Ganz klar: Balat und Fener sind keine Geheimtipps mehr. Seit die Kadir-Has-Universität hierher zog, erleben die Viertel hinter dem Goldenen Horn einen Restaurierungsboom. Der sorgt für Veränderung in den steilgassigen Kiezen. Die einst morbid-charmanten Fassaden werden bunter, vorzeigbarer, instagramiger. Und locken nun Touristen an. Selbst Ausflügler aus der eigenen Stadt verbringen hier gerne einen freien Tag, stöbern in Trödellädchen und hängen danach in einem der vielen hübschen Cafés ab.

 

Menschen sitzen in einem Café

 

Balat und Fener sind aufgewacht. Die Viertel, die bis vor zwei Jahrzehnten noch bildschön vor sich hinbröckelten, haben sich schick gemacht, in Teilen zumindest. Sind auf dem besten Weg, zum nächsten Big Thing in der Millionenmetropole zu werden.

 

Lastenträger in einer Cafégasse
Ein Schrotthändler sucht Ware in einer Gasse voller Hipstercafés: Balat und Fener sind Stadtteile im Wandel

 

Wandel ist hier keine Unbekannte. Als Istanbul noch Konstantinopel hieß und Hauptstadt des multireligiösen Osmanischen Reichs war, lebten in Balat und Fener vornehmlich Juden, Griechen und Armenier. Aber dann machte die nationalistische kemalistische Republik den nichtmuslimischen Minderheiten das Leben schwer. Die meisten Juden zogen nach Israel, die meisten Griechen und Armenier nach Europa. Sie hinterließen Synagogen, Kirchen und Häuser, die nach und nach von frommen Muslimen aus Anatolien übernommen wurden.

Noch ist in Balat und Fener vornehmlich das einfache Volk zu Hause. Den Bewohnern aber bereitet die Entwicklung Sorge. Sie befürchten steigende Mieten und die Vertreibung an den Stadtrand.

 

Inhaltsverzeichnis

 

 

Anfahrt: Mit der Fähre nach Ayvansaray

Ausgangspunkt unseres Spaziergangs durch Balat und Fener ist das unmittelbar an Balat angrenzende Viertel Ayvansaray. Fahrt mit dem Fährschiff hin, das ist die schönste Anreisevariante! Die kleinen Fähren legen östlich der Galatabrücke in Karaköy ab. Hier gibt es einen Fahrplan.

Die Schiffsfahrt garantiert eine magische Moscheenkulisse. Ihr schippert das Goldene Horn entlang. Ihr wisst nicht, was das Goldene Horn ist? Als Goldenes Horn bezeichnet man den elf Kilometer langen und 400 Meter breiten Meeresarm, der die europäische Hälfte der Stadt durchschneidet.

 

Blick auf Moscheen zum Sonnenuntergang
Die Brücke am Goldenen Horn: Blick von der Galatabrücke

 

Das Fährschiff unterquert zunächst die Galatabrücke mit ihren Restaurants im Untergeschoss (wo Ihr unbedingt ein Bier zum Sonnenuntergang trinken solltet). Dann schippert es unter der Haliç-Metrobrücke hindurch, auf der eine U-Bahn (!) das Goldene Horn passiert. Der Bau der Metrostation auf der Brücke hatte die UNESCO so aufgebracht, dass sie drohte, Istanbul auf die Rote Liste des gefährdeten Welterbes zu setzen.

 

Brücke und Moschee im Sonnenuntergang
Haliç-Metrobrücke

 

Die erste Station, an der das Schiff anlegt, ist Kasımpaşa. Der Stadtteil ist für manche Türken fast heilig, weil Erdoğan dort aufgewachsen ist. Danach steuert das Schiff auf Fener zu. Dort seht Ihr einen großen rötlichen Backsteinbau über bunten Häusern aufragen. Es ist das Özel Fener Rum Lisesi, eine noch aktive griechische Schule:

 

Mächtiger Backsteinbau, darunter Häuser mit bunten Fassaden
Fener Rum Lisesi

 

Wir verlassen das Schiff aber nicht in Fener und auch nicht in Balat. Erst an der Anlegestelle von Ayvansaray gehen wir von Bord.

 

Von Ayvansaray nach Balat

Vom Fähranleger Ayvansaray spazieren wir durch Grünanlagen geradewegs hinein nach Ayvansaray und auf die griechisch-orthodoxe Marienkirche von Blachernae zu. Sie ist eine von vielen (ehemaligen) Kirchen in diesem Teil Istanbuls. Vielleicht habt Ihr Glück und das Gotteshaus ist geöffnet. Wenn nicht, geht es vor der Kirche links ab. So gelangt Ihr ins dörfliche Zentrum von Balat.

