Südlich von Neubrandenburg, der drittgrößten Stadt Mecklenburg-Vorpommerns, erstreckt sich der Tollensesee. Auf Landkarten hat er die Form einer Bratwurst. Die Landschaft drum herum ist leicht hügelig, voller Buchen, Birken, Linden, Pappeln und Ulmen – ein Tummelplatz von Rehen, Wildschweinen und im Spätsommer von Pilzesuchern.

Am Südufer grasen Pferde auf Wiesen neben den Grüns der Golfer. Dort stehen auch das prächtige Schloss Hohenzieritz und das Jagdschloss Prillwitz. Wer den See umradelt (knapp 40 Kilometer), passiert im Westen das Dorf Alt Rehse. Hier bekommt die Idylle ein schales Geschmäcklein.

„Haus Leipzig errichtet im 3. Jahre.“

Der in einem Querbalken eingestanzte Schriftzug über den gelb gestrichenen Fensterläden des Fachwerkhäuschens mit Schilfrohrdach irritiert. Nicht nur ahnungslose Radtouristen auf ihrem Weg um den Tollensesee. Auch uns, die wir wussten, wohin wir fuhren, müssen schlucken. Im dritten Jahre von was? „Im dritten Jahre des Tausendjährigen Reichs“.

 

Haus Leipzig in Alt Rehse

 

Alt Rehse, das „Schmuckstück am Tollensesee“ (Dorfprospekt), wurde ab 1934 peu à peu von den Nazis auf einem davor dem Erdboden gleich gemachten Flecken als eine Art Mustersiedlung mit niederdeutsch wirkenden Häusern aus Fachwerk und Backstein errichtet. Auch im „vierten“ oder „fünften Jahre“ kamen noch Häuser dazu. Viele tragen Namen von „Gauen“ wie „Mecklenburg“, „Pommern“, „Kurhessen“ oder „Schlesien“.

Nur den Dorfkrug, die neugotische Kirche vom Ende des 19. Jahrhunderts und das Pfarrhaus, Überbleibsel des Vorgängerdorfs, hatten die Nazis mit in die Gegenwart genommen. Dazu das etwas abseits stehende Schloss Liechtenstein, erbaut im späten 19. Jahrhundert unter Ludwig Baron von Hauff.

 

Pfarrkirche von Alt Rehse

 

Vorbereitung des Euthanasieprogramms

Aus Schloss und Gutspark wurde die „Führerschule der deutschen Ärzteschaft“. Zur Einweihung verkündete der spätere Reichsärzteführer Leonardo Conti: “Der Arzt ist berufen dem ganzen Volkskörper in Deutschland zur Gesundung, zur allmählichen Ausmerzung des Artfremden und zur Erhaltung des Arteigenen zu verhelfen.“

Zwischen 1935 und 1941 durchliefen etwa 12.000 Ärzte, Hebammen und Apotheker Alt Rehse. Sie blieben zwischen eineinhalb und vier Wochen und wurden im Rahmen der NS-Ideologie in Rassenlehre und Euthanasie geschult – in der Aussonderung und Vernichtung so genannten lebensunwerten Lebens.

Die Mediziner sollten lernen, Menschen auf ihre wirtschaftliche Verwertbarkeit abzuklopfen, „Ballastexistenzen“ und „Defektmenschen“ auszusortieren. Und das Gelernte setzten sie um. Im Rahmen der „Aktion T4“ wurden allein in den sechs „Tötungsanstalten“ (Brandenburg, Hadamar, Grafeneck, Sonnenstein/Pirna, Hartheim und Bernburg) 70.000 Menschen mit Behinderung oder psychischen Erkrankungen vergast. Im ganzen Reich wurden weitere 400.000 Menschen zwangssterilisiert. Viele dieser Ärzte praktizierten nach 1945 unbehelligt weiter.

