Der Beitrag zur Critical Mass ist eines von 33 Erlebnissen, die wir für unser Buch „Berlin Abenteuer“, erschienen im Michael Müller Verlag, recherchiert haben.

Der Mariannenplatz ist bunt, so viele Räder sind da. Die Bullen in Blau, von denen Rio Reiser im Ton-Steine-Scherben-Kultsong singt, gibt es aber auch. Sie werden uns Radlern bei der Critical Mass in den kommenden Stunden den Weg bahnen. Denn gleich legen wir den Berliner Verkehr lahm! Zumindest ein wenig.

Die Critical Mass entstand 1992 in San Francisco als radelnde Protestbewegung gegen die Benachteiligung unmotorisierter Verkehrsteilnehmer. Fünf Jahre später hatte der an Automachos gerichtete Fahrrad-Fuckfinger auch Berlin erreicht. Seitdem radeln an jedem letzten Freitag im Monat bis zu 3500 Menschen scheinbar unorganisiert durch die Stadt.

Eine Route gibt es nicht. Einer radelt los, und alle anderen radeln hinterher. Als Masse ohne Anführer und damit ohne jemanden, der für die Verkehrsbehinderung verantwortlich gemacht werden kann.

 

Viele Menschen auf Rädern
Masse mit Klasse: Critical Mass in Berlin

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PLÜSCHTIGERANZUG UND PUDEL IM RADKORB

Immer mehr Radler sammeln sich um uns herum: Freaks wie aus den Technoclubs der 90er-Jahre, mit Plüschtiger-Ganzkörperanzug samt Schwanz, Blinke-Blinke-Sneakers und auf den Gepäckträger montierten Boxen. Rennradfahrer in ihrer Kluft. Einradfahrer. Omis mit Pudel im Radkorb. Und Touristen mit Leihrädern. Ein großes Klingelingering kündigt den Start an. Es geht los! Wie viele wir wohl sind? Auch an diesem lauen Juniabend müssen es Tausende sein, die mitmachen.

 

Viele Radler auf einer Straße
Über die Oberbaumbrücke geht es nach Friedrichshain

 

Als klingelnde Bikeparade durchfahren wir zunächst Kreuzberg, bis es über die Oberbaumbrücke nach Friedrichshain hineingeht. Touristen zücken ihre Handys, formen die Münder zum »O«, grinsen.

 

Fahrradfahrer auf einer vierspurigen Straße
Frankfurter Tor

 

Auch unsere Stimmung steigt. Wann sonst kann man schon so anarchistisch sein? Rote Ampeln? Dürfen wir überfahren! Mehr als 15 Radfahrer gleichzeitig gelten als geschlossener Verband und damit als einziger Verkehrsteilnehmer. In diesem Fall darf man den anderen auch noch folgen, wenn längstens Rot ist (Paragraph 27 StVO!).

Die Verstärker werden aufgedreht, die Bierflaschen hervorgeholt: »Prost!« Für Radfahrer gilt die Promilleobergrenze von 1,6! Die bunte Szene Friedrichshains schwindet, wir fahren hinein in die Alltagstristesse Lichtenbergs.

 

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GUTE LAUNE MAL ZIGTAUSEND

Etwa eine halbe Stunde später passieren wir die entschieden unhübschen Plattenbaukonglomerate von Marzahn und Hellersdorf. Familien winken von den Balkonen. Mittlerweile radeln wir durch ein Meer aus Seifenblasen und durch eine Wolke aus Hasch. Gute Laune mal Zigtausend. Die ersten Räder beginnen zu tanzen, und Peter Fox rotzt aus den Boxen:

»Guten Morgen, Berlin / Du kannst so hässlich sein / So dreckig und grau / Du kannst so schön schrecklich sein …«

 

Berliner fernsehturm mit vielen Radfahrern
Ab durch die Mitte!

 

Eine Touristin quietscht: »Is this still Berliiin?« Yes, it is. Langsam aber sicher nähern wir uns wieder jenen Orten, über die man auch in Reiseführern liest: Zur Blauen Stunde überqueren wir den Alexanderplatz, der heute uns gehört, wenig später den Potsdamer Platz vorbei am Sony Center:

 

Fahrradfahrer am Potsdamer Platz

 

Die untergehende Sonne streichelt die Stadt, als wir nach einer Gesamtfahrzeit von fast drei Stunden den Endpunkt der heutigen Critical Mass erreichen: die Siegessäule am Tiergarten. Sie wird umkreist und umkreist. Auf den Zufahrtsstraßen stauen sich die Autos, ihre Lichter reichen bis zum Horizont.

 

Radfahrer vor der Siegessäule in Berlin
The End

INFOS ZUR CRITICAL MASS IN BERLIN

WO? Start in der Regel am Mariannen- oder Heinrichplatz in Kreuzberg +++ U1/8 Kottbusser Tor +++ WANN? Jeden letzten Freitag im Monat +++ criticalmass-berlin.org +++ WIE LANGE? Ca. drei Stunden +++ WIE VIEL? Kostenlos
+++

LITERATURTIPP

Die Critical Mass ist eines von 33 Erlebnissen in der Hauptstadt, die wir für unser neues Buch „Berlin Abenteuer“, erschienen im Michael Müller Verlag, recherchiert und aufgeschrieben haben. Das Buch ist kein klassischer Reiseführer, sondern eher ein Lustmacher auf Orte und Aktivitäten abseits des touristischen Mainstreams.

 

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Bock auf mehr Abenteuer in Berlin? Dann lest weiter:

 

Und erzählt mal: Seid Ihr selbst schon einmal auf einer Critical Mass mitgefahren? Wenn ja, wo?

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