„Wo Schweiz drauf steht, muss nicht Schweiz drin sein.“
233 „Schweizen“ gibt es laut der Neuen Züricher Zeitung außerhalb der Schweiz, über alle Kontinente verstreut. Wo überall, seht Ihr hier. Lediglich die Antarktis, die wie die Schweiz Schnee und Berge kennt, weist keine „Schweiz“ auf. Dafür hat Deutschland gleich 97 „Schweizen“.
Eine liegt da, wo es wenig Schnee und keine Berge gibt: die Mecklenburgische Schweiz ganz im Norden der Mecklenburgischen Seenplatte. Ein paar Anhöhen haben ausgereicht, dass aus dem Eck eine „Schweiz“ wurde. Im Gegensatz zur twiggyflachen restlichen Seenplatte, wo man beim Radeln oft vor lauter Wald keine Seen mehr sieht, durchfährt man hier eine liebliche Hügellandschaft und blickt hie und da auch mal in die Ferne. Es ist ein Landstrich von aufrichtiger Bescheidenheit, mit einem großen See im Osten (Kummerower See), einem kleinen im Westen (Teterower See) und einem mittleren im Süden (Malchiner See).
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Überdosis Dorf und viel „Ooohmp!“
Prächtige Schlösser gibt es hier am Arsch der Heide, aber auch mäuschenstille, gardinenverhängte Dörfer mit Backsteinkirchen, die meist verschlossen sind – Religion spielt hier schon länger keine Rolle mehr, und der demographische Wandel tut das Seinige dazu. Mancherorts könnte man glauben, der Handel mit Rollatoren sei das Business der Zukunft.
Schmale Sträßchen mäandern durch die Landschaft, vorbei an durchsonnten Wäldern und von Kornblumen bewachten Feldern. Kühe grasen im kniehohen Klee. Hier und dort Windräder, zwischen denen ein Storch abhebt.
Und immer wieder macht es „Ooohmp!“. Es ist der Sound der Großen Rohrdommel mit dem bezeichnenden Spitznamen „Moorochse“. Zu Gesicht bekommt man den Vogel kaum. Er ist sehr scheu und trägt dazu noch ein braunes Tarnkleid. Aber man hört ihn, den Rohrdommel-Macker, zumindest in Frühsommernächten, wenn seine dumpfen Balzleute über die stillen Seen Mecklenburgs dröhnen.
Unter Ornithologen wird sein Ruf gerne mit einem Nebelhorn oder einem Didgeridoo verglichen. Mit etwas Speed im Blut könnte er auch am Soundcheck einer Technoparty mitmischen. Der Ruf der Rohrdommel wurde zum Soundtrack unseres Campingtrips durch die Mecklenburgische Schweiz.
Der Süden: Panorama satt und ein paar Schlossträumchen
Um eine Gegend zu begreifen, steigt man ihr am besten erstmal aufs Dach. Das Dach der Region ist der Röthelberg. Er erhebt sich westlich des Malchiner Sees und ist von der Bundesstraße 108 ausgeschildert. Er scheitert knapp an der 100-Meter-Marke. Die Blicke von hier sind traumschön und lassen verschmerzen, dass es noch 832 Kilometer bis zur echten Schweiz sind.
Nahebei laden luxuriöse Schlosshotels zum Träumen ein, sie bieten viel Luxus ohne Schweizer Preise. Mehr dazu hier.
Kummerower See: Kunst, Torten und ein Campingplatz zum Verlieben
Zehn Kilometer lang und etwa drei Kilometer breit ist der Kummerower See. Was man hier machen kann? In erster Linie, wie überall in der Gegend, die Seele baumeln lassen. Aber nicht nur.
Am Südufer des Sees steht das → Barockschloss Kummerow. Der Berliner Unternehmer Torsten Kunnert ließ es behutsam restaurieren, ließ dabei nicht alles übertünchen, sodass das Flair der alten Zeit noch heute zu atmen ist. Im Innern zeigt er Fotos aus seiner Sammlung, die zu den führenden fotografischen Privatsammlungen Deutschlands gehört. Mehr als nur sehenswert – ein Highlight!
Nur wenige Kilometer weiter liegt das Dorf Grammentin mit einem Highlight der anderen Art. Die → Familien-Konditorei Komander backt tortengewordene Gedichte, allen voran den „Ivenacker Baumkuchen“, und davon rund sieben Tonnen im Jahr! Das Interieur der Konditorei präsentiert sich herrlich altmodisch, auf dem Gehweg davor ein paar wenige Tische.
Aber beim Parken bitte schön aufpassen! Auf der menschen- und autoleeren Dorfstraße könnte man glauben, die freie Parkplatzwahl zu haben. Denkste! So mancher Straßenrand scheint Privatgrund zu sein, der von Männern in Feinripp aufs Bitterste verteidigt wird. Mecklenburg at its best!
Am Abend triezen uns keine Dorfspießer mehr, sondern Armadas von Moskitos. Wir übernachten im → Campingpark Sommersdorf am Ostufer des Kummerower Sees. Der Platz ist an Idylle kaum zu überbieten. Im Abendlicht leuchtet der Sandstrand goldgelb, später gesellen sich ein Traumsonnenuntergang und Bernd der Angler hinzu.
Bernd der Angler, ein gut im Saft stehender Mittfünfziger mit Halbglatze, kommt regelmäßig hierher und wartet die halbe Nacht auf ein Zappeln an der Leine. Wir trinken eine Flasche Bier mit ihm, schauen aufs Wasser und die güldene Sonne, die langsam in den See flutscht. Michael, der den Zander für einen „echten Langweiler unter den Speisefischen“ hält, wird eines Besseren belehrt. „Sach mal, jeht et noch?“, raunzt Bernd der Angler, „der Zander gehört zu den Edelfischen. Janz fein.“
Unterwegs auf dem Amazonas Mecklenburgs: die Peene-Tour
Der Mond schwebt schon bleich über dem Kummerower See, als wir uns in unsere Schlafsäcke kuscheln. Am nächsten Tag haben wir viel vor. Wir wollen die Peene, die sich vom Nordufer des Sees etwa 16 Kilometer lang bis nach Demmin schlängelt, mit dem Kanu befahren.
Das unregulierte Urstromtal, das keine Wehre oder Schleusen kennt, ist eines der größten Niedermoorgebiete Europas und wird auch als „Amazonas des Nordens“ vermarktet. Wer Glück hat, sieht an einem der letzten unverbauten Flüsse Deutschlands Biber und Fischotter plantschen oder See-, Fisch- und Schreiadler am Himmel kreisen.
Wir mieten uns ein Kanu von den netten Jungs von → Abenteuer Peenetal, die den Service des Rücktransports von Demmin anbieten. Und paddeln los. Es ist eine stille, ja meditative Fahrt. Angler winken uns zu, manche aus dem Schilf, andere aus ihren Booten heraus. Bernd der Angler ist nicht dabei, er schläft vermutlich aus.
Wolken spiegeln sich im Wasser, ein Kuckuck ruft. Das Biber-Glück aber bleibt uns versagt, weil die possierlichen Nager tagsüber pennen, wie wir erst später erfahren.
Mittags essen wir am einzigen Wasserwanderrastplatz (nur ein paar überdachte Picknicktische und ein Plumpsklo mit Fliegenwolke) unsere mitgebrachten Hirschknacker mit Senf und Brot. Nebenan taucht ein dicker nackter Opa wie aus dem Nichts aus dem Wasser auf und klärt uns über Politik, über Merkel und alle möglichen Wichtigtuer auf. Danach wird die Strecke bewaldeter, ja noch schöner. Nur nervt nun manchmal der Verkehr. Die Peene ist eine Wasserstraße, auf der auch viele Ausflugsboote schippern.
Auch wenn die Tour für jeden Laien machbar ist, fühlt man sich danach doch wie vom LKW überfahren. Je nach Kondition sollte man mit vier bis sechs Stunden für die Tour rechnen, hatte man uns gesagt. Doch weil der Fluss nicht so richtig in Fluss kommt, gefühlt mehr steht als fließt, muss man ganz schön paddeln.
