Was bringt man mit Faro so in Verbindung? Einen wichtigen Ferienflughafen. Das stimmt. Was noch? Vielleicht eine Touristenhochburg, trubelig und laut. Weit gefehlt! Das Algarve-Metropolchen ist ein gechilltes Städtchen hinterm Wattenmeer. 46.000 Einwohner hat es und dazu viel Lokalkolorit.
Zudem ist Faro ein spannendes Ziel für Architektur-Aficionados. Faro gehört zu den Städten mit der größten Dichte an Bauten der portugiesischen Moderne. Rund 500 modernistische Gebäude verteilen sich in und um das adrette historische Zentrum. Errichtet wurden sie zwischen 1920 und 1980. Viele erhielten im Laufe der Zeit ein Make-over. Andere dämmern gealtert oder gar morbide vor sich hin.
Ganz klar ein Special-Interest-Ausflug.
Hey! Ho! Let’s go.
Inhaltsverzeichnis
Art-déco in der Rua Dom Francisco Gomes
Die Casa Verde im Zentrum Faros an der Rua Dom Francisco Gomes 6 gehört zu jenen aus der Zeit gefallenen Läden, die das Potenzial haben, mal auf der Liste des UNESCO-Welterbes zu landen. Seit 1920 werden hier Kurzwaren verkauft: Stoffe, Knöpfe, Konfektionsartikel.
Das matchafarbene Gebäude trägt außen ein Art-déco-Mäntelchen. Innen jedoch blickt man auf feines Mid-Century-Design, das einem Umbau des Ladens in den 1950er-Jahren zu verdanken ist: Säulen, filigrane Treppen und Galerien, Theken aus braunem Holz. Die Verkäuferinnen haben nichts dagegen, wenn Ihr fotografiert, ganz im Gegenteil!
Schräg gegenüber geht’s weiter mit Art-déco-Architektur. Dort blicken sich zwei Banken an, Millennium und Novobanco. Auch sie entstanden in den 1920er-Jahren. Gestrichen sind sie in den typischen Pastelltönen des Art-déco.
Modern übernachten: The Modernist Hotel
Ihr seid Architekturfans und sucht eine stilgerechte Unterkunft für Euren Aufenthalt in Faro? Da haben wir einen heißen Tipp: das → Hotel The Modernist. Es befindet sich nur wenige Schritte von den beiden Banken entfernt an der Rua Dom Francisco Gomes 27.
Das schmale vierstöckige Gebäude entstand im Jahr 1974, verantwortlich zeichnete der Architekt Joel Santana. Früher saß darin eine Reederei. Heute kann man hier in geschmackvoll designten Apartments unterkommen. Alle haben Balkone und es gibt auch eine Dachterrasse. Die Fassade ist mit hübschen Seventies-Kacheln verziert.
„Weniger ein Urlauberhotel, mehr eine architektonische Erfahrung.“
Mit diesen Worten bezeichnen die Betreiber Angelique und Christophe De Oliveira ihr Hotel-Baby. Die beiden organisieren Architekturführungen durch Faro und haben für ihre Gäste einen Self Guided Walk vorbei an den spannendsten Bauten entwickelt. Auch ein → Buch über die modernistischen Gebäude Faros haben sie geschrieben.
Das Chelsea-Gebäude und Manuel Gomes da Costa
Das nächste modernistische Schmuckstück, das wir Euch vorstellen, entstand ebenfalls in den frühen 1970ern: Im Chelsea-Gebäude an der Rua 1° de Dezembro 5 befindet sich heute die gleichnamige Eisdiele.
Projektiert wurde das Gebäude von Manuel Gomes da Costa, dem modernistischen Architekten der Algarve schlechthin. Über 300 Gebäude gehen allein in Faro auf seine Kappe. Wie konnte er das schaffen? Es heißt, dass da Costa nur am Nachmittag gearbeitet haben soll. Am Vormittag meditierte er und übte Karate. Da Costa wurde 1921 in Villa Real geboren, studierte Architektur in Lissabon und Porto und verabschiedete sich erst 2001 aus dem Berufsleben. Er starb 2016 in Faro.
Manuel Gomes da Costa war breit aufgestellt, designte Hochhäuser genauso wie schicke Villen für die in Venezuela oder Brasilien reich gewordenen Rückkehrer. Oft wollten diese in Häusern leben, die sie aus Lateinamerika kannten. Manuel Gomes da Costa kam ihren Vorstellungen gerne entgegen. Er liebte die brasilianische Moderne, orientierte sich immer wieder an Oscar Niemeyer.
