Die Sonne hängt als gleißende Scheibe über den Feldern, Wäldern und Teichen. Die Hitze ist erdrückend! Staub tanzt im Licht. Und uns rinnt der Schweiß den Nacken hinunter.

Das Thermometer zeigt 35 Grad. Ausgerechnet den heißesten Tag des Sommers haben wir uns ausgesucht, um die Kulturlandschaft Lednice-Valtice an der österreichischen Grenze zu erkunden. Mit dem Rad! Die Kulturlandschaft, die die Tschechen Lednicko-valtický areál nennen, gehört seit 1996 zum UNESCO-Welterbe des Landes. Als Sanssouci Mährens wird der Landschaftspark gerne bezeichnet. Die 180 Quadratkilometer große Spielwiese der Liechtenstein zählt zu den weitläufigsten Parkanlagen Europas. Die Adelsdynastie schuf sich hier zwischen ihrem Hauptwohnsitz, dem Schloss Feldsberg (Valtice), und ihrer Sommerresidenz in Eisgrub (Lednice) einen riesigen Lustgarten mit orientalischen Pavillons, Tempeln, antiken Götterstatuen und diversem Schnickschnack mehr.

 

Schloss Lednice mit Blumenbeeten und wolkenlosem Himmel
Riesiger Lustgarten: Das Areal Lednice-Valtice steht heute auf der UNESCO-Welterbeliste

 

Die Gegend gehört zu den beliebtesten Urlaubsregionen der Tschechen. Soll heißen: Im Juli und August ist man hier nur gemeinsam einsam. Nicht alle Sehenswürdigkeiten auf dem Areal lassen sich mit dem Auto ansteuern. Am besten erkundet man die Kulturlandschaft mit dem Rad. Das macht Spaß und ist aufgrund der Distanzen auch sinnvoller als zu Fuß. Verleiher findet Ihr in Lednice. Es gibt diverse Einkehrmöglichkeiten unterwegs, eine kleine Brotzeit im Gepäck ist aber nicht verkehrt. Und denkt an Wasser. Wiederhole: Wasser!

 

Radfahrerin fährt an Getreidefeld vorbei
Schlösser, Wälder, Felder: Mit dem Rad durch die Kulturlandschaft Lednice-Valtice

 

24 Kilometer Länge hat die hier eingezeichnete Route von Lednice nach Valtice

 

Areal Lednice-Valtice und die Liechtenstein

Das Adelsgeschlecht der Liechtenstein stammt eigentlich aus Niederösterreich, hatte aber schon im 13. Jahrhundert ordentlich Besitztum in Mähren. 1560 wurde Feldsberg (Valtice) zur Hauptresidenz der Dynastie. In ihrer Glanzzeit gehörte den Liechtenstein rund ein Fünftel Mährens. Neben den Schlössern Lednice und Valtice nannten sie noch mehr als ein Dutzend andere ihr Eigen.

Im 18. Jahrhundert begann die Familie, den Landschaftspark zwischen den Schlössern Feldsberg und Eisgrub anzulegen. Das Areal sollte ein einzigartiges Gesamtkonzept aus Natur, Kunst und Architektur werden. Im gleichen Jahrhundert erwarben die Liechtenstein eine Grafschaft in den Alpen: Vaduz, aus der das heutige Fürstentum Liechtenstein hervorging. Der sechstkleinste Staat der Welt ist 25 Kilometer lang und zwölf Kilometer breit. Ab 1938 lebten die Liechtenstein dort.

1945 wurde der mährische Liechtenstein-Besitz im Zuge der Beneš-Dekrete konfisziert. Die Konfiszierung, ein heftiger Streitpunkt zwischen der Tschechischen Republik und dem Fürstentum, beschäftigt die Gerichte noch heute.

 

Schloss Lednice: Wo ist Dornröschen?

Neogotisches Schloss
Schloss Lednice

 

Lednice (Eisgrub) ist ein etwas blasses Städtchen neben einer optischen Granate. Die Sommerresidenz der Liechtenstein wurde im 19. Jahrhundert in ein neogotisches Märchenschloss verwandelt. Das gefällt Besuchern aller Welt, selbst asiatische Reisegruppen kommen dafür in die mährische Provinz.

