StartEuropaTschechienReise durch den Böhmerwald: Mit der Bummelbahn durch Südböhmen

Reise durch den Böhmerwald: Mit der Bummelbahn durch Südböhmen

Ein kleines Zugabenteuer in vier Etappen und ein Extratipp

-

„Die kleine Bahn fuhr langsam, sie wankte wie ein einsames, verlassenes Schiff ohne Kapitän auf hoher See. Die junge Schaffnerin schaute auf ihr Handy und wankte mit.“

Jaroslav Rudiš in: Winterbergs letzte Reise

Zugfahren in Tschechien ist Freude pur – daran denken wir oft, wenn wir zu Hause am Bahnsteig auf die Anzeigetafel schauen und aus den voraussichtlichen zehn Minuten Verspätung mal wieder dreißig werden. In Tschechien fahren die Züge in der Regel pünktlich ab. Und fast überallhin. Sie sind sauber und günstig, auch wenn man spontan bucht. Eine perfekte Option also, um das kleine Land im geschmeidigen Tempo zu bereisen.

Schon immer wollten wir mal mit der Bahn durch Südböhmen bummeln. Die Strecke von Nové Údolí durch das Böhmerwaldvorland nach Prachatice und die Strecke von Strakonice nach Volary, die den höchstgelegenen tschechischen Bahnhof passiert, zählen, so lasen wir, zu den schönsten des Landes. Klang gut.

 

Blick aus Fahrerkabine auf Zuggleise
Mit der Bahn durch Südböhmen: Wir stellen Euch in diesem Artikel ein paar schöne Zugstrecken durch den Böhmerwald und Südböhmen vor

 

Um beide Bahnstrecken miteinander kombinieren zu können, entwarfen wir eine Rundtour, die wir Euch hier vorstellen. Sie ist trotz dreimaligen Umsteigens bequem an einem Tag machbar. Natürlich könnt Ihr die Tour auch unterbrechen, für ein paar Stunden oder gar eine Nacht. Insbesondere Prachatice ist ein hübsches Ziel für einen Zwischenstopp. Unser Ausgangspunkt ist die mitten im Böhmerwald gelegene Station Nové Údolí an der tschechisch-deutschen Grenze. Aber Ihr könnt auch anderswo entlang der Route starten.

Hinweis: Ein zweiter kleiner Zugtrip in der Region führte uns später von Lipno nad Vltavou nach Rybník. Diese Tour gibt’s als Goodie am Ende des Artikels. Aktuelle Zugverbindungen für die beschriebenen Strecken findet Ihr auf den Seiten von → České drahý  und → GW Train Regio. Dort könnt Ihr die Tickets auch online kaufen.

 

Mit dem Zug durch Südböhmen: Inhaltsverzeichnis

 

 

RUNDTOUR DURCH DAS VORLAND DES BÖHMERWALDS

Start in Nové Údolí

Wer wie wir in Nové Údolí starten will und mit dem eigenen Auto anreist, parkt am besten auf dem Wanderparkplatz Haidmühle auf deutscher Seite. Von dort sind es gerade 200 Meter bis zum Fußgängergrenzübergang neben dem Bahnhof von Nové Údolí (Neuthal).

Vom einstigen gleichnamigen Dorf ist kaum mehr etwas erhalten. Nach der Vertreibung der deutschen Bevölkerung und der Ziehung des Eisernen Vorhangs wurde es wie so viele andere Dörfer im Grenzgebiet ausradiert. Lediglich ein paar Holzhäuser verstreuen sich noch auf der idyllischen Hochebene.

 

Bahnsteig im Grünen
Bahnhof im Grünen: Nové Údolí

 

Der „Bahnhof“ ist nicht viel mehr als ein überdachter Bahnsteig. Nebenan schenkt ein Kiosk in einem historischen Waggon Bier aus. In einem anderen ist ein kleines Muzeum untergebracht, das jedoch heute geschlossen hat. Drum herum zwitschert und keckert es, als wollten heute ganz viele böhmische Vögel gleichzeitig Hochzeit machen in dem grünen Walde. Fiderallala, fiderallala.

 

Erste Etappe: Nové Údolí – Čičenice

Der Zug fährt ein. Kein Nostalgiebähnchen, sondern ein niederfluriger Regio Sprinter in Orange und Grün. Betrieben wird er von der privaten Bahngesellschaft CW Train Regio. Wir steigen ein. Viel ist nicht los an diesem schönen Junitag. Außer uns keine Handvoll Leute. Das wird an Wochenenden anders sein.

Info: Tickets für diese Etappe können in der Bahn an Automaten gelöst werden. Dauer dieser 70 Kilometer langen Etappe: Ca. 2 Std. 10 Min.

 

Zug fährt ein Bahnhof Nové Údolí
Der Zug fährt ein

 

Wir überqueren die Kalte Moldau (Studená Vltava) auf einem Brückchen, passieren blühende Hochwiesen mit tannengrünen Bordüren.

 

Zug fährt über eine Brücke durch idyllische Landschaft
Kalte Moldau

 

Dann fahren wir hinein in den Wald. Er wird der rote Faden dieser Reise werden, der grüne Wald. Unser Bähnchen trötet den Böhmerwald an, der rauscht zurück. Šumava nennen die Tschechen den Böhmerwald ganz romantisch, „die Rauschende“.

 

Blick aus Fahrerkabine auf Zuggleise im Wald
Wald wohin man nur blickt

 

Holzstämme stapeln sich rechts und links der Gleise. Für den Holztransport und für den Transport von Graphit aus den hiesigen Bergwerken sowie für die Versorgung der Arbeiter wurde die Bahnlinie einst überhaupt erbaut. Das war Ende des 19. Jahrhunderts. Damals sprach man hier noch Deutsch mit donaubayrischem Einschlag.

 

Blick aus dem Zug auf Zug mit Holzstämmen
Viel Holz ist unterwegs im Böhmerwald

 

Bahnhof Volary (Wallern). Das 3800-Einwohner-Städtchen, im Spätmittelalter von Kolonisten aus Tirol gegründet, ist heute ein eher unschöner Ort mit trauriger Geschichte. Hier endete zum Kriegsende im Mai 1945 der so genannte Todesmarsch von über 1100 Frauen aus dem bayerischen Konzentrationslager Helmbrechts. Noch bevor die amerikanischen Befreier eingreifen konnten, wurden 95 entkräftete Frauen von den Aufsehern ermordet. Ein Denkmal beim Friedhof erinnert an das Grauen.

 

Friedhof mit Skulptur
Volary: Denkmal an den Todesmarsch

 

Hinter Volary tauchen wir wieder ein in eine Räuber-Hotzenplotz-Landschaft, die in erster Linie aus Bäumen zu bestehen scheint. Die Stationen, viele im Bushaltestellenformat, befinden sich teils mitten im Wald. Gehalten wird dort nur nach Voranmeldung oder nach Aufforderung per Handzeichen.

 

Bahnstation Rohanov
Zugfahren im Böhmerwald: Bahnstationen wie Bushäuschen

 

Einfahrt in Prachatice (Prachatitz). Wer mag, kann hier einen zweistündigen Stopp einlegen, zum Mittagessen oder auf eine kurze Stadterkundung (Entfernung Bahnhof – Zentrum ca. 800 Meter). Wer mit noch mehr Muße unterwegs ist, bleibt einfach für eine Nacht in Prachatice.

 

Bahnhof Prachatice
Bahnhof Prachatice

 

Übernachtungstipp für Prachatice: Ordentliche Zimmer und ein gutes Restaurant besitzt das → Hotel Koruna am Marktplatz. Nebenan braut die Pivovar Prachatice herausragendes Bier!

Das 11.200-Einwohner-Städtchen Prachatice steht ganz im Zeichen der Renaissance. Den leicht abschüssigen Marktplatz und die schmucken Gassen drum herum säumen Häuser mit prächtigen Sgraffitofassaden. Aus der Vogelperspektive sieht die Kleinstadt so aus:

 

Diese Diashow benötigt JavaScript.

 

Der Schaffner pfeift und unser Zug setzt sich wieder in Bewegung. Hinter Prachatice ist die Strecke insgesamt wenig spannend. Das Städtchen Vodňany (Wodnian) mit seinem markanten Kirchturm zieht vorüber. Wenige Minuten später erreichen wir das Ziel unserer ersten Etappe: Čičenice (Čičenitz).

 

Zweite Etappe: Čičenice – Strakonice

In Čičenice heißt es: Raus aus dem Zug, rein in den Zug. Wir haben nur wenige Minuten zum Umsteigen. Und weiter geht es, tatam-tatam-tatam. Unser Zug holpert vorbei an Kornfeldern, landwirtschaftlichen Betrieben und Teichen.

Info: Wer das Ticket für die Weiterfahrt nicht online kauft, kann es auch beim Schaffner erwerben. Die zweite Etappe ist 30 Kilometer lang, Fahrzeit 22 Minuten.

In Protivín winken wir der Stationsvorsteherin zu, die jeden ein- und vorüberfahrenden Zug grüßt. Sie trägt Uniform und rote Mütze. In Deutschland ist der Beruf ausgestorben. In Tschechien wird er noch gehegt und gepflegt – das sind herrlich nostalgische Momente einer Zugreise durch Böhmen.

Strakonice (Strakonitz) ist eine Stadt von eher belangloser Optik. Einen Zwischenstopp empfehlen wir nicht, außer Ihr interessiert euch für Motorräder. Denn in Strakonitz wurden bis in die 1990er-Jahre die legendären ČZ-Motorräder produziert.

In der einzigen Sehenswürdigkeit der Stadt, einer mächtigen Burg, ist das Museum des mittleren Otavagebiets untergebracht. Es ist in Besitz einer ganzen Reihe alter ČZ-Maschinen. Zudem zeigt es Exponate der nicht mehr existenten Textilfabrik Fezko, die einst die gesamte islamische Welt mit Fes-Hüten belieferte.

 

Burghof
Strakonice: Burg mit Museum

 

Dritte Etappe: Strakonice – Volary

Von Strakonice nach Volary ist man für die exakt 71 Kilometer rund zwei Stunden unterwegs.

Eine halbe Stunde bleibt uns in Strakonice, bevor es wieder zurück geht gen Süden, dieses Mal jedoch auf einer anderen Route. Diese deckt sich in Teilen mit jener Zugreise, die der preisgekrönte tschechische Autor Jaroslav Rudiš in seinem Roman Winterbergs letzte Reise beschreibt. Ein tschechischer Altenpfleger aus Berlin begleitet darin einen schwerkranken vertriebenen Sudetendeutschen durch dessen alte Heimat. Schöner als Jaroslav Rudiš können wir den ersten Teil dieser Etappe nicht wiedergeben:

„Wir stiegen in Strakonice um und fuhren mit der Bahn weiter Richtung Vimperk. Die Täler wurden enger und die Hügel höher und die Kurven kürzer und der kleine, klapprige Triebwagen quietschte.“

Den alten klapprigen Triebwagen gibt es bei uns allerdings nicht (mehr). Wir sind wieder mit dem schicken Bähnchen von CW Train Regio unterwegs. Quietschen aber kann das auch. Hinter Volyně (Wolin) fahren wir ein Stück am Fluss entlang. Drei kichernde Dorfpomeranzen sitzen am Flussufer auf einer Bank und machen Selfies.

Kurz vor Vimperk (Winterberg) kommt die Bahn ins Schnaufen und verliert an Fahrt, immer langsamer geht es bergauf. Selbstverständlich durch den Wald, in den wir hier tief hineinschauen können. Unter uns eine Datschensiedlung mit Kleingärten und Planschpools.

 

Zug fährt durch Wald
Zwischen Strakonice und Volary geht es natürlich wieder durch viel Wald

 

Wir umfahren das von grünen Hügeln umgebene Städtchen. Es wird von einer mächtigen Schlossburg gekrönt, deren Fundamente bis ins 13. Jahrhundert zurückreichen.

 

Von einem Schloss gekröntes Städtchen
Vimperk

 

Dann geht’s wieder hinein in den Wald. In was sonst. Soviel Wald macht müde. Wir gähnen wie zwei Paviane, nicken kurz mal ein. Dann hupt unser Bähnchen, schreckt uns und ein Reh auf, und es geht hinauf nach Kubová Huť (Kubohütten) zur höchstgelegenen böhmischen Bahnstation. Sie befindet sich auf 995 Höhenmetern. Der Böhmerwald ist schließlich nicht nur ein Wald, sondern auch ein Mittelgebirge.

 

Bahnhof Kubová Huť
Bahnhof Kubová Huť

 

Hinter Lenora kommt die Moldau wieder ins Spiel. Wir passieren die Soumarský most (Säumerbrücke). Würde man hier aussteigen, könnte man das Säumermoor (Soumarský rašeliniště) erkunden. Durch das Moor führt ein 1,5 Kilometer langer Naturlehrpfad auf Holzstegen. So sieht es dort aus:

 

 

Vierte Etappe: Volary – Nové Údoli

Diese letzte kurze Strecke kennen wir schon vom Beginn unserer kleinen Zugreise durch Südböhmen. Rechts eine Waldtapete, links eine Waldtapete. Ruckel, ruckel. Dann fahren wir ein in den Bahnhof von Nové Údolí.

Info: Die letzte Etappe ist wieder kurz, gerade 14 Kilometer lang, Dauer 24 Minuten.

 

Unser Fazit

Die Tour ist nett und meditativ, doch das ganz große Landschaftsabenteuer bleibt aus. Der Blick wird meist versperrt von viel zu viel Wald. So viel Wald, dass man vor lauter Bäumen oft keinen Böhmerwald mehr sieht.

 

Lächelndes Paar in einem Zug
Unser Fazit: Zugfahren in Südböhmen macht Spaß, ist aber auch kein Aufreger

 

NOCH EIN ZUGTIPP FÜR SÜDBÖHMEN: VON LIPNO NAD VLTAVOU NACH RYBNÍK

Wer vom Zugfahren im Böhmerwald gar nicht genug bekommt, kann auch noch die Strecke von Lipno nad Vltavou nach Rybník ausprobieren. Diese Böhmerwaldzugfahrt führt in weiten Teilen entlang der hier noch jungen Moldau. Der Fluss weiß sich allerdings meist perfekt hinter Bäumen zu verstecken.

Info: Die 22 Kilometer lange Zugfahrt von Lipno nad Vltavou nach Rybník dauert etwa 45 Minuten.

Bummelbahn-Nostalgiker äußern sich begeistert über den türkisblauen Zug, der von einer „Bügeleisen“ genannten Lok gezogen wird:

 

Blaue Lokomotive
Das „Bügeleisen“

 

Tatsächlich stellt sich bei der Fahrt mit diesem Zug schnell ein Anno-dazumal-Bahnreisegefühl ein – zumindest bei denen, die schon in den 1970er-Jahren Bahn fahren konnten. Man kann noch die Fenster öffnen, sich den Fahrtwind ins Gesicht wehen lassen und in aller Ruhe fotografieren.

 

Frau schaut aus einem alten fahrenden Zug
Zugnostalgie: Fenster auf und Fahrtwind ins Gesicht

 

Die Ziele unterwegs sind spannender als die Fahrt selbst. Aussteigen kann man (nach Voranmeldung, Schaffner Bescheid geben!) an der so genannten Teufelswand (Čertova stěna). So wird ein Meer aus großen Granitblöcken und Geröll genannt, das sich über einen weiten Hang hinab zur Moldau zieht.

Wenige Minuten später erreicht man die Station Vyšší Brod Klášter. Wer dort aussteigt, kann ein mächtiges Zisterzienserkloster besichtigen – es ist sehenswert!

Ein schönes Ziel wäre an sich auch Rožmberk nad Vltavou (Rosenberg), ein südböhmisches Vorzeigedorf an der Moldau, in dem sich die Kanuten treffen und Kulturtouristen durch die mächtige Schlossburg schlurfen. Leider aber befindet sich der Bahnhof ganze vier Kilometer südlich des Dorfs.

 

Dorf mit Kanuten im Fluss und Schloss
Rožmberk nad Vltavou

Wir freuen uns auf Eure Kommentare (E-Mail-Adresse wird nicht angezeigt)

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein