„**** Jerma Palace, an der Südseite der Bucht. Orientalisch anmutende Architektur. Über 300 Zimmer, sehr beliebt bei Russen und Libyern. Pool, Konferenzräume, gemütliche Lounge usw. Herr al-Gaddafi persönlich pflegte hier des Öfteren seine Ferien zu verbringen. EZ ab 135 DM, DZ ab 207 DM (…).
Der Text stammt von Michael. Beim Stöbern in unserem Archiv haben wir ihn entdeckt. Man liest ihn auf Seite 130 seines 1998 veröffentlichten ersten Reiseführers über Malta. Lang ist’s her.
Der Jerma Palace wurde 1982 von einer libyschen Investmentfirma im Städtchen Marsaskala eröffnet. Es war die Zeit, als der streitbare sozialistische Ministerpräsident Dominic Mintoff intensiv mit Libyen flirtete (und noch mit so manch anderen Bad Boys aus China, der Sowjetunion und Nordkorea). Ein sexy place für Badetouristen wurde der opulente Palazzo Protzi aber nie. Es fehlte der Sandstrand, es fehlte eine attraktive Umgebung. 2007 wurde das Hotel geschlossen und an ein englisches Unternehmen verkauft. Man plante eine Neueröffnung. Aus der wurde nichts. Seit 2007 verfällt die ehemalige Luxusbude.
Die schmelzende Euromünze
Oktober 2018. Wir stehen im Herbstwind vor dem mürben Skelett des einstigen Hotelkolosses. Die fünfstöckige Ruine erinnert an Bilder aus dem kriegszerstörten Syrien. Die Fassade hat ihre neomaurischen Stilelemente verloren. Auf den Balkonen wachsen Büsche. Den Zimmern fehlen die Fensterfronten, ähneln ausgehöhlten Waben übereinander und nebeneinander. Unbewohnbar. Keine Vorhänge mehr, keine Tapeten mehr, kein Wandschmuck. Nur die typische Sandsteinblässe Maltas hat die Zeiten überdauert.
An der Außenwand sehen wir das erste Streetart-Werk. Wow! „My (melted) Precious“ heißt die Arbeit, die 2015 im Rahmen eines Street-Art-Festivals von dem indonesischen Künstler WD/Wild Drawing entworfen wurde: Eine spitzohrige Fantasy-Gestalt, wie Smeagol aus „Herr der Ringe“. Nur hält sie statt eines Rings eine zerfließende Euromünze zwischen den runzeligen Fingern. Daneben ein bärtiges Altmännergesicht.
Kein Schild weist darauf hin, dass ein Betreten des Geländes verboten sei. Straßenkatzen streichen am Eingang umher, jemand hat Futterschälchen hingestellt. Noch mehr aber fällt Hundekot ins Auge. Hier lässt man also am Abend seinen Hund umherstromern. Wir hadern ein wenig mit uns, treten vom einen Bein aufs andere. Und folgen schließlich den Hundekötteln dahin, wo einst die gut situierten Gäste von ihren Chauffeuren abgeliefert wurden. Wir spazieren hinein in die einstige Lobby.
Mädchenlachen und Deckenkrachen
Die große Empfangshalle ist übersät mit Schutt, Plastikmüll, Stofffetzen und Scherben. Vandalen, Partygemeinschaften, Obdachlose und Geflüchtete haben im Lauf der letzten Jahre ihre Spuren hinterlassen. Was nicht niet- und nagelfest war, wurde herausgerissen und mitgenommen. Wir stehen da, gefangen von einer Mischung aus Entsetzen, Ekel und Staunen.
Staunen vor allem deswegen, weil sich auch im Inneren der Streetart-Reigen fortsetzt. Arbeiten von großer Raffinesse zeigen sich uns an den verlotterten Wänden, aber auch viel Geschmiere und Graffiti von drittklassiger Qualität. Langwimprige Frauengesichter schauen uns an, Mutter Theresa lacht aus einem Eck hervor.
Im Geiste hören wir eine junge Rezeptionistin „Welcome to Malta!“ sagen, hören die gedämpfte Foyermusik, die Rollkoffer und das „Bling“ der sich öffnenden Aufzugtüren. In der Realität hören wir Kinderlachen. Es kommt von draußen.
Wir laufen dem Lachen hinterher, hinaus auf die ehemalige Terrasse. Wir sind nicht die einzigen Besucher! Oben auf dem Flachdach kichern junge Mädchen mit wehendem Haar, die Handys fürs Selfie gezückt. Ihre Begleiter sind unten geblieben, trinken Dosenbier auf einer Treppe, deren Geländer abbrach. Und noch weiter unten stakst eine Urlauberfamilie über den Schutt.
Im vierten Stock verhängt ein weißes Betttuch eine ehemalige Fensterfront. Der Wind, das himmlische Kind, bläht es auf wie ein Segel. Wohnt da jemand?
Hinauf? Aufs Dach? Wir Schisser schauen uns an und schütteln den Kopf. Immer wieder kracht es, als würden Teile der Deckenhalterungen zu Boden knallen.
Lost Pools
Vor uns der Pool, „Infinity Pool“ würde man heute dazu sagen, dahinter das azurblaue Meer. Der Pool ist leer, vermüllt, geziert von weiterer Street Art. Im wuchernden Gebüsch dahinter könnten Kinder Versteck spielen.
Wir fotografieren, spazieren auf zerbrochenen hellblauen Fliesen umher. Vorbei am ehemaligen Tennisplatz, heute eine öde Fläche, landen wir am Speisesaal. Ein weiterer, schwer verkaterter Ort. Die raumteilenden Säulen stehen noch – die konnte man schließlich nicht mitnehmen. Und den grandiosen Meerblick gibt es auch noch.
Etwas mehr als zehn Jahre ist es her, seit sich hier die letzten Gäste vom Büfett bedienten. Zu jener Zeit war das Hotel schon zu einer zweitklassigen Pauschalurlauberherberge verkommen. Und Michael räsonierte in der mittlerweile vierten Auflage seines Reiseführers: „Eine Beautykur täte dem Hotel gut“.
Zum Schluss entdecken wir auch noch den Innenpool: maurische Ornamentik, hellblaue Mosaikkacheln, das Becken voller Unrat.
Dann gehen wir hinaus, wieder den Hundeköttel-Markierungen hinterher. Zu den Katzen am Eingang. Sie scheinen auf uns gewartet zu haben.
PRAKTISCHE INFOS
Wo?
Marsaskala liegt ganz im Osten von Malta an einer fjordartigen Bucht, in der bunte Luzzus, die traditionellen maltesischen Fischerboote, dümpeln. So malerisch wie die Bucht ist der Ort aber heute nicht mehr. Die alten, schmucken Erkerhäuser, die so typisch für Malta sind, wurden weitestgehend abgerissen, um Platz zu machen für lieblose Ferienapartments.
Den Jerma Palace wiederum findet Ihr auf der ausladenden Landzunge, die sich zwischen der Marsaskala Bay und der weiter südlich gelegenen St. Thomas Bay (dort auch Bademöglichkeiten) erstreckt. Im Nacken des Hotels steht zudem ein Wachturm aus dem frühen 17. Jahrhundert.
Schnell hin und zwar mit festen Schuhen!
Es gibt Pläne, die Hotelruine abzureißen und auf dem Gelände ein 13-stöckiges Gebäude samt Hotel und vielen Apartments zu errichten. Wann die Pläne realisiert werden sollen, stand bei unserem Besuch im Oktober 2018 noch nicht fest. Denkt auch an festes Schuhwerk – mit Flipflops macht eine Besichtigung keinen Spaß!
Essen in Marsaskala
→ Tal-Familija, unser Lieblingsrestaurant in Marsaskala. Nix hippes, nur nett, familiär und saulecker. Unsere Empfehlungen: Oktopussalat, Karnickel in Weißweinsauce und Seeigel-Spaghetti!
Die passende Literatur
Ganz klar: Michaels Buch „Malta“ aus dem → Michael Müller Verlag. Für die Neuauflage 2019 (dann die achte Auflage!) waren wir im Oktober 2018 vier Wochen zur Recherche auf den Inseln. In diesem Zusammenhang haben wir auch den Jerma Palace als Lost Place wieder entdeckt.
Noch mehr Malta
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Es war wirklich ein sehr schönes Hotel! Traurig, was daraus geworden ist. Wir waren oft dort, und es hat uns immer gut gefallen. Wir haben dort „Maria“ kennen gelernt. Sie war oft an der Hotelrezeption, und wir haben heute noch Kontakt mit ihr.
Ja, eine wirklich traurige Angelegenheit. Wir sind wirklich gespannt, was aus dem Areal künftig wird.
Hallo,
danke für diesen Beitrag! Ich war zwei Mal auf Malta und neben dieser Ruine baden. Ich dachte damals, das Hotel sei nie fertiggebaut worden.
Liebe Miriam, nichts zu danken!
Ich war auch in den letzten Jahren einmal dort im Urlaub. Schon gespentstisch die Bilder jetzt zu sehen. Ich erinnere mich genau, wie es im aktiven Zustand ausgesehen hat, das Foyer, die Lobby, Speisesaal, den Pool. Ich fands schön. Schon Wahnsinn wie so ein riesiges Haus voll eingerichtet jetzt völlig leer und eine Ruine ist.
Hallo Jürgen, totaler Wahnsinn, was aus diesem Ort geworden ist, in der Tat. Wir sind übernächstes Jahr wieder in Malta und werden nachschauen, was dann los ist im Jerma Palace… Viele Grüße, Gabi und Michael
Die Erinnerung bleibt. Wir waren vor 21 Jahren das erste Mal im Ausland und dann in diesem Hotel !! Für uns einmalig .. die Dörfer in der Umgebung zu Fuß oder mit dem Bus um die Insel.. Natur und Kultur bleiben unvergessen für uns. Das Hotel auch wegen der Muschelberge beim Abendessen im Buffet und dem kostenfreien Kaffee danach….
Oh, dann ist es bestimmt fast ein wenig traurig, das Hotel in diesem Zustand zu sehen. Nicht nur das Hotel, auch die Insel hat sich in den vergangene Jahren leider enorm verändert. Der Baumboom tut dem Inselchen nicht gerade gut, und der Verkehr steht jeden Tag kurz vor dem Infarkt.
Renate und Erwin 16.09.2019 at 18:ß1
Wir haben1987 im Hotel Jerma Pallas einen 3 wöchigen Urlaub erlebt und sind über den jetzigen Zustand des einst viel gebuchten Hotels entsetzt. Wie kann ein Hotel so
zu einer Ruine verkommen? Es macht uns sehr traurig.
Ja, es ist wirklich schockierend. Wir kennen das Hotel auch noch, als es noch in Betrieb war. Aber wer weiß: Vielleicht wird ja wieder etwas Schöne daraus? Wir werden bei unserer nächsten Maltareise wieder vorbeischauen.
Toller Artikel. Eindrucksvolle Bilder. Bringt die Stimmung sehr gut rüber. Danke, dass Ihr dieses morbide Streetart-Juwel für die Nachwelt dokumentiert habt.
Herzlichen Dank, das freut uns sehr!