Wir haben die schattenlose Strecke unterschätzt, auf unseren hummerroten Armen könnte man Schnitzel braten. Die bekommen wir am Abend kross-braun aus der Pfanne im Dorfkrug von Neukalen, und zwar in der so genannten „Hamburger“ Variante: mit reichlich Bratkartoffeln und zwei Spiegeleiern obenauf. Nebenan hat sich der Stammtisch versammelt.
„Hey, noch ein Bier und einen halben Schnaps!“, ruft es.
„Einen halben Schnaps?“, fragt der Wirt.
„Na, halt keinen doppelten mehr“, sagt der Gast.
Wir fühlen uns so oder so schon wie nach zehn Schnäpsen und schwingen uns in die Schlafsäcke. Spitzen unsere Ohren und wollen noch einmal die Rohrdommel rufen hören. Heute allerdings hält sie sich bedeckt. No show today. In der Mutter aller Schweizen aber gibt es eine Vogelwarte. Sie hat ihren Ruf aufgezeichnet: → http://www.vogelwarte.ch/de/voegel/voegel-der-schweiz/rohrdommel.
Weitere Sehenswürdigkeiten in der Mecklenburgischen Schweiz
Was gibt es sonst noch anzugucken in der Mecklenburgischen Schweiz? Im Dorf Basedow nahe dem Malchiner See steht ein mächtiges Schloss im Stil der kitschig-verspielten Neorenaissance. Zuletzt konnte man es allerdings leider nur noch von außen besichtigen. Der Landschaftspark drum herum entspringt den begnadeten Händen des preußischen Star-Landschaftsarchitekten Peter Joseph Lenné.
In Malchin gefällt uns die Kirche St. Johannis. Die dreischiffige Basilika im Stil der nordischen Backsteingotik stammt aus dem 15. Jahrhundert. Schaut Euch mal diesen tollen Schnitzaltar an:
Dargun liegt nicht umsonst am Klostersee. Das Städtchen entwickelte sich im Schatten eines mittelalterlichen Zisterzienserklosters, das im 16. Jahrhundert jedoch in ein Schloss umgebaut wurde. 1945 fielen Schloss und Klosterkirche einem Brand zum Opfer. Die Ruinen sind heute noch überaus imposant.
Mecklenburgische Seenplatte – praktische Infos
LITERATUR
2017 haben wir Abschnitte des Reiseführers → „Mecklenburgische Seenplatte“ aus dem Michael Müller Verlag für unsere Kollegen Sabine Becht und Sven Talaron überarbeitet. Dafür waren wir zwei Wochen lang von See zu See unterwegs, unter anderem auch in der Mecklenburgischen Schweiz. Ein klasse Buch mit vielen Tipps, auch zum Radeln und für andere Aktivitäten (zum Beispiel für die Draisinenbahn vom Bahnhof Dargun aus). Camper brauchen keinen zusätzlichen Campingführer.
EMPFEHLENSWERTE CAMPINGPLÄTZE
→ Campingpark Sommersdorf: Der Platz am Kummerower See (siehe oben) ist durch und durch empfehlenswert.
→ Campingplatz Dahmen: Einfach, aber ebenfalls sehr idyllisch, am Malchiner See gelegen. Mit Badestrand.
→ Peenecamp: Direkt in Neukalen, in Laufnähe ins Zentrum. Sehr komfortabel, sehr sauber, sehr ruhig, aber ohne nennenswerte Lage.
SCHLOSSHOTELS
→ Schlosshotel Burg Schlitz: Ganz nah am Röthelberg. Parkett, Kronleuchter, Biedermeier-Mobiliar und viele Edelattribute mehr sind hier versammelt. DZ ab 200 Euro.
→ Schlosshotel Schorssow: Plüschparadies! Die dreiflügelige Schlossanlage liegt malerisch am Ufer des kleinen Haussees und verfügt über ein eigenes See-Spa. DZ ab 158 Euro.
→ Schloss Ulrichshusen: Ein herrliches Anwesen, romantisch in einen Landschaftspark eingebettet. Die dazugehörige Feldsteinscheune steht im Zentrum der → Festspiele Mecklenburg-Vorpommern. DZ ab 140 Euro.
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