Doch zurück zum Chelsea-Gebäude! Faszinierend finden wir dort die Azulejos mit dem typisch grafischen Muster der 1970er-Jahre. Überhaupt sind viele modernistische Gebäude Faros mit extravaganten Azulejos geschmückt. Man sieht ungewöhnliche Farben, coole Muster und oft auch Reliefkacheln. Hier ein paar Beispiele und dazu ein nettes Zitat des großen José Saramago, das wir neulich erst notiert haben:
„Azulejos sollten in homöopathischen Dosen betrachtet werden; wenn man es übertreibt, wird einem schwindlig.“
Weiter zum Mercado
Der nächste „Manuel Gomes da Costa“ ist nur einen Steinwurf entfernt: das so genannte Nogueira-Gebäude an der Rua de Santo António 68. In dem sechsstöckigen Bau mit ebenfalls sehr interessanten Azulejos sitzt heute ein Mango-Laden. Errichtet wurde das Gebäude 1966.
Auf unserem Weg zur Markthalle (Mercado Municipal) stolpern wir an der Rua Aboim Ascensão (Hausnummer 113) über einen weiteren modernistischen Bau mit außergewöhnlich hübschem Kacheldekor. Den Architekt bekamen wir leider nicht heraus, doch fressen wir einen Besen, wenn hier nicht ebenfalls Manuel Gomes da Costa seine Finger im Spiel gehabt hätte.
Die Markthalle am Largo Francisco Sa Carneiro mit ihrem charakteristischen Uhrturm wurde 1948 im späten Art-déco-Stil errichtet. Ihr ursprüngliches Flair verschwand mit der letzten Sanierung. Wir finden das Innere eher so lala. Viel Licht fällt nicht hinein. Fisch, Obst und Gemüse werden angeboten, dazu gibt es ein paar Bars und Restaurants.
Auch in der Nachbarschaft des Mercados entdecken wir Art-déco-Bauten, allerdings von der übelst morbiden Sorte. Dazu gehört das ehemalige Hotel Belo Horizonte, das wohl schon länger keine Zimmer mehr vermietet:
Im Nacken des Markts führt die Rua dos Bombeiros Portugueses Richtung Norden. Die meisten Gebäude dieser Straße stammen aus den 1950er-Jahren, einige auch von Manuel Gomes da Costa.
Auffällig sind die so genannten Cobogós, die typisch für die modernistischen Bauten Faros sind: durchbrochen-perforierte, gitterartige Elemente an den Balkonen, manche so elegant wie ein geklöppelter Kragen. Die Cobogós sind typisch für die moderne Architektur Brasiliens, äußerst dekorativ und dazu auch noch praktisch. Cobogós sorgen in den heißen Regionen Brasiliens und Südportugals für ein wenig Schatten und Sichtschutz, lassen aber trotzdem noch genügend Licht und vor allem auch Luft hindurch.
Casa Alfredo Gago
Cobogós sehen wir auch in der Rua Humberto Delgado, der nächsten Station unseres fröhlichen Häuserguckens in Faro. In diesem an sich ruhigen Wohnviertel mit aufgeregt zwitschernden Vögeln stehen gehobene Ein- und Zweifamilienhäuser.
Eine Manuel-Gomes-da-Costa-Ikone ist die Hausnummer 17. Da Costa war erst in seinen Dreißigern, als er diese luftig-leichte Flachdach-Villa schuf: die Casa Alfredo Gago, errichtet im Jahr 1955 für eine Rückkehrerfamilie aus Venezuela.
Da Costas Faible für die tropische Moderne ist auch hier deutlich erkennbar. Das Gebäude besitzt einen so genannten Pilotis. So nennt man das luftige Erdgeschoss aus freistehenden Pfeilern. Die Stelzen, die die darüber liegenden Geschosse tragen, schützen die Wohnungen vor Feuchtigkeit. Oscar Niemeyer liebte Pilotis-Konstruktionen genauso wie Le Corbusier. Leider ist die Casa Alfredo Gaga heute in einem recht schlechten Zustand.
Casa Afonso
Ums Eck (Rua Reitor Teixeira Guedes 65) stehen wir vor einem weiteren Da-Costa-Bau. Die Casa Afonso entstand 1960. Auftraggeber waren auch hier Rückkehrer aus Südamerika. Die Farben des Gebäudes, Weiß und Blau, spiegeln die Farben der Algarve wider: weißgetünchte Häuser, blaues Meer und blauer Himmel. Eine filigrane Treppe schwebt nach oben. Manuel Gomes da Costa zeigte sich in seinen Treppenlösungen oft überaus kreativ, nutzte Treppen auch als Schmuckelemente.
In der gleichen Straße (Hausnummer 42) lebte der Architekt übrigens selbst. Sein Wohn- und Atelierhaus, das er 1966 baute, erinnert sehr an die Formensprache Mies van der Rohes. Doch Asche über unser Haupt: Wir haben das Gebäude bei unserem Architekturrundgang durch Faro schlicht übersehen …
Rua de Berlim
Noch etwas weiter stadtauswärts liegt die Rua de Berlim, die hufeisenförmige Berliner Straße. An ihrer Westseite reihen sich gepflegte Wohnhäuser aneinander, einige davon villenartig. Jedes ist ein Unikat. Hingucker sind an mehreren Häusern Vordächer, die Sprungbrettern gleichen. Gestrichen sind die Gebäude in den zartesten Ballettfarben. Etwa die Hälfte geht auf Manuel Gomes da Costa zurück, er projektierte sie grob zwischen 1960 und 1970. Sein Architekturverständnis ist auch hier klar erkennbar:
„Light, loose, democratic, human, adapted to the place and climate.“
Avenida 5 de Outobro
Die Avenida 5 de Outobro erinnert uns sehr an Brasilien. Man könnte sie direkt nach Belo Horizonte versetzen. Würde nicht auffallen. Niedrige Wohnhäuser, aber auch Wohnmaschinen säumen diese breite, vierspurige und doch ruhige und grüne Straße.
Auch hier war Manuel Gomes da Costa am Werke. So sehen wir gleich am Anfang rechter Hand die Anlage Habitação Colectiva mit Cobógos satt:
Es folgt das Gebäude Green Tropical (Hausnummer 69) mit ebenfalls schönen Cobógos und aparten Eingangstüren:
Weiter stadteinwärts blicken wir hinauf zum Blue Tropical (Hausnummer 46), einem echten Oschi von einem modernistischen Bau – er gehört zu den größten Wohnblocks der Stadt und stammt aus den beginnenden 1970er-Jahren. Blaue Bänder, blaue Balkone.
Schräg gegenüber der nächste Kasten: das Edificio Tridente (Hausnummer 19), das ebenfalls von Manuel Gomes da Costa stammt, uns aber keineswegs in Begeisterung versetzt. Der Klotz aus dem Jahr 1979 kommt ziemlich trostlos daher. Das Megagebäude beherbergt neben Wohnungen auch ein Shoppingcenter.
Wir bleiben bei Gebäuden, die uns nicht gefallen. Das Tribunal de Faro (Hausnummer 10) gehört auch dazu. Ein klobiger, abweisender Bau mit figürlichen Reliefs der eher traditionalistischen Art. Das Gericht aus dem Jahr 1960 ist ganz klar Estado-Novo-Architektur, sprich: Vorzeigearchitektur aus der Zeit des Diktators Salazar. Erschaffen von Raul Rodrigues Lima, zu dessen Vorbildern unter anderem Albert Speer gehörte. Dieser Architekturstil wird auch Estilo Português Suave genannt. Auf Deutsch: „Weicher portugiesischer Stil“. Was bitteschön ist da weich?
Rua Castilho
Zurück im Zentrum, schauen wir zuletzt noch in der Rua Castilho vorbei. Dort finden sich einige interessante Bauten, die ebenfalls um 1960 entstanden. Man beachte auch hier den schönen Fliesendekor:
Ausflug nach Santa Luzia
Wir verlassen Faro (aber nicht Manuel Gomes da Costa!) und fahren nach Santa Luzia 30 Kilometer nordöstlich von Faro. Santa Luzia ist ein stimmungsvolles Fischerdorf und einer unserer persönlichen Lieblingsorte an der Algarve. Es gibt hier Oktopus satt.
In Santa Luzia entstand zwischen 1956 und 1958 eine von Manuel Gomes da Costa geplante modernistische Kirche. Errichtet auf den Fundamenten der Vorgängerkirche, sorgte sie anfangs für Zwist und Streitigkeiten. Manche konservative Dörfler weigerten sich gar, in das puristische Gotteshäuslein zum Gebet zu gehen. Heute hat man sich an den Sakralbau gewöhnt, der Mid-Century-Fans in Begeisterung versetzen wird. Wer Glück hat, findet die Kirche offen vor. Wir hatten leider keins.
Weiterführende Links
- Weitere modernistische Bauten in Faro, die in diesem Artikel nicht auftauchen, kann man mit der App → The Modernist Architecture Walking Tour entdecken.
- Auf das relativ unbekannte Architektur-Thema hat uns der österreichische Verleger, Autor, Portugal- und Architekturfan → Franz Hammerbacher gebracht, dessen so stilsicheren wie in Teilen amüsanten Instagram-Account wir Euch ans Herz legen möchten. Unter „Highlights“ findet man dort noch andere schön fotografierte modernistische Bauten Faros.
Mehr Faro
Unser Verleger Michael Müller hat mehrere Bücher über Portugal geschrieben. Sein → Reiseführer zur Algarve sollte unbedingt mit ins Gepäck. Faro hat dort ein ausführliches Kapitel bekommen:
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Das lässt uns das Thema Immobilien Kauf in der Algarve neu demken
Aha:-D. Und inwiefern?
Wow, was für ein außergewöhnlicher Artikel! Ich wusste bisher nicht, dass Faro so modernistisch angehaucht ist. Wenn ich endlich mal an die Algarve komme, werde ich mir definitiv etwas Zeit nehmen für solch einen architektonischen Rundgang.
Liebe Grüße
Christian
Lieber Christian, danke dir für die nette Rückmeldung! Ja, so ein Architektur-Beitrag ist sicherlich kein klassisches und schon gar kein populäres Reiseblog-Thema, aber einfach auch eines unserer Steckenpferde. Viele Grüße zurück!