„Schade, dass man Wein nicht streicheln kann.“

(Kurt Tucholsky)

In unserem Fall müsste es „Rotling“ heißen. Wir haben uns nämlich schwer verliebt in dieses wunderbare Sommertröpfchen, das im fränkischen Weinland rund um Volkach so populär ist. Rotling sieht ein bisschen aus wie Rosé, ist aber keiner! Während Roséwein aus roten Trauben gekeltert, aber wie Weißwein vergoren wird, ist der Rotling ein Verschnitt aus weißen und roten Trauben. Zusammen werden sie eingemaischt und gekeltert. Heraus kommt ein leichter fruchtiger Wein, der den Aufenthalt in einem ohnehin schon berauschend schönen Fleckchen Deutschlands perfekt macht. Versprochen!

 

Weinglas und schöne Altstadt
Weinselig: Ein Gläschen Rotling macht den Radurlaub an der Mainschleife perfekt, wie hier in Volkach

 

Der Rotling war der Rote Faden unseres Radurlaubs an der Mainschleife. Der Main, der ohnehin nie so recht weiß, was er will, torkelt hier nur so durch die Gegend. Drängt in alle möglichen Richtungen. Dreht Pirouetten. Liegt’s am Rotling?

An den Ufern des Flusses erheben sich adrette Weinberge. Dazwischen bezaubernde historische Städte und Winzerdörfer. Die heitere Region bietet die Dreifaltigkeit gehobener Erholung: Ruhe, Natur und gutes Essen. Und anzugucken gibt es auch mehr als genug!

 

Blick auf Escherndorf
Links der Main, rechts der Weinberg und in der Mitte Escherndorf

 

Jede Unterkunft hält eine Radfahrkarte bereit, mit der man sich seine ganz persönliche Tour zusammen stellen kann. Touren mit vielen Kilometern und Steigungen oder bequem-lässige, sozusagen rotlinggerechte. Egal wie: An der schönsten Orten kommt man früher oder später automatisch vorbei.

 

 

Bildstock in einem Weinberg

 

VOLKACH: DER GRÖSSTE DER KLEINEN ORTE

Die knapp 9000 Einwohner zählende Kleinstadt Volkach ist ein Juwel. Spaziert man durch die quicklebendige, bildhübsche Altstadt, passiert man schon bald das Renaissancerathaus mit Doppeltreppe.

Etwas weiter steht die Bartholomäuskirche. Außen Spätgotik, innen Barock total. Wer in Krisenzeiten wie Corona keine Party erleben kann, kann zumindest hier die Putten tanzen sehen. Auch die Deckengemälde sind vom Feinsten. Reingehen!

 

Deckenfresken einer barocken Kirche
Barock total: Bartholomäuskirche in Volkach

 

Entlang der Hauptstraße mit dem simplen Namen Hauptstraße reiht sich eine Weinlocation an die nächste – von bodenständig bis hip. Dort sitzen die Volkacher schon am frühen Nachmittag bei einem Gläschen beisammen. Was für eine Schoppenliebe! Wir sind begeistert. Die Qualität passt, der Preis passt und die Menge – ein fränkischer Schoppen ist ein Viertelliter – sowieso. Wer einmal im Fränkischen Weinland unterwegs war, wird über die Weinpreise der großstädtischen Szenebars nur noch den Kopf schütteln.

 

Fahrradlenker und schöne Altstadt
Bunt und bodenständig: Altstadt von Volkach

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Einen Tipp haben wir auch: die megaschicke → Weinbar Fahr away der Winzerfamilie Braun aus dem nahen Dorf Fahr. Dort gibt es fränkisch-mediterrane Tapas und einen Rotling zum Sterben!

Kuchentipp: Nur ein paar Schritte von der Weinbar Fahr away entfernt, also alles andere als far away, kredenzt die → Konditorei Mees sensationelle Kuchen und Torten!

 

VON VOLKACH FLUSSAUFWÄRTS: BILDERBUCHDÖRFER UND EIN RHABARBERKUCHEN IM KLOSTERGARTEN

Wer von Volkach entlang dem Main gen Nordwesten radelt, passiert nach etwa zwei Kilometern die Wallfahrtskirche Maria im Weingarten. Sie thront wortwörtlich auf einem Weinberg. Eyecatcher im Inneren: die Rosenkranzmadonna von Tilman Riemenschneider (1524). Riemenschneider war nicht nur einer der größten Bildhauer jener Zeit, sondern auch Weinliebhaber mit eigenen Weinbergen. Er war garantiert auch ein Verehrer des Rotlings, was Historiker aber noch belegen müssen.

 

Geschnitzte Rosette in einer Kirche
Tilman Riemenschneiders Rosenkranzmadonna

 

Nach weiteren drei Kilometern stößt man auf den → Elgersheimer Hof, einen ehemaligen Klosterhof aus dem Mittelalter. Viel viel Patina! Wer sich nicht in einer der Ferienwohnungen einmietet, sollte zumindest ein Stück Rhabarberkuchen im blumigen Garten essen:

 

Kuchen, dahinter historisches Gebäude
Kaffeekränzchen im Elgersheimer Hof

 

Hinter Elgersheim macht der Main eine ordentliche Kurve. Wir radeln östlich des Flusses gen Norden und spitzen kurz hinter Stammheim in die neuromanische Kirche des Klosters St. Ludwig. Der Konvent wird von Franziskanerinnen bewohnt, die hier ein Mädchenheim unterhalten. Danach nehmen wir die kleine Mainfähre – es gibt entlang der Mainschleife mehrere dieser niedlichen Miniaturfähren – hinüber nach Wipfeld.

Dorfspaziergang Wipfeld. Barockes Fachwerk mit schönen Giebeln, ein kopfsteingepflasterter Dorfplatz. Seit dem Mittelalter ist der Grundriss des Zentrums nahezu gleich geblieben, lesen wir in unserem Reiseführer. Auch der Weinberg unterhalb der Kirche ist schon Hunderte von Jahren alt.

 

 

Auf dem Rückweg nach Volkach radeln wir durch weitere Dörfer, die wie gemalt wirken. Obereisenheimzum Beispiel. Schnitzwerk, Heiligenstatuen, Geranien satt. Teilweise rankt sich Wein über die Straßen. Und überall laden kleine Gasthöfe auf eine Brotzeit und einen Schoppen Rotling ein.

 

 

IM ZEICHEN DES BOCKSBEUTELS: ESCHERNDORF

So gut soll es dem Main südlich von Volkach gefallen haben, sagt der Volksmund, dass er gar nicht mehr weiter fließen wollte und deswegen eine mächtige Schlaufe drehte.

Direkt an der Mainschleife liegt das malerische Winzerdorf Escherndorf. Für den tschechischen Literat Bohumil Hrabal bedeutete Lebensqualität, in einer Stadt zu wohnen, in der es eine Brauerei gibt. In Mainfranken tut’s eine Winzerei. Escherndorf hat gleich mehrere.

 

Frau auf Fahrrad, dahinter Weinberge
In und um Escherndorf

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Und dazu einen → Campingplatz, auf dem wir uns pudelwohl fühlen. Am Abend sitzen wir vor unserem Van, mit dem Rotling in der Hand, und blicken auf den Lump, wie der steile Escherndorfer Hausweinberg genannt wird. Er gehört zu den besten Lagen der Gegend. Den Wein erstehen wir bei der → Winzerei Fröhlich direkt vor Ort – allererste Sahne!

Der Laden des Weinguts ist nicht zu verfehlen. Er liegt zentral an der Durchgangsstraße, die hier stilgerecht Bocksbeutelstraße (!) heißt. Auch das der Winzerei Fröhlich schräg gegenüber liegende → Weingut Horst Sauer ist eine Erwähnung wert: Es wurde wie noch andere im Ort vielfach ausgezeichnet. 2004 wurde Herr Sauer in London gar zum besten Weißweinwinzer der Welt (!) gekürt.

Der Bocksbeutel ist die traditionelle Flasche für den Frankenwein – die Flaschenform ist in der EU geschützt. Woher die Flasche ihre besondere Form und ihren Namen hat, darüber streiten sich die Geister. Die einen meinen, sie ähnle dem Hodensack eines Ziegenbocks. Andere sagen, der Begriff komme von „Bugsbeutel“, der Feldflasche der Mönche.

 

 

Über Escherndorf thront die → Vogelsburg. Früher ein Karmeliterkloster, heute ein Hotel mit Restaurant samt herrlicher Panoramaterrasse. Dort lassen wir uns Spargel-Käsespätzle mit Bärlauchpesto und Schnitzel schmecken. Dazu trinken wir Rotling und kühles Bier aus dem Tonkrug. Noch ein kleiner Tipp am Rande: Geht besser zu Fuß dahin! So steil ist die Steillage hier, dass beduselte Radfahrer immer wieder in die Weinhänge purzeln.

 

Vogelsburg: Schnitzel und Käsespätzle mit Bier (im Bild) und Rotling (nicht im Bild)

 

MIT DER FÄHRE AUF DIE WEININSEL

Nur ein paar nasse Meter trennen die Orte Escherndorf und Nordheim. Verbunden sind sie durch eine kleine Mainfähre. Sie bringt uns und unsere Räder auf die andere Seite des Flusses auf die so genannte Weininsel, einem fast vollständig aus Weinbergen bestehenden Eiland, das sich zwischen Main und Mainkanal kuschelt. Auf 750 Hektar wird hier Wein angebaut. Eines der bekannteren Güter auf der Weininsel ist → Schloss Hallburg. Das Schloss selbst steht leer. Nebenan gibt es jedoch einen Verkauf und einen Sommergarten.

 

Dorf und Weinberge
Nordheim und die Weininsel

 

Südlich davon liegt Sommerach, ein Dorf, das sich sofort in unser Herz schleicht. Türme, Tore, barocke Hausportale, schöne historische Wirtshauszeichen an schmucken Fachwerkhäusern. Blühender Mohn in den Gärten.

Pünktlich um 12 Uhr, wenn der Dorfmetzger Feierabend macht (!) und die Kirchenglocken läuten, sitzt alles in den Wirtshäusern. Im → Weißen Lamm gibt es wunderbaren Schweinebraten, frankentypisch mit Wirsing (gesprochen Wirsching), oder Wildbratwürste mit Spargel. Kein healthy Scheiß oder große Teller mit nichts drauf, sondern regional-saisonale Wohlfühlküche. Etwas weiter steht die → Villa Sommerach, ein denkmalgeschützter Winzerhof aus dem 15. Jahrhundert. Auf der superidyllischen Terrasse serviert man Flammkuchen zum hauseigenen Wein.

 

 

Schade, dass man nicht den ganzen Tag Wein trinken kann! Dem Rotling frönen. Und anderen Weinen. Den Sekt der → Winzerei Henke  würden wir gerne probieren. Es gibt unter anderem Rosecco (Rotling-Perlwein!) und Scheurebe brut. Wir lieben die Scheurebe trotz ihres krassen Katzenpipi-Geruchs.

Ihr merkt: Weinfranken ist Genussregion durch und durch. Mehr noch: Gutes Essen und gutes Trinken gehören zum Alltag der Menschen hier. Gasthöfe dienen keineswegs vornehmlich der Abfütterung durchziehender Touristen, sondern sind noch immer dörfliche Treffpunkte mit Stammgastpublikum. Hier isst man seinen Sonntagsbraten. Und hier feiert man Taufen und Geburtstage. Genau das macht Weinfranken so unglaublich sexy, von der Schönheit der Region mal ganz abgesehen.

 

SÜDLICH DER MAINSCHLEIFE: VORBEI AN BLUMENWIESEN ZUR ABTEI MÜNSTERSCHWARZACH

Noch einmal steigen wir auf den Sattel und radeln los. Es geht in die Gegend südlich der Mainschleife. Dorthin, wo die Erde neben Trauben auch schon wieder Weizen hervorbringt und sich bunte Blumenwiesen neben Weinbergen erstrecken.

 

Gewitterstimmunf und Radfahrer auf Feldweg
Gewitterstimmung bei Münsterschwarzach

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Ein Ziel auf unserem Zettel ist der Ort Schwarzach am Main, der von den vier Türmen des durch und durch seltsam-kolossalen Sakralbaus Münsterschwarzach überragt wird. Dieser gehört zu einer Abtei der Missionsbenediktiner, in der noch rund 100 Mönche leben. Einst besaß das Kloster eine prächtige Barockkirche, für die der begnadete Balthasar Neumann verantwortlich zeichnete. Doch die wurde irgendwann bei einem Blitzeinschlag zerstört.

An gleicher Stelle baute man zwischen 1935 und 1938 die neue Basilika. Sie passt in die Zeit des Dritten Reiches: abweisend, monumental, einschüchternd. Der uneinladende Eindruck zieht sich im Inneren fort.

 

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DETTELBACH: IM DORNRÖSCHENSCHLAF

Ganz anders Dettelbach. In dem schnuckeligen 7300-Einwohner-Winzerstädtchen mit seiner fast vollständig erhaltenen Stadtmauer samt Wehrtürmen könnte man Kostümfilme drehen. Doch viel los ist nicht im Städtchen. Drängen sich in ähnlich attraktiven historischen Ensembles die Touristen (man denke nur an → Rothenburg ob der Tauber), bietet Dettelbach die Ruhe eines Städtchens im Dornröschenschlaf.

Viele Geschäfte im Zentrum stehen leer. Auch einen Metzger gibt es dort nicht mehr. Dafür eine Konditorei, die Konditorei Achtmann (Falterstr. 24), die seit fünf Generationen, seit 1880, Muskazinen backt. Muska-was? Muskazinen sind relativ trockene Plätzchen in Form eines prallen Busens im Bikini, wenn man das so sagen darf. Sie schmecken ganzjährig nach Weihnachten.

 

Schöne Altstadt mit Fachwerk
Wie gemalt: Altstadt von Dettelbach

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Wir lassen uns ein wenig durch die Regenwurmgassen des verwinkelten Städtchens treiben. Spazieren über den pittoresken Markt. Staunen Fassaden an. Spazieren vorbei am spätgotischen Rathaus. Da ein Wirtshaus, dort ein Wirtshaus: Schweinebraten acht Euro, der Schoppen Wein zu drei Euro.

Ganz zum Schluss radeln wir noch dahin, wo jeder Dettelbach-Touri hin sollte: zur etwas abseits des Zentrums gelegenen Wallfahrtskirche Maria im Sand. Die lange und schmale Kirche ist in ihrem Inneren prächtigst ausgestattet. Wir schauen uns um. Als wir die Pforte hinter uns schließen und uns auf unsere Räder schwingen, läuten die Kirchenglocken zum Abschied ein süßes Lied.

 

Kirchenfassade
Detailverliebt: Wallfahrtskirche Maria im Sand

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Buchtipp

Unser Kollege Hans-Peter Siebenhaar hat in seinem → Reiseführer Mainfranken viel Wissenswertes zur Region zusammengetragen. Auch die besondere Kulinarik Weinfrankens kommt dabei nicht zu kurz. Das Buch erschien im Michael Müller Verlag.

 

Radverleih

Wer kein eigenes Radl mitbringt, leiht sich am besten eines in Volkach bei → Zweirad Weissenseel.

 

Tipps fürs Camping

Wir fanden den familienbetriebenen → Camping Escherndorf wunderbar. Hier campt man mit Mainblick oder – wem der Wohnmobilhafen reicht – mit Weinbergblick. Gutes Restaurant dabei, sehr saubere Sanitäranlagen.

Campingplätze gibt es außerdem in → Volkach und in → Sommerach. Einen schönen Womo-Stellplatz, der auch Sanitäranlagen zur Verfügung stellt, haben wir in Neuses am Berg etwa 3 Kilometer nördlich von Dettelbach entdeckt. Er ist dem → Weingut Mangold angeschlossen.

 

Mehr Franken zum Weiterlesen hier auf dem Blog

 

Mehr spannende Fahrradwege in Deutschland

In einem umfangreichen Roundup hat Marina vom Blog MS|WellTRavel zusammen mit anderen Bloggern die schönsten Fahrradtouren in Deutschland zusammengestellt.

 

Gefallen? Dann pinnt unseren Artikel, wir freuen uns!

 

8 Kommentare

  1. ahhhhh…..kommt mit auf die lange Liste…Nachdem wir uns schon lange an der elsässischen Weinstrasse genüsslich tun, haben wir ja dieses Jahr umständehalber (Loire fiel wg Reisewarnung aus) an der burgundischen Weinstrasse getummelt. Was das für herrliche Landschaften rund um die Weinberge sind. Und was für leckerer Wein… ahhhhhhhhhhhhh…….

    • Dann wird’s Zeit für Weinfranken! Und umgekehrt müssen wir uns irgendwann unbedingt auch mal Elsass und Burgund vornehmen. Sah auch alles sehr verlockend aus bei dir…

  2. Hey ihr beiden,
    danke für den tollen Bericht. Die Region kenne ich noch gar nicht. Jetzt habt ihr sie mir im wahrsten Sinne des Wortes schmackhaft gemacht.
    Bis wann könnte man die Tour machen? Vermutlich ab November zu kalt?!
    Viele Grüße, Simone

    • Liebe Simone, freut uns sehr, nichts zu danken. Also wir Warmduscher finden Deutschland im November eigentlich immer schrecklich, egal wo. Aber den Goldenen Oktober könnten wir uns im Fränkischen Weinland bombig vorstellen. Viele Grüße zurück!

  3. Ja, die Ecke ist schon ein Traum! Wunderschön dort! War seit meiner Kindheit häufiger dort unterwegs. Zuletzt vor ein paar Jahren… Da kann man immer wieder hin. Aber Volkach ist ganz schön touristisch geworden, kein Vergleich zu den 90ern.

    • Danke fürs Feedback, Ilona. Den Vergleich mit den 90er-Jahren haben wir leider nicht, fanden es immer noch sehr entspannt und „frängisch“ in Volkach. Aber natürlich wird man nostalgisch, wenn man einen Ort noch aus einer ganz anderen Zeit kennt. So geht’s uns übrigens immer wieder mit Bamberg, wo wir in den 90-ern studiert haben. Schee war’s. Aber schee isses immer noch, nur halt anders.

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