„Ruanda ist heute.“

(Sarah Brockmeier, Genocide Alert)

Was wollt Ihr denn da?“ Solche und ähnliche Fragen regnete es auf uns herab, als wir uns Anfang 2016 Ruanda auf den Urlaubszettel schrieben. Ja, was wollten wir da eigentlich? Die angeblich 1000 Hügel begucken und ein paar davon besteigen. Und uns mit dem brutalen Völkermord befassen, der das Land im Jahr 1994 beutelte. Heute gehört das Land zu den sichersten Afrikas. In einem 2017 vom World Economic Forum erstellten Ranking der sichersten Reiseländer steht Ruanda mittlerweile auf Platz 9, Deutschland folgt auf Platz 51.

Zwei Wochen waren wir in Ruanda unterwegs – wie immer individuell, mit dem Rucksack und ohne jegliche Vorplanung. Mehr als kurz ins Land schnuppern war da nicht drin. Die Reise war Teil eines siebenwöchigen Afrikatrips, von dem wir fünf Wochen in Uganda verbrachten. Auf dieser Karte seht Ihr unsere Route:

 

 

INHALTSVERZEICHNIS

 

Musanze und der Vulcanoes National Park: Im Land der Feuerberge

Wie sauber es hier ist! Schon kurz nach unserem Grenzübertritt sind wir erstaunt über die Ordnung in Ruanda im Vergleich zum oft recht chaotischen Uganda. 90.000 Einwohner zählt Musanze (Ruhengeri), die Stadt liegt zu Füßen der Virunga-Vulkankette. Acht 3500 bis 4500 Meter hohe Vulkanberge ragen hier in den Himmel, fünf davon in Ruanda, drei in der benachbarten Demokratischen Republik Kongo. Die im Kongo sind noch aktiv.

 

Vernebelte Virunga-Berge in Ruanda
Die Virungas: Berge, wie sie Kinder malen

 

Es sind Berge, wie sie Kinder malen. Von einer der schönsten Landschaften unseres Planeten sprechen Vielgereiste, die die Virunga-Kette bei guter Sicht gesehen haben. Wir können da leider nicht mitreden. Während unseres Aufenthalts tragen die Berge fast unentwegt dicke graue Wollmützen. Mal taucht ein Gipfel für wenige Minuten auf, dann ist er auch schon wieder verschwunden.

 

Gemalte Skizze der Virunga-Vulkankette in Ruanda
Die Virunga-Vulkane konnten wir in ihrer Gesamtheit leider nicht in natura, sondern nur auf einer gemalten Skizze erblicken

 

Die meisten Touristen kommen zum Gorilla-Tracking in den Nationalpark – die Tiere fühlen sich in den feucht-kühlen Nebelwäldern der Vulkanhänge pudelwohl. Aber auch sonst kann man allerhand unternehmen, unter anderem zum Grab von Dian Fossey wandern. Die Primatenforscherin (“Gorillas im Nebel“), die Menschenaffen mehr als Menschen geliebt haben soll, lebte hier ab 1967 und wurde 1985 bestialisch ermordet, vermutlich von Wilderern. Neben ihr ruht ihr Lieblingsgorilla Digit. Einen herzerwärmenden Film zum Nationalpark und Dian Fossey gibt’s von National Geographic:

 

 

Wir selbst haben die Berggorillas, nicht zuletzt aus Kostengründen, in Uganda getrackt. Mehr dazu in diesem Beitrag → hier.

 

Auf den Mount Bisoke

Egal was man auch anstellt im Volcanoes National Park – für umme ist hier nichts zu bekommen. Zudem ist eine Begleitung durch Ranger und bewaffnete Soldaten (wegen kongolesischer Rebellen, Zwergelefanten und Büffel) obligatorisch.

Wir entscheiden uns trotz des nicht gerade idealen Wetters für die Besteigung des 3711 Meter hohen Mount Bisoke, dessen Gipfel ein Kratersee schmückt. Wer großes Glück hat, begegnet auf dem Weg vielleicht einer Gorillafamilie – ein Glück, das uns verwehrt bleibt. 75 US-Dollar kostet der Spaß pro Person, hinzu kommen 50 Dollar für den Fahrer, der uns von Musanze zum Ausgangspunkt des Trails und zurück bringt.

Die rund sechsstündige Tour hat es in sich: Es geht vorbei an weitläufigen Kamillenfeldern an den fruchtbaren Ausläufern des Vulkans, an Moosen, Farnen und Lobelien, dann in den dichten Wald und schließlich eine Unendlichkeit steil bergauf. Hinein in die Wolken. Oben wabert der Nebel über den Kratersee, gibt hin und wieder ein Fitzelchen davon frei. Nicht mehr. Eigentlich, so unser Ranger, würde man von hier den Karisimbi sehen, den mit 4507 Metern höchsten Berg des Landes. Und eigentlich würde man von hier auch den Rauch des Nyiragongo-Vulkans im Kongo aufsteigen sehen, der zu den aktivsten Feuerbergen Afrikas zählt. Eigentlich.

 

Touristengruppe mit Ranger in Berglandschaft
Briefing vor dem Aufstieg
Wanderin beim Aufstieg auf den Mount Bisoke in Ruanda
Besteigung des Mount Bisoke (oben). An seinen Ausläufern erstrecken sich weite Kamillefelder (unten).

 

Rubavu am Kivu-See: Katzensprung zum Kongo

Den rund 90 Kilometer langen Kivu-See teilt sich Ruanda mit der Demokratischen Republik Kongo. Eine atemberaubende, mystisch-vernebelte Wasserwelt, umarmt von Sandstränden, terrassierten Böschungen und Bergen von fast 3000 Metern Höhe.

 

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Unsere erste Station heißt Rubavu (Gisenyi), eine 110.000-Einwohner-Stadt im Norden des Sees, die wir von Musanze problemlos mit dem Minibus erreichen. Rubavu besitzt einen ansprechenden Strand (der Kivu-See gilt als bilharziosefrei), einen netten Park und etliche schöne Gebäude aus der kolonialen Epoche.

 

 

Mit einem Visum in der Tasche könnte man von Rubavu zu Fuß hinüber nach Goma auf der kongolesischen Seite spazieren, einer Stadt, die beim letzten Ausbruch des Nyiragongo schwer in Mitleidenschaft gezogen wurde – über 100.000 Einwohner wurden obdachlos, rund 200 Menschen starben. Der Nyiragongo ist einer der wenigen Vulkane der Welt, der seit Jahren einen Lavasee aufweist. Wir bereuen es, ihn nicht bestiegen zu haben.

Der Kivu-See liegt im ostafrikanischen Grabenbruch. Vulkanische Quellen am Grunde des Sees sorgen für eine hohe Konzentration an gelösten Gasen im Tiefenwasser, vorrangig Kohlenstoffdioxid und Methan. Das ist gefährlich. Infolge eines Vulkanausbruchs oder eines schweren Erdbebens kann es jederzeit zu einem Erdrutsch kommen, der das Seewasser aufmischt. Dadurch kann CO2-haltiges Wasser an die Oberfläche steigen, wo infolge des Druckverlustes farb- und geruchsloses Kohlendioxid in Gasform freigesetzt wird. Ist die Kohlendioxidwolke groß genug, würde dies für alles seenahe Leben den Erstickungstod bedeuten. So geschehen am Nyos-See in Kamerun 1986.

 

Rubona: Nixtun und Wandern am Seeufer

Wir ziehen ins sechs Kilometer weiter südlich gelegene Fischerdorf Rubona, wo sich am Seeufer eine ganze Reihe freundlicher Unterkünfte für jeden Geldbeutel angesiedelt haben. Sonne, Wolken und Gewitterstürme begleiten unsere Tage, die wie im Flug vergehen.

 

Hotel in Rubona am Lake Kivu in Ruanda
Relaxte Tage in Rubona

 

Wir unternehmen kleine Wanderungen auf dem Congo Nile Trail, einem insgesamt 227 Kilometer langen Panorama-Fernwanderweg ins weiter südlich gelegene Karongi. Wer ihn voller Länge begehen will, braucht rund zehn Tage.

Wir durchstreifen „unser“ Dorf, finden eine Kneipe mit Billardtisch, in der wir schon am zweiten Tag wie Stammgäste behandelt werden. Im Sonnenuntergang beobachten wir die auslaufenden Fischerboote, die durch Ausleger miteinander vertäut sind. Allabendlich, egal bei welchem Wetter, rudern die Fischer im Gleichtakt auf den See hinaus und feuern sich durch lautstarken Gesang an. Was so romantisch klingt und fotogen aussieht, ist knallharter Arbeitsalltag in einem Land, in dem trotz allen Fortschritts fast die Hälfte der Bevölkerung in Armut lebt:

 

Fischerboote im Lake Kivu in Ruanda
Auslaufende Fischerboote

 

Karongi: Seeidylle und düstere Erinnerungen

Dreimal in der Woche verbindet eine Personenfähre Rubona mit Karongi (Kibuye), dem zweiten touristisch interessanten Städtchen am Kivu-See. Der relaxte Trip dauert rund drei Stunden, vorbei an einer zerklüfteten Küstenlandschaft mit Fjorden, Buchten, Hügeln und Hügelchen.

 

Paar mit Schwimmwesten auf einem Boot
Auf der Fähre

 

Wir haben interessante Mitreisende in unserer „VIP Lounge“: Susanne, die Deutsche, arbeitet für „Ärzte ohne Grenzen“ im Kongo und verbringt gerade ihren Urlaub in Ruanda. Noch nie in ihrem Berufsleben hat sie etwas anderes gemacht als sich in den ärmsten Ländern dieser Erde für andere Menschen aufzuopfern.

Brigitte, die Belgierin, war vor rund einem Vierteljahrhundert im gleichen Land für die gleiche Organisation tätig. Jetzt hat sie den Kongo wieder besucht, hat alte Freunde getroffen, hat den Nyiragongo-Vulkan bezwungen und ist den kongolesischen Gorillas auf den Pelz gerückt. Die beiden Damen haben sich viel zu erzählen. Wir lauschen ehrfürchtig. Hut ab!

 

 

Karongi, ein auf und zwischen Hügeln gebautes Städtchen, hat wie alle anderen Orte Ruandas düsterste Zeiten hinter sich. Der Völkermord in dem kleinen Land, bei dem 1994 vor den Augen der Weltöffentlichkeit rund eine Million Tutsis und moderate Hutus innerhalb von 100 Tagen von marodierenden Mobs abgeschlachtet wurden, ist beispiellos. Menschen lynchten Menschen mit gleicher Sprache, gleicher Religion und gleichen Sorgen.

Die Wurzeln des Hasses sind in der Kolonialzeit zu finden. Die Kolonialherren teilten die Ruander nach einem schlichten Prinzip auf: Wer mehr als zehn Rinder besaß, wurde ein Tutsi, wer weniger besaß, ein Hutu. Die Tutsis erklärte man zur Elite und zu den Handlangern der Weißen, was zu einem Aufbegehren des einfachen Bauernvolks der Hutu führte.

Aus Nachbarn wurden Mörder. 23 Jahre ist das her. Vor der Reise fragten wir uns, inwieweit die Schrecken der Vergangenheit das Leben in Ruanda noch heute prägen. Und wir fragten uns, wie viele Jahrzehnte vergehen mussten, bis wohl bei Amerikanern, Franzosen oder Russen auf Reisen durch Deutschland dieser Gedanke in den Hintergrund rückte.

In Ruanda haben wir das Gefühl, als wäre hier und dort schon Gras über das viele Blut gewachsen. Immerhin kennt mehr als die Hälfte der ruandischen Bevölkerung den Genozid nur noch aus Erzählungen. Das Durchschnittsalter in Ruanda liegt bei 19 Jahren. Aber unser oberflächlicher Eindruck kann täuschen. Wie tief die Gräben zwischen den Gruppen noch heute sind, wissen wir nicht. Die Zukunft der Menschen steht zumindest unter dem Zeichen der staatlich verordneten Versöhnung. „Wir sind alle Ruander“ heißt das nationale Diktat.

 

Genocide Memorial in Karongi in Ruanda
Genocide Memorial von Karongi

 

Neun von zehn Tutsis wurden allein in Karongi, das damals noch Kibuye hieß, bestialisch ermordet. Im April 1994 suchten über 10.000 Tutsis Schutz in der hiesigen St.-Peter-Kirche – bis wenig später ein betrunkener Mob Granaten in das Gotteshaus warf und die hilflosen Menschen mit Macheten niedermetzelte. Keinen Tag später wurden im Fußballstadion weitere 10.000 Tutis zusammengetrieben und ermordet.

Die Kirche ist heute Mahnmal und Erinnerungsort. Es zeichnet Ruanda aus, dass es sich mit seiner Vergangenheit auseinandersetzt, überall im Land verstreuen sich Gedenkstätten und Informationszentren. Dabei wird aber vorrangig an die Verbrechen an den Tutsis erinnert. Dass auch über 100.000 Hutus starben, kommt kaum zur Sprache.

 

Unterwegs im Land der 1000 Hügel

Warum Ruanda „Land der 1000 Hügel“ genannt wird, merkt man spätestens bei einer Fahrt von Karongi nach Kigali. 140 Kilometer lang fahren wir durch eine Landschaft, die aussieht wie ein paradiesgrüner, umgedrehter Eierkarton.

Es geht vorbei an Teeplantagen, Bananenfeldern und einfachen Hütten. An jedem Stopp – und wir stoppen oft – kommen Kleinsthändler angelaufen, reichen uns Fleischspieße (Brochettes), Bananen, Kekse und Softdrinks durch schmale Fensterschlitze. Es sind 140 Kilometer in 1000 Kurven, die nicht jedem Magen gut bekommen. Bis zur Endhaltestelle in Kigali verwandelt sich unser weißer Kleinbus fensterabwärts in ein Zebra.

 

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Kigali: Hauptstadt mit Überraschungen

Spätestens in Kigali wird uns klar, was es mit den Sprüchen des autoritären Präsidenten Paul Kagame auf sich hat, aus Ruanda ein „afrikanisches Singapur“ zu machen. Seine Politik der harten Hand, die Pressefreiheit nicht schätzt und die Opposition unterdrückt, geht einher mit einem Fortschritt, der staunen lässt.

Zumindest nach außen präsentiert man einen afrikanischen Musterstaat: mit Auto-TÜV, einer staatlichen Krankenversicherung und einem jährlichen Wirtschaftswachstum von um die acht Prozent. Plastiktüten wurden aus dem Verkehr gezogen, die Gehwege sind so sauber, dass man darauf essen könnte.

„Was mag nur ein Ruander denken, der am ersten Tag seines Deutschlandaufenthalts durch Kreuzberg läuft?“,

kommt uns in den Sinn. Im tag- und nachtsicheren Zentrum mit seinen ruhigen Wohnstraßen und Glaspalästen wandeln schicke Damen auch noch um Mitternacht mit zwitschernden Smartphones umher.

 

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Genauso geleckt sieht es im muslimischen Viertel Nyamirambo aus, wo wir uns einen Nachmittag zwischen den bunten Häuschen mit ihren Cafés, Fastfood-Läden und kleinen Schneidereien treiben lassen.

 

Straßenzug in Naymirambo in Kigali/Ruanda
Unterwegs im muslimischen Viertel Nyamirambo

 

Auch in Kigali erinnert man an den Blutrausch des Jahres 1994. Das auf einem Hügel über der Stadt gelegene → Kigali Genocide Memorial wurde 2004 an jener Stelle errichtet, wo 250.000 Opfer des Völkermords begraben liegen. Das Memorial ist aber nicht nur Massengrab, sondern auch Rehabilitationszentrum für die Opfer, Forschungsstelle und Genozid-Archiv. Zugleich beherbergt es eine so aufschlussreiche wie erschütternde Ausstellung, bei der der Tod allgegenwärtig ist. Der Besucher bleibt mit Wut, Trauer und Sprachlosigkeit zurück. Und mit einem großen Fragezeichen: Warum?

Eine Frage, nach deren Antwort Wissenschaftler bis heute suchen.

 

RUANDA INDIVIDUELL – PRAKTISCHE INFOS

Ein paar praktische Infos zum Land (wie Visabestimmungen, Rumkommen, Preise und Reiseliteratur) haben wir unserem → Beitrag zu Uganda zugefügt.

 

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