Wörtchen „Wacholderbeeren“ ist ihr nicht fremd. Mit Wein und Trinkgeld bezahlen wir 26 Euro.
Ferragudo: Touristennest mit Charme
Es wird mal wieder gestreikt. Der Zug, mit dem wir eigentlich nach Ferragudo fahren wollen, fällt aus. Zwei Stunden müssen wir bis zum nächsten warten. Wir verbringen die Zeit vor einer Kneipe nahe dem Bahnhof von Silves. Das Viertel ist ärmlich, die Postkarten-Algarve weit weg.
Während die Märzsonne unsere Nasen rötet, betreiben wir Sozialstudien. Auf den Holzbänken neben uns sitzen alte Männer bei Schnaps und Café. Und mittelalte Frauen beim Cerveja. Es ist elf Uhr morgens.
Der Zug kommt. Wir steigen ein. Und fahren nach Ferragudo und damit in einen Ort, über den wir gelesen hatten, dass er noch einer der zahmeren Touristenorte zwischen Faro und Lagos sei. An diesem Küstenabschnitt nämlich liegen die Bilderbuchstrände der Algarve – die mit den leuchtenden Sandsteinklippen und imposanten Felsformationen. Der Haken: Da will jeder hin. Folge: Wo jeder hin will, muss es Betten für alle geben. Bettenburgen also.
Ferragudo ist zwar selbst jetzt im März mehr Touristendorf als Fischerdorf, das Malerische aber kann man dem Zentrum nicht absprechen – zumindest dann nicht, wenn man den Hauptplatz mit seinem La-Paloma-Alleinunterhalter, den Souvenirshops und den Aufreißern vor den Restaurants den Rücken kehrt.
Im Nacken des Platzes nämlich ist Ferragudo durchaus hübsch. Es gibt enge Gassen, ein Kastell, eine Pfarrkirche und einen noch rudimentär vorhandenen Fischerhafen, der sich am Abend von seiner Schokoladenseite zeigt:
Südlich von Ferraguda erstrecken sich unterhalb der Steilküste ein paar Sandstrände, die die Algarve-Klischees voll und ganz erfüllen. Die Praia dos Caneiros kommt jetzt im März fast noch jungfräulich daher. Ist sie nicht ein Träumchen?
Ausflug: Portimão und Praia da Rocha
Westlich von Ferragudo mündet der Arade ins Meer. Auf der anderen Seite des Flusses erstreckt sich Portimão. Der Blick von der Kirche von Ferragudo hinüber lässt nichts Gutes ahnen. Selbst die schönste Abendstimmung kann dieser Stadt nicht schmeicheln:
Trotzdem entscheiden wir uns für einen Ausflug nach Portimão. Warum?
- Weil wir uns in einem der dortigen Grillrestaurants die Bäuche mit Sardinen vollstopfen wollen. Denn: Portimão ist die Sardinen-Kapitale der Algarve.
- Weil wir die Praia da Rocha südlich von Portimão sehen wollen, einen echten Beach-Promi.
Das Sardinenessen wird zum Volltreffer. Mit Freunden, die zufällig auch in der Gegend sind, lassen wir uns eine Platte mit den besten Sardinhas ever ever reichen:
Dazu trinken wir einen herrlichen Weißwein, luftig und leicht. Oder lassen wir besser José Saramago sprechen:
„Der Wein war so wie Wein sein muss, unwiderstehlich und schnell geleert.“
Nach der üppigen Mahlzeit schauen wir uns noch die Praia da Rocha an, den „Strand der Felsen“. Und formen dabei die Münder zum „O“. Tatsächlich hat die Natur der Algarve nicht nur die leckersten Sardinen spendiert, sondern auch ein paar der spektakulärsten Strände der Welt. Mit den skurrilen Felsgebilden und Arkaden ist der Strand zu Recht ein Supermodel unter den Stränden dieses Planeten:
Aber schaut mal, wie es oben auf den Klippen aussieht. Gruselig, oder? Sanfter Tourismus ist hinter der Praia da Rocha leider nicht die Leitmaxime. Kurz mal gucken, ist okay. Bleiben aber wollen wir hier nicht.
Lagos: Verdammt gute Street Art
Auf dem Weg nach Lagos scheint die Sonne, beleuchtet die Felder mit sanften Strahlen. Als wir jedoch in den Bahnhof von Lagos einrollen, der westlichen Endstation der Linha do Algarve, hat sich schon ein Graufilter über die Welt gelegt. Das Wetter wird so bleiben in den nächsten Tagen: Nieselregen, dicke Wolken, Wind.
