Potsdam macht vielerorts auf dicke Hose. In Neubabelsberg ganz besonders. The Great Gatsby lässt hier grüßen, nicht der Alte Fritz oder der Dicke Lüderjahn, wie sonst so oft in Potsdam. Neubabelsberg, ein pompöses Villenviertel am Ufer des Griebnitzsees, gehörte dem Geldadel, nicht dem Preußenadel. Hast-du-nicht-gesehen-Haus steht dort an Hast-du-nicht-gesehen-Haus. Kommt mit auf einen Spaziergang durch die Villenkolonie Babelsberg! Die einzelnen Stationen seht Ihr auf dieser Karte:
Wo Truman, Stalin und Churchill logierten
Los geht’s am S-Bahnhof Griebnitzsee. Nur ein paar Gehminuten sind es von dort bis zur Karl-Marx-Straße, wo wieder das Kapital wohnt, wie einst, als die Straße noch den Namen „Kaiserstraße“ trug. Vor allem jüdische Bankiers und Industrielle hatten sich hier zu Anfang des 20. Jahrhunderts niedergelassen. In feudalen Villen, erbaut von namhaftem Architekten.
Ab 1933 kam es zur Enteignung, Vertreibung, Flucht oder Deportierung der Neubabelsberger Juden. Stars und Sternchen aus der Filmbranche wurden ihre Nachfolger. Zu DDR-Zeiten, als der Griebnitzsee Ost von West trennte, gammelten die hiesigen Villen, mit der Mauer vor der Nase, zweckentfremdet vor sich hin: als Kindergärten, Wohnheime oder Stasi-Einrichtungen.
Während der Potsdamer Konferenz, der Dreimächtekonferenz im Sommer 1945, residierten an und um die ehemalige Kaiserstraße die Staatschefs der USA, Englands und der Sowjetunion. Wo heute die Friedrich-Naumann-Stiftung sitzt (Karl-Marx-Straße 2), pupste damals Harry S. Truman in die Federbetten. Von dort soll der amerikanische Präsident die Atombombe gen Hiroshima geschickt haben.
Stalin hingegen wählte eine stolze Villa in Hausnummer 27, die 1910/1911 für den Pelzmantelproduzenten Paul Herpich erbaut worden war. Ein Denkmal erinnert daran:
Und Winston Churchill? Der rauchte seine Zigarren ums Eck in der Virchowstraße 23 in einer neoklassizistischen Walmdachvilla. Diese war zwischen 1915 und 1917 für den jüdischen Bankier Franz Urbig errichtet worden, und zwar von keinem Geringeren als von Mies van der Rohe. Von seiner klaren Formensprache war der Funktionalismusgott damals allerdings noch weit entfernt. Heute lebt im Haus der SAP-Gründer und Kunstmäzen Hasso Plattner.
Der Bock von Babelsberg
Ebenfalls in der Virchowstraße (Hausnummer 3) blicken wir auf ein riesiges Anwesen mit Fachwerkgiebel. Es war unter anderem im Besitz des Rüstungsproduzenten Günther Quandt, dem es durch seine Nähe zu den Nazis und durch die Ausbeutung von Zwangsarbeitern gelang, eine der mächtigsten Wirtschaftsdynastien Deutschlands aufzubauen.
Quandt bewohnte das Haus mit seiner 20 Jahre jüngeren Frau Magda, besser bekannt als Magda Goebbels – zwei Jahre nach der Scheidung von Günther Quandt heiratete sie Hitlers Chefpropagandisten. Goebbels, der sich bei den Beautiful People von Babelsberg ungemein wohlfühlte, trug den Spitznamen „Bock von Babelsberg“ wegen seiner zahllosen Affären mit jungen Ufa-Schauspielerinnen.
Zu den Neubabelsberger Celebrities gehörte auch die Schauspielerin Brigitte Horney, die am Johann-Strauß-Platz 11 eine bezaubernde (heute würde man „hyggelige“ sagen) Backsteinvilla im englischen Landhausstil bewohnte. Der jüdische Seidenfabrikant Fritz Gugenheim ließ die Villa 1922 erbauen.
Ein noch bekannterer Filmstar lebte ums Eck. Marika Rökk hatte ihr Domizil in der Domstraße 28. Wie Günther Quandt unterhielt auch sie enge Beziehungen zur Nazi-Elite. Den Eingangsbereich ihres Hauses zierte angeblich ein Hitlerporträt. Zuvor residierte der jüdische Ufa-Filmproduzent Alfred Zeisler darin. Er musste genauso vor den Barbaren fliehen wie der Tenor, Dirigent und Schauspieler Richard Tauber. Klingelt’s? „Dein ist mein ganzes Herz“ gehörte zu seinen populärsten Liedern. Tauber wohnte nahebei, in einer schönen Villa mit zwei Torhäusern in der Rosa-Luxemburg-Straße 24.
Otto Lilienthal und die Dietrich
Auf dem Rückweg zum S-Bahnhof Griebnitzsee schauen wir noch bei der Villa Lademann vorbei (Karl-Marx-Straße 66). Das weiße Schlösschen mit angedeuteten Zinnen wurde 1895 für den Generalleutnant Oskar Lademann errichtet. Architekt war Gustav Lilienthal, der Bruder des Luftfahrtpioniers Otto Lilienthal.
In den 1930er-Jahren nutzte die Ufa das Haus als Gästehaus für Schauspieler wie Heinz Rühmann, Hans Albers oder Marlene Dietrich. Ganz anders als die Rökk war Marlene Dietrich eine Diva mit Moral. Astronomische Filmgagen, die ihr vom Babelsberger Bock persönlich unterbreitet wurden, lehnte sie ab. Stattdessen nahm sie die US-amerikanische Staatsbürgerschaft an und wandte sich in BBC-Radiosendungen persönlich an deutsche Frontsoldaten:
„Jungs, opfert Euch nicht! Der Krieg ist Scheiße. Hitler ist ein Idiot.“
POTSDAM ZUM WEITERLESEN
Noch mehr Infos über das Villenviertel Neubabelsberg findet Ihr in unserem Buch → „Potsdam“, erschienen im Michael Müller Verlag.
Weitere spannende Orte in und um Potsdam könnt Ihr zudem bei uns auf dem Blog entdecken:
- Potsdam und Umgebung: Lieblingsplätze abseits der Klassiker
- Von Caputh über Werder nach Geltow: Havelseen-Runde mit Fontane
- Brandenburgs Subkultur: Ausflug zum Beelitzer Spargel
- Auf dem Mississippi Brandenburgs: Overnight-Floßtrip um die Insel Potsdam
Menno….der nächste Resewunsch auf der bereits überfüllten Liste…Das berlinerische Umland im Sommer: hab ich voll Bock drauf! Hoffentlich geht das bald wieder. Weiter so, ihr lieben😀
Liebe Karin, tja, je mehr man reist, desto länger wird die Liste. Ist auch gut so. So wird’s nicht langweilig. Jetzt hoffen wir einfach mal, dass es möglichst bald wieder los gehen kann mit der Erkundung. Liebe Grüße!
Oft spazierte ich schon an den Babelsberger Villen vorbei und bewunderte die eindrucksvollen Bauwerke.
Danke für die spannenden Geschichten hinter den Zäunen und Türen. Beim nächsten Besuch in Babelsberg schaue ich mit anderen Augen hin.
Viele Grüße
Mandy
Liebe Mandy, danke für dein Feedback. Das Viertel ist tatsächlich immer einen Besuch wert. Und ein paar Hintergrundinfos sind nie verkehrt, da entsprechende Tafeln dort leider Mangelware sind. Viele Grüße!
Super spannend, vielen Dank für den schön geschriebenen Einblick. Ich war zwar schon einmal da, aber etwas ohne Plan. viel schöner ist es natürlich, etwas Geschichte hinter den Häusern zu kennen. Und herzlichen Glückwunsch zur Bucherscheinung, die ist gleich mal auf meiner Wunschliste gelandet. 🙂
Lg /inka
Liebe Inka, freut uns, dass dir der Beitrag gefallen hat. Und noch viel mehr freut uns, dass du noch mehr Potsdam von uns lesen willst. Deine Bücher stehen bei uns übrigens auch im Regal 🙂 Herzlichen Dank und viele Grüße aus Kreuzberg von Gabi und Michael
Hallo Michael, das war ein sehr amüsanter und interessanter Spaziergang (leider momentan nur virtuell) durch Potsdam. Werde ich mir merken. Sehr launig geschrieben.
Liebe Christiane, vielen Dank fürs nette Feedback. Hoffentlich wird aus dem virtuellen Spaziergang auch mal ein echter. Alles Gutes und viele Grüße!