Durch die zahlreichen Salons des Schlosses werden Führungen angeboten. Ein Hochkaräter ist auch das alte Gewächshaus mit seinen vielen exotischen Pflanzen. Es ist so lang wie ein Fußballplatz. Die gusseisernen Pfeiler imitieren Bambusstäbe.

Alle wichtigen Infos über das Schloss findet Ihr hier

 

Gewächshaus des Schlosses Lednice
So lang wie ein Fußballplatz: Gewächshaus des Schlosses Lednice

 

Der Orient in Mähren

Das von viel Wasser durchflossene Parkareal nördlich des Schlosses Lednice ist landschaftsarchitektonisch anspruchsvoll gestaltet und mit einigen historischen Bauten versetzt. Man kann kleine Strecken mit Motorbooten zurücklegen. Mancherorts stehen Pferdekutschen bereit. Radfahren ist in diesem Teil der UNESCO-Welterbestätte jedoch nicht auf allen Wegen erlaubt. Diesen Unsinn hat man sich wohl aus Sanssouci abgeguckt.

Wir rollen ein wenig mit den Augen und schieben unsere Räder über die Schotterwege des stellenweise ausgedörrten Parks. Das tun wir so lange, bis uns immer mehr Radfahrer überholen.

 

Radler im pinken Shirt radelt an veralgtem Teich vorbei
Radfahrverbot im Park nördlich des Schlosses Lednice: Nicht alle nehmen es ernst

 

Das Terrain ist abwechslungsreich. Mal kommt man an einen veralgten Seerosenteich vorbei, mal an einem Café in einem Gebäude, das einem maurischen Wasserwerk nachempfunden wurde. Ein schönes Plätzchen mit viel Patina:

 

 

Das Highlight dieses Teils des Parks sehen wir lange bevor wir es erreichen: ein in den mährischen Himmel stakendes Minarett. Keine Fata Morgana, sondern ein Wendeltreppenwahnsinn, der einen ganz schwindlig werden lässt.

 

Diese Diashow benötigt JavaScript.

 

Michael quält sich hinauf, kämpft oben gegen seine Höhenangst, bringt aber dennoch ganz passable Fotos mit nach unten. Seht selbst:

 

Blick über eine Landschaft mit Wald, Wiesen und Schloss im Hintergrund
Vom Minarett habt Ihr einen tollen Blick auf Park, Wälder, Teiche und Schloss Lednice.

 

Hansenburg und Jagdschlösschen

Die Sonne brennt mittlerweile vom hellblauen Mittagshimmel herab. Ein geschotterter Weg entlang dem Flüsschen Thaya bringt uns zu unserem nächsten Ziel, der → Hansenburg (Janův hrad)­. Wo Burg drauf steht, ist aber keine Burg drin, zumindest keine richtige. Die Hansenburg wurde zwischen 1807 und 1810 als romantische Burgruine erbaut. Playmobil lässt grüßen! Das Kitschteil diente den­ Liechtenstein als Jagd­schloss. Im Innern sind Trophäen und Waf­fen aus der Kategorie „Muss man nicht gesehen haben“ ausgestellt.

 

Nostalgische Burgruine
Die Hansenburg

 

Nur ein paar Radelminuten weiter treffen wir auf ein klassizistisches Gebäude mit Giebeldreieck und Säulen, ein weiteres Jagdschlösschen (Lovecký zámeček). In diesem Pseudotempelchen im Grünen nahmen die adeligen Jäger gerne eine Erfrischung ein. Von der Terrasse schauten die Alten und die Frauen den Parforcejagden zu. Heute ist das Jagdschlösschen in Privathand und nicht zugänglich.

 

Häuschen mit Giebeldreieck und Säulen
Jagdschlösschen

 

An den Eisgruber Teichen

Wir radeln zum Mühlenteich (Mlýnský rybník), einer der Eisgruber Teiche, die die Liechtenstein einst für die Fischzucht anlegen ließen. Darüber freuten sich auch Reiher und Lachmöwen. Heute sind­ die Ufer Hei­mat von rund 100 Vogelarten.

Von einer Anhöhe über dem Mühlenteich blickt ein im Empirestil errichteter Tempel aufs Wasser. Der → Apollontempel (Apollónův chrám) aus dem 19. Jahrhundert besitzt das klassizistische Komplettprogramm aus Säulen, Pilastern, Statuen und Reliefs. Ein netter Aussichtsort!

 

Diese Diashow benötigt JavaScript.

 

Übrigens haben wir neben netten Aussichtsorten auch nette Schaukelorte an den Teichen gefunden, hier zum Beispiel am Eisenbahndamm, der den Mühlenteich vom Mittelteich trennt:

 

Frau schaukelt in einem Reifen über einem See

 

Vom Damm sieht man auch das Teichschlösschen (Rybníční zámeček). Es ist an eine italienische Landvilla angelehnt und würde heute ein ziemlich nettes Ferienhaus abgeben. Leider aber wird es exklusiv an Angestellte der Mendel-Universität in Brünn vermietet.

 

Hellgelbe Villa im italienischen Stil
Teichschlösschen

 

Wir passieren den Neuen Hof (Nový dvůr), einen riesigen vierflügeligen Bau mit rechteckigem Innenhof. Die Liechtenstein züchteten hier Merinoschafe, Schweizer Kühe und Pferde. In sozialistischer Zeit verkam der Hof zusehends. Heute wird er als Eventlocation genutzt. Auch gibt es ein Café.

 

Bauernhof und ausgedörrte Wiese
Neuer Hof
Unsere nächste Station ist ein Highlight: der Tempel der drei Grazien (Chrám Tří Gracií) aus dem Jahr 1824. Vor dem halb­kreis­förmigen Kolon­na­den­­gang steht eine Statuengruppe der drei Grazien, der Zeus­töch­ter Thalia, Ag­laia und Euphrosyne.

 

Kolonnadengang im antiken Stil
Tempel der drei Grazien

 

Vor dem Kolonnadengang stehen (und sitzen) aber auch viele Radler, nicht wenige mit einem Weinglas in der Hand. Im „Tempel“ ist nämlich ein Weinausschank untergebracht, in dem man die Tröpfchen der Region kosten kann. Eine sehr entspannte Angelegenheit. Ob das die Potsdamer Biedermänner der Preußischen Schlösserstiftung cool finden würden? Wir glauben eher nicht.

 

Gebäude mit Säulen und Kiosk
Im „Tempel“ ist ein Kiosk untergebracht

 

Wir exen eine Pulle Wasser, während die tschechischen Radler bei Saharatemperaturen Weinflaschen entkorken. Die Trinkfestigkeit der Tschechen hat uns schon immer imponiert. Übrigens stößt man zwischen Lednice und Valtice häufig auf kleine Weinkioske, die auf ein Päuschen einladen:

 

Da machen Pausen Spaß: Weinkiosk im Areal Lednice-Valtice

 

Heiliger Hubert und Rendezvous

Es geht weiter gen Süden, mal auf schmalen Asphaltbändern, mal auf Sand, mal auf Betonplatten. Rechts und links von uns manchmal Korn, manchmal Wein, manchmal nach Sonne riechender Kiefernwald.

 

Frau auf Radweg im Wald
Radtour im Areal Lednice-Valtice: Mal Wald, mal Feld, mal Wein

 

Unser nächster Schattenplatz nennt sich Svatý Hubert, „Heiliger Hubert“. Die offene neogotische Kapelle präsentiert sich in einem recht schlechten Zustand.

 

 

Danach folgt ein imposanter Solitär mit den beiden Namen Rendezvous bzw. Tempel der Diana. Das Bauwerk in Gestalt eines römischen Triumphbogens wurde der Göttin der Jagd gewidmet. Im Obergeschoss frühstückte die feine Gesellschaft, bevor sie den Hirschen und Rehen Beine machte. Den Salon kann man sich im Sommer im Rahmen von Führungen ansehen.

 

 

Valtice: Schloss und Reistenkolonnade

Die Sonne nimmt sich nicht mehr ganz so ernst, als wir Valtice erreichen. Das ehemalige Feldsberg ist eine fesche Kleinstadt, teils von Weinbergen umgeben, mit vielen Winzern vor Ort. Daran, dass vor dem Zweiten Weltkrieg noch deutlich mehr Menschen hier lebten, erinnert der heute überdimensioniert wirkende Marktplatz.

Über dem Platz erhebt sich das riesige → Schloss, die einstige Winterresidenz der Liechtenstein. Für das monumentale Barockschloss zeichnete unter anderem der Wiener Architekt Johann Bernhard Fischer von Erlach verantwortlich. Im Inneren seht Ihr prächtige Fresken und feinste Stuckdekorationen. Ein barockes Glanzstück ist auch die Schlosska­pelle,  deren üppige Aus­schmückung das Auge Karussell fahren lässt.

 

Schloss Valtice

Diese Diashow benötigt JavaScript.

 

Im Schlosskel­ler ist der → Wein­salon der Tschechischen Republik (Salon Vín České Re­publiky) zu Hause, eine Mi­schung aus Verkauf und Ausstellung prämierter Weine. Maximal 100 tsche­chi­sche­ Weine be­kommen pro Jahr die Ehre, das Etikett des Sa­lons tragen zu dür­fen. Ei­ne Weinprobe ist empfehlenswert, da man nur hier die Gele­genheit hat, die auserlesenen Tröpfchen kombiniert kosten zu können.

 

Weine in einem Kellergewölbe
Schloss Valtice: Weinsalon der Tschechischen Republik

 

Unsere letzte Sehenswürdigkeit des Tages wird die Reistenkolonnade (Kolonáda na Reistně) südwestlich von Valtice, 500 m von der österreichischen Grenze entfernt. Die Kolonnade, eher eine Mischung aus Triumphbogen und Kolonnade, steht auf dem höchsten Punkt der Kulturlandschaft Lednice-Valtice. Bis zur Samtenen Revolution spähten von hier die tschechoslowakischen Grenztruppen in den Westen. Heute darf das jeder. Lasst Euch Zeit dabei und genießt die Ruhe.

„Die mährische Hymne ist nämlich – Stille.“

Jan Skacel

 

Diese Diashow benötigt JavaScript.

 

Kulturlandschaft Lednice-Valtice: Praktische Infos

  • Essen und Trinken: Eine coole Adresse nahe dem Schloss von Lednice ist die → Stravovna &  Bar Lednice. Hinter der selbst ernannten „Kantine“ steckt der slowakische Promikoch Marcel Ihnačák, der bei Jamie Oliver gelernt hat. Täglich wechselndes Angebot zwischen böhmisch und international. Unter dem Lokal eine Cocktailbar, wo auch mal DJs auflegen oder Bands spielen. In Valtice können wir die → Pivovar Feldsberg empfehlen, wo es Zünftiges in großen Portionen und selbstgebrautes Bier gibt.
  • Wohnen: Valtice ist vorzuziehen, Lednice ist langweilig (außer Ihr seid Camper, siehe unten). Das Valticer Schlosshotel mit dem Namen → Hotel Anton Florian ist eine solide Adresse. Es gibt Zimmer in verschiedenen Kategorien, von recht schick bis einfach und günstig.
  • Camping: Den → Autokempink Apollo ca. 3 km südöstlich von Lednice finden wir super. Er ist riesig, auch im Hochsommer gibt es jede Menge Platz. Die Sanitäranlagen sind nicht mehr die frischesten, erfüllen aber ihren Zweck.
  • Literatur: Viele weitere Infos über Lednice und Valtice und über Südmähren überhaupt findet Ihr in unserem Reiseführer → „Tschechien“, erschienen im Michael Müller Verlag:

 

Mehr Mähren bei uns auf dem Blog

 

Gib süßen oder scharfen Senf dazu (E-Mail-Adresse wird nicht angezeigt)

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein