Dampfender Morgennebel sei noch vor einer Stunde über den See gewabert, erzählt mir Dunja, als ich das Deck betrete. Schade! Wie so oft am Morgen bin ich zu spät dran. Sehe nur noch jenen Dampf, der aus meinem Kaffeepott hochsteigt.
Macht nichts. Was für ein Wow-Tagesbeginn! So fühlt sich Frieden an. Die umliegenden Wälder und die Wolken spiegeln sich im grünen, planen Wasser. Die Ufer liegen noch im Tiefschlaf. Ein Storchenpaar ist allerdings schon wach, fliegt über unsere Köpfe hinweg.
Diesem Morgen an unserem einsamen Ankerplatz im Großen Pälitzsee ist ein nicht minder fotogener Abend vorausgegangen, mit einer instagramigen Abendrot-Show über dem Wasser. Danke Sonne! Der beste Freund warst du uns ja nicht immer während unserer fünf Tage auf einer Motoryacht auf den Rheinsberger Seen.
Anfang Juli 2019. Wir, drei Paare, sitzen auf der Poseidon, einer schnittigen Motoryacht aus Stahl. Innen viel Holz. Außen Weiß und Marineblau. Retrocharme. Unsere Freunde Dunja, Kristina, Holger und Lothar haben uns mitgenommen. Ihr gechartertes Boot hatte noch genügend Platz. In der Kajüte gibt es sechs Kojen in drei Kabinen, dazu noch zwei in der Durchgangskombüse, in der zum Glück niemand schlafen muss.
Praktische Infos für Eueren Motoryacht-Trip über die Rheinsberger Seenkette findet Ihr → am Ende des Beitrags.
Von Rheinsberg nach Rheinsberg: unsere Route
Seen. Kanäle. Schleusen. Über 70 große und kleine Seen bilden die Rheinsberger Seenkette. Da kann man schon mal den Überblick verlieren. Merke daher: Nehmt Euch nicht zuviel vor, vor allem im Hochsommer. Dann nämlich muss man viel Wartezeit an den Schleusen einplanen, teilweise drei Stunden! Das sollte man bei der Routenplanung bedenken.
Vor, zurück, vor zurück: Eine Rundtour im eigentlichen Sinne ist bei einer Tourdauer von vier Tagen nicht möglich, dafür bräuchte man erheblich mehr Zeit! Macht aber nichts.
Was wir in den vier Tagen ohne Stress geschafft haben, seht Ihr auf der Karte. Dort haben wir auch unsere Übernachtungsplätze verzeichnet. Viermal mussten wir insgesamt schleusen.
Morbider Start in Rheinsberg: Totschalter und Sargbetten
Hafencity Rheinsberg. Ein kalter Julimorgen. Ein bisschen mehr als 12 Grad. Hechtsuppe lässt grüßen. Das ist gemein, zählen die Brandenburger Sommer doch zu den heißesten Deutschlands.
Wir schaffen unser Gepäck (wenig) und unsere Verpflegung (viel) aufs Boot. Schauen uns um. Verstauen die Lebensmittel unter den Klappsitzen. Der Kühlschrank? Viel zu klein. Ziehen die Laken über die Matratzen. Ach ja, die Kabinen? Die im Bug ist licht und kuschelig. Die beiden im Heck sind schmäler als schmal und mit Stockbetten ausgestattet. Wer unten liegt, fühlt sich ein wenig wie lebendig begraben.
Briefing. Unser „Einweiser“ ist ein dürrer Brandenburger mit gepiercter Augenbraue. Wir lernen Toilette: Erst Totschalter umlegen, dann vorspülen, dann ziehen. Aber nur das spezielle hauchzarte Toilettenpapier verwenden! Bloß nichts verstopfen! Eine Erklärung, warum Totschalter Totschalter heißt, bleibt er uns schuldig. Dafür erfahren wir, wie die Dusche funktioniert. Und einen Witz, flach wie eine aufgehaltene Hand, gibt’s noch hinterher:
„Fäkalien leer, Frischwasser voll. Andersrum wär’ et doof.“
Das heißt: Unser Boot ist mit 1000 Liter Frischwasser aufgefüllt. Unser Abwassertank – er fasst nur 400 Liter – geleert. Für mehr Frischwasser müssten wir unterwegs eine Marina ansteuern. Genauso zum Kackeablassen. Wir aber werden mit beiden Tanks gerade so hinkommen.
Wir fahren uns warm
Probefahrt im Hafen. Unsere Freunde haben allesamt einen Bootsführerschein und sind hin und wieder auf irgendwelchen Seen zwischen Berlin und der Müritz unterwegs. Michael hat auch einen Bootsführerschein. War im letzten Jahrtausend segelnderweise auf dem Meer unterwegs, hat seitdem aber kein Ruder mehr in der Hand gehalten.
Und ich? Bin völlig blauäugig. Mein persönliches Rätsel dieser Reise: Wie soll man einen Yacht-Oschi wie die Poseidon (über 13 Meter Länge!) ohne Führerschein fahren können? Laut Vercharterer wäre keiner nötig. Doch: Die Enge der Häfen! Die Enge der Schleusen! Die Enge der Brücken, die wir unterqueren! Ich selbst werde bis zur letzten Stunde dieses Trips höchsten Respekt vor der Poseidon haben. Einer „Zicke von einem Boot“, wie Mr. Flachwitz sagt. Einer unzuverlässigen dazu. Bevor ich nämlich überhaupt kapiere, was ein „Bugstrahlruder“ ist, ist selbiges auch schon kaputt. Die Yacht lässt sich so in beschissenen Momenten nur noch beschissen manövrieren. Krass, hierfür keinen Führerschein zu verlangen!
Leinen los!
Wir starten ohne Bugstrahlruder ins Grün-Blaue. Halten Kurs irgendwie gen Norden. Bestens gelaunt, auch wenn der Juli auf September macht. Ein Himmel wie eine graue Wand. Um uns herum nur Wasser.
„Reicht der Rotwein?“
Das ist eine der wichtigen Fragen während der ersten Stunden. Und: Wohin soll es gehen? Unser erstes Ziel wird der Flecken Zechlin am Schwarzen See, dem Räucherfisch wegen. Vom Boot aus macht der Fleck den Eindruck eines gemütlichen Seekaffs. Wir lassen unser Dingi zu Wasser. Lothar treibt eine Lachsforelle auf. Der erste Snack an Bord: vom Feinsten!
Tag 1: Großer Rheinsberger See. Schlabornkanal. Schlabornsee. Jagowkanal. Tietzowsee. Zootzenkanal. Zootzensee. Repenter Kanal. Großer Zechliner See. Zechliner Kanal. Schwarzer See. Zechliner Kanal. Großer Zechliner See.
Unser erster Ankerplatz für die Nacht
Am Abend tafeln wir wetterbedingt im Bauch der Poseidon: Linsen-Paprika-Gemüse mit Orangenjoghurt und lilafarbenen Reis. Das muss man der Poseidon bzw. ihrer Kombüse lassen: Gut ausgestattet ist sie. Ein Gasherd mit zwei Brennern. Töpfe, Pfannen – was man so braucht, alles da.
Unser Ankerplatz im Großen Zechliner See ist ein Ort der Ruhe. Die Nacht ist weniger ruhig, zumindest für mich nicht, einer notorischen Schlechtschläferin. Es schlurft, schwappt und gurgelt. Und unter mir sägt Michael an seinem Sarg.
Einen Scheiß müssen
Einfach mal einen Scheiß müssen. Also nichts müssen. Gar nichts müssen. Das ist das Geile an so einem Trip. Dümpeln, schaukeln, schauen. Quatschen, essen, trinken. Dösen. Dem Leben beim Langsamsein zusehen. Mein Buch liegt unangetastet da. Tagelang. Der Stoff, aus dem die Träume sind, befindet sich um uns herum: Natur, Natur, Natur.
Tag 2: Großer Zechliner See. Repenter Kanal. Zootzensee. Zootzenkanal. Tietzowsee. Prebelowkanal. Großer Prebelowsee. Wolfsbrucher Kanal mit Schleuse Wolfsbruch. Kleiner Pälitzsee.
Das Wetter wird besser. Unser First-Class-Frühstück nehmen wir auf Deck ein:
Nördlich von uns liegt Mecklenburg, südlich von uns Brandenburg. Sieht alles gleich aus. Gleich schön. Wir durchtuckern eine wohltuend unaufgeregte Landschaft, die Herz und Hirn aufräumt. Das Wasser mal mattgrün, mal dunkelblau. Mal glatt, mal knittrig wie ein Seidentuch in Delfter Blau. Und je schräger die Sonne steht, desto mehr ist es von Silberstreifen durchzogen.
Dann eine wundersame Begegnung! Mitten in der Seen-Pampa, kurz vorm Großen Pälitzsee, schwimmt ein schaukelnder Kiosk. Ein einsamer Eismann. Wir tuckern hin und schleckend weiter auf der Suche nach einem Platz für die Nacht.
Plantschen und picheln
Die Schönwettergötter wachen auf! Schicken die Sonne voraus. Auf einen schon warmen Morgen folgt die Heiterkeit eines Sommertags. Wildgänse ziehen vorüber. Eine Schwanenmama schaut mit ihren Jungen vorbei. Schaut uns bettelnd an, als hätte sie ihr Handwerk in der U7 gelernt.
Tag 3: Kleiner Pälitzsee. Großer Pälitzsee. Schleuse Strasen. Ellbogensee. Ziernsee. Havel. Menowsee. Havel. Ziernsee. Ellbogensee.
„Dusche oder See?“
Zum Glück gibt es keine schwierigeren Fragen zu beantworten. Ich entscheide mich für den See. Während Holger und Kapitänin Kristina eine Runde im Schlauchboot drehen, nehme ich ein Bad im kalten Wasser:
Danach steuern wir die Marina von Priepert an. Wir müssen laden, sagt unser Batterieanzeiger. Brauchen Strom für unsere Yacht. Der nämlich hat sich heimlich von den Socken gemacht. Den genauen Grund weiß nur Holger. Aber der schreibt hier nicht. Tatsache ist: Poseidon ist eine Zicke. Punkt.
Später ankern wir im Ellbogensee. Sitzen auf Deck, mit Pastis und der Weinschorle in der Hand. Klönen. Kochen Chili. Sitzen und sitzen. Um uns herum eine Seenlandschaft wie in den Weiten Kanadas.
Shit happens
Tag 4: Ellbogensee. Schleuse Strasen. Großer Pälitzsee. Kleiner Pälitzsee. Canower See. Kleiner Pälitzsee. Wolfsbrucher Kanal mit Schleuse Wolfsbruch. Großer Prebelowsee. Prebelowkanal. Tietzowsee. Jagowkanal. Schlabornsee. Dollgowkanal. Dollgowsee. Rheinsberg.
Am nächsten Tag macht uns die Poseidon zum letzten Mal einen Strich durch die Rechnung. In der Schleuse Strasen stehen wir quer. Das Ruder ist ausgefallen, das Boot nicht mehr manövrierbar. Wir blockieren alles. Die Gaffer sind belustigt, die Paddler und Bootsbesitzer in der Warteschlange genervt.
Mr. Flachwitz wird angerufen. Kommt Stunden später, mit einem Gesicht wie von der Künast ausgeliehen. Irgendwann fährt die Poseidon zwar wieder, irgendwie aber nicht mehr so richtig. Wir sind kurz schlecht gelaunt, machen dann das Beste aus unserem letzten Tag und unserem letzten Abend. Wieder lange Sitzung. Schlagseite.
Tag 5: Dollgowsee. Dollgowkanal. Schlabornsee. Schlabornkanal. Und über den Großen Rheinsberger See zurück nach Rheinsberg.
Bei Schnürlregen halten wir am nächsten Morgen Kurs auf Rheinsberg. Mit kleinen Katern im Gesicht. Aber ganz entspannt und stolz. Endlich haben wir auch einmal den Urlaub gemacht, von dem viele unserer Berliner Freunde so schwärmen. Nun haben wir verstanden, warum.
PRAKTISCHE INFOS
Wo leihen?
Verleiher in ganz Brandenburg findet Ihr auf → reiseland-brandenburg.de. Explizit möchten wir keine Adresse empfehlen. Dafür haben wir zu wenig Erfahrung.
Scheinfrei?
Motoryachten – bis zu einer gewissen Größe – und Hausboote sind bei vielen Verleihern an den Rheinsbergern Gewässern ohne Sportbootsführerschein charterbar. Aber Achtung: Wer gen Süden, nach Berlin schippern will, braucht für viele Wasserstraßen einen Führerschein.
Motoryacht oder Hausboot – die Vor- und Nachteile
- Motoryachten bieten vom Steuerstand oben auf Deck die bessere Rundumsicht. Ein Hausboot hingegen, also eine Art Floß mit Wohnkasten, ist schwerer auf Kurs zu halten, insbesondere in den Schleusen und bei Wind.
- Ein Hausboot ist durch seine durchgehende Stehhöhe bequemer, insbesondere für größere Menschen. Die Betten sind keine Särge. Die Terrassen der Hausboote bieten oft mehr Platz als die Decks der Motoryachten, die meist nur durch eine schmale Luke zu erreichen sind. Bei der Motoryacht heißt es ständig: Kopf einziehen!
- Motoryachten sind zum See-Hopping besser geeignet – man kann leichter Strecke machen. Wer ein Hausboot mietet, will vornehmlich dümpeln, ankern und chillaxen.
- Ein Hausboot ist instatauglicher. Meinen zumindest wir.
Die Kosten
Unsere Motoryacht für max. acht Personen hat für die fünf Tage/vier Nächte ca. 1300 Euro gekostet. Hinzu kamen Spritkosten für ca. 190 Euro. Man kann aber auch billiger wegkommen.
Wo übernachten?
Wir haben am Abend immer an sehr idyllischen Stellen geankert, wo wir in der Regel alleine waren. Unbedingt das Fahrverbot ab 22 Uhr einhalten! Wer es komfortabler mag, kann natürlich auch in einer Marina übernachten (ca. 30 Euro pro Nacht). Dort gibt es komfortable Sanitäranlagen und oft ein Restaurant. Das Ganze hat dann etwas von einem Campingplatz auf dem Wasser.
Verpflegung
Kalkuliert alles gut durch, bis hin zum Brot und zum Alkohol – wegen des kleinen Kühlschranks ist Rotwein besser als Weißwein! Unterwegs gibt es kaum Möglichkeiten zum Einkaufen! Fischräuchereien lassen sich finden, auch werden hie und da Fischbrötchen verkauft.
Was sollte sonst noch dabei sein?
- Eine gute Karte
- Unser Literaturtipp (siehe unten)
- Moskitozeug
- Reiseapotheke für alle Fälle
- Fontanes Stechlin
- Biologisch abbaubares Duschgel und Shampoo für das Bad im See
Literatur
Robert Tremmel und Christin Drühl: Hafenführer für Hausboote. Müritz | Havel | Seenplatte. Ein sehr praktisches Buch mit Ortsbeschreibungen, Tankstellen, Service-Einrichtungen und vielem vielem mehr.
Haben wir Euch Lust gemacht, selbst mal über die Rheinsberger Seenkette zu tuckern? Wenn Euch der Artikel gefallen hat, so freuen wir uns über Euere Pins.
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