Auf der Mahkemealtı Caddesi findet dienstags der Wochenmarkt statt, ein super Tag für diesen Spaziergang. Ayşe Normalverbraucherin kauft hier Eier, frischen Fisch, Obst und Gemüse.

 

Frau mit Kopftuch läuft durch einen Gemüsemarkt
Dienstags ist Wochenmarkt in Balat

Fischverkäufer

 

Im Wirrwarr der abgehenden Gassen stehen viele Häuser leer oder sind im Verfall begriffen. Andere sind restauriert und farbenfroh gestrichen: Flamingopink, Matchagrün, Himmelblau, Sonnenblumengelb. Wer genauer hinschaut, entdeckt schöne Erker oder aufwendige Portale mit armenischen oder griechischen Inschriften. Relikte aus alten Tagen.

 

 

Frauen mit Kopftüchern sitzen auf Bordsteinen und tratschen. Balat ist heute ein schwer konservatives Viertel. Alkohol ist rar. Wer ihn aber sucht, der findet ihn auch, zum Beispiel bei Murat:

 

Murat Tekel Balat

 

Synagogen und Kirchen: Die Sakralbauten Balats

Auch alte Synagogen liegen im Gassenwirrwarr Balats versteckt. Dazu gehört die Ahrida-Synagoge aus dem 15. Jahrhundert, die als die schönste Synagoge der Stadt gilt. Sie liegt an der Kürkçü Çeşme Sok. 7. Leider kann sie nur mit Genehmigung betreten werden. Die gibt’s beim Istanbuler Oberrabinat.

Bessere Chancen auf eine Besichtigung habt Ihr bei der Surp-Hreşagabet-Kirche an der Kamış Sokak 2, deren Inneres in ein zartes Rosa getaucht ist. Die ursprünglich griechische Kirche wurde bereits 1627 von Armeniern übernommen.

 

Inneres einer orthodoxen Kirche mit viel Rosa
Surp-Hreşagabet-Kirche

Die mit Abstand spannendste (ehemalige) Kirche Balats ist jedoch die Marienkirche Pammakaristos, in der heute unter dem Namen Fethiye Camii zu Allah gebetet wird. Dafür müsst Ihr den Buckel hoch. Verlaufen ist in den Gassen von Balat und Fener übrigens Programm, also nicht ärgern über ein paar zu viel gegangene Meter.

Die Fethiye Camii befindet sich an der gleichnamigen Straße hoch über dem Goldenen Horn in einem Wohngebiet, wo frisch gewaschene Wäsche über der Straße hängt und gefühlt alle zwanzig Meter eine Katze abhängt – auf der Straße, auf Autodächern, Briefkästen und Fenstersimsen.

 

Wäsche an einer Leine über einer Straße
Auf dem Weg zur Fethiye Camii

 

Doch zurück zur Fethiye Camii. Der byzantinische Sakralbau wurde vermutlich im 10. Jahrhundert als Teil eines Klosters errichtet. Aufwendige Restaurierungsarbeiten brachten in der Grabkapelle (heute Museum) kostbare Mosaiken aus dem 14. Jahrhundert zutage, darunter ein spektakuläres Kuppelmosaik mit Jesus als Pantokrator und den zwölf Aposteln.

 

Goldenes Kuppelmosaik Jesus Pantokrator
Spektakulär: die Mosaiken in der Grabkapelle der Fethiye Camii

Diese Diashow benötigt JavaScript.

 

Hinunter zur Leblebiciler Sokak

Die Leblebiciler Sokak ist eine der Vorzeigegassen Balats. In dem von Wein überrankten Gässchen gibt es urige Trödellädchen und alteingesessene Handwerksbetriebe. Dazu Cafés und Restaurants, selbst ein veganes.

Zwei aus der Reihe fallende Lädchen möchten wir Euch vorstellen. Zum einen Sevda Gazozcusu (Leblebiciler Sok. 4), wo neben selbstgemachter Limonade außergewöhnliche Limos aus der ganzen Türkei in Minifläschchen verkauft werden. Probiert mal Kaffee-Minze oder Mandel!

 

 

Nur einen Steinwurf davon entfernt, befindet sich in Hausnummer 33 Balat Merkez Şekercisi, ein im wahrsten Sinne des Wortes zuckersüßer Bonbonladen. Er existiert bereits seit 1879. Neben Bonbons gibt es auch Lollis, Zuckerwatte und Paradiesäpfel.