Egal: Im März kann der Algarvehimmel auch mal schlechte Laune haben. Immerhin wohnen wir gemütlich, mit Blick über die verregnete Stadt:
Wir spannen unsere Regenschirme auf und schlendern durch die Gassen des 23.000 Einwohner zählenden Städtchens. Portugiesisch hören wir kaum, dafür viele andere Sprachen. Lagos besitzt internationales Flair. Dafür sorgen aber nicht nur Urlauber. Auch viele Ausländer haben sich hier niedergelassen, darunter eine große Zahl Deutscher.
Lagos schüttelt so ziemlich alles aus dem Ärmel, was ein portugiesischer Ort mit Historie so hat: eine Stadtmauer, ein Fort am Wasser, Paläste und opulent ausstaffierte Kirchen.
Die so kleine wie feine Igreja de Santo António aus der Mitte des 18. Jahrhunderts schießt diesbezüglich den Vogel ab. Die Putten tanzen wild im güldenen Ballsaal Gottes. Darüber wölbt sich ein illusionistischer Freskenhimmel. „Man fühlt sich im Inneren wie in einem Schatzkästchen“ schreibt Michael Müller in seiner Algarve-Bibel. Und in der Tat: Mehr Gold in Kirchen haben wir bisher nur in den Gotteshäusern der brasilianischen Goldgräberstädte gesehen. Die Igreja de Santo António ist heute Teil eines modernen, gut konzipierten Stadtmuseums.
An die schönen Strände der Umgebung – lange Dünenstrände genauso wie kleine Felsbuchten, zieht es in unseren Lagos-Tagen nur wenige Urlauber. Hier die versteckt gelegene Praia do Pinhão:
Lagos bietet jedoch nicht nur Strände und Altes, sondern auch ganz schön viel Junges und Frisches. Lagos ist eine der angesagtesten „Street Art Cities“ Portugals. Zu verdanken ist dies der Kunst- und Kulturorganisation LAC, die in einem ehemaligen Knast residiert. Was es damit auf sich hat und wo sich die spannendsten Murals von Lagos befinden, beschreiben wir in einem separaten Artikel: Murals der Algarve: Street-Art-Tour durch Lagos
Literaturtipp
Verleger Michael Müller, der in Porto lebt, aber auch in Lagos bekannt ist wie ein bunter Hund, lässt in seinem → Reiseführer zur Algarve kaum eine Frage offen.
Mehr Portugal hier auf dem Blog
- Portugiesische Moderne an der Algarve: Architektur-Sightseeing in Faro
- Roadtrip Alentejo: Von weißem Dorf zu weißem Dorf
- Lost Place Mina de São Domingos: Das aufgegebene Bergwerk im Alentejo
- Strände, Pools und heiße Quellen: Badespaß auf São Miguel
- Mauerwerke am Douro: Street Art in Porto
- Viana do Castelo: A wie Azulejo, P wie Praia und VVT wie Vinho Verde Tinto
Ihr Lieben,euer toller Bericht animiert mich sofort diese Reise nach zufahren.Coole Idee die Algave per Zug zu bereisen.Danke für die vielen Tipps und auch kritischen Bemerkungen. Viele schöne Impressionen und unterhaltsam geschrieben. Freue mich auf weitere Berichte von euch.LG Christiane
Liebe Christiane, herzlichen Dank wieder einmal für das nette Feedback und viele Grüße zurück, Gabi und Michael
Oh, mir geht das Herz auf: Ich liebe die Sandalgarve … ist ein bisschen meine zweite Heimat. Da kommt „Saudade“ (wie die Portugiesen so schön sagen) auf, wenn ich eure Bilder von Tavira, Olhao und der Ria Formosa sehe. Mit der Bahn konnte ich bei meinem letzten Besuch leider nicht fahren, da wurde gestreikt. Danke für die schönen Eindrücke
Carola
Liebe Carola, an deine schönen Berichte von der Algarve können wir uns auch noch erinnern, du kennst die Gegend mit Sicherheit deutlich besser als wir. Wenn wir gerade so aus dem Berliner Fenster auf das Grau da draußen schauen, kommt auch bei uns Saudade auf, aber sowas von 🙂 Alles Gute und viele Grüße von Gabi und Michael