Der Anblick des Unteren Segnesbodens ist atemberaubend, im wahrsten Sinne des Wortes. Schließlich ist die Luft auf rund 2100 Metern über Normalnull ein wenig dünner. Die sumpfige Ebene, die wir gerade durchwandern, wird von Bächen durchzogen. Vor uns erheben sich die schneebedeckten Tschingelhörner mit ihren rauen, grauen Zacken. Und rechts von uns stürzt ein mächtiger Wasserfall zu Tal. Was für ein optischer Leckerbissen! Wenn sich diese Wanderung nicht lohnt, welche bitteschön dann?

 

Frau läuft über Gebirgsbach, dahinter schneebedeckte Berge
Die Wanderung zum Unteren Segnesboden gehört zu den schönsten Wanderungen, die man in Graubünden unternehmen kann

 

DER UNTERE SEGNESBODEN

Der Untere Segnesboden (Plaun Segnas Sut) ist eine von mehreren Schwemmlandhochebenen der graubündischen Berge über Flims. Geformt wurde dieses Hochtal von Erosionsmaterial, das die Gebirgsbäche im Lauf der Zeit angetragen haben. Bis heute ist ständiger Wandel die ewige Konstante im Hochtal: Seen kommen und gehen. Bäche verändern ihren Lauf, werden größer und wieder kleiner.

Wer im Unteren Segnesboden unterwegs ist, hat die Schwelle zur rund 300 Quadratkilometer großen Tektonikarena Sardona erreicht, die seit 2008 auf der Liste der UNESCO-Weltnaturerbestätten steht. Nirgendwo anders in Europa zeigen sich die Zeugen der alpinen Gebirgsbildung so deutlich wie in Sardona. Doch mehr dazu gleich.

 

UNSERE ROUTE

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, den Unteren Segnesboden zu erwandern. Wir haben uns für folgende Route entschieden:

Mit der Bergbahn von Flims (1100 m) nach Naraus (1842 m) – von dort auf dem Höhenweg zur Segneshütte (2100 m) – Umrundung des Unteren Segnesbodens (ebenfalls auf etwa 2100 m) – Aufstieg zur Bergbahnstation Grauberg (2228 m) – Abstieg zur Bergbahnstation Nagens (2127 m) – über die Runca-Höhe (1364 m) nach Laax (1100 m) oder Flims (1100 m)

 

Wer in Laax oder Murschetg startet, gelangt mit dem Flims-Laax-Shuttlebus (mit Gästekarte kostenlos) problemlos von Laax nach Flims und andersrum. Wer mag, kann zum Schluss von der Runca-Höhe auch nach Flims laufen.

 

 

Achtung, ein Sonntagsspaziergang wird das nicht, auch wenn es überwiegend bergab geht! Je nach dem, wo man die Wanderung enden lässt, sind 16 bis 17 Kilometer zu gehen. Plant mit genügend Pausen und einer eventuellen Grillaktion zum Abschluss auf der Runca-Höhe einen ganzen Tag ein!

LOS GEHT’S: VON FLIMS MIT DER SEILBAHN NACH NARAUS

Von Anfang Juni bis Ende Oktober ist die Sesselbahn von Flims über Foppa zur Bergstation Naraus in Betrieb. Rund 20 Minuten dauert die Fahrt. Etwa 25 € kostet sie pro Person – Schweiz eben.

Unter unserem Sessel Wanderer, leuchtend grüne Wiesen mit Blumenteppichen und Holzhäuschen. Es geht hoch und höher. Schließlich isst Angst Gabis höhenängstliche Seele auf.

 

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VON NARAUS AUF DEM HÖHENWEG ZUM UNTEREN SEGNESBODEN

Etwa vier, fünf Grad kühler als in Flims ist es an der Bergstation Naraus. Wir wandern vorbei an bimmelnden Kuhfamilien über einen zunächst steil ansteigenden, dann parallel zum Hang verlaufenden Pfad. Unser Znüni unterwegs besteht aus Schinkenbrot, Ei und Gurke. Besteht aus Dasitzen und Schauen.

 

Frau läuft auf Wanderweg in den Bergen
Höhenweg von Naraus zum Unteren Segnesboden

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Nach etwas über eineinhalb Stunden tut sich der Segnesboden vor uns auf. Was für ein Naturkino! Wir holen einmal tief Luft und schauen uns um. Rechts und links des Wanderpfads ein Enzianteppich. Von den Hängen rauschen Wasserfälle. Das Sonnenlicht bricht sich in der Gischtfahne. So stellt man sich Island vor. So stellen zumindest wir uns Island vor, die wir noch nie in Island waren.

 

Enzian, dahinter schneebedeckte Berge

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Frau läuft entlang einer Felswand

 

Gegenüber den Wasserfällen die zackige Kette der Tschingelhörner, neun an der Zahl. An diesen seltsam geformten Bergen kann man erkennen, welche Prozesse sich abspielten, als die Alpen entstanden. Deutlich sieht man die verschiedenartigen Gesteinsgeschichten: unten das jüngere Gestein aus schiefrigem Flysch (ca. 35 bis 50 Millionen Jahre alt), obenauf das ältere, rötliche Verrucanogestein (ca. 260 bis 300 Millionen Jahre alt).

Weitere Auskünfte über die UNESCO-Weltnaturerbestätte Sardona erhält man im Infopavillon bei der nahen Segneshütte und über die → Sardona-App . In der Segneshütte kann man übrigens auch gut essen und rustikal übernachten.

Grund für die verschiedenen Schichten ist die so genannte Glarner Hauptüberschiebung vor rund 10 bis 20 Millionen Jahren. Dabei drückte sich, damals noch unter der Erdoberfläche, die ältere Gesteinsschicht infolge der Plattentektonik über die jüngere. Bis heute werden hier die Prozesse der Gebirgsbildung studiert. Denn noch immer drückt die afrikanische Platte gegen die eurasische und formt dabei die Alpen. Noch heute faltet sich das Gebirge auf. Noch heute kommen sich Zürich und Mailand jährlich einen Zentimeter näher.

 

Graue Berge mit Schnee
Die Tschingelhörner

 

RUND UM DEN UNTEREN SEGENSEBODEN UND WEITER ZUR BERGBAHNSTATION GRAUBERG 

Es hat viel geregnet in den Tagen vorher. Die den Segnesboden durchziehenden Bäche sind angeschwollen. Die Farbe des Wassers: leicht milchig, wie verdünnter Rakı. Der Geschmack des Wassers: geschmolzener Schnee, ganz weich und eiskalt.

 

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Wir überqueren mehrere Bachläufe, teils auf Brückchen, teils auf Trittsteinen. Manchmal muss man springen. Rot-weiße Markierungen zeigen uns den Weg über den matschig-moosigen Untergrund.

 

Wanderin springt über Bach
Manchmal muss man springen…

 

Schließlich steigt der Pfad an. Es geht hinauf zur Bergbahnstation Grauberg. Eine Passage ist so steil, dass sie mit Seilen gesichert werden muss.

 

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Auch ein Schneefeld müssen wir durchqueren. Schon seltsam: Nach einem milden Berliner Winter sehen und spüren wir hier den ersten Schnee seit über einem Jahr. Mitten im Juni. Von der Bergbahnstation bringt uns im Anschluss ein angenehm zu laufender Schotterweg hinab nach Nagens.

 

Blick auf Landschaft mit Flüssen
Ein letzter Blick nach unten

 

WO DAS MURMELTIER GRÜSST: ÜBER DIE BERGBAHNSTATION NARAUS ZUR RUNCA-HÖHE 

Wir hören sie, bevor wir sie sehen: die Murmeltiere. Ihr schrilles, langes Pfeifen ist ein Warnsignal. Nahe der Bergbahnstation Nagens sehen wir gleich vier dieser possierlichen Felltiere vor ihren Löchern sitzen und uns misstrauisch beäugen.

 

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Wir folgen den Hinweisschildern nach Laax und stehen wenig später vor einem fast surreal wirkenden Becken, dessen Ränder türkisfarbig illuminiert wirken:

 

Becken mit türkisfarbenen Rändern in den Bergen

 

Der so instagrammable daherkommende Pool vor der Wow-Kulisse der Graubündner Berglandschaft ist nichts anderes als ein Wasserbecken zur Stillung des Dursts der über 400 Schneekanonen und Schneilanzen im Skigebiet Flims Laax Falera. Im gesamten Alpenraum werden heutzutage mindestens 70.000 Hektar Pisten künstlich beschneit, haben wir gelesen. Wenn es keinen gescheiten Winter mehr gibt, dann erschafft man ihn sich eben…

Auf einem wunderschönen, wenn auch kniefeindlichen Pfad auf einem Grat geht es immer weiter hinab. Wir verlassen die baumlose Höhe. Rechts und links des Wegs erheben sich wieder Bäume. Und schließlich geht es durch einen schönen Tannenwald, der nach Sonne riecht.

 

Frau läuft auf einem Wanderweg
Auf dem Weg hinab zur Runca-Höhe

 

Weiter, immer weiter. Irgendwann, gefühlt nach Ewigkeiten, taucht schließlich die Grillstelle auf der Runca-Höhe auf. Dieser Grillplatz ist einer unserer favourite places rund um Laax. Auf der Runca-Höhe grillt man praktisch mitten auf der Kuhweide, nur durch einen Zaun von den Tieren getrennt. So sieht das Ganze aus:

DIE SACHE MIT DEN KÜHEN

Ihr seht, der Zaun um den Grillplatz ist nicht nur zur Deko da. Vor den Kuh-Großfamilien sollte man durchaus Respekt haben und die an manchen Wanderwegen aufgestellten Warnschilder ernst nehmen:

Das „rote Tuch“ ist übrigens ein Mythos. Denn Rinder sind Dichromaten, das heißt, sie sehen lediglich Grün und Blau. Es sind die Bewegungen des Matadors, mit denen er den Stier reizt. Das Tuch, das er dafür verwendet, könnte genauso gut blau sein. Also ist es auch völlig egal, welche Farbe Eure Wanderjacke hat!

  • Mindestens 20 Meter Abstand halten, vor allem dann, wenn Mutterkühe mit Kälbern auf der Weide stehen. Denn die Mutterkühe verteidigen ihre Kälber instinktiv gegen jeden Eindringling.
  • Verhaltet Euch ruhig und schaut den Tieren nicht in die Augen!
  • Freilaufende Hunde werden von den Kühen als Bedrohung wahrgenommen und angegriffen. Merke deswegen: Euer Hund gehört an die Leine!

Immer wieder kommt es im Alpenraum zu gefährlichen Begegnungen zwischen Wanderern und Kühen. Bei Laax wurde im Sommer 2015 eine Wanderin auf einem offiziellen Wanderweg von mehreren Mutterkühen angegriffen und zu Tode getrampelt.

 

VON DER RUNCA-HÖHE HINAB NACH LAAX

Doch wo waren wir stehen geblieben? Genau, beim Grillplatz auf der Runca-Höhe! Die Grillplätze rund um Laax sind die echte Show: traumhaft gelegen und blitzblank. Wer während seines Urlaubs hier keine Würste auf den Rost legt, ist eigentlich selber schuld.

Holz wird bereitgestellt, manchmal gibt es selbst Zeitungspapier zum Anfeuern. Euer Bier oder Euer Wein kühlt ruckzuck in der nahen Kuhtränke. Wir selbst schleppen übrigens stets eine Flasche Prosecco oder einen roten Frizzante auf unseren Wanderungen durch die Bergwelt mit. Dieses Kilo mehr beschert uns jedes Mal eine glückliche Stunde.

Von der Runca-Höhe läuft man in ca. einer Stunde zurück nach Laax-Murschetg. Nach Flims ist es ein wenig kürzer.

 

 

Zwei Alternativrouten zum Unteren Segnesboden

  • Die Passwanderung: Für besonders ambitionierte Bergwanderer ist der Untere Segnesboden nur eine Station auf einer anstrengenden Passwanderung von Flims nach Elm bzw. andersrum. Die Wanderung ist an einem Tag zu schaffen. Wer will, kann aber auch eine Zwischenübernachtung auf der Segneshütte einlegen. Die Tour beschreibt Madlen vom Blog → Puriy.
  • Grauberg – Umrundung des Segnesbodens – und auf dem Wasserweg nach Flims: Auf den Grauberg gelangt man, wenn man von Flims die Bergbahn nach Foppa nimmt und von dort zunächst nach Startgels wandert. Von Startgels wiederum führt die Bergbahn zum Grauberg. Vom Grauberg umrundet man den Unteren Segnesboden in etwa zwei Stunden. Diese Variante ist allerdings nur im Hochsommer machbar, wenn die Bergbahn in Betrieb ist. Zeiten und Preise erfahrt Ihr hier. Von der Segneshütte kann man im Anschluss auf dem so genannten Wasserweg (Trutg dil Flem) hinab nach Flims wandern. Dieser Wanderweg führt in vier Stunden über insgesamt sieben teils recht kühn konstruierte Brücken entlang des Gebirgsbachs Flem zu Tal. Nähere Informationen über den wunderschönen Wanderweg gibt es → hier.

 

Zwei Übernachtungstipps für die Region

Hochpreissegment: Das Hotel Schweizerhof in Flims-Waldhaus ist ein Traditionshotel mit Schnitzveranden und cooler Dachterrasse samt phänomenalem Bergblick. Doppelzimmer pro Nacht 250 Euro.

Low Budget: Flims hat auch einen ganz ordentlichen → Campingplatz. Zwei Personen mit Bulli und Strom bezahlen dort ab 37 Euro.

Preislich dazwischen: In der Region gibt es Ferienwohnungen en masse. Schaut Euch doch mal auf den entsprechenden Portalen um. Für einen Appel und ein Ei bekommt man aber nichts.

 

Blick auf eine Kleinstadt in den Bergen
Blick auf Flims

 

Mehr Alpen-Themen hier auf dem Blog

 

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