Derzeit machen wir uns häufig einen schönen Lenz und einen bunten dazu. Wählen einen Stadtteil aus und ziehen los, mit Kamera oder gezücktem Handy. Gehen auf die Suche nach Murals, Stencils und Paste-ups. Staunen über Farben, Formen, Motive.
Was macht Berliner Street Art aus? Was ist ein Stencil und was ein Paste-up? Grundinfos zur Street Art bekommt Ihr in unserem Beitrag über → Street Art in Kreuzberg.
Mit → Kreuzberg fingen wir an. Nun nehmen wir Euch mit auf eine Street-Art-Tour durch Friedrichshain. Während Kreuzberg bekannt ist für seine riesigen Murals, die oft ganze Häuserwände einnehmen, überwiegen in Friedrichshain die kleinen, nicht minder spannenden Arbeiten. Was aber nicht heißen soll, dass es dort nicht auch den einen oder anderen Mega-Eyecatcher gibt! Mithilfe unserer Karte könnt Ihr alle Pieces problemlos nacheinander abspazieren.
Unsere Street-Art-Tour durch Friedrichshain ist etwas über sechs Kilometer lang. Zu Fuß braucht man etwa drei Stunden, mit dem Rad etwas weniger. Wer aber ausgiebig gucken möchte, dazu unterwegs einkehren oder shoppen will, braucht natürlich erheblich länger.
STREET ART AN DER HOLZMARKTSTRASSE
Die Street-Art-Tour durch Friedrichshain starten wir am S- und U-Bahnhof Jannowitzbrücke. Von dort spazieren wir die Holzmarkstraße gen Osten. Bei der ersten kreuzenden Straße, sie trägt den Namen An der Michaelbrücke, lohnt ein kurzer Abstecher nach rechts. In der Unterführung vor der Brücke, also unter den S-Bahn-Gleisen, sieht man tanzende Mädels und Jungs des französischen Street-Art-Künstlers → SOBR. Die in Konfetti swingenden Girls und Boys kann man vielerorts in Berlin entdecken, aber auch in Marseille, Paris, Rom oder in Lissabon. Allein in Berlin lässt SOBR rund 500-mal die Puppen tanzen.
SOBR liebt Gleisunterführungen. Weitere Tänzerin Friedrichshain gibt es beispielsweise rund einen Kilometer weiter beim Ostbahnhof an der Unterführung in der Straße der Pariser Kommune.
Auf dem Weg dahin passiert man den → Holzmarkt, ein zusammengezimmertes Dorf Kunterbunt an der Spree. Ein Muss! Auf dem mit Street Art gut bestücktem Areal des Kreativzentrums gibt es diverse Cafés, lauschige Ecken direkt am Wasser, den legendären Technoclub Kater Blau und und und…
Nicht nur der Kater ist dort übrigens blau, sondern auch ein Martini trinkender Indianer in der Nachbarschaft (Holzmarktstr. 31). Er stammt von → Cranio, einem brasilianischen Streetartist aus São Paolo. Gesprühte blaue Indianer sind der rote Faden des Künstlers, der sich gegen Konsum, Korruption und die Zerstörung der Umwelt auflehnt.
Weiter geht’s zum nächsten Club! Zum lässigen → Yaam Beach an der Schillingbrücke. Hier kann man sein Fernweh besänftigen: Reggea Vibes, Dreadlocks, Capoeira, warmer Sand, Getrommel und Grasschwaden. Auch der Yaam Beach ist gespickt mit Urban Art. Einen guten Blick auf das Areal hat man von der Brücke.
Unübersehbar: das in das in eine Brandwand geschlagene Porträt eines jungen Mannes. Eine großartige Arbeit im wahrsten Sinne des Wortes. Sie stammt vom portugiesischen Künstler → Vhils und entstand 2011. Vhils nutzt für seine großflächigen Pieces Hammer und Meißel, manchmal sogar Sprengstoff. Er zerstört Altes, um Neues zu schaffen.
Wollt Ihr wissen, wer der Hübsche ist? Vhils porträtierte hier den Street-Art-Kollegen Gould von → Various & Gould, ebenfalls Big Names in der Szene. Und noch ein Fun Fact: Vhils ist ein echter Ritter! 2015 verlieh ihm der portugiesische Staatspräsident das Ritterkreuz des „Ordens des heiligen Jakob vom Schwert“.
EAST SIDE GALLERY: OPEN-AIR-GALERIE AM EHEMALIGEN TODESSTREIFEN
Die East Side Gallery hat mit szeniger Street Art recht wenig zu tun, ist aber unter manch jungen Berlintouristen eine der ersten Anlaufpunkte für Instagramposts. Hier duellieren die Selfie-Stangen wie kaum anderswo in der Stadt.
Die rund 1,3 Kilometer lange Mauer ist eine der wenigen erhaltenen Abschnitte des einstigen antifaschistischen Schutzwalls. In der Wendeeuphorie wurde der Mauerabschnitt von über 100 Künstlern aus aller Welt bunt bemalt. Manche gaben politischen Symbolkitsch zum Besten, manche Nachdenkliches.
Da die Großbilder regelmäßig beschmiert werden, müssen sie immer wieder erneuert werden. Im ersten Abschnitt seht Ihr unter anderem Großbilder des Spaniers → Ignasi Blanch, des Deutsch-Iraners → Kani Alavi oder der Schottin → Margaret Hunter.
Auch auf der Rückseite dieses Mauerabschnittes kann man spannende Arbeiten entdecken. Von der Berliner Künstlerin → Marycula stammt ein Stencil, auf dem Karl Marx in der Mülltonne kramt. Erst in jüngerer Zeit kam das mit dem Coronavirus spielende Kätzchen hinzu.
Die meisten Handys werden vor Dimitri Vrubels Bruderkuss von Breschnew und Honecker gezückt. Das Gemälde trägt den etwas sperrigen Titel Mein Gott, hilf mir, diese tödliche Liebe zu überwinden.
Noch davor kommt Ihr unter anderem an Arbeiten des Franzosen → Thierry Noir, des Tataren Schamil Gimajev (übrigens das längste Werk der East Side Gallery) und der Deutschen Christine Fuchs vorbei. Letztere fragt:
„How’s god? She’s black.“
BUNT, BUNTER, RAW-GELÄNDE: STREET ART AUF DEM TECHNOSTRICH
An der Oberbaumbrücke halten wir uns links und spazieren entlang den Hochbahngleisen Richtung Downtown Friedrichshain. Next stop: RAW-Gelände. Clubs, Bars, Restaurants. Dealer, Drogen, Siff. Und Street Art bis zum Umfallen. Auf dem RAW-Gelände, dem „Reichsbahnausbesserungswerk“, wurden früher Loks und Waggons repariert. Heute dreht sich hier ein Farbkarussell zwischen den Backsteinruinen. Schauen wir uns um.
Erster Hingucker: der Fröhliche Tukan vom portugiesischen Street-Art-Künstler → Bordalo II. Der lustige Vogel mit dem orangefarbenen Schnabel befindet sich am Kiosk der De Dee African Kitchen.
Bordalo II bastelt seine so genannten Trash Animals aus Schrott und Müll zusammen, den er vor Ort findet. Man kann seiner die Umweltzerstörung anprangernden, tierischen Kunst überall auf der der Welt begegnen, in → Porto, auf den → Azoren, selbst auf Tahiti. In Friedrichshain hat er eine verhältnismäßig kleine Arbeit hinterlassen. Oft schmücken seine Werke ganze Hauswände.
Spaziert nun in aller Ruhe über das Gelände. Es gibt so viel zu entdecken, dass man sich Stunden auf dem Areal aufhalten könnte. Hier nur ein paar Beispiele.
In Spuckweite des Tukans hat der in Berlin lebende Argentinier → Alaniz im Frühjahr 2020 ein Corona-Mural kreiert. Was es bedeuten soll, hat er auf seiner Facebook-Seite verlauten lassen:
„Media scares me more than Corona.“
Der hübsche Punk mit Brille und Gitarre auf der Rückseite der ATM-Säule gleich in der Nachbarschaft stammt von → Jinks Kunst, einem in der Schweiz geborenen und heute in Nantes lebenden Sprayer.
NOCH MEHR STREET ART AUF DEM RAW-GELÄNDE
Weiter geht’s! An der Wand einer völlig abgerockten Halle könnt Ihr ein figuratives Mural vor einem graffitiesken Hintergrund entdecken. Ein Mann mit Knarre knöpft sich darauf ein Kind mit Stein in den Händen vor. Moralismo nennt sich die Gemeinschaftsarbeit der Brüder → Felix und Matthias Gephart. Das Mural passt zu ihren Themen: Vergänglichkeit und menschliches Versagen.
Schräg gegenüber befindet sich eine eher kleine Mixed-Media-Arbeit, in die wir uns fast ein wenig verliebt haben. Darauf isst eine Frau, die Frida Kahlo ähnelt, einen Döner. Für die 2018 entstandene Arbeit Lady in Cement zeichnet der in der Ukraine aufgewachsene und in Berlin lebende Künstler → Slava „Ostap“ Osinski verantwortlich. Es handelt sich um eine Adaption des Adele-Bloch-Bauer-Porträts von Gustav Klimt. Cool, oder?
„Ick koof bei Lehmann.“ An einer Wand des Getränkehändlers haben sich gleich zig Künstler mit diversen Stickern verewigt. Hier kann man ausgiebig stöbern und schmunzeln. Am lustigsten finden wir den kiffenden Ulbricht der Berliner Jungs von → Chill mal Berlin:
„Niemand hat die Absicht, eine Tüte zu bauen.“
Viele weitere Pieces gibt es auch rund um den Club Cassiopeia und in dessen Sommergarten zu entdecken. Nahebei kann man auf die Suche nach einem Tiktoy des Niederländers → TikToy gehen. Kopf in den Nacken! Die surrealen, ein wenig an Kuckucksuhren erinnernden Holzinstallationen hängen nämlich bewusst an Stellen, die für Langfinger nicht so einfach erreichbar sind.
Ganz im Osten des RAW-Geländes begegnet man schließlich noch Charles Manson. Ist das jetzt peinlich, wenn wir zugeben, dass wir zuerst an Frank Zappa dachten? Den Mann mit dem irren Blick erschuf → Dwane, eine schwedische Graffiti-Legende und einer der Grandsigneurs der Szene. Seine Vorlage: die Manson-LP Lie: The Love and Terror Cult.
STREET ART RUND UM DEN BOXHAGENER PLATZ
Auch rund um den „Boxi“, dem sanft klopfenden Herz von Friedrichshain, gefallen uns so einige Arbei
ten. Dazu gehört das 30 Meter hohe Mural Butterfly des in Berlin lebenden Venezianers → Michele Tombolini. Es zeigt ein Mädchen mit blauen Schmetterlingsflügeln und zugeklebtem Mund und hat ein trauriges Thema: Kindesmissbrauch.
An der Ecke Gabriel-Max-Straße/Grünberger Straße erinnert ein lässig dasitzender Affe an den Maler Gabriel von Max. Affen waren das zentrale Thema des Künstlers, er züchtete sogar selbst welche. Das Mural wurde vom Hauseigentümer in Auftrag gegeben, der Künstler ist uns nicht bekannt.
Ebenfalls in der Gabriel-Max-Straße (Hausnummer 13) stößt man auf eine hübsche Dame mit Blumen im Haar. Ein sinnlich-schönes Stencil der Künstlerin → Liz Art Berlin, deren Werke in so einigen europäischen Städten zu finden sind.
Nur ein paar Schritte sind es von dort zum Kino mit dem netten Namen Intimes (Boxhagener Straße 107). An seiner Fassade waren zig Künstler zugange, es erwartet Euch ein wahrer Sticker-Overkill – viel Spaß beim Gucken! Mit dabei zwei Namen, denen wir auf unserer Tour bereits begegnet sind: Von Marycula stammt die Queen in Rosarot, von den kiffenden Chill-mal-Berlin-Jungs der Sticker „Dichter als Goethe“:
Wir springen über die Warschauer Straße. Dort schauen wir uns in einem eher drögen Teil Friedrichshains ein tolles Mural an, das erst im Frühjahr 2020 entstand. Riesig groß ist die Frau mit den Schlauchbootlippen, die eine ganze Hauswand an der Lasdehner Straße 7 einnimmt. Sie stammt von → El Bocho, einem der bekanntesten Berliner Street-Art-Künstler. Grafische, sehr bunte Frauenporträts sind das Markenzeichen El Bochos, der auch international sehr aktiv ist. Und der übrigens nicht nur Brandwände bemalt, sondern auch Leinwände.
Von der Lasdehner Straße, dem Ziel unserer Street-Art-Tour durch Friedrichshain, seid Ihr in wenigen Minuten am U-Bahnhof Weberwiese.
ANGEHÄNGT: SEHENSWERTE STREET ART ABSEITS DES SPAZIERGANGS
Auf ein paar großartige Pieces in eher abseitigen Ecken Friedrichshains, die sich einfach nicht in die Tour einreihen ließen, wollen wir abschließend noch aufmerksam machen. Dazu gehört ein Frauenporträt des recht aktiven Berliner Künstlers → Sokar Uno am Wiesenweg. Das Eck steckt voller Street Art, hat aber mit dem bunten Kiezleben rund um den Boxhagener Platz nur noch wenig gemein. Kleine Gewerbebetriebe und Autoreparaturwerkstätten überwiegen.
Ein ganzes Stück weiter südlich, bei den S-Bahn-Gleisen an der Elsenbrücke (Alt-Stralau 3/4), gefällt uns das Mural Monkey see, Monkey do. Verantwortlich zeichnet das deutsche Künstlerduo → Herakut, hinter dem wiederum Jasmin Siddiqui und Falk Lehmann stecken. Der traurig drein blickende Affe mit Armeehelm stammt aus dem Jahr 2013.
„Monkey see, Monkey do.“
Auf gut Deutsch: Was der Affe sieht, das macht er nach. Militär-Blödsinn zum Beispiel. Das denkmalgeschützte Gebäude übrigens, das der Affe schmückt, diente im 19. Jahrhundert als Teppichfabrik.
An der Stralauer Allee nahebei sieht man die typischen vertikalen Schriftsäulen der → Berlin Kidz. „Fuck the System“ ist das Motto der rotzfrechen Street-Art-Rebellen. Rund 400 Berlin-Kidz-Arbeiten verteilen sich in der Stadt. Nicht wenige davon entstanden unter Lebensgefahr beim Abseilen an den Häuserwänden. So schräg und durchgeknallt ist die Crew, dass schon Filme über sie gedreht wurden. Auch Trainsurfer, Parcourläufer und Stadtguerillas gehören dazu.
Und noch ein Zusatztipp: Wer Stickerart liebt, kann sich im Samariterviertel nördlich der Frankfurter Allee, speziell in der Rigaer Straße, umschauen.
GUT ZU WISSEN AUSSERDEM
Mit dem → Museum for Urban Contemporary Art hat Berlin ein eigenes Street-Art-Museum. Ob Street Art im Inneren eines Gebäudes gut kommt, muss aber jeder selbst für sich entscheiden. Wir meinen: eher nicht.
Wollt Ihr eine geführte Street-Art-Tour durch Friedrichshain und Kreuzberg unternehmen? Dann können wir Euch die Touren von → Alternative Berlin Tours ans Herz legen. Die Guides sind bestens informiert und sehr unterhaltsam.
Berlin Mural Fest: Das Festival der Urban Art fand in Berlin bisher zweimal statt. Jedesmal entstanden dabei tolle neue Pieces. Schaut Euch einfach einmal auf der → Webseite um.
Über Street Art in Berlin informiert unter anderem auch der → Urban-Art-Blog des Freundeskreis Street Art Berlin.
Im → Kunth Verlag erschien 2019 der coole Bildband Icons of Street Art. Der fröhliche Tukan, der auch bei uns erwähnt ist, hat’s sogar auf die Titelseite geschafft. Hier geht’s allerdings nicht nur um Berlin, sondern um Street Art weltweit.
Noch mehr Murals in und rund um Berlin findet Ihr auf → https://berlin.streetartcities.com/.
Auch in unseren Blogbeiträgen zu → Marseille und zu → Tel Aviv haben wir uns mit Street Art beschäftigt. Schaut doch mal rein! Spannende Urban Art haben wir zudem in einer → Hotelruine in Malta entdeckt.
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Haben wir ein spannendes Mural vergessen? Dann ab damit in die Kommentare!
Mehr Street Art in Berlin zum Weiterlesen gibt es hier:
- Alles so schön bunt hier: Street-Art-Tour durch Berlin-Kreuzberg zum Nachspazieren
- Unterwegs auf dem Graffiti-Strich: Street-Art-Tour durch Berlin-Schöneberg zum Nachspazieren
- Mauerkunst am Mauerpark: Street-Art-Tour durch Berlin-Prenzlauer Berg zum Nachspazieren
Noch mehr Infos zur Berliner Street Art gibt es auch in unseren beiden Büchern über Berlin, dem klassischen Reiseführer → MMCity Berlin und dem alternativen Städteführer → Abenteuer Berlin. Beide Bücher erschienen im Michael Müller Verlag.