 

Abstecher zum Ufer

Von der Leblebiciler Sokak spazieren wir ans Ufer des Goldenen Horns. Die Meerenge riecht zum Glück nicht mehr wie in den 1980er- und 1990er-Jahren. Damals flossen noch Abwässer ungeklärt hinein, die Ufer wurden von Werften und Industriebetrieben gesäumt. Das Goldene Horn war eine Kloake im Herzen der Stadt.

Heute gibt es entlang des Goldenen Horns Grünstreifen und Sportanlagen. Im Balat Parkı nördlich der Fähranlegestelle Balat wurde anlässlich der Istanbuler Biennale 2022 eine Arbeit der in Berlin und Istanbul lebenden Künstlerin Ayşe Erkmen aufgestellt. Das Werk aus Edelstahl zeichnet die Form des Goldenen Horns nach und nennt sich Haliç Haliçte. Auf Deutsch: „Das Goldene Horn im Goldenen Horn“.

 

Edelstahlkunstwerke am Wasser
Ayşe Erkmen: Haliç Haliçte

 

In einem vom Verkehr umrauschten Grünstreifen südlich des Fähranlegers, also Richtung Fener, steht die Kirche St. Stephan von Bulgarien, ein wirklich schräges Ding von einer Kirche. Sie besteht aus Gusseisenteilen, die in Wien vorfabriziert und 1898 über die Donau und das Schwarze Meer nach Istanbul geschippert wurden.

 

Graue Kirche und grauer Himmel
Die Kirche St. Stephan von Bulgarien außen…

 

Noch heute wird die Kirche von der mittlerweile arg geschrumpften bulgarisch-orthodoxen Gemeinde genutzt. Geht rein, ist schön drin!

 

Diese Diashow benötigt JavaScript.

 

Über die Vodina Caddesi zum Patriarchat

Die Vodina Caddesi ist die Lebensader von Fener. Dort reihen sich für Instagram aufgebrezelte Cafés, Plattenläden, Bäcker, Saftverkäufer, Antiquitätenläden und weiß der Henker noch was alles aneinander. Hier flaniert man, hier isst man New York Cheese Cake, trinkt Cappuccino und Flat White. Vor allem am Wochenende ist gut was los.

 

Plattenladen
Vodina Caddesi: Plattenverkäufer, Bäcker, Cafés

 

In den alteingesessenen Trödelläden Feners finden übrigens auch Auktionen statt, Fener und Balat sind bekannt dafür. Schaut zum Beispiel mal hier.

 

Tröger Bussmann Balat Istanbul
Wer gerne in Trödlerlädchen stöbert, ist in Balat und Fener goldrichtig

 

Je mehr man sich dem Ökumenischen Patriarchat nähert, desto trubeliger präsentiert sich Fener. In originellen Läden werden kunterbunte Vintageklamotten verkauft. Cafés stellen Tische und Stühle in die Gassen und Sträßchen. Auch Studenten der nahen Kadir-Has-Universität trifft man dort.

 

Cafelife 1890
Fener: Cafés und Vintage

Diese Diashow benötigt JavaScript.

 

Das Patriarchat sitzt bereits seit 1601 im Stadtteil Fener. Es gilt nach altkirchlicher Tradition als das geistige Zentrum der orthodoxen Christenheit. Patriarch Bartholomäus I. (geb. 1940) ist jedoch anders als der Papst lediglich symbolisches Oberhaupt ohne umfassende Rechtsgewalt.

 

Patriarch Bartolomäus I. Istanbul Prozession
Patriarch Bartholomäus I.

 

Die zum Patriarchat gehörende, reich ausgeschmückte Kirche Hagios Georgios stammt aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, die Ikonen und Mosaiken darin sind jedoch wesentlich älter. Wir haben dort mal ein orthodoxes Osterfest erlebt – eine sehr sehr eindrucksvolle Zeremonie, die auch das Herz eines Atheisten erweicht.

 

Frau zündet Kerzen in einer orthodoxen Kirche an
Orthodoxes Osterfest im Patriarchat

 

Literaturtipp

Im Juli erscheint unser → Istanbul-Reiseführer  in einer Neuauflage. Im Buch gibt es auch ein ausführliches Kapitel über Balat und Fener mit einem detaillierten Spaziergang und vielen zusätzlichen Infos und Adressen.

 

Mehr Istanbul und Türkei bei uns auf dem Blog

 

Gib süßen oder scharfen Senf dazu (E-Mail-Adresse wird nicht angezeigt)

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein