„Wenn ich als Reisender auf etwas stolz bin, dann darauf, dass ich Mühen auf mich nehme“
(Paul Theroux in „Ein letztes Mal in Afrika“)
Mora mora“ heißt auf Malagasy soviel wie „Langsam, langsam“. „Mora mora“ ist das wohl erste Wort, das Ihr auf der riesigen Insel im Indischen Ozean lernen werdet, noch vor „Misaoroa“ (Danke), „Manao ahoana“ (Hallo) oder „Veloma“ (Tschüß). Und „Mora mora“ ist schon fast ein Kultausdruck, den man mittlerweile gar gedruckt auf Touri-T-Shirts kaufen kann.
Nicht ohne Grund. In Madagaskar ticken die Uhren anders. Oder besser gesagt: Da gibt es nicht viel, was ticken kann. Nur wenige Menschen besitzen eine Uhr, alle anderen richten sich nach der Sonne, stehen mit derselbigen auf und gehen mit ihr schlafen. Die Zeit dazwischen vergeht auch ohne Uhr. Oft mit Warten.
Auf einer Individualreise in Madagaskar wartet man viel. Zum Beispiel darauf, dass das Taxi Brousse, der meist völlig lädierte Minibus und das Fortbewegungsmittel schlechthin, endlich losfährt. Das tut er in der Regel erst, nachdem so viele Menschen, Fischkübel, Obstkörbe und dergleichen mehr hineingestopft wurden, bis keine Tür mehr zugeht. Auf Lebendtiere immerhin verzichtet man im Inneren. Die kommen aufs Dach – Enten in Körben, Ziegen an Stricken.
Später wartet man darauf, endlich anzukommen. Fast keine Fahrt ohne Panne, ohne ein schräges Erlebnis, ohne heißgelaufenen Motor oder platten Reifen. Wer auf eigene Faust das Land bereist, muss vor allem eines im Gepäck haben: Zeit. Nehmt Euch nie mehr als 200 Kilometer am Tag vor – mit Warten, Fahren und Stehen sollte man dafür zehn Stunden einkalkulieren.
Doch seid gewiss: Ihr habt nach der Reise viel zu erzählen. Das Land belohnt Euere Mühen. Und zwar noch und nöcher:
- Mit Landschaften über Landschaften und traumschönen Stränden.
- Mit teils bonbonbunten Kolonialstädtchen.
- Mit Essen zum Fingerablecken.
- Mit einer einzigartigen Flora und Fauna. Viele Pflanzen und viele Tiere gibt es nur hier, allen voran die Lemuren, weswegen Madagaskar auch gerne als der sechste Kontinent bezeichnet wird.
- Und mit liebenswürdigen Begegnungen am Rande. Die Madagassen gehören zu den größten Überlebenskünstlern der südlichen Hemisphäre, vom Staat allein gelassen, aber immer freundlich und guter Dinge.
Route/Inhaltsverzeichnis
Wir hatten „nur“ viereinhalb Wochen Zeit, was in Anbetracht der riesigen Insel (von der Fläche her fast doppelt so groß wie Deutschland) und der schlechten Straßenverhältnisse sehr kurz für eine Individualreise in Madagaskar ist. Da wir allerdings in der Regenzeit unterwegs waren (mehr zu den Reisezeiten → hier), haben wir den extrem feuchten, oft von Zyklonen heimgesuchten Norden komplett ausgelassen. Ausgelassen haben wir auch die weltberühmte Baobab-Allee im Westen Madagaskars – aus Zeitgründen.
Wir starteten in Antananarivo (Tana), flogen von dort ganz in den Süden nach Tuleár (Toliara), arbeiteten uns dann auf dem Landweg (mit einem Abstecher nach Manakara) wieder zurück nach Tana und noch weiter die Ostküste hinauf bis nördlich von Toamasina (Tamatave).
#1 Antananarivo: Hauptstadt zwischen hundert Hügeln
#2 Tuleár: Zentrum des furztrockenen Südens
#3 Ifaty: Blaupause mit viel Lokalkolorit
#4 Anakao: Bucket Shower und kein Grab mit Parabolantenne
#5 Isalo-Nationalpark: Trekkingtraum und die ersten Lemuren
#6 Ambalavao: Bergstädtchen mit kuhlem Markt
#7 Fianarantosoa: Grüner Salon
#8 Mit dem Zug von Fianar nach Manakara
#9 Blutegelparty in Ranomafana
#10 Antsirabe: Old-School-Glamour und ein wenig Urbanität
#11 Andasibe-Nationalpark: Bei den singenden Indris
#12 Mahambo: Prokrastination am Tropenstrand
#13 Tamatave: Raubein mit Charme
#14 Pangalanes-Kanal und Lake Ampitabe: Durch Süßwasser zum Lemuren-Streichelzoo
#1 Antananarivo: Hauptstadt zwischen hundert Hügeln
Zum Glück haben auch die Madegassen wenig Lust auf Zungenbrechernamen, sodass es für viele Städte Abkürzungen gibt. Lasst uns also Tana sagen.
Tana ist für uns die schönste afrikanische Hauptstadt, die wir bis dato zu sehen bekommen haben. Tana hat fast eine achterbahnartige Topographie, und auf jede Hügelkuppe scheinen die Franzosen eine Kirche gesetzt zu haben. Drum herum stehen verfallene Kolonialbauten neben frisch restaurierten. Treppengassen führen steile Hügel hinauf und wieder hinunter. Autos suchen sich andere Wege, finden aber keine, weswegen die Innenstadt oft kurz vorm Verkehrskollaps steht. Alles zusammen ergibt ein Chaos, in dem etwa 1,8 Millionen Menschen umherwuseln – teilweise hat man das Gefühl, als wäre kein „Tanaer“ zuhause.
Die wenigen Sehenswürdigkeiten der Stadt, die unser Reiseführer aufzählt, machen uns nicht heiß. Doch wer braucht Museen und dergleichen angesichts der Märkte, die diese Stadt bietet? Die Märkte sind die Attraktion Tanas, lasst Euch einfach treiben. Keiner wird Euch am Ärmel ziehen, auf Euere Siebensachen solltet Ihr aber aufpassen.
Im herrlichen Durcheinander gibt es alles zu kaufen, was das in weiten Teilen überaus fruchtbare Eiland mit seinen verschiedenen Klimazonen so hervorbringt: Tropenfrüchte wie Ananas und Papayas, Trauben und Ravioto (Maniokblätter), Äpfel und Birnen, selbst Pfifferlinge, Weißkohl, Radieschen und Feldsalat aus den kühleren Bergregionen. Daneben: Froschschenkel, lebende Krebse, glubschäugige Fische. Es gibt viel Armut in diesem Land. Hunger aber gibt es kaum, auch kein Elend von der Sorte, wie man es vielleicht aus Indien kennt.
Ein Mann verkauft Schreib- und Nähmaschinen, ein Blinder spielt auf einer ausrangierten Fahrradpumpe Flöte. In Bäckerläden gibt es Croissants, so fettig wie in Frankreich, und im Metzgerverschlag hängen fliegenumschwirrte Stücke vom Zebu. Zebu ist das madagassische Nationalrind mit geschwungenen Halbmond-Hörnern und einem Buckel, als mache es auf Kamel.
So vielfältig die Waren, so bunt die Menschen: Ein Völkergemisch par excellence zieht an uns vorüber. Die Besiedlung der Insel leiteten „Austronesier“ zwischen 200 und 500 n. Chr. (!) ein. Mit ihren Pirogen kamen sie aus Indonesien angepaddelt! Bis heute sehen viele Madagassen südostasiatisch aus, und auch die Alltagskultur Madagaskars (Reisanbau, Ahnenkult, Bootsbau) erinnert mehr an Asien als Afrika. Erst später kamen Schwarzafrikaner hinzu, dazu die Nachfahren französischer Kolonialherren und alle möglichen Mixturen, die sich daraus wiederum ergeben konnten.
Wer sich verirrt, setzt sich einfach ins nächste Taxi. Die Taxifahrer von Tana gelten als sehr ehrlich, und eine Fahrt mit den betagten, ockerfarbenen Gefährten gehört zum Tana-Aufenthalt wie der Topf zum Deckel. Die Modelle kennen wir aus unserer Jugend: R 4, R 5, Ente, Peugeot 205.
Lasst Euch zum Beispiel zum alten Bahnhof von Tana kutschieren. Der Prachtbau wurde jüngst überaus gelungen restauriert. Züge halten hier allerdings nicht mehr. Der Bahnhof ist ein Beispiel für die verkehrte Welt Madagaskars: Hier kann das bitterarme Land plötzlich Luxus. In der einstigen Wartehalle sind schicke Boutiquen und ein tolles Caférestaurant untergebracht. Frauen mit Chanel-Täschchen und glänzenden High Heels essen Salat mit Foie Gras, vor der Tür parken Hummer.
Hip und teuer ist auch der ruhige Stadtteil Isoraka mit einer Reihe netter Bars sowie feiner Boutiquehotels in alten Kolonialgebäuden. In hübschen Lädchen verkauft man Biokosmetik, Vanille, Pfeffer und Marmelade aus den Früchten des Baobab-Baums.
Und erst die Restaurants! Während draußen ein Gewitter knallt wie ein Silvesterfeuerwerk, sitzen wir bei Kerzenlicht in einem romantischen Lokal und können uns gar nicht genug freuen über das, was auf dem Teller liegt: Rote-Beete-Salat mit vanilleparfümierten Dörrfleisch. Und Zebufilet mit Süßkartoffelpommes – so zart, dass man es auf der Zunge zerdrücken kann.
Übernachtungstipps für Antananarivo:
→ Rova Hotel, hübsches, kleines und sehr komfortables Hotel mitten im Trendviertel Isoraka – ein idealer Standort, Bars und Restaurants liegen in Laufnähe. DZ ab 24 Euro.
→ Mewa Guesthouse, wer Tana schnell wieder verlassen will und eine Unterkunft in Flughafennähe benötigt, dem sei dieses freundliche, unter dänischer Leitung stehende Guesthouse im Stadtteil Ivato empfohlen. Schöne freistehende Anlage mit grünem Garten, liebevoll eingerichtete Zimmer und Bungalows, herzige Bewirtung. Günstiger Airport Shuttle. DZ 30 €.
Tuléar, Zentrum des furztrockenen Südens
Wir steigen aus dem Tana-Flieger aus und wühlen erstmal unsere Sonnenbrillen aus den Taschen, so hell strahlt die Sonne. Eine Nacht und einen Tag wollen wir im heißen, vor lauter Licht und Farben nur so brillierendem Tuléar (Toliara) verbringen, bevor es zum Relaxen an die nahen Strände geht.
Tuléar ist ein einfaches und trotz seiner Einwohnerzahl von 157.000 ein stilles Städtchen. Das liegt vor allem daran, dass die schnurgeraden Straßen weniger von Autos, sondern in erster Linie von quietschbunten Pousse-pousses bevölkert werden, wie die Fahrradrikschas in Madagaskar genannt werden.
Auch vor den schicken Restaurants am Meer stehen abends die Rikschafahrer Schlange und halten Ausschau, ganz besonders nach dem einen oder anderen Vazaha („Weißen“), den sie ins Hotel befördern können. So mancher Madegasse kommt dagegen im blank gewienerten Four Wheel Drive.
Während wir mit wohligen Seufzern Languste mit Aioli, Schwertfisch-Carpaccio mit grünem Pfeffer und Räucherthunfischsalat verzehren, erkundigt sich der Restaurantbesitzer nach unserem Befinden. Wir fragen zurück: „Wer isst denn so bei Ihnen?“, und deuten auf einen Tisch gut gekleideter Männer, denen gerade eine kapitale Seafood-Platte serviert wird. „Verbrecher“, antwortet er. „Das ist der Gerichtspräsident und seine Entourage. Ein Prozess in Madagaskar läuft so ab: Kläger und Beklagte werden angerufen und um ihr Angebot gebeten. Gewinnen wird der Höchstbietende.“
Szenen aus einem so bitterarmen wie korrupten Land. Aus einem Land, das sich, seit dem Putsch 2009, mehr und mehr hin zum Failed State entwickelt. Wo jeder schauen muss, wo er bleibt.
#3 Ifaty: Blaupause mit viel Lokalkolorit
Schon am darauf folgenden Tag, auf unserer Fahrt nach Ifaty, bekommen wir die nächste Lektion in Sachen Korruption. Wie die Sardinen sitzen wir in unserem vollgestopften Taxi Brousse, und wie Sardinen riecht es auch.
Frauen mit riesigen Plastikeimern voller Fische sind zugestiegen. Ein Thunfisch ist so lang und feist, dass er nur zu zwei Dritteln in den Bus passt – der Schwanz hängt zum Fenster hinaus. Für die 25 Kilometer brauchen wir über eine Stunde. Alle paar Kilometer passieren wir Verschläge, in denen „Polizisten“ in zerfledderten Uniformen sitzen und jedes zweite Auto herauswinken. Wer den Wegelagerern unauffällig eine kleine Spende gibt, darf weiterfahren. Wer das nicht tut (was keiner wagt), bekommt Ärger. Die erpressten Kleinbeträge sind – wir gehen mal davon aus – ein Spiegelbild dessen, was sich in den oberen Etagen abspielt.
Ifaty ist eine Mischung aus einfachem Fischerdorf und kleinem, vor allem in der Nebensaison überaus ruhigem Ferienort an einem seegrasgesprenkelten Strand. Wir wohnen direkt dahinter in einer bezaubernden kleinen Bungalowsiedlung. Und verbringen die Tage zurückgelehnt im Liegestuhl, während unsere mitgebrachten Bücher in der Sonne unangetastet neben uns ausbleichen.
Warum? Wir staunen! Bei Ebbe wird der Strand zur Straße: Dorffrauen wollen massieren, Prostituierte weiße Männer angeln – Sextourismus ist ein trauriges Thema in Madagaskar. Bei Flut trifft sich das halbe Dorf im Wasser, fängt Oktopusse, Kalmare und selbst Fische mehr oder weniger mit bloßen Händen – Alltag in einem Fischerort, wo sich nur wenige überhaupt ein Boot leisten können.
Kinder spielen mit selbst gebauten Schiffchen, kleinen Kunstwerken aus Strandholz und Plastikfetzen, während der Himmel lacht über der trockensten Ecke, die der Inselstaat zu bieten hat. Wir sind im Königreich des Lichts.
Nur einmal unternehmen wir einen Ausflug mit einem Zebu-Karren zu umliegenden Baobab-Wäldern. Baobabs, das sind so etwas wie die Freaks unter den afrikanischen Bäumen: Stämme wie Mohrrüben, die Kronen erinnern an krauses Wurzelwerk.
Übernachtungstipp für Ifaty:
→ Bamboo Club, idyllische Bungalowanlage direkt hinter dem Strand. Der türkisfarbene Pool unter Palmen ist überaus fotogen, aber eigentlich unnötig und fast schon dreister Luxus in einer derart trockenen Gegend. Preise verhandelbar. Wir zahlten 19 Euro für einen schönen, komfortablen Bungalow.
#4 Anakao: Bucket Shower und kein Grab mit Parabolantenne
Anakao, Luftlinie etwa 70 Kilometer südlich von Ifaty gelegen, ist die nochmals ruhigere Alternative zu Ifaty: ein Hüttendorf und einige hinter dem Strand versprenkelte kleine Resorts. Das war’s.
Touristen reisen von Tuléar in der Regel mit dem teueren Speedboat (30 Euro pro Person retour) an, die Fahrt über Land ist schwierig und langwierig. Ein Zebu-Karren – Zebus, Ihr merkt es schon, sind der rote Faden auf unserer Reise – bringt uns in Tuléar durchs Hafenbecken zu unserem Boot. Der Karrenjunge, der das Zebu im hüfthohen Wasser durch Drücken und Ziehen am Schwanz antreibt, fragt uns:
„Habt Ihr keine Ochsenkarren in Euerer Heimat?“
„Nein.“
„Aber die sind doch so praktisch!“
Nur die wenigsten Menschen dieses Landes besitzen einen Fernseher. Das hält sie fern von Neid auf andere Teile dieser Welt, macht sie aber auch blauäugig.
In Anakao angekommen, geht der Farborgasmus weiter. Heißer weißer Sand im verlorenen Land und ein Meer in der Farbe von Zahngel, in dem bunte Fischerboote schaukeln. Gefühlt besteht das Dorf zu 90 Prozent aus Kindern, die schon am Morgen im flüssigen Licht plantschen. Wenn wir vorbeispazieren, ruft es hin und wieder „Stylo, stylo!“ – das französische Wort für „Kugelschreiber“ kennt man hier ab dem lauffähigen Alter.
Schule? Das Schulgeld kann sich nur ein Bruchteil der Familien leisten.
Süßwasser? Muss in Kanistern von nahen Flüssen herbeigesegelt werden. Auch unsere Unterkunft, ein Boutiquehoteltraum, kann kein fließendes Wasser bieten. In den Bädern stehen Wassereimer bereit, man duscht mittels Schöpfern. Bucket shower nennt sich so etwas.
Fleisch? Relativ unbekannt in Anakoa. Man isst, was das Meer offeriert. Und das ist schlicht grandios. Uns kreist noch immer die Zunge über die Lippen, wenn wir an unsere Tage in Anakao denken. Wir essen unter anderem Ceviche, Hummer, Octopus-Curry, rosa gebratenen Thunfisch mit Ratatouille und Safran-Penne mit Garnelen.
Außerhalb des Dorfes, halb im Dünensand vergraben, verstecken sich unheimliche Friedhöfe voller Symbolik. Paddel stecken im Sand neben den Gräbern, leere Koffer liegen im Gebüsch, daneben zerbrochene Teller und Schüsseln – die Dahingeschiedenen wurden gut ausgestattet auf ihrer letzten Reise. Angeblich soll es ein Grab mit einer Parabolantenne darauf geben, weil der Verstorbene zu Lebzeiten so gerne Fernsehen geguckt hat. Aber wir finden es nicht.
Übernachtungstipp für Anakao:
→ Safari Vezo, 18 wunderschöne Bungalows direkt hinter dem Strand. Maritime Farben im luftigen Raum, glaslose Fenster, mosaikgeschmücktes Bad mit Bucket Shower. DZ 32 Euro.
#5 Isalo-Nationalpark: Trekkingtraum und die ersten Lemuren
Während unserer Taxi-Brousse-Fahrt in den 240 Kilometer nördlich von Tuléar gelegenen Isalo-Nationalpark durchqueren wir ein Klischee-Afrika mit Kochfeuern vor Basthütten. Die Route Nationale, die wichtigste Nord-Süd-Verbindung des Landes, führt hier als schmales Teerband durch den ausgetrockneten Süden Madagaskars, der oft ein Jahr keinen Regen sieht.
Die Gegend ist ein einziges großes Nichtsda, die Straße weitestgehend leer, zumindest, was motorisierte Vehikel angeht. Nur Zebukarren – unser roter Faden! –, Radfahrer und Menschen bevölkern sie.
Die Armut der Dörfer und Kleinstädte unterwegs ist erschreckend. Abgerissene Gestalten halten die Hand auf, Frauen wühlen sich durch Altkleiderhaufen aus Europa, die im Staub der Straße liegen. Ein Mann trägt ein T-Shirt mit der Aufschrift „Fit für die Zukunft. Ich tu was für die Werkrealschule!“. Eine Frau spaziert in einem zerschlissenen „Tokio Hotel“-T-Shirt an uns vorüber.
Der Alltag wird bestimmt vom Sichbehelfen. Man läuft stundenlang irgendwo hin, um etwas zu holen, Brennholz oder Wasser beispielsweise, und läuft stundenlang wieder zurück, um es abzuliefern.
Das Kleinstädtchen Ranohira hebt sich davon ab. Viele Menschen leben hier, am Fuße des meistbesuchten Nationalparks des Landes, vom Tourismus. Dieser beschert den Bewohnern einen klitzekleinen Wohlstand. Die Betonung liegt auf „klitzeklein“, wie wir am nächsten Tag von unserem Guide Leonard erfahren werden.
Leonard und seine Frau führen Touristen seit Ewigkeiten durch den Nationalpark und haben nebenbei fünf Kinder in die Welt gesetzt. Um ihnen eine gute Schulbildung zu ermöglichen, verzichtet die Familie seit zehn Jahren auf Elektrizität.
Wie unsere Trekkingtour im Isalo-Nationalpark ablief, könnt Ihr in einem separaten Artikel nachlesen, den wir den → Lemurenbeobachtungen in Madagaskar gewidmet haben. Zur Einstimmung schon einmal ein Foto unserer ersten Lemuren im Isalo-Nationalpark:
#6 Ambalavao: Bergstädtchen mit kuhlem Markt
Durch weites, weites Land – gefühlte 100 Kilometer kann man in die Ferne blicken – fahren wir auf einer leeren Straße nach Norden, genauer gesagt nach Ambalavao.
Mitten im Nirgendwo winken Menschen am Straßenrand. Unser vollgestopftes Gefährt biegt ab auf einen unbefestigten Weg, der auf eine armselige Hüttensiedlung zuführt. Das halbe Dorf kommt uns entgegengelaufen, in der Mitte ein zusammengesunkener junger Mann, der auf einem Fahrrad geschoben wird. Er ist kaum mehr bei sich. Unser Chauffeur legt ihn quer über die Knie der Passagierreihe hinter uns. Drei lange Stunden später erreichen wir die nächste Stadt. Ob ihm ein Arzt helfen konnte? Wir werden es nie erfahren.
Ambalavao ist ein kunterbuntes, angenehmes Bergstädtchen mit maroden Kolonialhäusern in Tomatenrot, Marineblau und Froschgrün. Wir spazieren über einen lebhaften Markt, auf dem braunrote Zebustücke (unser roter Faden!), stinkender Trockenfisch, Ananas, Salat, Frühlingszwiebeln und Tomaten verkauft werden. Um dampfende Kessel schleichen dreibeinige Hunde, nebenan werden lebende Hühner an die Frau gebracht. Dazwischen bringen barfüßige Männer Schulkinder auf handgezogenen Karren nach Hause:
Mittwochs und donnerstags steht das Städtchen Kopf. Dann nämlich findet der große Rindermarkt vor den Toren der Stadt statt, der größte des Landes. Vor einer einnehmenden Bergszenerie werden ganze Herden von Zebus (roter Faden!) verschachert. Wir lassen und das Spektakel nicht entgehen, latschen einen Vormittag lang durch Kuhscheiße und vorbei an mächtigen Hörnern.
#7 Fianarantosoa: Grüner Salon
Vergesst auch diesen Zungenbrechernamen und merkt Euch einfach „Fianar“. In einem paradiesgrünen, von Tee- und Reisplantagen durchsetzten Hochtal liegt die 190.000 Einwohner zählende Kolonialstadt. Wuselig geht es aber nur im unteren Teil zu – dort, wo man als Tourist nicht unbedingt etwas zu suchen hat, es sei denn, man nimmt den Zug nach Manakara.
Am besten wohnt Ihr dort, wo der Ort um 1830 seinen Anfang nahm: oben am Hügel. Dort krallt sich die Altstadt mit ihrem pittoresken Lottercharme an die Hänge. Das bildschön vor sich hin bröckelnde Ensemble an historischen Villen, Treppengassen und etlichen Kirchen verzaubert. In weiten Teilen ist das Viertel nur zu Fuß zugänglich. Dazwischen auch romantische Gärten – mit monströsen Spinnennetzen und noch monströseren, orange-schwarzen Spinnen.
In Fianar wurde 1984 übrigens die erste Autofabrik Afrikas gegründet. Sie gibt es noch heute. Zwei bis vier Autos werden pro Monat ausschließlich in Handarbeit produziert. Die Karosserie ist aus Fiberglas, der Motor kommt aus Frankreich. Die Fahrzeuge, Karenyi genannt, sind, zumindest dem Aussehen nach, auch auf dem Mars einsetzbar. Sie besitzen Allradantrieb. Satte drei Jahre Garantie gibt es auf die Autos. Und das Firmenlogo passt zu unserem roten Faden: ein Zebu! Seht hier:
Übernachtungstipp für Fianar:
→ Tsara Guesthouse, schönes Kolonialgebäude. Für 38 Euro pro Nacht bezogen wir hier die Suite mit Dielenböden, edlem Mobiliar und großer Veranda mit Blick auf die Altstadt. Sehr guter Service und tolles Restaurant, wo wir unter anderem panierten Bethsileo-Käse mit Wasserkressesalat und – was wohl, wenn’s um den roten Faden geht – Zebugeschnetzeltes in Erdnusssauce aßen.
#8 Mit dem Zug von Fianar nach Manakara
Die Fahrt mit dem abgetakelten Zug von Fianar an die Ostküste nach Manakara steht auf der Bucket List von Madagaskar-Individualreisenden ganz oben. So lasen wir es in unserem Reiseführer. Mora mora könne man so in zehn bis zwölf Stunden ganz gemütlich die bukolische Tal-Dschungel-Dorf-Landschaft an sich vorüberziehen lassen.
Prima, klingt gut, wollen wir auch. Aber Madagaskar wäre nicht Madagaskar, wenn alles so liefe, wie man denkt. Bei uns ist alles anders.
Mit Schlafsand in den Augen besteigen wir den Erste-Klasse-Waggon. In den 1950ern war dieser noch an eine Regionalbahn in der Schweiz (!) angekoppelt. Die grünen Sitze wie von anno dazumal, an den holzvertäfelten Wänden Schwarz-Weiß-Fotos der Alpen. Ein deutschsprachiges Schild (!) weist daraufhin, dass man im Zug kein „Billet“ lösen kann. Selbst das Holzklo ist unverändert.
Mit uns im Waggon zwei schwer bewaffnete Security-Männer, die trotz selbstgebastelter „Police“-Mützen eher aussehen wie Banditen. Es geht los. Die Landschaft versinkt von Anfang an im Schnürlregen.
Bereits 17 Kilometer hinter Fianar halten wir in einer Drei-Häuser-Siedlung. Und zwar für sieben Stunden – einem Hangrutsch geschuldet, der beseitigt werden muss. Zum Sprühregen gesellt sich Nebel, es wird empfindlich kühl.
Erst am Spätnachmittag geht es weiter. Aber nie all zu lange. An jedem Dorf wird zu- und abgeladen. Der Zug ist die Lebensader der Dörfer auf der Strecke, die oft keinen Zugang zum Straßennetz haben. Frauen kommen angelaufen mit Körben und Schüsseln auf dem Kopf, verkaufen frittiertes Gemüse, frische Fische und gekochte Flusskrebse. Kinder in Fetzen winken uns zu.
Die einnehmenden Szenerien, durch die wir fahren, sehen wir nur noch für zweieinhalb Stunden, dann geht die Sonne unter. Nach 18 Stunden haben wir die insgesamt 163 Kilometer geschafft. Kurz vor zwei Uhr nachts erreichen wir die Endstation Manakara.
#9 Blutegel-Party in Ranomafana
Trotz seiner teils prächtigen Kolonialbauten entlang der Uferstraße ist das Städtchen Manakara kein Ort fürs längere Verweilen. Es wirkt müde-morbide, der Strand ist drittklassig und Baden ist ohnehin keine gute Idee: gefährliche Strömungen und Haie! Wir nehmen ein Taxi Brousse zum Ranomafana-Nationalpark.
Auch dort wollen wir auf Lemurensafari gehen. Leider aber wird unsere Tour im Ranomafana-Nationalpark zur Enttäuschung. Statt Lemuren gibt es Blutegel en masse. Mehr dazu in unserem separaten Artikel über → Lemurenbeobachtungen in Madagaskar.
#10 Antsirabe: Old-School-Glamour und ein wenig Urbanität
Antsirabe empfängt uns mit offenen Armen. Die auf rund 1500 Höhenmetern gelegene Stadt mit rund 200.000 Einwohnern versprüht eine Eleganz, die einen gefangen nimmt. Die Franzosen haben hier architektonisch eine kleine Perle hinterlassen.
Wir quartieren uns für rund 30 Euro im einst ersten Haus am Platze ein, dem 1896 errichteten → Hôtel des Thermes. Eines jener riesigen Grand Hotels, wie wir sie lieben: muffiger Charme, völlig aus der Zeit gefallen, aber an Atmosphäre kaum zu überbieten. Roter Backstein, weiße Schnitzveranden. Unser schwerst abgewetztes Zimmer, in dem man Tango tanzen könnte, besitzt noch die umlaufenden Tropenholzpanele von anno dazumal, dazu ein Bad samt Bidet in zartem Türkis. Draußen im baumbestandenem Park ein Pool mit grünlichem Wasser.
Auch außerhalb des Hotels ist das Fin-de-Siècle-Flair teils noch so spürbar, dass man fast die langen Röcke rascheln hört. Ein breiter Boulevard führt zum prächtigen Bahnhof, der in etwa zur gleichen Zeit wie das Thermalhotel entstand und heute funktionslos in der Gegend steht. Ein weiß-roter Eisenbahnertraum mit Türmen und Arkaden:
Kinder düsen in bunten Plastikautos umher, junge Paare liegen im Gras und essen Brochettes, Teenies rollerbladen, dazwischen halten Bettler die Hand auf. Leer geht keiner von ihnen nach Hause, zumal sehr viele Weiße die Stadt bevölkern. Nur die wenigsten davon scheinen Touristen zu sein, die meisten arbeiten als Lehrer an der hiesigen Universität. Auch lernen wir eine Norwegerin kennen, die Straßenkindern im Rahmen eines Kunstprojekts das Geigenspiel beibringt.
Aus Antsirabe kommt übrigens das Madagaskar-Bier schlechthin, gebraut von der Three Horses Brewery. Die erdbeerroten THB-Bars fallen überall ins Auge, genauso die gleichfarbigen LKWs, die den Gerstensaft in alle Winkel des Landes transportieren.
#11 Andasibe-Nationalpark: Bei den singenden Indris
Der dicht bewaldete Nationalpark rund 140 Kilometer nordöstlich von Tana gehört zu den meistbesuchten des Landes. Kein Wunder. Neben der relativ leichten Erreichbarkeit von der Hauptstadt hat man hier die wohl besten Chancen, Indris zu spotten.
Die wahrlich goldigen Pfundskerle sind zum einen mit rund einem Meter Größe die größten Lemuren der Welt. Zum anderen beeindrucken sie durch ihre grotesken Gesänge. Unbedingt hinfahren! Wie wir den Andasibe-Nationalpark erleben, könnt Ihr in einem separaten Beitrag → hier nachlesen. Das erwartet Euch dort:
#12 Mahambo: Prokrastination am Tropenstrand
Wir wollen wieder an den Strand! Die langen Taxi-Brousse-Fahrten erschöpfen uns zunehmend. Die Enge! Die Kleinkinder, die uns in die Achselhöhle niesen! Die laute Musik zwischen madegassischen Schnulzen und Mireille Matthieu! Das häufige ungute Gefühl, unsere Rostlaube bricht uns gleich unterm Arsch zusammen.
Dieses Mal ist nur der Reifen platt – und, oh Glück, genau an der Stelle, an der wir ohnehin aussteigen wollen. In Mahambo nämlich, einem Stranddorf ca. 85 Kilometer nördlich der Küstenstadt Tamatave. Es liegt fast in Sichtweite zur İle Sainte-Marie, einem Trauminselchen mit schneeweißen Stränden, das wir uns für unsere nächste Madagaskar-Reise aufheben.
Im warmen Abendwind laufen wir über sandige Wege von der Küstenstraße durchs Dorf zu unserem Resort, dem Hotel La Pirogue. Unzählige Male erwidern wir ein freundliches
„Bienvenue!“,
winken zurück. Die Mahambo-Bucht ist ein wahres Tropenparadies. Palmen stechen in den blauen Himmel, der Sand so fein wie aus der Eieruhr und so weich wie Watte. Neben einer Handvoll Touristen – Regenzeit ist Segenzeit – bevölkern ihn vor allem die Fischer aus dem Dorf. Hin und wieder stolzieren Jungs mit aufgespießten Riesenkrebsen vorbei.
Wir beziehen einen hübschen kleinen Meerblickbungalow (für 35 Euro) und geben uns in den nächsten Tagen dem süßen Nichtstun hin. Lesen, lassen Tropengewitter über uns krachen, schauen aufs Meer hinaus. So faul sind wir, dass wir nicht mal den Strand in seiner Gänze abgehen. Das Maximum geistiger Anstrengung gilt der Abendplanung: Essen im Dorf oder im Hotel?
Es fällt schwer, diese Beach Beauty zu verlassen. Aber nach ein paar Tagen wollen wir dann doch wieder Madagaskar unplugged erleben.
#13 Tamatave: Raubein mit Charme
Tamatave (Toamasina) ist die Hafenstadt der madagassischen Ostküste. 282.000 Einwohner zählt sie. Die Stadt wurde einst großzügig, ja viel zu großzügig angelegt. Im Laufe ihrer Geschichte suchten sie aber so viele Zyklone heim, dass das Stadtbild eine seltsame Mischung aus Verfall, Zerstörung und Wiederaufbau, Verfall, Zerstörung und Wiederaufbau ist.
Ein einstiger Prachtboulevard, von den französischen Kolonialherren erbaut und nun Avenue de l’Independence genannt, führt vom Meer zum Bahnhof. Heute zerbröseln die herrschaftlichen Villen rechts und links davon. Die Springbrunnen in der Mitte füllt nur noch der Regen, und die gerupfte Palmenallee hat Tränen in den Augen. Zuweilen kommt mal ein Auto vorbei, meist ziehen hier aber nur Fahrradrikschas träge Runden. Ums Eck dagegen: bunte, gar nicht so schlecht erhaltene Kolonialhäuser, Restaurants, feuchtfröhliche Bars.
Wir gehen zum Stadtstrand. Vermüllt, aber ungemein lebendig. Dort spazieren wir über den wohl bizarrsten Rummelplatz unseres Lebens. In einem stromarmen Land werden nicht nur Karussells per Muskelkraft bewegt, sondern selbst das Riesenrad. Schaut Euch mal dieses Video an. Die Jungs sind unglaublich, oder?
Neben dem Rummel kernige Open-Air-Kneipen, in denen Frauen und Männer zusammen bechern, während fliegende Händler Brochettes, Muscheln und Austern verkaufen. Wieder einmal staunen wir, wie stolz und selbstbewusst die Frauen in diesem Land auftreten. Mehrmals auf unserer Reise konnten wir beobachten, wie Frauen den Männern so richtig den Marsch bliesen…
Wir setzen uns auf Plastikstühle, pulen mit den Füßen im Sand und bestellen Bier. Schon am nächsten Tag werden wir an gleicher Stelle behandelt wie Stammgäste.
#14 Pangalanes-Kanal und Lake Ampitabe: Durch Süßwasser zum Lemuren-Streichelzoo
Bei Tamatave beginnt der Pangalanes-Kanal. Dieser künstliche Kanal, der noch heute viele Seen im Hinterland der Ostküste verbindet, war einst über 650 (!) Kilometer lang und führte bis hinab nach Vangaindrano im Süden des Inselstaats. Gebaut wurde er von den französischen Kolonialherren als sichere Alternativroute zur rauen und haiverseuchten Küste. Teilabschnitte des Kanals sind heute zerstört, doch zwei Drittel der Strecke sind immer noch befahrbar.
Wer die Möglichkeit hat, sollte in Tamatave oder anderen Küstenorten versuchen, zumindest einen Tagestrip auf einem Boot durch den Kanal zu unternehmen. Die Fahrten sind unglaublich meditativ: Entlang dem Pangalanes-Kanal begegnet man Fischern auf Einbäumen, Transportkähnen voller Kohle, Menschen am Ufer, die Wäsche, Geschirr und sich selbst waschen.
Besser noch bleibt man ein paar Tage an einem der vielen Seen. Am Lake Ampitabe zum Beispiel, Luftlinie rund 50 Kilometer südlich von Tamatave, gibt es einige wunderschöne Resorts.
Billig wird dieser Spaß allerdings nicht. Regelmäßige Bootsverbindungen entlang des Kanals gibt es zwar. Wann aber was fährt, ist nur schwer zu durchschauen. Zudem steuern die Fährboote in der Regel die Dörfer am See an, nicht aber die abgelegenen Hotelanlagen – die hingegen lassen sich ihren Schnellboottransfer teuer bezahlen.
Wir selbst entscheiden uns für das Resort Akanin’ny Nofy, auch bekannt unter seinem früheren Namen Palmarium Reserve. Es ist nicht nur Hotel, sondern gleichzeitig auch ein 50 Hektar großes Naturreservat. Zig Lemuren-Spezies tummeln sich dort, inklusive dem singenden Indri. Zweieinhalb wunderschöne Tage verbringen wir im Akanin’ny Nofy, mehr darüber in unserem Beitrag über → Lemuren in Madagaskar.
REISEINFOS MADAGASKAR
Im Voraus
Bevor Ihr ein Flugticket kauft, checkt die Reise- und Sicherheitshinweise beim → Auswärtigen Amt.
Deutsche, Schweizer und Österreicher müssen vorab kein Visum beantragen, sondern bekommen es am Flughafen ausgestellt. 30 Tage kosten etwa 21 €, 60 Tage 26 €.
Ankommen
Der Flughafen von Antananarivo gehört zu jenen übersichtlichen Airports, auf denen das Flugzeug, das man landen sieht, in der Regel auch das ist, mit dem man wegfliegt. Der Flughafen von Antananarivo ist zudem der einzige auf all unseren Reisen, auf dem wir einen Stromausfall erlebten und im Dunkeln saßen. Und er ist wohl einer der wenigen der Welt, auf denen einen die Klofrauen gegen Geld auf der Toilette rauchen lassen. Den Transfer ins Hotel macht man am besten ganz stressfrei vorab aus.
Rumkommen
Die meisten Madagaskarbesucher reisen organisiert als Kleingruppe, andere mit Mietwagenoder einem privat gebuchten Driver Guide. Ganz individuell, wie wir mit öffentlichen Verkehrsmitteln, sind, zumindest in der Regenzeit, wenige Besucher unterwegs. Das mag in der Trockenzeit anders sein, das wissen wir aber nicht. Tatsache aber ist wohl: Viele abgelegenen Gegenden des Landes (in denen wir gar nicht waren) sind mangels guter Straßen höchst problematisch zu bereisen und zum Teil nicht ungefährlich.
Inlandsflüge bieten → Air Madagaskar oder → Madagisakara Airlines.
Vor allem Air Madagaskar hat einen extrem schlechten Ruf in Bezug auf Zuverlässigkeit. Wir haben dennoch einen Flug gebucht und kamen wohlbehalten und pünktlich an. Die Flüge sind aber sehr teuer, wir bezahlten von Antananarivo nach Tuléar einfach ca. 250 Euro.
Ansonsten war unser gängiges Über-Land-Verkehrsmittel das Buschtaxi namens Taxi Brousse. Stets pickepackevoll (teils muss man durchs Fenster zu- bzw. aussteigen), saulangsam, in der Regel kurz vorm Abnibbeln. Es gab kaum eine Fahrt ohne Pleiten, Pech und Pannen. Aber das ist Madagaskar! Als Belohnung winken tolle Menschen und viele Geschichten. Nur nicht zu viel vornehmen!
Nur in großen Städten sieht man Taxis mit vier Rädern. In den meisten Orten ist die Rikscha das Transportmittel. Mal ist sie wie ein Tuk Tuk motorisiert, oft aber sind es Fahrradrikschas (Pousse-pousses). Weit verbreitet sind zudem noch Karrenrikschas, die von Hand gezogen werden. Wenn man sich als fetter Europäer und am besten noch mit Gepäck darauf setzt, kommt das Gewissen in Schieflage. Vor allem, wenn ein altes dünnes, barfüßiges Männlein mit seinem Handkarren den harten Kampf gegen die Konkurrenz mit Rädern gewonnen hat. Und sich über das Geschäft der Woche freut.
Etwas Besonderes ist es wohl auch, mit einer Piroge die Küste von Tuléar nach Morondova abzusegeln und unterwegs in Hotels oder in Fischerhütten zu campieren. Wir haben es nicht gemacht. Aber es klingt verlockend. Der deutsche Besitzer des sehr guten Restaurants Blu in Tuléar hat entsprechende Kontakte, ist sehr hilfsbereit und kann Boote vermitteln.
Sprache
Ein wenig Französisch ist unerlässlich, um sich außerhalb der Hotels und touristischen Orte zurecht zu finden. Die Speisekarten sind in der Regel ausschließlich in Französisch. Wir haben unser mageres, halb vergessenes Schulfranzösisch in einem kleinen Onlinekurs vorab aufpoliert.
Reisezeit
Als beste Reisezeit für Madagaskar gilt in der Regel die Trockenzeit von April bis Oktober. Wir waren von Ende Januar bis Anfang März vor Ort, also genau in der Regenzeit, in der man wegen Zyklonen am besten gar nicht nach Madagaskar fahren sollte. Da wir aber während der Regenzeit auch schon andere Länder der Welt bereist haben und mittlerweile gar Gefallen daran haben (niedrige Preise, tolles Licht), lassen wir uns nur noch bedingt von Panik machenden Infos beeinflussen. Wir hatten während unserer Reisezeit im Süden überhaupt keinen Regen, im Norden öfters, aber meistens in der Nacht in Form von wunderschönen tropischen Gewittern.
Tatsache ist: Wer wie wir in der absoluten Nebennebennebensaison fährt, bekommt unglaublich günstige Preise, ist in Hotels oft der einzige Gast und in den öffentlichen Verkehrsmitteln sowieso. Uns gefiel das. Allein reisende Backpacker mögen das aber wahrscheinlich anders sehen und sich eventuell etwas langweilen.
Preise/Geld
Immer wieder haben wir nach dieser Reise Freunden von dem unglaublich guten Preis-Leistungs-Verhältnis berichtet und uns dabei gleichzeitig immer ein wenig geschämt. Natürlich ist alles billig in einem Land, wo ein Lehrer gerade einmal 30 Euro im Monat verdient.
Hauptgerichte kosten in besseren Lokalen ab 3 Euro, ein großes Bier bekommt man für einen Euro. Unser billigstes Hotelzimmer (sauber und mit Bad) lag bei ca. 12 Euro, wunderschöne Boutiquehotels sind in der Nebensaison bereits ab 20 Euro zu bekommen. Wer mehr auf den Euro schauen muss, bekommt ein Zimmer aber auch schon für um die 5 Euro. Backpackerhostels und damit Treffs für allein reisende Backpacker sind rar.
Achtung: Hebt immer fleißig ab, auch wenn Ihr mit Bündeln voller Geld herumlaufen werdet! Die Automaten (Visa ist verbreiteter als Master und Maestro) spucken nicht mehr als 400.000 Ariary (rund 100 Euro) auf einmal aus, und in manchen Orten gibt es keine Geldautomaten! Der größte Schein ist der 20.000-Ariary-Schein (ca. 5 Euro), oft können Läden nicht einmal auf 10.000-Ariary-Scheine herausgeben!
Trinkgeld: Auch in guten Lokalen gibt man nie mehr als 5 Prozent!
Essen
Natürlich kann man immer einmal hereinfallen. Größtenteils aber haben wir sensationell gut gegessen, in den meisten Restaurants strotzten die Teller vor Leckereien. In den besseren Lokalen changiert die Küche gekonnt zwischen der französischen und der madagassischen, im Landesinneren gibt es tolle Zebu-Steaks, an der Küste Fisch und Meeresfrüchte satt. Auf der Straße isst man eher einfach, Suppen oder Currys mit Maniokblättern, die ein wenig an Spinat erinnern.
Reiseführer
Wie immer bei einer Reise durch ein afrikanisches Land haben wir uns für einen Reiseführer aus dem englischen → Bradt Verlag entschieden und sind sehr gut damit gefahren. Ein ideales Buch für Individualreisende in Madagaskar mit vielen Tipps.
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Im Land der lebendigen Plüschtiere: Lemuren gucken in Madagaskar
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Hat es Euch bei uns gefallen, konnten wir weiterhelfen bei der Planung Eurer Madagaskarreise? Wenn ja, so freuen wir uns über Eure Pins!
Hallo Gabi & Michael,
wie immer umfangreich, persönlich und informativ.
Ich werde im Oktober knapp 4 Wochen dort sein, teils mit Veranstalter, teils individuell.
Am Schluss überlege ich von Tana für ein paar Tage – ich habe dann nur noch max 5 Tage – zur Nosy Sainte Marie.
Komme ich dort in einem Rutsch mit dem Taxi Brousse hin? Ich weiß, dass das für dortige Straßen-Verhältnisse ziemlich weit ist.
Ist das also Blödsinn – ich muss ja leider auch wieder zurück innerhalb der Zeit und will nicht fliegen.
Letztlich werde ich es wohl vor Ort entscheiden, wenn ich ein Gefühl für das Land bekommen habe….
BG, Peter
Lieber Peter, danke für dein Feedback. Da wir selbst nicht auf der Insel waren, ist deine Frage schwer zu beantworten. Allerdings erscheinen uns die maximal fünf Tage eher utopisch. Reisen in Madagaskar ist nochmal ein langsameres Reisen als in allen anderen afrikanischen Ländern, geschuldet der Kombination aus schlechten Straßen, ständigen Stopps und häufigen Pannen (hatten wir gefühlt bei fast jeder zweiten Fahrt). Wir glauben nicht, dass du es mit dem Taxi-Brousse bis zur Insel in einem Tag schaffst. Alleine bis Tamatave dauert die Fahrt (eben nochmal in den Reiseführer geschaut) sieben Stunden. Dort musst du umsteigen und dann weiter bis Soanierana und anschließend noch mit der Fähre auf die Insel. Wir wären da auch gerne hin, haben es aber zeitlich auch nicht geschafft und haben uns deswegen für ein paar wunderschöne Strandtage in Mahambo entschieden. Aber auch bis dahin war es weit. Wenn du den Weg als Ziel siehst und evtl. nochmal in Tamatave einen Zwischenstopp machst, könntest du es schaffen. In unserem Reiseführer (Bradt Guides, unbedingt zulegen, wichtig für Madagaskar!) steht, dass man ohnehin bereits in Tamatave ein Kombiticket für Transport zur Fähre und für die Fähre selbst kaufen sollte, weil sonst die Gefahr zu hoch ist, die Fähren zu verpassen. Aber es wird vermutlich ganz schön anstrengend. Fliegen ist in Madagaskar auch eine heikle und unzuverlässige Angelegenheit, würden wir eh nicht empfehlen so kurz vor deiner Rückreise. Hoffentlich konnten wir ein wenig helfen. Da hast du echt ein wunderschönes Abenteuer vor dir. Viele Grüße von Gabi und Michael
Sehr hilfreicher Reisebericht. Kurzweilig zu Lesen. Danke!
Freut uns, wenn wir behilflich sein konnten. Danke für das Feedback!