 

Euthanasiedenkmal in Berlin
Die Bezeichnung „T4“ leitete sich von der Adresse der „Planungszentrale des Krankenmordes“ in Berlin ab, einer Villa an der Tiergartenstraße 4, heute ein Gedenkort samt Denkmal (im Bild neben der Philharmonie)

 

Bis 1990 gehörten Schloss samt Gutspark der NVA, danach erbte es die Bundeswehr, die aber kein Interesse daran zeigte. Ab Mitte der 1990er Jahre begann man, die Bilderbuchhäuschen der Siedlung zu sanieren, besser betuchte Familien aus Neubrandenburg zogen zu. Schon 1995 wurde Alt Rehse Landessieger im Wettbewerb „Unser Dorf soll schöner werden“. Zur etwa gleichen Zeit wurde auf dem 65 Hektar großen Gutsparkareal das alternative Lebensprojekt „Tollense Lebenspark“ gegründet, das Aussteiger aus ganz Deutschland anlockte. Mal lebten hier 100, mal nur 20 Freaks, die sich in Autarkie versuchten und daran scheiterten. 2014 wurde das Gelände zwangsversteigert.

 

Diese Diashow benötigt JavaScript.

Alt-Rehse heute

Aber wie steht es um die heutigen Alt-Rehse-Bewohner, an die 350 sollen es sein? Sind es junge Leute, alte Leute, überwiegend Familien? Ganz ehrlich: Wir wissen es nicht.

Alle bei der Arbeit? Wir spazieren auf granitgepflasterten Alleen durch ein Dorf ohne Menschen. Vorbei an einem leeren Spielplatz. Vorbei an übermanikürten Gärten, in denen bunte Blumen ihre Köpfe aneinanderschmiegen. In denen Bänkchen stehen, auf denen keiner sitzt. Niemand ist zu sehen, nicht einmal ein verschatteter Kopf hinter geklöppelter Gardine.

Beim Kirchlein gedenkt man den Gefallenen des Ersten Weltkriegs: „Deutschland muss leben, auch wenn wir sterben müssen“ ist in den Stein geschlagen. Etwas weiter der örtliche improvisierte Book Exchange, der etwas von einem Vogelhäuschen hat: „Take a book, leave a book“ steht darauf. Und am Dorfteich gibt es das Tossma Creativcafé, wo man töpfern und Kuchen essen kann. Leider keiner zuhause.

 

Dorfstraße von Alt Rehse
Leere Straßen, leere Gärten: Alt-Rehse an einem schönen Sommertag

 

Am Dorfrand prangt in großen Lettern „Ein glückliches Deutschland braucht keine Theologen und Juristen!“ an einer Scheunenwand. Dazu lächelnde Ganeshas. Eine Hinterlassenschaft der Tollense-Park-Zausel? Ein Schild ums Eck klärt auf: Wir sind auf das supermind ART centre Europe von Bernd Cosmo Haldenwang (alias Sri Cosmo Brahman) gestoßen. Auch diese Tür bleibt uns verschlossen.

 

Alternatives Projekt in Alt Rehse

 

Und morgen?

Schließlich finden wir dann doch noch jemanden, mit dem wir reden können. Eine freundliche Dame führt uns durch die Ausstellung des gemeinnützigen Vereins „→ Erinnerungs-, Bildungs- und Begegnungsstätte Alt Rehse e.V.“. Unverblümt wird hier die nationalsozialistische Vergangenheit des Dorfs aufs Tapet gebracht – bislang noch recht überschaubar in einem unauffälligen Laborgebäude aus den 1990ern. Doch das soll sich ändern. Das Rostocker Büro buttler architekten will dem Gebäude ein neues Gesicht für eine neu konzipierte Ausstellung geben. „→ Lern- und GeDenkOrt Alt Rehse“ soll das Ganze dann heißen.

Das Gutsparkgelände wurde 2016 von Jens Schneider-Mergener und Gabriele Wahl-Multerer gekauft und in ein komfortables Hotel umgewandelt (siehe unten). Schneider-Mergener hat eine erfolgreiche Karriere als Biochemiker und Unternehmer hinter sich. Gabriele Wahl-Multerer war unter anderem im Aufsichtsrat der Jena Optik AG.

Wo Naziärzte Euthanasie und Massenmord lehrten, wo der Eid des Hippokrates noch und nöcher gebrochen wurde, wird also heute meditiert und Yoga praktiziert.

 

HINKOMMEN

Alt Rehse liegt am Südostufer des Tollensesees, ca. 12 km südwestlich von Neubrandenburg. Um hierher zu kommen, braucht man einen fahrbaren Untersatz, zumindest ein Rad.

