STRASSENNERDS, AUFGEPASST!

Der Taş Yolu („Steinweg“) ist ein rund neun Kilometer langes Passsträßlein im nahezu menschen- und baumlosen Nirgendwo Südostanatoliens. Laut → dangerousroads.org gehört er zu den gefährlichsten Straßen der Welt. Der Pass verläuft hoch (hooooch!) über dem türkisgrünen Euphrat, der sich hier einen tiefen, sandbeigefarbenen Canyon gegraben hat. Ein bisschen Marlboro Country, ein bisschen Sandalenfilmkulisse. Die nächstgrößeren Städte liegen weit über 100 Kilometer entfernt, im Süden sind es Elazığ und Malatya, im Norden Sivas und Erzincan. Und dazwischen weites, weites Land. 2014 haben wir unser Herz in die Hand genommen und sind die Strecke einmal gefahren.

 

 

AUGEN AUF UND DURCH!

Wir haben sie beide gesehen. Die zwei Schilder am Beginn des Taş Yolu. Zwei rote Kreise.

Der eine umrundet die Angabe „Für Fahrzeuge nicht höher als 2,20 m“.

Der andere: „Für Fahrzeuge nicht breiter als 1,70 m“.

Der erste stockfinstere Tunnel. Wir holpern über loses Gestein. Im Scheinwerferlicht tanzt aufgewirbelter Staub. Plötzlich sehen wir Fels, ganz nah durch den oberen Bereich unserer Windschutzscheibe. Wie ein Megastalaktit hängt er herab. Wir ziehen reflexartig den Kopf ein. Hinter dem Tunnel tut sich eine schmale Schneise in der Felswand über dem Abgrund auf, einer Rinne gleich, nur in der Senkrechten. Wie ein Holzwurmpfad im Querschnitt. Rechts von uns, gefühlt 100 Meter tiefer, der Euphrat. Und Gabi fragt, was auch mir durch den Kopf geht:

„Sag mal, wie hoch ist denn unser Fahrzeug eigentlich?“

„Weiß nicht, aber ich glaube unter zwei Meter.“

„Sicher?“

„Wenn wir eine Fähre buchen, gebe ich immer an, dass unser Fahrzeug unter zwei Meter ist.“

„Und was gibst du da für eine Breite an?“

„Nach der Breite wird man bei Fährbuchungen nicht gefragt.“

„Sicher?“

„Ich glaube nur noch nach der Länge.“

„Okay. Aber wie breit ist unser Auto?“

„Ich denke mal, in etwa so breit wie hoch.“

„Mir scheint aber, dass unser Auto größer ist als du, und du bist ungefähr 1,90 m groß.“

„Nicht ganz.“

„Egal, aber damit ist unser Auto zu breit für den Taş Yolu.“

Nur. Was sollen wir tun? Wir sind schon zu weit gefahren. An ein Umdrehen ist nicht mehr zu denken. Zeitweise nicht mal an einen Rückzug zu Fuß. Die Holperpiste ist mittlerweile so schmal, dass man die Tür nicht mehr aufmachen kann – links wegen der Felswand, rechts wegen des Abgrunds zum Euphrat. Und rückwärts fahren? Um Himmelswillen. Und was ich gedanklich zu verdrängen versuche, fasst Gabi in Worte:

„Michael! Was machen wir, wenn uns ein Fahrzeug entgegen kommt?“

 

ZUM GLÜCK KEIN GEGENVERKEHR

Ja, wir haben es geschafft! Aber wir können Euch sagen: Uns stand der Schweiß auf der Stirn. Zum Glück blieb der Gegenverkehr aus. Und zum Glück haben es auch nur die ersten paar hundert Meter wirklich in sich – aber das wussten wir nicht. Danach wird der Fahrweg breiter, wird mehr zu einem Absatz in der Felswand und führt auch immer wieder durch Tunnelpassagen – Momente des Aufatmens. Wir hatten stetig Angst, dass sich die engen Passagen wiederholen. Wir vergaßen zu rauchen und spektakuläre Fotos zu machen. Für die sensationelle Fantasylandschaft um uns herum hatten wir kaum einen Blick übrig. Wie schade.

Andere haben da scheinbar mehr Arsch in der Hose. Auf diesem Youtube-Video seht Ihr, mit welcher Leichtigkeit die Tour auch zu machen ist (ein Dank geht an Alper Gürsoy, çok teşekkür ederiz):

 

 

HISTORIE DES TAŞ YOLU

Mit dem Bau des Taş Yolu wurde um 1870 begonnen. Ohne Maschinen, mit Hammer, Meißel und Hacken wurde die Straße in den Fels geschlagen. Über Generationen hinweg, 130 Jahre lang. Der Pass sollte dem abgeschiedenen Kemaliye Handel mit den Orten und Städten weiter nördlich ermöglichen. Erst 2002 wurde der Taş Yolu eröffnet und schon acht Jahre später, mit der Eröffnung der neuen Verbindungsstraße von Kemaliye nach Iliç, wieder überflüssig. Unter Straßenabenteurern hat der Taş Yolu Kultstatus. Für uns steht aber fest:

Den Taş Yolu tun wir uns kein zweites Mal an.

 

Bus auf Schotterstraße und Tunnel in Berglandschaft
Aufatmen: Fast am Ende, fast geschafft

 

PRAKTISCHE INFOS

  • Der Taş Yolu beginnt etwa 2,5 Kilometer nördlich des Städtchens Kemaliye, in dem man auch übernachten kann. Kemaliye ist ein Kleinod, alte Herrenhäuser aus Holz und Stein kleben an einem Hang über dem Euphrat. Noch Anfang des 20. Jahrhunderts lebten hier vornehmlich Armenier. Viele von ihnen fanden während in den Jahren 1915/16 im Euphrat den Tod, hinabgeworfen von Klippen.
  • Der Taş Yolu besteht in etwa zur Hälfte aus Tunneln, vor allem Galerietunneln. Bei unserer Fahrt 2014 gab es noch keine Geländer oder Leitplanken. Auf Fotos, die mittlerweile im Internet kursieren, sind aber bereits Aufnahmen zu sehen, die auf ein paar Passagen Geländer zeigen.
  • Im Winter, bei Eis und Schnee, aber auch nach Regen, wenn Bäche über den Pass schießen, ist die Strecke lebensgefährlich! Wer also eine Fahrt dorthin plant, sollte den Sommer dafür wählen. Ach ja, und vergesst nicht, die Maße Eures Fahrzeugs zu checken!

 

Schafe auf einer kargen Weide
Karg: Ostanatolische Landschaft

Blick aus Auto auf karge Weite

 

NACHTRAG

Bei der Recherche zu diesem Beitrag entdeckten wir übrigens, dass es in der Türkei, im Hinterland der Schwarzmeerküste, eine weitere wahnsinnige Straße gibt, den Bayburt Of Yolu, die Straße von Bayburt nach Of (zugleich die D 915). Laut → dangerousroads.org ist dieser Pass „one of the most challenging roads of the world.“ Irgendwann einmal werden wir den Pass anfahren. Aber nicht mehr leichtsinnig an den zwei Schildern vorbei, die die zulässige Höhe und Breite angeben. Denn mittlerweile kennen wir die Maße unseres Fahrzeugs. Höhe: 1,89 Meter, Breite: 1,88 Meter.

 

LITERATURTIPP

Mehr Infos zur Türkei und zum Taş Yolu findet Ihr in unserem Reisehandbuch → „Türkei“, erschienen im Michael Müller Verlag (5. Auflage 2015).

Titelfoto Türkei Michael Müller Verlag

 

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3 Kommentare

  1. Merhaba und guten Tag,

    falls ihr mal wieder in der Türkei unterwegs sein solltet, würde ich mich über eine Begegnung freuen.

    Ich selbst habe ein Ferienhaus in Kalkan, fahre im Frühjahr und Herbst für zwei bis drei Monate mit dem Wohnmobil hin und bin damit auch viel im Land unterwegs. Diesmal fahre ich Anfang September und werde bis in den Dezember bleiben.

    Nebenbei einen kleinen Tipp – wisst ihr wahrscheinlich – in Antalya fährt die Straßenbahn vom Flughafen zum Otogar.

    Viele Grüße
    Gernot Breite

    • Hallo Gernot, danke für den Tipp mit der Straßenbahn (wussten wir noch nicht). Leider steht derzeit keine Überarbeitung unserer Türkeibücher an und damit auch keine neue Recherche vor Ort. Sollten aber die Abverkäufe unserer Bücher wieder ansteigen und der Verlag ein OK geben, steigen wir sofort ins Auto und fahren wieder hin. Über Tipps und Hinweise freuen wir uns übrigens immer… Und eine Begegnung wäre natürlich auch nett. Dir eine tolle Zeit und alles Gute, Gabriele und Michael

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