Die Ilha de Paquetá, nur acht Seemeilen von Rio de Janeiro entfernt, ist ein Tropenidyll. Autofrei, gewaltfrei, gesegnet mit Traumstränden. Ein ganz besonderes Ausflugsziel. Und doch wollen nur wenige hin, zumindest nicht für länger. Wo ist der Haken?
Der Haken ist die Wasserqualität rund um Paquetá. Die Insel liegt nicht im offenen Meer vor Rio, sondern inmitten der Guanabara-Bucht. Früher urlaubte hier der Adel, zauberhafte Kolonialvillen zeugen von jener Ära. Doch das ist lange her. Mit der zunehmenden Verschmutzung der Guanabara-Bucht im 20. Jahrhundert war das Paradies dahin.
Auch wenn die Wasserqualität in jüngerer Zeit wieder besser geworden ist: Der große Run auf Paquetá, „Rios vergessenes Vorzimmer“ (taz), bleibt aus. Die verwunschene Insel wirkt so schön wie traurig, ist die Charlène von Monaco der brasilianischen Inseln sozusagen.
Inhaltsverzeichnis
Ein kurzer Rückblick
Vor einem Jahrhundert war die Insel Paquetá noch eines der Top-Ausflugsziele von Rio. Vor zwei Jahrhunderten stand die Insel bei der königlichen Familie hoch im Kurs. Dom João VI., der über Portugal und Brasilien regierte, liebte das Eiland. Mit ihm kam die Aristokratie nach Paquetá. Es wurde en vogue, sich hier niederzulassen oder eine Dependance zu unterhalten.
Noch heute erinnern feudale Herrenhäuser an vergangene Zeiten. Doch mit dem Aufstieg Rios zur Millionenmetropole wurde aus der rund 380 Quadratkilometer großen Guanabara-Bucht eine Kloake. Wo sich früher Tümmler tummelten, sorgten auf einmal ungeklärte Abwässer für ihr Fernbleiben. Vor einem Sprung ins Meer wurde gewarnt.
In den letzten Jahrzehnten unternahmen die Behörden viel, um die Wasserqualität in der Bucht zu verbessern. 2023 wurden an drei Stränden der Insel wieder Wasserwerte gemessen, die ein Bad zulassen – zumindest im Winter und bei Flut, wenn frisches Wasser in die Bucht dringt. Im Sommer aber, wenn der viele Regen Unmengen Dreckwasser in die Bucht spült, sollte man noch immer von einem Bad absehen.
Mit der Fähre von Rio zur Ilha de Paquetá
Wir verlassen Rio, die wunderschön gelegene Metropole mit ihren vielen Problemen: Lärm, Gestank, Gewalt, menschliches Elend. Und werden 50 Minuten später auf einer Insel mit einem völlig anderen Tempo anlegen. Unglaublich gelassen. Ohne sichtbares Leid. Ohne Gehupe.
An diesem Montag sind wir gefühlt die einzigen ausländischen Touristen auf dem Katamaran zur Ilha de Paquetá. Ohnehin ist das Schiff nicht arg belegt. Außer uns nur ein paar Locals, die von Erledigungen oder Arztbesuchen in der Großstadt zurückkehren. Und ein paar brasilianische Tagestouristen, die vermutlich genauso neugierig auf diesen entrückten Ort sind wie wir. Die Morgenfähre in entgegengesetzter Richtung ist besser besetzt, schließlich arbeiten viele Insulaner in Rio.
Fähranlegestelle und Zentrum
Die Ilha de Paquetá ist offiziell ein Stadtteil Rios. Dieser ist tropisch grün und übersät mit bewaldeten Hügeln, die wie Höcker auf der Insel sitzen. Am Fuße dieser Höcker leben etwas über 3600 Einwohner, Tendenz sinkend.
Der Platz vor der Fähranlegestelle nennt sich Praça Pedro Bruno. Seinen Namen erhielt die Praça vom Maler und Sänger Pedro Paulo Bruno (1888–1949). Er wurde auf der Insel geboren, sein Vater war ein italienischer Kaufmann aus der Provinz Salerno.
Rundgang im kleinen geschäftigen Zentrum. Alles ist bunt hier: die Rikschas, die Häuser, der kleine Supermarkt.
Wir spitzen ins neogotische Kirchlein Igreja Bom Jesus do Monte. Der Boden hübsch gefliest, filigrane Säulen tragen das himmelblaue Holzdach.
Es ist ruhig hier. Verkehrsgeräusche fehlen nahezu komplett. Auf Paquetá haben nur die Müllmänner, die Gasverkäufer, die Polizei und ein paar andere eine Lizenz zum Autofahren. Die Bewohnerinnen und Bewohner sind zu Fuß oder mit Golfcarts unterwegs, nehmen eine Fahrradrikscha oder radeln selbst.
Zum Leuchtturm und weiter
Obwohl allerorten Rikschafahrer auf Kundschaft warten, entscheiden wir uns, die Insel auf eigene Faust zu erkunden. Nicht einmal ein Rad möchten wir uns leihen. Wollen uns stattdessen der langsamen Insel so langsam wie möglich nähern.
Unser Plan: die Umrundung der Ilha de Paquetá im Uhrzeigersinn. Eine acht Kilometer lange Flipflop-Wanderung über sandige Wege und sandige Strände.
Aus Geschäftsstraßen werden ruhige Wohnstraßen. Kolonialvillen mit Schnitzgiebeln und üppigen Gärten, kleine genauso wie recht imposante, stehen da. Sie stammen aus einer Zeit, als die Reichen hier unter sich sein wollten. Heute dienen sie hin und wieder als Kulissen für Soap Operas.
Wir folgen überbreiten Sandstraßen. Die Szenerie ist umwerfend. Wir überblicken die Hügel der Insel, und sehen in der Ferne den wolkenverhangenen Regenwald rund um die Guanabara-Bucht. Eine magische Kulisse.
Ein Betonsteg führt zum Farol da Mesbla, einem grazilen Leuchtturm im Stil der brasilianischen Moderne:
Immer wieder passieren wir kleine Strände. Sie wären paradiesisch, wäre da nicht das bräunlich-dunkle Wasser, das an die Ufer schwappt. An der Praia da Imbuca sehen wir einen Mann im Wasser stehen. Dieser Strand gehört mit der Praia José Bonifácio und der Praia da Moreninha zu den drei Stränden mit den besten Wasserwerten.
Die Schwäne an der Praia José Bonifácio
An vorgelagerten Inselchen und aufgebockten Booten vorbei erreichen wir den längsten Strand der Insel: die Praia José Bonifácio. „Life is a beach“ war wohl früher das Motto des Strandes. „No life at the beach“ scheint das Motto heute zu sein.
Die Hotels an der Strandstraße sind geschlossen, manche stehen zum Verkauf. Wir sind fast die einzigen, die an diesem Tag mit den Flipflops in der Hand den Strand entlang schlendern.
Auch hier könnte man wieder baden. Tut aber keiner. Der Beach ist zudem nicht der sauberste, die Mülltonnen quellen über. Das ist ungewöhnlich in einem Land, in dem den Menschen Strände heilig sind und man dort nicht mal eine Zigarettenkippe zurücklässt.
Das bizarre Highlight dieses traurigen Orts sind die Tretboot-Schwäne, die am Strand aufgereiht sind. Weder gibt es jemanden, der sie verleiht, noch gibt es jemanden, der sie leihen will. Vielleicht sieht die Sache an einem Sonntag anders aus. Gerade aber wirkt die arbeitslose Schwanflotte fast gruselig.
Die Brücke der Traurigkeit
Glattgeschliffene Felsbrocken, wie man sie von den Seychellen kennt, begleiten uns auf unserem weiteren Weg. Zwischen den Felsen führt ein schmaler Steg mit hellblauem Geländer in die Bucht hinein. Die Insulaner nennen ihn Ponte da Saudade, „Brücke der Traurigkeit“.
Einer Insellegende nach betete hier ein angolanischer Sklave, den man den Namen „João Saudade“ gegeben hatte, jede Nacht um die Wiedervereinigung mit seiner Familie in Afrika. Schließlich verschwand João. Ein funkelnder Stern soll ihn geschnappt und zurückgebracht haben, so heißt es.
Praia da Moreninha und Praça São Roque
Tote Hose auch an der Praia da Moreninha, unserem nächsten Traumstrand. Der baumbestandene Strand wurde in dem Roman „A Moreninha“ verewigt, der 1843 auf den Markt kam. Joaquim Manuel de Macedo beschreibt darin den Alltag der bürgerlichen Gesellschaft.
Wir spazieren weiter zur kleinen Igreja de São Roque, die dem Schutzpatron der Insel gewidmet ist. Ums Eck steht die Casa des Artes, wo wohl immer mal wieder kulturelle Veranstaltungen stattfinden. Heute nicht. Hätte uns auch gewundert.
Auf der Praça vor der Kirche ist ebenfalls nichts los. Von einem Rikschafahrer einmal abgesehen, sind alle Lebewesen, die wir hier antreffen, tierischer Natur. Und dazu überaus drollig. Auf dem wilden Kabelsalat, der zwischen den Masten gespannt ist, balancieren Saguis auf und ab, Weißbüschelaffen mit dicken gestreiften Schwänzen.
Von der Praia Pintor Castagneto zurück zur Fähranlegestelle
Auf den Felsen vor der Praia Pintor Castagneto chillt ein riesiger Clan schwarzer Vögel. Reiher sitzen auf und in den bunten Holzbooten.
Wir passieren Bänke, denen die Holzlatten fehlen. Kaputte Laternen. Feudale Anwesen hinter hohen Mauern. So manche Zufahrt ist verrammelt, so mancher Garten verwachsen. Blumen überranken vieles, selbst Stromleitungen. Die tropische Sonne beleuchtet Verfall. Paquetá ist vielerorts so charmant wie morbide. Immer wieder machen Schilder darauf aufmerksam, dass Häuser zu verkaufen oder zu vermieten sind.
Das Tor zum Preventório Rainha Dona Amélia, einem ehemaligen Internat für bedürftige Kinder, ist verschlossen. Nahebei befindet sich das Solar d’El Rei, ein stattliches Anwesen, das ein Sklavenhändler errichten ließ. Der portugiesische Prinzregent Dom João war hier immer wieder zu Gast, daher der Name. Bis vor einigen Jahren diente das Gebäude als Bibliothek. Seit 2009 ist es verlassen.
Zurück im Zentrum essen wir Fisch mit Pommes. Dann kommt die Fähre. Sie entführt uns aus dem vergessenen Idyll und bringt uns zurück in den Moloch Rio de Janeiro.
Ilha de Paquetá – praktische Infos
- Hinkommen: Die Fähren von Rio (Estação das Barcas, Praça XV de Novembro) verkehren von ca. 5.30 Uhr bis Mitternacht alle ein bis zwei Stunden, am Wochenende mehr Fahrten. Mehr Infos hier. Fahrzeit je nach Schiff 50 bis 70 Minuten.
- Rumkommen: Mit E-Carts, Fahrradrikschas, Rädern (mehrere Verleihstationen) oder wie wir zu Fuß.
- Unterkommen: Es muss zauberhaft sein, hier zu übernachten und einen Sonnenuntergang mit dieser Kulisse zu erleben. Das Angebot ist jedoch mehr als überschaubar und beschränkt sich in erster Linie auf privat vermietete Häuser und Wohnungen. Schaut Euch auf den üblichen Portalen um oder fragt vor Ort.
- Weitere Infos: ilhadepaqueta.com.br
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