 

 

ÜBERNACHTEN

Eine nette Unterkunft in Neubrandenburg ist das → Badehaus in toller Lage direkt am Tollensesee. 33 farbenfrohe Zimmer und Suiten, einige mit Balkon. DZ ab 93 Euro.

In Alt Rehse selbst gibt es nur das recht edle Hotel → Park am See. Wunderschönes Areal direkt am See mit Zimmern und Ferienwohnungen, Yogahalle und Seesauna. Blöd nur, dass man auf der Webseite nicht auf den geschichtlich belasteten Ort hinweist. Das kann einem, wenn man sensibel ist, den Urlaub verderben. Lest dazu den Kommentar von Katharina und Martin weiter unten.

Wir selbst residierten im wunderschön am See gelegenen → Camping Gatsch Eck, nur durch einen 3,5 Kilometer langen Radweg von Alt Rehse entfernt (mit dem Auto muss man aber einen weiten Bogen fahren!). Sehr gepflegt, mit Sandstrand und Blick auf Neubrandenburg auf der anderen Seite des Sees. Zwei Personen mit Camper und Strom zahlen 18 Euro.

LITERATUR

Für alle, die mehr über die NS-Geschichte Alt Rehses erfahren wollen: → Rainer Stommer (Hg.): Medizin im Dienste der Rassenideologie. Die „Führerschule der Deutschen Ärzteschaft“ in Alt Rehse. Berlin: Christoph Links Verlag, 2. Auflage 2017.

Buchtitel Stommer Medizin im Dienste der Rassenideologie
Der Reiseführer zur Region, der selbstverständlich auch über Alt Rehse informiert, ist der unserer Kollegen Sabine Becht und Sven Talaron: → Mecklenburgische Seenplatte. Erlangen: Michael Müller Verlag 2021.

 

MEHR MECKLENBURG-VORPOMMERN BEI UNS IM BLOG

 

Wenn Ihr das Thema spannend fandet, so lest unbedingt auch unten stehende Kommentare von Leser*innen. Die verschiedenen Ansichten über den Ort Alt Rehse sind sehr interessant.

18 Kommentare

  1. der Teufel kann nichts schönes machen…schöne Dinge die mit der Natur verschmelzen, können nur von göttlicher Natur entstanden sein…Teufelswerk sind Bauten aus der heutigen Zeit …ekelhaft, hässlich und krank machend…. Das Böse kann nur abstrakt und hässlich sein… das gute ist gesund und schön!!! Die Welt heute, verglichen zur Welt von damals.. was sah schöner aus? und wo fühlt man sich als Mensch wohl? Was ist Artgerecht? Wie soll aus einem kranken Geist etwas schönes entstehen? …da fragt man sich wer hier der Teufel ist und in welcher Teufelszeit man lebt. Aber alle laufen hin und finden es in Alt Rehse schön!? Aber keiner hinterfragt es…was wollt ihr denn in Alt Rhese in dem bösen Dorf? wenn es doch so ein Teufels Erbe ist? warum lasst ihr euch dort nieder und wohnt nicht im kommunistischen Plattenbau? ( den man übrigens auch schön bauen könnte, was aber eben nicht gewollt ist)….komisch oder? Teufels Erbe? wer seit dann ihr? woher kommt ihr und wer sind denn Eure Vorfahren? seit ihr des Teufels Enkel?

  2. Ich durfte die Bauherrin des Hotels über viele Jahre begleiten und jetzt könnt ihr mir gerne unterstellen ich würde die Wahrheit schönen. Möchte hier aber dennoch einiges zu sagen.
    Zum Zeitpunkt des Kaufes gab es Bestrebungen der Rechtsradikalen Reichsbürger das Gelände für Ihre Zwecke zu erwerben und das konnte durch die jetzigen Bauherren verhindert werden! Gar nicht auszumalen was sie damit gemacht hätten. im schlimmsten Fall wohl noch den alten und riesigen NVA Bunker auf dem Gelände wieder in Betrieb genommen, um völlig abgeschottet ihrer Ideologie zu frönen….
    Es ist unsagbar viel privates Geld reingesteckt worden, um diesem Ort mit seiner Geschichte neues Leben einzuhauchen.
    Zensur und aus Landkarten verdammen führt nur zum Vergessen des Geschehenem. Zu den Dorfbewohnern selbst kann ich nichts sagen, zu denen hatte ich nie Kontakt.

    Die Betreiberin des Hotels hat ihren Gästen und Mitarbeitern in persönlichen Gesprächen alles Wissen unverblümt und offen über die Geschichte des Geländes geschildert und ist jederzeit bereit gewesen alles zu zeigen was sie kann.
    Es mag der Kritikpunkt berechtigt sein, dass auf der Internetseite nicht adäquat darauf hingewiesen wurde was hier in der Zeit des Nationalsozialismus passierte. Ich würde aber nie auf die Idee kommen, der Bauherrin vorzuwerfen dass ganze mutwillig verschwiegen zu haben. Stimme hier auch Jan Meidner voll und ganz zu, überall sind die Spuren der Geschichte und neue Orte wurde daraus gemacht. Ein Pilgerort für eine gewisse Bevölkerungsgruppe dessen neues Hobby „Jugendfreizeitgruppen“ sind sollte das Gelände jedenfalls nicht werden, sondern ein Ort der Entspannung. – Wer mal über das Gelände spaziert und sich frei macht von allem wird feststellen, dass das definitiv möglich ist!

    Es wird seit Beginn des Projektes ein Gebäude am Eingang des Parks bereitgehalten, dass dort eine Gedenkstätte und/oder Museum reingebaut werden kann. Unterstützung der Landesregierung Null. Außer leeren Worten passierte über die Jahre nichts. Sämtliches Geld floss aus Privatvermögen in die Revitalisierung des Geländes und Geld selbst konnte noch nicht angemessen erwirtschaftet werden. Woher jetzt also auch noch ein Museum bauen und gar betreiben.

    Der Bauherrin kann man auch nicht vorwerfen hier sonst was zu machen oder gar nur an das Geld zu denken. Ein wirtschaftliches Bilderbuch Renditeprojekt war Alt Rehse nie und wird es nie sein. Denkmalschutz, Naturschutzgebiet, Gesetze die sich gegenseitig ausschließen und dann noch die Corona Jahre.
    Man darf nur hoffen, dass das Unterfangen diesen Ort zu revitalisieren nicht am Ende scheitert. Es wurde Anfang des Jahres Insolvenz angemeldet und gerade versucht man intensiv das Projekt zu retten.
    Sollte das nicht gelingen, dann kann man jetzt schon mal die Ohren und Augen offenhalten wer dann kommt und mit dem Gelände sein Schindluder treibt wo die AFD doch gerade so „schönen“ Rückenwind hat…

    gerne auch dieses Interview lesen, da erzählt Frau Wahl-Multerer vieles. https://www.nordkurier.de/regional/mueritz/so-erklart-die-schlosspark-eigentumerin-ihre-insolvenz-1398167

    • Hallo, auch für diesen konstruktiven Kommentar möchten wir uns herzlich bedanken. Von den Ambitionen der Reichsbürger, an das Gelände zu gelangen, wussten wir nichts, eine Horrorvorstellung, die natürlich auch im Hinblick der Insolvenz Angst macht. Danke diesbezüglich auch für den Interview-Link. Er hält diesen Artikel, der ja doch schon ein wenig älter ist, halbwegs aktuell. Wir müssen unbedingt auch mal wieder nach Alt Rehse, um auf den aktuellen Stand zu kommen.

  3. Durch Zufall sah ich beim NDR den Film über Alt Rehse. Immerhin wird die Vergangenheit im Film nicht verschwiegen, dann bin ich auf eure Seite gestoßen. Es hat mich interessiert, weil ich selbst zur Zeit des Tollensesee Lebensparks mehrfach Besucher von Veranstaltungen auf dem Gelände war und dort auch einige Tage gewohnt habe. Was Stephan über den Lebenspark und die Wallner-Brüder schreibt, stimmt. Die beiden Initiatoren sind nicht ehrlich gewesen und haben einen Schein erzeugt, der nicht der Realität entsprach. Da Schein und Sein zu weit auseinanderdrifteten, konnte das Projekt nicht gelingen. Dadurch ist dem Gelände für einige Zeit Leben eingehaucht worden, welches die Grundlage für die energetische Reinigung bilden kann.
    Die Umgestaltung durch Frau Wahl-Multerer in einen Erholungsort für eher Bessergestellte schließt ja nicht aus, dass die Vergangenheit des Ortes auch künftigen Besuchern bekannt wird und sie sich damit auseinandersetzen müssen.

  4. Das ist ein sehr schönes Dorf in einer sehr schönen Landschaft. Ich finde es großartig, dass es so gut und originalgetreu saniert wurde. Daher bin ich in der Lage, mir einen Eindruck von der damaligen Zeit zu verschaffen.

  5. Hallo Gabriele und Micha,
    ich habe soeben durch den SPIEGEL von Alt-Rehse erfahren. Natürlich kann ich nachvollziehen, welch Schock es für z.B. Katharina und Martin gewesen sein muss, unerwartet auf die Vergangenheit des Ortes zu stoßen. Doch:
    manchmal denke ich, gehen jüngere Menschen diesbezüglich allgemein zu unbedarft an die Orte ihrer Umwelt heran. Es ist in Deutschland schlichtweg unmöglich irgendwo einen Ort zu finden, der im sog. „dritten Reich“ nicht von den Nazis vereinnahmt worden wäre. Gegenfrage: geht man zu keinem Konzert mehr auf die Berliner Waldbühne oder ins Olympiastadion? Ihr schreibt, dass es Euch schleierhaft ist, wie man an solch einem Ort ein alternatives Lebensprojekt starten kann: ist nicht der Versuch einer gezielten Umcodierung solcher Orte, gerade mit dem damaligen Zeitgeist widersprechenden Ansätzen, ein besserer Weg der Auseinandersetzung mit unserer Vergangenheit als bloßes Totschweigen (so wie jetzt bei dem Hotel)? Was soll man mit all den hunderttausend HJ-Heimen machen, die bis heute als Gebäude fortbestehen? Viele davon in eindeutiger Nazi-Architektur? Bei uns im Ort ist ein Kulturzentrum darin eingezogen, das sich gerade die „Inbesitznahme“ dieses Ortes düsterer Ideologie durch kreative, alternative „bunte“ Ideen und Tätigkeiten auf die Fahne geschrieben hat. Natürlich kann man, wie Ihr schreibt das Hotel fragen, weshalb es nicht auf die Nazi-Vergangenheit hinweist und diese ausführlich thematisiert. Die Gefahr aber, dadurch zum Anziehungspunkt neurechter Stiesel zu werden, ist dann wahrscheinlich wirklich sehr hoch. Wir haben hier Vergleiche mit der Wewelsburg nahe Paderborn, wo sich auch immer mal Leute treffen deren Gesinnung wohl eher der dunklerer Zeiten entspricht. Prora auf Rügen,- auch dort die touristische Nutzung…klar…früher „KdF-Kraft durch Freude“, heute heißt es „Fit for Fun“ und man sitzt Handy daddelnd auf dem Prora-Balkon mit Blick auf die Ostsee…natürlich hat es ein Geschmäckle. Ein sehr „deutsches“ Geschmäckle. Das sollte aber das bestimmende GRUNDGEFÜHL eines Jeden bei uns sein! Unwohlsein bezüglich der eigenen Vergangenheit. Daraus kann man Lernen. „Nazi“ ist in uns und überall. Die künstliche Abschottung „Ich bin Antifa oder Liberal und habe damit nichts zu tun“, impliziert doch im Grunde, das uns so etwas wie das damalige Abgleiten einer ganzen Gesellschaft ins Babarische und die Errichtung einer Diktatur durch autoritäre Kräfte nicht wieder passieren könnte. Da begeben wir uns aber auf ganz dünnes Eis!
    Ich persönlich finde es sehr schade dass das damalige alternative Lebensprojekt in Alt-Rehse gescheitert ist. Die gezielte Umcodierung früherer Nazi-Ideologie ist meiner Meinung nach an solchen Orten am Erfolg versprechendsten, will man diese Orte nicht neurechten Kräften überlassen. Nazi-Bauten oder Orte gibt es im übrigen in quasi jeder (!) deutschen Stadt, in fast jedem Ort. Es wäre schön, wenn sich damit wieder mehr auseinander gesetzt würde. Nur wenn man begreift, das dieses dunkle Kapitel auch mit einem selbst – der eigenen „Heimat“ – zu tun hat, verhindert man Wiederholungen in der Zukunft. So denke ich darüber. Vielen Dank für Eure schöne Webseite! Jan aus Bielefeld

    • Lieber Jan,

      1000 Dank für dein spannendes Feedback und dein Lob. Wir können bezüglich des Spiegel-Artikels nicht ganz mitreden, da wir keine Spiegel-Plus-Abonnenten sind und den Beitrag bislang nicht lesen konnten. Orte wie Alt Rehse sind und bleiben schwierig, polarisieren und lassen gruseln. Natürlich sollen diese Orte weiter genutzt werden, du hast die Waldbühne und Prora als Beispiele genannt. Aber eben mit einer gewissen Feinfühligkeit und Transparenz. Jeder sollte selbst entscheiden dürfen, ob er in einem Ort wie Alt Rehse urlauben möchte oder eben nicht. Genau diese Transparenz ist beim Hotel Park am See leider nicht zu finden. Auf der Webseite des Hotels liest man: „Ein Ort zum Wohlfühlen und Freisein. Eingebettet in eine sagenumwobene Landschaft, seit Jahrtausenden besiedelt und verehrt.“ Die Frage ist nun, ob man mit dem völligen Fehlen der Infos über den geschichtlichen Background Neonazis fernhalten will, oder ob man sich es nicht mit künftiger zahlungskräftiger Kundschaft verscherzen will.

      Die interessante Diskussion, die sich um diesen Blogbeitrag herum entwickelt hat, finden wir klasse, auch im Hinblick auf den respektvollen Umgang unserer Leser mit dem sensiblen Thema. Zum Glück hat sich noch kein neurechter Stiesel auf diese Seite verirrt…

      Herzliche Grüße, Gabi und Michael

  6. Traurig wie dieser wunderschöne Ort anhand seiner Geschichte (die ihm aufgezwungen war) hier behandelt wird. Hier leben inzwischen neue Genereationen, dieser Ort ist voll von tollen Dorfbewohnern und seiner Kinder. Die Geschichte dahinter ist da und auch an den Fachwerkhäusern lesbar. Vielleicht möchte dieser Ort nicht immer nur auf seine unsägliche Geschichte begrenzt werden. Dieser Ort ist weder beklemmend noch zum kotzen, wie von Besuchern beschrieben. Hunderte Fahrradfahrer, Wanderer und andere Touristen besuchen diesen Ort samt seinem Hotel, Bistro und Atelier-Cafe und das nicht nur wegen seiner Geschichte. Durch den Ort führt der Radweg der rund um den Tollensesee geht, der Jacobswanderweg und ein wunderbarer Wanderweg entlang des Sees und kilometerlang durch den Wald. Die Dorfbewohner beantworten in der Regel auch freundliche Nachfragen rund um den Ort. (Eine neu zugezogene Dorfbewohnerin)

    • Hallo Vera, herzlichen Dank für deinen Kommentar aus der Sicht der Dorfbewohner*innen-Seite. Ganz klar darf Alt Rehse nicht immer nur mit seiner Geschichte in Verbindung gebracht werden. Gleichzeitig aber darf die Geschichte Alt Rehses nicht in Vergessenheit geraten. Die Idylle geht nun mal auf ein Reich zurück, das hier die Euthanasie lehren ließ. Das sollte ein Hotel in Alt Rehse offen kommunizieren. Sonst kann das bei Gästen schon auch mal Beklemmung bis Verärgerung hervorrufen. Viele Grüße von Gabi und Michael

  7. ich war oft mal dort, also zu zeiten des lebensparks der beiden wallner brüder.
    https://www.nzz.ch/erinnerungskampf_am_tollense-see-ld.515830
    war schön verwunschen, der weg zum see..eine riesige bunkeranlage aus ddr zeiten, bis 88 gebaut. waren insgesamt tolle leute am start da in alt rehse…schaut heutzutage nach ner prenzlberg yuppieerholungsoase aus und das mit der geschichte..?

    zumindest soll ein infozentrum enstehen, http://www.gutshaus-ar.de/files/start.htm
    Gabriele Wahl-Multerer ist daran nicht beteidigt.

    • Danke auch dir, dass du uns einen Einblick in eine Zeit in Alt Rehse gibst, die wir selbst nicht erlebt haben. Der Gedenkort, von dem du sprichst, ist schon seit Jahren geplant. Leider zieht sich das Projekt immer noch hin.

  8. Wir haben dieses Hotel versehentlich gebucht. Halt keine Ahnung gehabt. Die Beschreibungen der Portale gehen auf die Historie dieses Ortes null ein. Nachdem ich nach unserer Ankunft quasi sofort gekotzt habe, ich kotze nie, wurden wir tags darauf bei Tageslicht irgendwann misstrauisch. Einfach ein merkwürdiger und beklemmender Ort. Nachdem die Schnitzeljagt in Geschichte absolviert war stehen wir immer noch vor einem Rätsel. Wir haben versucht uns einzureden was für ein schönes Wochenende. So viel gelernt. Unser History Geocaching Weekend quasi. Super Landschaft. Es gibt in dem Dorf quasi keine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. Jedenfalls haben wir bis auf einen Zettel am Kirchtor nichts gefunden. Achso. Da gabs irgendwo noch so nen kleinen Stein der den vertriebenen Dortbewohnern gedenkt. Kann man scheinbar so machen. Sollte man nur nicht. Wir sind immer noch schockiert. Des Teufels hübsches Erbe. Präzise treffend formuliert. Keine Ahnung wie man da auf die Idee kommen kann ein alternatives Projekt an den Start zu bringen. Oder ein Hotel mit Mediation. Anyway. Vielen Dank für diesen tollen Post!

    • Liebe Katharina, lieber Martin, den allerherzlichsten Dank dafür, dass Ihr Eure Erfahrungen hier teilt. Wir wussten bislang noch gar nicht, dass das Hotel mittlerweile existiert, werden demnächst auf jeden Fall unseren Text ändern. Haben eben mal auf die Webseite des Hotels Park am See geschaut und sind schon mehr als erstaunt, dass man die krasse Vergangenheit des Orts Alt Rehse mit den drei Worten „lange und wechselvolle Geschichte“ abtut. Damit lässt man eventuellen Gästen keine Möglichkeit, abzuwägen, ob man sich Alt Rehse antun will oder eben nicht. Ihr wurdet einfach ins kalte Wasser geworfen und habt für Euer Schockwochenende sicher nicht wenig gezahlt. Vielleicht hat man Angst, Gäste zu sehr abzuschrecken, vielleicht hat man aber auch Angst, zum Pilgerziel von Nazis zu werden, würde man die Geschichte in der Hotelbeschreibung im Detail mit reinnehmen. Wir wissen es nicht. Tatsache ist: Diese Verschweigung von Tatsachen kann im Nachgang zu Verärgerung und Beklemmung fühlen. Vielleicht solltet Ihr das dem Hotel selbst auch nochmal mitteilen? Nochmals herzlichen Dank für die Einschätzung, die auch wichtig für unseren Text ist. In diesem Sinne: Frohe Weihnachten und viele Grüße, Gabi und Michael

  9. Ich finde es schade, wie abwertend Ihr mit dem Tollense Lebenspark umgeht. Das waren keine Freaks oder spinnerte Aussteiger. Das waren Menschen, die versucht haben ein anderes Lebenskonzept zu praktizieren. Sie haben viel Arbeit und Geld in den Lebenspark gesteckt und waren voller Enthusiasmus. Ich selbst war mehrmals zu Gast dort und durfte diese sehr warmherzigen Menschen kennenlernen. Leider haben die beiden Initiatoren ihre gesamte Gemeinschaft hintergangen und sehr viel Geld hinterzogen. Daran ist die Gemeinschaft gescheitert, nicht an der versuchten Autarkie.

    • Hallo Stephan, herzlichen Dank für dein Feedback und deine Korrektur. Oh je, es war sicher nicht in unserem Sinne, uns über den Tollense Lebenspark lustig zu machen, und „Freaks“ sollte auch nicht abwertend gemeint sein. Wir lassen jetzt sowohl unseren Text als auch deinen Kommentar einfach mal so stehen und entschuldigen uns für ein eventuelles Missverständnis. Danke und viele Grüße!

  10. Frau oder Mann fährt auch sehr bequem mit dem Linienschiff „Rethra“ nach Alt Rehse. Fahrräder können auch mitgenommen werden um nach dem Ausstieg die weitläufige Gegend zu erkunden, es lohnt sich.

Gib süßen oder scharfen Senf dazu (E-Mail-Adresse wird nicht angezeigt)

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein